Verängstigte Bürger bewaffnen sich angesichts wachsender Spannungen über das Tribunal zur Aufklärung des Mordes an Ex-Premier Hariri
von Birgit Cerha
Wieder erscheint drohend das Schreckgespenst des Bürgerkriegs auf dem libanesischen Horizont. Zorn über die heimischen Politiker und ausländischen Mächte, die traditionell ihre Interessen auf levantinischet Erde austragen, versetzt die Libanesen erneut in Panik. Waffenhändler berichten über stark ansteigende Nachfrage nach Gewehren und Pistolen. Vorerst entlädt sich die eskalierende Spannung in einem verschärften Krieg der Worte zwischen den politischen Hauptkontrahenten: der von Saudi-Arabien unterstützten Allianz um Regierungschef Saad Hariri auf der einen und der mit Syrien und Iran verbündeten Gruppierung unter Führung der Schiitenorganisation Hisbollah, die in einer Koaltion mit Hariri das Land zu regieren versucht.
Doch nun droht die in den nächsten Wochen erwartete Entscheidung des internationalen Tribunals zur Aufklärung des Mordes von Ex-Premier Rafik Hariri, Hauptverdächtige des Terroranschlages vom März 2005 zu nennen, nicht nur die Regierung, sondern das Land zu zerreißen. Kommentatoren und viele Bürger befürchten, sollte das Tribunal – wie vermutet – tatsächlich Mitglieder der Hisbollah anklagen, könnte im Libanon erneut ein blutiger Krieg zwischen Schiiten und Sunniten ausbrechen, mit Auswirkungen weit über die Grenzen des Landes hinaus.
Die „schlimmste politische Krise“, die der Libanon nach Ansicht heimischer Kommentatoren seit Jahren durchmacht, wird noch verschärft durch einen für Mittwoch und Donnerstag geplanten Besuch des iranischen Präsidenten, durch den Ahmadinedschad seine unverrückbare Unterstützung für Hisbollah und den verstärkten Einfluß des Irans über den kleinen Levantestaat demonstrieren will. Syrien, das den Rivalen im Vormachtstreben über dieses strategisch wichtige Land lieber auf Distanz hält, gelang es nach informierten Kreisen nicht, Ahmadinedschad zum Aufschub dieser Reise zu überreden.
„Alle befürchten, dass hier Schlimmes geschehen wird“, zeigt sich Hariris enger Verbündeter Mustapha Allouche höchst alarmiert. Er und seine „Koalition des 14. März“ sind davon überzeugt, dass Hisbollah und Syrien „alles versuchen“ würden, um die Arbeit des UN-Sondertribunals zu stoppen. Zehn Minister unterstützen Hisbollah-Chef Nasrallahs Bemühungen, die Finanzierung des Tribunals einzustellen. Eine Ministerstimme fehlt noch, um dieses Vorhaben durchzusetzen.
Wiewohl Hariri in einer dramatischen Kehrtwende offiziell Syriens Unschuld am Mord seines Vaters beteuerte, will er von der Einstellung der Arbeit des Sondertribunals nichts wissen. Auch sein saudischer Schutzpatron König Abdullah, der bei einem gemeinsamen Versöhnungsbesuch mit seinem Erzrivalen, Syriens Präsidenten Assad, im Sommer versprochen hatte, das Tribunal von einer offiziellen Anklage gegen Hisbollah-Angehörige abzubringen, konnte oder wollte seine Zusage nicht einhalten.
Nasrallah wittert hinter den Aktivitäten des Tribunals eine von Israel angezettelte Verschwörung, die seiner Organisation nun durch einen internationalen Schiedsspruch das Genick brechen soll, da dies der israelischen Armee mit Waffengewalt bis heute nicht gelang. Wiederholt bekräftigt der Hisbollah-Chef seine entschiedene Weigerung, Anhänger auszuliefern, sollte die internationalen Richter dies fordern. Ein Prozeß würde dann allerdings in absentia durchgeführt, mit zweifellos beträchtlichem Schaden für Hisbollahs Image. Im August hatte Nasrallah bei einer stundenlangen Pressekonferenz Videoaufnahmen präsentiert, die Israel als Auftraggeber des Mordes an Hariri und 22 anderen Libanesen entlarven sollten und er bezichtigt das Tribunal, Israel nicht in den Kreis der Verdächtigen einzubeziehen und seine Untersuchungen auf falsche Zeugenaussagen zu stützen. Mit dieser Frage soll sich heute, Dienstag, auch das Beiruter Kabinett befassen.
Syrien hatte vor wenigen Tagen Haftbefehle gegen 33 Personen, darunter nicht nur enge libanesische Vertraute Saad Hariris, prominente Richter, Offiziere, Politiker und Journalisten, sondern auch gegen den früheren deutschen UN-.Ermittler Detlev Mehlis und dessen Vertreter Gerhard Lehmann wegen falscher Zeugenaussagen erlassen. Damit will Damaskus, die Legitimität des Tribunals in Zweifel ziehen. Die Eskalation hat einen neuen Grad erreicht.
Bilquelle: www.faz.net
Montag, 11. Oktober 2010
LIBANON: Im Libanon tickt wieder eine Zeitbombe
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen