Montag, 27. Juni 2011

Europa zielt auf Assads „Achillesferse“

von Birgit Cerha

Mindestens 1.400 Menschen, überwiegend unbewaffnete, freiheitshungrige Bürger, fielen dem Terror der syrischen Sicherheitskräfte in drei Monaten der Rebellion gegen das Regime bereits zum Opfer. Zehntausende flüchteten in die Türkei und den Libanon, manche durch Schüsse verletzt, andere durch bestialische Brutalitäten der Schergen des Diktators traumatisiert.

Der Westen, Europa, sieht dem blutigen Treiben ratlos zu. Militärischer Schutz für die Verfolgten steht angesichts des immer noch anhaltenden Libyen-Debakels außer Frage. So bleiben Sanktionen als einziger Ausweg aus einem Dilemma, um den Europäern den Vorwurf zu ersparen, sie hätten dem Abschlachten tatenlos zugesehen. Verschärfte EU-Sanktionen zielen auf die Herrscherelite, deren Vermögen und Kapazität die Tötungsmaschinerie in Gang zu halten. Sie zielen aber auch auf Assads Achillesferse: die schon vor Beginn der Unruhen dahinsiechende Wirtschaft.

Doch es ist ein zweifelhaftes Unterfangen. Der Erfolg ist ungewiss. Hatten nicht zwölfjährige schärfste UN-Sanktionen dem irakischen Diktator Saddam Hussein nicht nur nicht geschwächt, sondern vielmehr gestärkt, und zugleich eine Generation des gequälten Volkes um ihre Zukunft geraubt – eine Katastrophe, über die die Welt schweigt? Doch immerhin versucht Europa nun, nur die Übeltäter zu treffen, so etwa neben dem Präsidenten und dessen Bruder auch Vetter Rami Makhlouf, der mit seinen Unternehmen die Wirtschaft dominiert. Makhlouf gilt als Hauptfinanzier des Regimes und stellte jüngst in einem Interview klar, dass der Assad-Clan bis zum Letzten kämpfen werde und über viele Soldaten verfüge. Doch der gegen ihn gerichtete Haß des Volkes und die Demütigung der EU-Sanktionen bewirkten immerhin, dass der Magnat den Rücktritt aus seinem höchst lukrativen Geschäftsleben ankündigte und sich künftig nur noch der Linderung der Not seiner Mitbürger widmen will. Wenige trauen freilich solcher Verheißung. Sie zeigt aber, dass die internationalen Strafmaßnahmen nicht nur symbolisch bleiben, sondern zumindest eine psychologische Wirkung erzielen. Die Tatsache, dass die EU nach einigem Zögern auch den Präsidenten auf die Sanktionsliste setzte und damit zu einem geächteten Kriminellen macht, treibt Syrien verschärft in die internationale Isolation. Es bleiben nur noch ganz wenige Freunde, an der Spitze der Iran, der zwar in Damaskus höchste strategische Interessen verfolgt, doch kaum die finanziellen Mittel zur Verfügung stellen dürfte, die Syriens Wirtschaft vor einer Katastrophe retten könnte.

Syrische Oppositionelle im Westen drängen die EU, die Ölindustrie des Landes mit Sanktionen zu belegen. Syrien zählt zu den kleinsten Ölexporteuren des Mittleren Ostens, produziert täglich nur 390.000 Barrel, doch sie liefern wichtige Devisenerträge. Bisher ist Syriens Ölindustrie von Sanktionen verschont geblieben. Der Großteil der Exporte von derzeit insgesamt etwa 155.000 Barrel im Tag fließt nach Deutschland, Italien und Frankreich. Aktivisten fordern diese Länder auf, kein Öl mehr zu kaufen, da diese Einkünfte die Unterdrückungsmaschinerie direkt speisten. Doch es wäre ein empfindlicher Schlag für die Wirtschaft, der mittelfristig das Volk trifft. Denn geht der europäische Markt verloren, wird Syrien für sein schweres Öl kaum einen Ersatz anderswo finden. Die staatlichen Deviseneinkünfte würden auch längerfristig weiter schrumpfen und einer Erholung nach dieser schweren Krise noch größere Hürden schaffen.

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Sonntag, 26. Juni 2011

Syrien steht am Rande des Abgrunds

Rebellion verschärft dramatisch ökonomische und soziale Probleme – Können Sanktionen dem Regime den Todesstoß versetzen?

von Birgit Cerha

Der Terror der syrischen Sicherheitskräfte nimmt kein Ende. Während das Regime Truppen an den Grenzen zum Libanon und zur Türkei verstärkt, flüchteten in den vergangenen Tagen wieder Hunderte syrische Zivilisten aus ihren Dörfern verjagt, in Todesangst in die beiden Nachbarstaaten, nicht wenige durch Schüsse von Präsident Assads Elite-Einheiten verwundet. Und so manche erzählen lokalen Reportern Horrorgeschichten von sadistischen Verstümmelungen durch Soldaten, Serien-Vergewaltigungen an jungen Mädchen, brutalen Morden.In der Hoffnung, dem Grauen ein Ende zu setzen, hat der EU-Gipfel in der Vorwoche Sanktionen gegen die syrische Herrscher-Elite verschärft und auch auf einige führende, das Regime unterstützende Unternehmen ausgeweitet. Assads Achillesferse – die Wirtschaft – soll damit getroffen werden. Bricht die Wirtschaft zusammen, reißt sie das Regime mit oder zwingt es zumindest zu radikalen Reformen und einem Ende des Mordens. Dann – so die optimistische Kalkulation – könnte Syrien als Modell für westliche Reaktion auf Freiheitsforderungen der Bevölkerung in anderen Ländern dienen.

Doch ob solche Kalkulation aufgeht, ist höchst ungewiß.

Freilich, die mehr als dreimonatige Rebellion hat bereits tiefe Spuren hinterlassen. „Das gesamte Wirtschaftsleben ist zum Stillstand gekommen“, klagt ein syrischer Ökonom, der in dieser hochangespannten Atmosphäre lieber ungenannt bleiben will. Am schwersten betroffen ist der Tourismus, mit acht Mrd. Dollar im Jahr die lukrativste Devisenquelle des Landes, die 320.000 Menschen Arbeit und einer weiteren Million indirekt Einkommen sichert. Ausländische Besucher bleiben dem Land fast völlig fern und zahlreiche Hotels mußten bereits ihre Tore schließen. Geschäfte, die Privatwirtschaft insgesamt spüren die Krise immer schmerzlicher, sehen sich zu Entlassungen oder zumindest zu Lohnkürzungen gezwungen, während Produzenten mit wachsenden Sicherheitsproblemen kämpfen, um ihre Waren überhaupt ausliefern zu können.

Das Pfund ist um etwa 17 Prozent gegenüber dem Dollar gefallen, während nach Schätzungen von Ökonomen bisher etwa acht Prozent der Bankreserven von verängstigten Syrern ins Ausland transferiert wurden. Die so dringend benötigten Auslandsinvestitionen bleiben fast vollständig aus.

In seiner jüngsten Rede warnte Assad offen vor einem wirtschaftlichen Zusammenbruch. Dabei hatte die Ökonomie des Landes schon vor Beginn der Massenproteste mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen. Seit 2005 eingeleitete Liberalisierungen trieben die Inflation auf 15 Prozent und mehr in die Höhe, während billige Produkte aus der Türkei und China die Märkte überschwemmten und Produzenten, insbesondere im traditionellen Textilbereich in den Bankrott zwangen. Hinzu kommen die Folgen einer seit Jahren anhaltenden Dürre, die zu einem Rückgang der landwirtschaftlichen Produktion von 25 Prozent führte und etwa 1,5 Millionen Menschen in die Städte trieb, wo die meisten keine Arbeit fanden. Während Assad im Zuge seiner ökonomischen Liberalisierung staatliche Subventionen für Treibstoff und Nahrungsmittel kürzte, öffnete sich die Schere zwischen den superreichen Profiteuren des Regimes, allen voran dem Assad-Clan, und einem großen Teil der 21-Millionen-Bevölkerung immer weiter. Nach Schätzungen syrischer Ökonomen sind heute etwa 30 Prozent aller Familien auf Regierungsunterstützung angewiesen.

Die Proteste gegen das Regime und dessen gravierende Korruption und Vetternwirtschaft wurden ursprünglich primär von den wachsenden wirtschaftlichen Nöten gespeist, einer Arbeitslosigkeit unter der Jugend von etwa 30 Prozent. Assad reagierte wie seine Amtskollegen auf der Arabischen Halbinsel: Erhöhung der Gehälter öffentlich Bediensteter, Versprechen von neuen Arbeitsplätzen in dem bereits überbordenden öffentlichen Sektor, machte die Subventionskürzungen wieder rückgängig und erhöhte drastisch die Löhne der Sicherheitskräfte. Doch im Gegensatz zu den ölreichen Golfstaaten fehlen die Deviseneinkünfte des Staates, um diese enormen Ausgaben zu decken. Syrische und westliche Beobachter sind geteilter Meinung über die ökonomische Widerstandskraft des Landes. Während einige Experten meinen, die Wirtschaft könne diese gravierenden Verluste höchstens noch vier Monate überstehen, weisen andere auf Devisenreserven von 17 Mrd. Dollar hin, die dem Land eine Verschnaufpause schenken könnten.

In der Geschäftswelt von Damaskus und Aleppo, die wichtigste Stützte des Regimes, die Assad bisher die Stange gehalten hat, breiten sich Ungeduld und Zukunftsängste aus. Ohne Stabilität kein Geschäft. Schließt sich dieser Sektor der Bevölkerung den Protesten an, dann könnte das Schicksal des Regimes besiegelt sein. Und so manche meinen, sollte die Assad-Clique politisch die Rebellion überleben, der langfristige Schaden für die Wirtschaft würde ihr das Genick brechen.

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Donnerstag, 23. Juni 2011

Mit dem Lenkrad in eine neue Ära

Können saudische Frauen die konservativste aller Monarchien endlich modernen Lebensformen öffnen?

von Birgit Cerha


„Das ist unser Moment, um Veränderungen einzuleiten“, gibt sich Eman al Nafjan, die bekannte saudische Bloggerin, fest entschlossen. Die Stürme des „arabischen Frühlings“ haben nun auch die konservativste aller Monarchien erreicht, wiewohl erst als schwache Lüftchen. Doch sie wecken Hoffnung auf einen Ausbruch aus dem starren System. Viele Frauen Saudi-Arabiens, viele unter ihnen hoch gebildet, hat der mutige Aktivismus ihrer Geschlechtsgenossinnen in Tunesien, in Ägypten, im Jemen, wo sie eine entscheidende Rolle im Kampf gegen die Diktatoren und für demokratische Rechte übernahmen, endlich angesteckt. Vorerst geht es nur um das demütigende, freiheitsberaubende Fahrverbot für Frauen, eine weltweit einzigartige Bestimmung, an der das Haus Saud in enger Allianz mit den mächtigen, erzkonservativen Geistlichen der Wahhabiten, einer puritanischen Richtung des Islams, seit Jahrzehnten hartnäckig festhält.
Am 17. Juni begannen mehrere Dutzend (genaue Zahlen sind nicht bekannt) mutige Frauen, viele von ihren Ehemännern unterstützt, über die Facebook-Seite „Women2Drive“ aufgerufen, sich hinter das Lenkrad ihrer Autos zu setzen. Polizisten schlossen die Augen, auch als sich einige Frauen in den folgenden Tagen wieder ans Steuer ihrer Fahrzeuge wagten. „Ich glaube, die Gesellschaft ist bereit, uns willkommen zu heißen“, bemerkt eine der Fahrerinnen über Facebook und die Organisatorinnen zeigen sich entschlossen, weiter zu machen, „bis ein königliches Dekret zur Fahrerlaubnis für Frauen erlassen ist“. Moralischen Aufwind erhielten „Women2Drive“ durch eine lange erwartete Sympathiebezeugung von US-Außenministerin Hillary Clinton, die den „Mut“ der Frauen preist, der sie „berührt“ und betont, „ich unterstütze sie“. So wagen sich die Aktivistinnen einen Schritt weiter vor und rufen den „Subaru“ Auto-Konzern von Fuji Heavy Industries auf, sich aus dem Königreich zurückzuziehen, bis das Fahrverbot aufgehoben sei. Die Kampagne soll auf „General Motors“ und Hyundai“ ausgedehnt werden.

Die Aktionen lösen heftige Diskussionen im Königreich aus. Sie begannen mit der Verhaftung der 32-jährigen Manal al Scharif am 22. Mai, einen Tag, nachdem die beim Ölgiganten Aramco arbeitende IT-Expertin ein Video in Facebook und You Tube gestellt hatte, das sie hinter dem Lenkrad eines Autos in der östlichen Stadt Khobar zeigte. Mit dieser „freiwilligen Kampagne“ wolle sie „Mädchen in diesem Land“ helfen, „zumindest in Notfällen“ selbst aktiv werden zu können. ‚“Was, wenn der Fahrer einen Herzinfarkt erleidet?“ Über Facebook, das rasch 12.000 „User“ gewann, rief sie saudische Frauen auf, Fahren zu lernen. Binnen zwei Tagen nach ihrer Verhaftung hatten an die 500.000 Menschen ihr Video gesehen. Scharif wurde nach neun Tagen mit dem erzwungenen Versprechen freigelassen, nie wieder ein Auto zu steuern. Doch ihre Aktion brach eine jahrzehntelange Mauer des Schweigens und weitgehender Apathie. Nur einmal, 1990, hatten es 47 saudische Frauen, sorgfältig in ihre schwarzen Abayas gehüllt, gewagt, sich demonstrativ dem Fahrverbot zu widersetzen. Sie wurden zwar nur kurz festgenommen und verhör, doch anschließend fast drei Jahre lang von ihren öffentlichen Ämtern suspendiert und von erzkonservativen Scheichs und Imamen in Moscheen als „Prostituierte“, „amerikanische Säkularisten“ und „Kommunisten“ beschimpft.

Für die Frauen bedeutet das Fahrverbot eine drastische Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit. Nur wenige können sich die hohen Kosten für Visum (rund 3000 Dollar) und Gehalt (bis 600 Dollar im Monat) eines Chauffeurs leisten, der dann alle Fahrten mit ihnen unternimmt. Aktivistinnen weisen auf den grotesken Widerspruch hin, der auch diese erzwungene Lösung in einem Land in sich birgt, das strikteste Trennung der Geschlechter durchsetzt und die Frauen so weit entmündigt, dass sie ohne Genehmigung ihres Gatten oder engsten männlichen Verwandten weder ausreisen, noch öffentliche Verkehrsmittel im Königreich benützen dürfen. „Wir dürfen studieren, Ärztinnen werden, aber wenn unser Kind krank ist, können wir es selbst nicht ins Spital führen“, klagt eine junge Medizinerin. Solch gravierende Restriktionen lösen starke Gefühle der Hilflosigkeit aus – und dies, obwohl nach jüngster saudischer Statistik heute mehr als 120.000 saudische Frauen Autos besitzen, um 60 Prozent mehr als 2003. Nur in privaten Anlagen und auf dem Land, insbesondere in Gegenden, wo Beduinen leben, gilt das Fahrverbot gar nicht oder nur beschränkt.

Dabei haben Frauen seit uralten Zeiten auch in jenen Gebieten, die heute unter der Herrschaft des saudischen Königshauses stehen, Kamele und Esel geritten. „Das Öl ist ein Fluch“, analysiert die prominente saudische Sozialanthropologin Mai Yamani. Vor den 1950er Jahren, bevor das „schwarze Gold“ zu sprudeln begann, seien die Frauen mit traditionellen Beschäftigungen in das Berufsleben eingegliedert gewesen. Dann habe man sie „in goldene Käfige gesteckt“, „golden“ freilich nur für einen Teil der Bevölkerung.

Aktivistinnen weisen darauf hin, dass es kein geschriebenes Gesetz gibt, das den Frauen das Autofahren verbietet. In Saudi-Arabien gilt das islamische Recht, Scharia, es ist unkodifiziert. Es gilt, was die Regierung oder die Richter verfügen, Bestimmungen, die sich von Tag zu Tag ändern können. Das Fahrverbot geht auf eine Fetwa (Rechtsgutachten) des Muftis, des höchsten Wahhabi-Geistlichen, aus den frühen 1990er Jahren zurück. Es wurde darauf hin, auch vom Innenminister bestätigt. Doch es ist umstritten, ob die Fetwa des Mufti oder die Erklärung des Innenministers bindenden Charakter haben.

Und das schwerste Dilemma für das Königshaus ist sein Pakt mit den Wahhabiten, die ihm die Macht absichern. Eine von den Wahhabiten gestellte Religionspolizei (die Mutawas), deren Führer in Ministerrang in der Regierung vertreten ist, genießt seit langem das Recht, die Frauen in aller Öffentlichkeit zu demütigen und sie tut dies mit vollem Eifer. Um in der ersten Phase des „arabischen Frühlings“ im März auch in Saudi-‚Arabien drohende Proteste im Keim zu ersticken, erweiterte König Abdullah per Dekret auch noch die ohnedies beträchtlichen Machtbefugnisse der Mutawas.

Doch, so betont Yamani, auch die Rute dieser religiösen Sittenpolizei versagt im Kampf gegen die Globalisierung. So „chatten“ neunjährige Mädchen online, wiewohl ihnen eine Fetwa ohne männlichen Aufseher den Zugang zum Internet verbietet.

Das Wahhabi-Dogma, das die Schullehrbücher dominiert und das Justizsystem prägt, wurde seit Generationen zum Schutz und zur Stärkung des patriarchalischen Systems eingesetzt und erweist sich damit als stärkstes Hindernis für die Gleichberechtigung saudischer Frauen. Dennoch meinen Kenner Saudi-Arabiens, dass ein großer Teil der Elite, wie auch der gebildeten Mittelschichte eine Aufhebung diverser Restriktionen für die Frauen, insbesondere das Fahrverbot, befürwortet. Das Königshaus aber ist gespalten, auch an der Spitze. Während der Monarch bereits vor einigen Jahren betonte: „Der Tag wird kommen, an dem Frauen auto-fahren dürfen“ – ein Ausspruch, den „Women2Drive“ auf ihre Facebook-Seite setzte, stellte Innenminister Naif, der übernächste in der Thronfolge, wiederholt klar, dass es „zum Besten unserer Töchter“ sei, „wenn sie nicht fahren“. Hingegen unterstützt der prominente Neffe des Königs und internationale Investor, Prinz Al-Walid bin Talal offen die Aufhebung des Fahrverbots: Saudi-Arabien könne auf diese Weise 750.000 Fahrer heimschicken. Das Königreich „will die Zahl der ausländischen Arbeitskräfte reduzieren, …. so weshalb dieses Zögern?“

Ultras freilich starteten längst eine Gegenkampagne, rufen in Facebook Männer auf, fahrende Frauen zu schlagen oder warnen im Internet, wie Scheich al-Barrak, dass diese „verwestlichten Frauen die Schlüssel zum Übel in diesem Land“ würden.

„Die königliche Familie“, meint Yamani, „steht nun vor einem ganz großen Test. Die Weltmeinung läßt sie nicht gleichgültig, doch die Wahhabiten zu erzürnen, wird der Monarch nicht wagen, insbesondere in diesen dramatischen Zeiten der arabischen Welt. Fahren die Frauen weiterhin ungestraft, werden sich immer mehr Mitbürgerinnen hinter das Steuer wagen. Gelänge es ihnen, so spekuliert Yamani, die Aufhebung des Verbots durchzusetzen, „könnten sie sich an die Spitze einer neuen politischen Kraft stellen“, die sich nicht mehr auf gesellschaftliche Forderungen beschränkt, sondern nach politischen Reformen ruft.

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Donnerstag, 16. Juni 2011

Vom Kinderarzt zum Massenmörder

Al Kaida ernennt den von den USA „meist gesuchten Terroristen“, Ayman al Zawarheri, zum neuen Chef des Netzwerkes

von Birgit Cerha

Man nennt ihn seit langem „das Gehirn“ des Terrornetzwerkes. Osama bin Ladens langjähriger engster Vertrauter und Stellvertreter wird nun Al-Kaida leiten. Es war offenbar ein mühseliger Eintscheidungsprozeß, zu dem sich das verwaiste Führungsteam eineinhalb Monate nach dem Tod Bin Ladens durch eine US-Sondereinheit durchrang. Bespickt mit der seit Jahren bekannten radikalen Rhetorik, heißt es in einer über die islamistische Website „Ansar al-Mudschaheddin“ Donnerstag verbreiteten Botschaft der Al-Kaida-Führer, man werde unter Zawaheris Leitung den Kampf gegen die USA und Israel, fortsetzen, diese „häretischen Invasoren“ (islamischen Landes) und all jene, die diese unterstützten.
Der etwa 60-jährige ägyptische Kinderarzt und Chirurg ist seit dem Tod Bin Ladens am 2. Mai auf den ersten Platz der vom US-Geheimdienst FBI zusammengestellten Liste der meistgesuchten Terroristen aufgerückt. Die US-Regierung hat auf ihn ein Kopfgeld von 25 Mio. Dollar ausgesetzt. Über seinen gegenwärtigen Aufenthaltsort gibt es nur Vermutungen. Möglicherweise hält er sich in dem unkontrollierbaren Grenzland zwischen Afghanistan und Pakistan auf.

Zawaheri gilt seit langem als der Hauptideologe und Stratege von Al-Kaida. Er meldete sich in den vergangenen Jahren auch weit häufiger als Bin Laden mit Video- und Audiobotschaften an die Öffentlichkeit. Darin verdammte er „amerikanische Freiheiten“ ebenso, wie den ehemaligen britischen Premierminister Tony Blair oder Queen Elizabeth, charakterisierte etwa England als den „schärfsten Feind des Islam“ und drängte jüngst Muslime aller Welt, die „Truppen der USA und NATO in Libyen“ zu bekämpfen, während umgekehrt Libyens schwer bedrängter Führer Gadafi seinen Krieg gegen die vom Westen unterstützten Aufständischen als Feldzug gegen „Al Kaida“ klassifiziert.

Zawaheri entstammt einer hochangesehenen ägyptischen Familie. Der Onkel seines Vaters war Groß-Imam von Al-Azhar und bekleidete damit eine Position im sunnitischen Islam, die mit jener des Papstes der Katholiken vergleichbar ist. Sein Vater war Pharmazeut und Universitätsprofessor und der Vater seiner Mutter Rektor der Kairoer Universität und Gründungsvater der König Saud Universität in Riad. Ayman wuchs im wohlhabenden, von liberalen Muslimen bewohnten Kairoer Bezirk Maadi auf. Doch seine Familie achtete auf moralisch strikte Lebensregeln und mischte sich nicht in das rege lokale Gesellschaftsleben. So könnte sich Ayman schon als Kind als Außenseiter gefühlt haben. Ehemalige Komilitonen der medizinischen Fakultät in Kairo aber beschreiben ihn als humorvollen Studenten, den Freuden des Lebens durchaus zugetan. Doch sein Hang zu fundamentalistischer islamischer Ideologie zeigte sich offen schon im Alter von 15 Jahren, als er eine extremistische Studentengruppe organisierte und anzuführen begann, inspiriert von den Schriften des einflußreichsten islamistischen Denkers des 20. Jahrhunderts, dem Ägypter Sayyid Qutb, der die These vertrat, dass einzig islamischer Fundamentalismus, Heiliger Krieg und Martyrium die Muslime aus dem drückenden westlichen Einfluß befreien könnten. Ein wahrer Muslim, so Qutb, müsse nicht nur den Sturz westlicher Führer, sondern auch derer Sympathisanten in der muslimischen Welt betreiben.

Nach der Ermordung des ägyptischen Präsidenten Sadat 1981 zählte Zawaheri zu Tausenden Ägyptern, die ins Gefängnis wanderten. Er harrte dort wegen illegalen Waffenbesitzes drei Jahre lang aus und soll nach Berichten von Zeitgenossen, die Kerkermauern als ein „Anderer“ verlassen haben. Manche Analysten vertreten deshalb die Ansicht, Zawaheri sei, wie andere auch, durch die massive und äußerst brutale Repression islamistischer Kräfte durch das Regime Mubarak in die Gewalt getrieben worden. Er stellte sich an die Spitze des ägyptischen „Islamischen Jihad“ und verbreitete mit seinem Extremisten Angst und Schrecken im Lande. Zu den Attentaten zählte auch ein barbarischer Anschlag auf Touristen in Luxor 1997, bei dem 68 Menschen (darunter 36 Schweizer) ums Leben kamen. Zwei Jahre zuvor hatte er ein Attentat auf Mubarak bei dessen Besuch in Addis Abeba organisiert, bei dem zwei äthiopische Polizisten getötet worden waren.

Um Verhaftung und einem drohenden Todesurteil zu entgehen, flüchtete Zawaheri zunächst in den Sudan, arbeitete auch als Arzt im pakistanischen Peschawar und traf schließlich auf den Multimillionär Bin Laden, den er nach Aussagen von Terrorexperten ideologisch stark beeinflußte. Gemeinsam richteten sie, in Kooperation mit dem Chef der islamistischen afghanischen Taleban, Mullah Omar, im Afghanistan ihre Terrorzentren ein. Nach Erkenntnissen von Geheimdiensten soll Zawaheri weit mehr in die Planung der Anschläge vom 11. September 2001 in den USA verwickelt gewesen sein, als Bin Laden. Die beiden, so heißt es, ergänzten einander. Das Verhältnis zwischen Zawaheri und Bin Laden sei „wie das des Gehirns zum Körper“ gewesen ,meint Montasser al Zayat, Zawaheris Anwalt in Kairo.

2001 starben Zawaheris Frau und vermutlich vier seiner Kinder bei einem amerikanischen Luftangriff in Afghanistan. Er selbst war seither mit Bin Laden auf der Flucht. Innerhalb des Netzwerkes aber dürfte er nicht auf die einhellige Zustimmung stoßen wie Bin Laden, zudem fehlt ihm auch das Charisma des verstorbenen Terrorchefs. Seine Ziele sind unverändert radikal: Bedingungsloser Kampf gegen den Westen. Nach dem Tod dieses „noblen Märtyrers“ Bin Laden schwor er: „Ihr (der Westen) werdet nicht in Sicherheit leben, bis auch wir sie genießen können.“

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Mittwoch, 15. Juni 2011

Maher Assad: Der Schlächter von Syrien

Inmitten blutiger Repression baut sich der jüngere Präsidentenbruder zum eigentlichen „starken Mann“ auf

von Birgit Cerha

Teile von Dschisr al Schugur liegen in Trümmern, Leichen treiben im gleichnamigen Fluß und die nahegelegenen Felder stehen in Flammen. Die vierte Armee-Division unter dem Kommando von Maher al Assad hat mit brutaler Gewalt die nordwest-syrische Stadt unter ihre Kontrolle gezwungen. In panischer Angst vor blutigen Strafaktionen nach einer Rebellion in einem Militärstützpunkt der Stadt, bei der, wie Augenzeugen berichten, in der Vorwoche 120 Soldaten ums Leben kamen, sind Tausende Menschen aus dieser nordwestsyrischen Stadt geflüchtet, viele in die Türkei, viele harren an der Grenze aus, um die nächsten Aktionen Mahers abzuwarten. Ist die nahegelegene Stadt Maarat al-Numan sein nächstes Ziel?
Seit die Vierte Division mit ungeheurer Brutalität die südsyrische Stadt Deraa, in der vor elf Wochen die Proteste gegen die Diktatur Assads begonnen hatten, unter ihre Kontrolle zwangen, versetzt der Name Maher Assad die Syrer in Panik und Schrecken. Mit anhaltender Revolte und blutiger Repression tritt der 43-jährige Maher mehr und mehr aus dem Schatten seines Bruders, der seit der Eskalation der Gewalt nicht mehr öffentlich auftrat. Syrische Analysten weisen darafu hin, dass Maher schon seit einiger Zeit der eigentliche „starke Mann“ Syriens sein dürfte, wozu ihn allein seine Funktionen als Kommandant der Elitetruppen der Republikanischen Garden und der Vierten Division, sowie Kontrolle des militärischen Geheimdienstes befugen. Bewußt dürfte das Regime möglicherweise jedoch Bashars el Assads Image als sympathischen reformwilligen Präsidenten gepflegt haben, um sich die Loyalität zumindest einiger Teile der Bevölkerung zu erhalten.

Fest steht unterdessen, dass Maher der eigentliche Organisator der Brutalitäten gegen friedliche Demonstranten, darunter auch viele Kinder, ist, denen bereits mehr als 1.300 Menschen zum Opfer fielen. Verantwortlich für die Sicherheit des Regimes, hat er, wie jetzt bekannt wurde, bereits im Vorjahr tausend Scharfschützengewehre auf dem Schwarzmarkt erworben.

