Dienstag, 26. Oktober 2010

IRAK: Tod für Saddams „kultiviertes Gesicht“

Irakisches Höchstgericht verurteilt schwerkranken Tarek Aziz wegen Verfolgung religiöser Parteien – „Siegerjustiz“ gegen einen Unschuldigen?

von Birgit Cerha

Er ist ein alter, kranker Mann, dem die Ärzte schon vor Jahren nur noch sechs Monate Lebensdauer gaben. Nun soll der Henker dem Leben Tarek Aziz’, des ehemaligen Außenministers und engen Vertrauten des irakischen Diktators Saddam Hussein, ein Ende setzen. Das entschied Dienstag das Irakische Höchstgericht. Der 74-jährige Tarek Aziz beteuert seine Unschuld und kann gegen das Urteil berufen.

Kein irakischer Politiker wurde in den vergangenen Jahrzehnten so eng mit dem Regime Saddam Hussein identifiziert, wie der chaldäische Christ Tareq Aziz. Wortgewaltig verstand er es, in perfektem Englisch Politik und Verbrechen des Diktators zu erläutern und zu verteidigen. Wie kein anderer in der saddam’schen Führungsclique, konnte er sich bei den Versuchen, einem mörderischem Regime gegenüber der Welt ein „kultiviertes Gesicht“ zu verleihen, auf westliche Denkweise einstellen. Oft wirkte er dabei vernünftig und überzeugend, während er all seine Energie einsetzte, um die internationale Gemeinschaft zu belügen. Aziz’ christliche Herkunft kam Saddam höchst gelegen, konnte er damit doch die vermeintliche religiöse Toleranz des von Sunniten geführten Regimes dokumentieren. In den entscheidenden Phasen der jüngeren Geschichte des Iraks, entsandte Saddam Aziz als seinen Hauptdiplomaten in die Welt. So verstand es Tarek Aziz, US-Unterstützung im achtjährigen Krieg gegen den Iran (1980 bis 88) zu gewinnen, bald darauf gelang es ihm, enge ökonomische Beziehungen zur Sowjetunion zu knüpfen und schließlich 1984 wieder bei einem Treffen mit dem damaligen US-Präsidenten Reagan die Bande mit Washington erneut zu stärken.
Nach der irakischen Invasion Kuwaits 1990 irrte er von Weltstadt zu Weltstadt, in dem vergeblichen Bemühen, einen von den USA angeführten Krieg zur Vertreibung der irakischen Truppen aus dem Ölreich zu verhindern. Die Dramatik eines letzten, entscheidenden Gesprächs mit US-Außenminister Baker in Genf, bleibt vielen unvergessen. Kaltblütig weigerte sich Aziz, einen Brief des damaligen US-Präsidenten Bush Saddam zu übergeben. Der Krieg wurde damit unvermeidlich. Und vor der US-Invasion des Iraks im März 2003 versuchte er erneut all seine diplomatischen Künste, wurde auch von Papst Johannes Paul II. empfangen, der einen Friedensappell an die Welt richtete. Bald nach dem Sturz des Regimes ergab er sich im April 2003 den US-Militärs und blieb sieben Jahre lang in einem von den Amerikanern geführten Gefängnis. Im Zuge der US-Truppenreduzierung wurde er jedoch im August den irakischen Behörden überstellt und sitzt nun in einem Bagdader Gefängnis.

Bis heute steht Tarek Aziz bedingungslos loyal zu Saddam, den er jüngst in einem Interview mit dem britischen „Guardian“ energisch verteidigte: „Die Geschichte wird zeigen, dass er seinem Land gedient hat. Er ist der Held hinter der Einheit des Iraks und seiner Souveränität“. Und im August, als die USA ihre erste Rückzugsphase aus dem Irak vollendeten, beschuldigte Aziz US-Präsident Obama, er „überlässt den Irak den Wölfen“ und forderte, die Amerikaner müssten bleiben, um die von ihnen angerichteten Fehler zu korrigieren.

Prominente Persönlichkeiten setzten sich immer wieder für die Freilassung Tarek Aziz’ mit dem Argument ein, offensichtliche schwere Verbrechen seien ihm nicht nachzuweisen. Der Vatikan appellierte ebenso für seine Freilassung, wie die ehemaligen Leiter des humanitären UNO-Hilfsprogramms für den Irak, Hans von Sponeck und Denis Halliday.

Dennoch. Tarek Aziz, der bereits in den 50er Jahren erstmals mit dem jungen Saddam Hussein zusammentraf, ist ein Baathist und Nationalist vom selben Schlag wie der exekutierte Diktator, wohl um nichts weniger hart und brutal. Wiewohl er nicht dem engsten, ausschließlich aus Tikrit stammenden Führungskreis des Despoten angehörte, saß er bis zuletzt im herrschenden Kommandorat der Revolution, in dem er sich aktiv an allen wichtigen Entscheidungen – Kriege, Genozid (gegen die Kurden und Schiiten), Massaker etc. – beteiligen musste. Hätte er dies nicht getan, hätte er nicht nur sofort Saddams Vertrauen verloren, sondern mit größter Sicherheit auch sein Leben. Beispiele dafür gab es genügend.

Dennoch hat das Todesurteil gegen ihn, den schalen Beigeschmack der „Siegerjustiz“. Denn die Verbrechen, für die er nun mit dem Leben bezahlen soll, richteten sich gegen „religiöse Parteien“, wie es im Urteilsspruch heißt. Somit holt Tarek Aziz die Geschichte ein. Denn es war am 1. April 1980 gewesen, als Mitglieder der schiitischen „Dawa“-Partei in Bagdad ein Attentat auf ihn verübt hatten. Aziz überlebte leicht verletzt. Doch Saddam nahm den Anschlag zum Anlass, um die blosse Mitgliedschaft bei der Dawa-Partei mit dem Tode zu bestrafen. Unzählige Schiiten wurden deshalb exekutiert, darunter auch prominente, hohe Geistliche. Der Anschlag löste eine blutige Kampagne gegen Schiiten aus, der auch der hochpopuläre Großayatollah Mohammed Mohammed Sadek al-Sadr 1999 zum Opfer fiel. Sein Erbe, der junge Geistliche Moktada Sadr, spielt heute eine entscheidende Rolle als Königsmacher bei der Bildung einer neuen Regierung im Irak. Und wenige zweifeln daran, dass Angehörige der Dawa, zu denen auch Premier Maliki zählt, immer noch auf blutige Rache sinnen.

Im Vorjahr war Tarek Aziz wegen Beteiligung am Exekutionsurteil gegen 42 Bagdader Händler, die in dramatischer Weise Nahrungsmittelpreise zu ihrem Vorteil in die Höhe getrieben hatten, zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Zuvor hatte ihn das Sondertribunal zur Aburteilung der Verbrechen aus der Saddam-Ära der Beteiligung an Verbrechen gegen die Menschlichkeit freigesprochen. Tarek Aziz ist nach zwei Herzinfarkten und möglicherweise einem Schlaganfall gesundheitlich schwer angeschlagen. Sein in Jordanien lebender Sohn Ziad wirft den Herrschern des neuen Irak vor, alle töten zu wollen, „die dem früheren Regime angehört hatten“.

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