Die Syrer nennen ihn heute den „Schlächter von Deraa“. Leute, die ihn kennen, beschreiben ihn als einen hochintelligenten, hervorragenden Organisator mit einem starken Zug zur Grausamkeit. „Er hat sich als Schlächter erwiesen“, der töte,nur um zu töten“, beschreibt ihn ein Aktivist in Damaskus. „Menschen Leid zuzufügen verschafft ihm sadistische Freude.“ Dieser Ruf des jüngeren Assad wird noch durch ein nun im Internet verbreitetes Video verstärkt. Es zeigt einen von Offizieren geschützten Mann von Statur und Gehabe Mahers, der auf unbewaffnete Demonstranten in Damaskus schießt. Im März tauchten im Internet Fotos auf, die ebenfalls einen Maher ähnlich sehenden Mann zeigen, der mit seinem Mobiltelefon verstümmelte Leichen von Regimegegnern in einem Gefängnis von Damaskus zeigt.

Maher ist der jüngste der vier Söhne des 2000 verstorbenen Hafez el Assad. Er studierte in Damaskus Maschinenbau doch entschied sich früh für eine militärische Laufbahn. Als der zum Nachfolger des Vaters erkorene Bruder Basil 1994 bei einem Autounfall ums Leben kam, war Maher, der dem Verstorbenen nicht nur im Aussehen, sondern auch im Charakter ähnlich ist und zudem – im Gegensatz zu Bashar - eine militärische Karriere gemacht hatte, als „Kronprinz“ im Gespräch. Doch wegen seines aufbrausenden, instabilen Charakters zog der Vater den unpolitischen Augenarzt Baschar vor. Denn Maher hatte sich selbst mit engsten Familienmitgliedern, wie dem Vetter Ribal, gwalttätige Auseinandersetzungen geliefert. Sein Schwager Assef Schaukat laborierte lange an schweren Verletzungen, die ihm Maher bei einem Streit 1999 durch Schüsse zugefügt hatte.

Baschar, der in der Familie stets als schwacher Zögerer galt, erkor den harten und entschlossenen Maher nach seiner Machtübernahme zu seinem engsten Berater. So ist die Niederschlagung des kurzen „Damaszener Frühlings“ der Freiheit durch Massenverhaftungen 2000 und 2001 auf Mahers Einfluß zurückzuführen. 2005 wurde Maher neben Schaukat in einem vorläufigen UN-Untersuchungsbericht als Drahtzieher des Mordes am libanesischen Ex-Präsident Rafik Hariri genannt. Im endgültigen UN-Bericht scheinen die beiden Namen allerdings nicht auf.

Kenner des syrischen Regimes sind davon überzeugt, dass sich Maher und andere führende Mitglieder des inneren Herrscherkreises nicht durch internationalen Sanktionen, die sie und ihre Interessen direkt treffen, von ihren Untaten abschrecken lassen. Es geht ihnen einzig um die Macht, welchen Preis auch immer das Land und seine unschuldigen Bürger dafür zahlen müssen.

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Samstag, 11. Juni 2011

Syriens Regime jagt das eigene Volk

(Bild: Syrische Flüchtlinge in der Türkei)

Tausende Zivilisten flüchten in die Türkei – Bedrohliche Entwicklung zu einem Bürgerkrieg

von Birgit Cerha

In Syrien verschärft sich die Situation dramatisch. Mindestens 4.300 Menschen, überwiegend aus der seit Tagen von Regierungstruppen belagerten nordwestlichen Stadt Dschisr al Schugur, flüchteten bisher über die nahe Grenze in die Türkei. Manche wandern zu Fuß mit nur ein paar Habseligkeiten, schlüpfen durch Löcher in den einst von den Türken gezogenen Stacheldrahtzaun. Viele von ihnen sind bitterarme Bauern, die keinen Paß besitzen. Doch die Türkei hält die Tore offen und bringt die Flüchtenden in einem notdürftig errichteten Zeltlager unter, jene mit Verletzungen durch Schüsse der syrischen Sicherheitskräfte werden zur Behandlungen in ein Hospital gebracht.
Türkische Journalisten, die die schutzsuchenden Syrer interviewten, geben grauenvolle Geschichten wieder. „Wir demonstrierten und Demokratie zu erbitten“, erzählt Abdullah. „Wir hielten Ölzweige in unseren Händen. Doch man begegnete uns mit scharfer Munition.“ An den Landstraßen errichteten Sicherheitskräfte Kontrollpunkte, um dem Flüchtlingsstrom Einhalt zu gebieten. Männer zwischen 16 und 35 sollen dort häufig festgenommen werden, berichteten ein Augenzeuge.

Unterdessen haben syrischen Truppen begonnen in Dschisr al Schugur einzudringen, nachdem sie umliegende Dörfer unter ihre Kontrolle gebracht und Felder im Umkreis in Flammen gesetzt hatten. Erstmals setzte die Armee auch Hubschrauber ein, platzierte Scharfschützen auf Häuserdächer, um auf die Bevölkerung zu schießen. Das Regime betrachtet Dschisr al-Schugur, deren 60.000 Bewohner mehrheitlich geflüchtet sind, als Hochburg der Aufständischen, nachdem in der Vorwoche 120 Regierungssoldaten durch“ bewaffnete Gruppen“, wie es heißt, in der Stadt getötet wurden. Inzwischen mehren sich jedoch die Berichte, dass die Toten Opfer einer Rebellion innerhalb der Streitkräfte sind. Mehr und mehr Soldaten weigern sich offenbar Schussbefehlen auf unbewaffnete Zivilisten zu folgen und werden von Offizieren ermordet.

In anderen Teilen Syriens kamen Freitag bei Demonstrationen mehr als 30 Menschen ums Leben. „Es wird jeden Tag schlimmer“, klagt ein Aktivist in der Stadt Homs. „Sie wollen, dass wir entweder alle tot sind oder weit weg.“

Das Regime wies Samstag scharfe Kritik aus den USA und der UNO am brutalen Vorgehen der Sicherheitskräfte entschieden zurück und warnte den Weltsicherheitsrat, dass eine von der EU entworfene, Syrien scharf verurteilende Resolution, nur „Extremisten und Terroristen“ ermutigen würde.

Die Situation ist höchst undurchsichtig, da das Regime keine unabhängigen Beobachter zuläßt, die westliche Welt offiziellen Stellungnahmen kaum Glauben schenkt und die Opposition breite Möglichkeiten besitzt, über Facebook, Videos und Mobiltelefone die Meinung im Ausland zu beeinflussen. Verlässliche Informationen gibt es deshalb kaum. Manche der Geschichten über gravierende Brutalitäten der Sicherheitskräfte stimmen wohl, andere mögen übertrieben sein. Erstmals gaben nun Demokratie-Aktivisten, die dem gewaltlosen Charakter ihrer Revolution entscheidende Bedeutung beimessen, zu, dass sich Demonstranten in der zentralsyrischen Provinz Homs bewaffnet hätten. Ein Aktivist, der aus Sicherheitsgründen seinen Namen verschweigt, erklärte, dass Unmengen von Waffen im vergangenen Jahr aus dem Libanon und dem Irak ins Land geschmuggelt worden seien.

Unterdessen ziehen sich immer mehr Sturmwolken über Syrien zusammen. So tauchte im Internet eine neue Website unter dem Namen „Revolution Intelligence“ auf, die sich militärischen Themen widmet. Sie fordert Syrer auf, anonym Informationen über Mitbürger, die sie für Informanten oder Loyalisten des Regimes halten, auf die Seite zu stellen. Es bleibt offen, ob hier gezielte blutige Racheaktionen geplant werden. Ein Analyst aus dem Libanon, wo 15 Jahre lang ein grauenvoller Bürgerkrieg getobt hatte, befürchtet, dass Syrien einem ähnlichen Schicksal zutreibe. „Derartige Listen heizen einen blutigen Konflikt an. Jeder kann jeden aus irgendwelchen, mitunter persönlichen Gründen denunzieren. Diese Seite lässt erkennen, dass es in der Opposition Kräfte gibt, die derselben Denkweise folgen wie die weithin so verhaßten und oft brutal und willkürlich zuschlagenden Geheimdienste des Regimes.“

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Im Orient kein Platz mehr für Christen?

Der „arabische Frühling“ steigert quälende Existenzängste unter den nicht-muslimischen Minderheiten

von Birgit Cerha

„Wenn die Situation so bleibt, dann sind die Christen hier zum Martyrium bereit.“So fasst der koptische Pater Tharwat die Stimmung unter vielen Glaubensbrüdern seit dem Sturz Präsident Mubaraks am 11. Februar zusammen. Inzwischen nämlich hat sich der „arabische Frühling“ für die nicht-muslimischen Minderheiten zu einem eisigen Winter gewandelt.Vorüber scheint die Zeit, als Kopten, zehn Prozent der Bevölkerung, auf dem Kairoer Tahrir-Platz gemeinsam mit Muslimen den Sturz des Autokraten erzwangen. Damals schien es der so lange an den Rand der Gesellschaft gedrängten Minderheit, sie werde endlich den ihren gebührenden Platz in einer künftigen ägyptischen Demokratie erobern. Dochwar Mubarak vom Thron gefegt, wurden die Kopten Ziel blutiger Attacken. Muslimisch-christliche Spannungen eskalierten zur größten Gefahr für die Stabilität im nach-revolutionären Ägypten.

Viele Christen befürchten, der Zusammenbruch des Polizeistaates habe ein Ventil geöffnet und drohe, lange schwelende Spannungen zur Explosion zu bringen, eine Entwicklung, die den Charakter der gesamten Region verändern könnte. „Die Kopten sind ein entscheidender Testfall“, meint denn auch Heba Morayef vom Kairoer Büro der „Human Rights Watch“.

„Die Geschichte hat uns bewiesen, dass es Christen in der Region stets besser ergeht unter Herrschern, die im Westen als Diktatoren angesehen werden“, erläutert der syrisch-orthodoxe Erzbischof Cyril Aphrem Karim. So hat auch in Ägypten Kopten-Papst Shenouda die Patronanz des säkularen Diktators gepflegt. Ähnlich agierten die Christen im Irak unter Saddam Hussein und in Syrien. Wie im Irak fühlen sich die Kopten nun schutzlos, eine Lage, die sich noch durch den Zusammenbruch der Polizei und das Zögern des herrschenden Militärrates verschärfte. Ängstlich bedacht, Blutvergießen zu vermeiden, sahen die Generäle wochenlang tatenlos den Attacken gegen Kopten zu.

In dieser Atmosphäre gewannen die von Mubarak massiv unterdrückten islamistischen Salafisten enormen Auftrieb. Durch Attacken gegen die Kopten hoffen sie, ihre Position von einer Randgruppe wesentlich zu stärken. Nach Erkenntnissen der Sicherheitskräfte sind aber an den blutigen Attacken l mehrheitlich Kriminelle beteiligt gewesen, offensichtlich von Anhängern des Mubarak-Regimes angeheuert. Viele Kopten befürchten aber auch, dass dieerstarkenden Moslembrüder eine Degradierung des Status der Christen zu Bürgern zweiter Klasse durchsetzen. Zutiefst verängstigt, wollen sie nicht an den moderaten Charakter dieser Bewegung glauben, die eben in ihrer neugegründeten politischen Partei einen prominenten protestantischen Christen zum stellvertretenden Vorsitzenden erkoren hat.

Hoffnungsschimmer lassen sich erkennen. Der Militärrat begann sich erstmals der gesetzlichen Diskriminierung der Kopten zuzuwenden . Ein Entwurf wurde erarbeitet, der u.a. die scharfen Restriktionen für Kirchenbauten lockern soll. Zudem wird die von Mubarak verhängte Sperre von 50 Kirchen überprüft, wie auch die explosive Frage der häufigen Zwangskonversionen koptischer Mädchen zum Islam. Provokative Versammlungen vor Kirchen und Moscheen sollen verboten werden. „Wir haben dies seit ewigen Zeiten gefordert,“ erläutert der christliche Anwalt Amir Ramzy. „Hier liegen die Wurzeln der Spannungen und dies ist der richtige Weg, sie endlich auszureißen.“

Die dramatischen Entwicklungen der Revolution in Syrien mit mehr als 1.300 Toten, stürzen die 1,5 Millionen Christen in ein schweres Dilemma. Viele befürchten, ein erfolgreicher „arabischer Frühling“ könnte das christliche Element in der arabischen Welt auslöschen. Während der 40-jährigen alawitischen Minderheits-Herrschaft der Assad-Dynastie erfreuten sich die Christen weitgehender Religionsfreiheit und eines Aufstiegs in die Mittel- und Oberschichte. Seit hundert Jahren bietet Syrien verfolgten Christen der Region, zuletzt Zehntausenden vor Massakern im Irak Geflüchteten Schutz. Solche Toleranz und das Bekenntnis zu einem säkularen Staat freilich wurde vom Regime stets als Argument dafür benutzt, die sunnitische Mehrheit durch anti-demokratische Methoden in Schach zu halten.

Einige Christen hatten sich zu Beginn an den Demonstrationen für Demokratie-Reformen beteiligt. Die Mehrheit aber hielt sich aus Sorge, ein Sturz Assads könnte das Land in ein blutiges Chaos reißen, passiv im Hintergrund und verärgerte damit zunehmend radikalere muslimische Aktivisten. So attackierten Regierungsgegner immer wieder christliche Gemeinden, die auch Drohbriefe erhielten, sich entweder den Protesten anzuschließen oder das Land zu verlassen. Mehrmals aufgetauchte Slogans wie „Alawiten ins Grab, Christen nach Beirut“ steigern weitverbreitete Ängste vor einem Chaos oder der Machtübernahme durch fanatische Sunniten, sollte Assads Regime stürzen. Diese Gefahr wird allerdings vom Regime aus Selbsterhaltungstrieb hochgespielt und treibt nicht wenige Christen in eine Paranoia.

Christliche Würdenträger drängen nun ihre Glaubensbrüder, sich nicht länger an den Rand der Gesellschaft zu stellen, sich für „Bürgerrechte für jeden“ einzusetzen.. In einem eindringlichen Appell rufen die syrischen Jesuiten zu einem Ende der Gewalt und der Suche nach friedlichem Zusammenleben in einem nationalen Dialog auf.

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Mittwoch, 8. Juni 2011

Dramatische Eskalation in Syrien

Was geschah wirklich in Dschisr al Schogur? – Bewohner der Grenzstadt befürchten ein Massaker durch Assads Sicherheitstruppen

von Birgit Cerha


Dschisr al Schogur, rund 30 km von der syrischen Grenze zur Türkei gelegen, glich Montag einer Geisterstadt. Bewohner, die trotz Zusammenbruchs der Telekommunikation die Außenwelt erreichten, berichteten von Panikflucht ihrer Mitbürger, während an die 2000 junge Männer die Straßen patrouillieren und Häuser bewachen, nicht zuletzt, um Behauptungen der Regierung zu widerlegen, die Stadt werde von „bewaffneten Banden“ terrorisiert. Zugleich errichteten jugendliche Aktivisten Straßenbarrikaden, um einen drohenden Einmarsch der staatlichen Sicherheitskräfte zu verhindern. Wie Human Rights Watch beleget, hatten Regierungstruppen schwere Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt, als sie nach Aufständen in die südsyrische Stadt Deraa einmarschiert waren. Die Menschen von Dschisr al Schogur befürchten nun ähnliche Verbrechen.

Innenminister Ibrahim Schaar kündigte Montag vielsagend eine „scharfe und entschlossene“ Aktion auf die Tötung Angehörigen der Sicherheitskräfte in der Stadt an. Offizielle Stellen sprechen von einem „wahren Massaker“, für das sie „bewaffnete Banden“ verantwortlich machen, die u.a. das Hauptquartier der Sicherheitskräfte attackiert hätten. Es gelte, so heißt es offiziell, die Bevölkerung gegen diese „Banden“ zu schützen.

Was wirklich in Dschisr al Schogur geschah, blieb Montag unklar, da die Behörden unabhängigen Beobachtern den Zugang zur Stadt verweigern. Bewohner widersprachen gegenüber BBC heftig der offiziellen Version. Es hätte in Dschisr al Schogur lediglich friedliche Proteste gegeben, die in den vergangenen Tagen allerdings enorme Menschenmengen in die Straßen gebracht hätten. Nach einigen Berichten hatten die Sicherheitskräfte auf eigene Leute geschossen und anschließend begonnen, Häuser zu stürmen und auszurauben. Ein Aktivist meldete, er hätte innerhalb des Hauptquartiers Schießereien gehört, bevor es zu dem Blutbad gekommen sei.

Welche der beiden Versionen auch zutreffen mag, fest steht, dass die Ereignisse von Dschisr al Schogur eine dramatische Eskalation der Revolte gegen das Regime Assad markiert. Es ist das erste Mal, dass das Regime eine derart hohe Opferzahl bei den Sicherheitskräften zugibt. Manche Oppositionelle halten dies für einen Trick, um eine massive Vergeltungsaktion gegen die Stadt zu rechtfertigen. Es könnte jedoch auch der Wahrheit entsprechen und ein erstes alarmierendes Signal für ein Auseinanderbrechen der Streitkräfte sein. Seit Assads Schergen mit Panzern und schweren Geschützen unbewaffnete Bürger töten und terrorisieren, um durch Friedhofsruhe die Macht des Regimes zu retten, mehren sich die Berichte von Menschenrechtsaktivisten über Desertionen von Soldaten, die sich weigern, unschuldige Mitbürger zu ermorden. Immer wieder würden solche rebellierende Soldaten von den eigenen Leuten erschossen. Zuletzt strahlte der Satellitensender „Al Jezira“ das erste Videobekenntnis eines Abtrünnigen aus. Der Armee-Offizier Abdel Razzak Mohammed Tlass, Mitglied einer prominenten Familie, die lange einen Verteidigungsminister stellte, erklärte seinen Schritt als Protest gegen die „Verbrechen“, deren er in Deraa Zeuge gewesen war. Je länger das Regime an seiner menschenverachtenden Repressionspolitik festhält, desto mehr Angehörige der Streitkräfte werden unweigerlich Tlass‘ Beispiel folgen.

Beobachter schließen jedoch nicht aus, dass sich angesichts der ungeheuerlichen Brutalitäten des Regimes der Zorn der Bürger derart steigert, dass sie nun beginnen, zu Waffen zu greifen. Immerhin starben während dreimonatiger Proteste mehr als 1.300 Menschen, 10.000 wurden verhaftet.

Dschisr al Schogur liegt in der bitterarmen Landwirtschaftsprovinz Idlib und ist seit langem Hort sunnitischen Konservativismus. In den 80er Jahren war die Stadt nach Aufständen durch Moslembrüder vom alawitischen Regime heftig bombardiert worden, Ereignisse, die die Bürger nicht vergessen haben. Die Nähe zur türkischen Grenze ermöglicht den Menschen zudem einen regen Schmuggel von Waffen. „Die ganze Region“, in der auch die Unruhestädte Hama und Homs liegen, „erhebt sich“, meint ein Aktivist. Und das Regime will blutige Ruhe erzwingen, wie in Deraa nahe der jordanischen Grenze, und der unweit der libanesischen Grenze gelegenen Küstenstadt Baniyas.

Analysten sind überzeugt, Assad will unter allen Umständen verhindern, dass Grenzstädte der staatlichen Kontrolle entgleiten und, wie etwa im libyschen Benghazi, den Regimegegnern Stützpunkte und desertierenden Soldaten Zufluchtsorte bieten und damit die Chance wesentlich verbessern, das Regime zu Fall zu bringen.

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Sonntag, 5. Juni 2011

Salehs Abreise hinterläßt Verwirrung im Jemen

Bleibt der Präsident im Exil? – Saudi-Arabien ringt um Lösung, bevor der Nachbar in einem Bürgerkrieg zerfällt

von Birgit Cerha

Im Zentrum von Sanaa und anderen jemenitischen Städten jubeln die Menschen, die seit vier Monaten durch friedliche Proteste den Abtritt ihres Staatschefs Ali Abdullah Saleh zu erzwingen suchten. Sie tanzen und schwingen die jemenitische Flagge. Naht für sie tatsächlich der Tag der Freiheit, der Mitbestimmung in einem reformierten modernen, sozialen Staat, ohne Korruption und Mißwirtschaft?
Doch das Schicksal dieses Staates am Rande des Abgrunds ist auch nach Salehs Abflug nach Saudi-Arabien höchst ungewiss. Kenner der politischen Verhältnisse im Jemen, wie der Saudi Khalid al-Dakhil, sind davon überzeugt, dass Saleh sich nicht zu einer medizinischen Behandlung seiner Freitag bei einer Attacke auf den Präsidentenpalast in Sanna erlittenen Verletzungen im Königreich hätte überreden lassen, wenn er nicht bereit wäre, die Macht nach viermonatiger Proteste und blutiger Kämpfe aufzugeben. In Sanaa allerdings betonte ein Sprecher von Salehs regierendem „Volkskongreß“, der Präsident plane seine Rückkehr „innerhalb von Tagen“.

Laut BBC habe Saleh nach Angaben von Regierungskreisen mittelschwere Verbrennungen im Gesicht und am Nacken erlitten und ein 7,6 cm langes Schrapnell stecke in seiner Herzgegend. Der Premierminister und mindestens vier andere hohe Politiker werden nun ebenfalls wegen schwerer Verwundungen im saudischen Militärhospital in Riad behandelt. Elf Leibwächter waren zudem Freitag ums Leben gekommen. Die Tatsache, dass Sonntag 31 Familienmitglieder Saleh nach Saudi-Arabien folgten, gibt im Jemen Spekulation Auftrieb, dass Saleh nicht mehr zurück kehren werde.

Getreu der Verfassung, übernahm nun Vizepräsident Abd-Rabbu Mansour Hadi die Regierungsgeschäfte und das Oberkommando über die Streitkräfte. Er war auch in dem von der Opposition, nicht jedoch von Saleh, gebilligten Lösungsvorschlag der Golfstaaten zum Abtritt Salehs als Übergangsführer vorgesehen. Kehrt Saleh binnen 60 Tagen nicht zurück, dann muss Hadi Neuwahlen vorbereiten.

Die Ankunft der wichtigsten Persönlichkeiten der jemenitischen Führung in Saudi-Arabien, bietet nun dem durch Salehs wochenlange Abtrittsweigerung tief frustrierten Königshaus die Chance, eine Lösung zu erzwingen, die dem Jemen zumindest einen katastrophalen Bürgerkrieg ersparen könnte. Riad sah keine Möglichkeit, Saleh, der daheim und international mehr und mehr an Glaubwürdigkeit verloren hatte, zum Rücktritt zu zwingen, insbesondere da die von dem Präsidentensohn und –neffen, Ammar und Yehia kommandierten Sicherheitskräfte die militärische Übermacht in der Hauptstadt auch bei den Kämpfen gegen den mit Riad verbündeten Stammeskriegern der Ahmar-Familie erhalten konnten. Die Tatsache, dass Ahmar und Yehia, bittere Rivalen der Ahmars, ihre Positionen weiterhin ausüben gibt Saleh, diesen Meister der Manipulation, die Möglichkeit, auch von Saudi-Arabien aus den Machtkampf fortzusetzen.

Doch seine Position ist entscheidend geschwächt. Riad wird nun massiven Druck ausüben, um eine Übergangslösung zu finden, die dem Nachbarn ein gewisses Maß an Stabilität sichert und den auch Saudi-Arabien bedrohenden Al-Kaida Ableger im Jemen in Schranken hält. Zu diesem Zweck haben die Saudis nach Regierungsangaben Kontakt mit allen Streitparteien im Jemen aufgenommen, die Gewaltlosigkeit zugesichert hätten.

Die Hürden aber sind enorm. Während Saleh seit Februar um seine Macht rang, entglitt ihm immer mehr die Kontrolle über weite Landesteile. Zuletzt haben die Sicherheitskräfte Taiz, die zweitgrößte Stadt, verlassen, wo Sonntag Dutzende Bewaffnete den Präsidentenpalast attackierten. Ob es gelingt, das Sicherheitsvakuum wieder zu füllen, ist ebenso ungewiß, wie die Frage, ob die alten politischen Rivalen im Land bereit sind, einer friedlichen Zukunft eine Chance zu geben und den Jemen zu Neuwahlen und einem Neuanfang zu führen.

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Salehs gefährlichste Gegenspieler


Die Al-Ahmar Familie von Milliardären im bitterarmen Jemen: von Machtansprüchen und Rache getrieben
(Bild: Hamid al Ahmar)

von Birgit Cerha

„Saleh (Jemens Präsident) ist ein Lügner, Lügner, Lügner. Er wird dieses Land barfüßig verlassen.“ Diese drohende Prophezeiung, vom mächtigen Führer der Haschid-Stammeskonföderation, Sadik al Ahmar, gegenüber „Al-Jezira“ inmitten eines blutigen Konflikts mit den Regierungstruppen in Sanaa Ende Mai ausgestoßen, hat sich unterdessen beinahe erfüllt. Bei dem ersten direkten Anschlag gegen ihn seit Beginn der Proteste vor vier Monaten verwundet, flog Saleh Sonntag nach Saudi-Arabien, das unterdessen einen Waffenstillstand zwischen den Stammeskriegern der Ahmars und den von Salehs Sohn Ahmed kommandierten Revolutionsgarden aushandelte. Mehr als hundert Tote forderte dieser blutige Machtkampf in Jemen allein in den vergangenen Tagen.

Ist der Weg zur Macht für die Ahmars nun frei oder wird der gequälte Jemen weiter durch Stammeskriege zerrissen?

Als junge, sich nach Demokratie, Freiheit und einem Ende der himmelschreienden Korruption sehnende Jemeniten, unterstützt von Angehörigen der Zivilgesellschaft im Januar mit bis heute anhaltenden Sitzstreiks im Zentrum von Sanaa ihre Kampagne zur Durchsetzung von Reformen begannen, da hielten sich die Stämme, an der Spitze die Ahmars, vollends im Hintergrund. Doch als die Proteste an Stärke gewannen, erkannten die Ahmars eine Chance, ihren Erzrivalen Saleh in die Knie zu zwingen und begannen mit finanzieller und praktischer Unterstützung der Demonstranten. Im Februar legte Sadik seine Positionen in Salehs „Volkskongreß-Partei“ zurück und schloss sich im März den Forderungen der Jugend-Opposition nach einem friedlichen Abgang Salehs an. Nach dem jüngsten Blutbad, das Salehs Sicherheitskräfte unter friedlichen Demonstranten am 26. Mai anrichteten, verschärfte sich der Konflikt zwischen den Ahmars und Saleh dramatisch. Als Antwort auf einen Haftbefehl gegen Sadik und dessen neun Brüder, übernahmen bewaffnete Stammeskrieger auf Sadiks Befehl mehrere Regierungsgebäude. Damit brach ein lange schwelender Konflikt zwischen zwei Familien um die Macht im Jemen blutig aus.Während Salehs Anhänger die Ahmars für den Raketenangriff auf den Präsidentenpalast vom Freitag verantwortlich machen, sprechen die Hamids von einem Trick Salehs, um eine darauffolgende Attacke gegen Residenzen der Brüder zu rechtfertigen.

Der Rivalitätskampf zwischen den beiden Familien reicht weit zurück. Die Ahmar-Familie dominiert Politik und Wirtschaft des Jemen seit Jahrzehnten. Es war der 2007 verstorbene Stammesführer Scheich Abdullah, gewesen, der vor 33 Jahren den Weg des jungen Offiziers mit nur Volksschulausbildung zur Spitze des Staates (damals des Nord-Jemen) geebnet hatte. Bis zu seinem Tod blieb Abdullah Saleh gegenüber loyal. Doch danach brachen schwere Rivalitäten zwischen Abdullahs zehn Söhnen, die sich als die wahren Erben des Jemen betrachten, und Saleh aus, der die Macht seinem Sohn und seinen Neffen zu sichern suchte.

Die Ahmars, Milliardäre im bitterarmen Jemen, verdanken ihren Reichtum jahrzehntelanger Großzügigkeit Saudi-Arabiens, die diese Familie zu ihrem wichtigsten Verbündeten im strategisch wichtigen Nachbarland erkor. Während Sadik nach dem von Riad beeinflußten Willen des Vaters die Stammesführung übernahm, ist sein jüngerer, charismatischer Bruder Hamid der politisch ehrgeizigste im Kreis der Zehn. Er besitzt ein Geschäftsimperium, das von einer Telefonfirma, über Fernsehen, eine Bank bis zu zahlreichen anderen Unternehmen reicht. Das hinderte ihn nicht daran,zum führenden Mitglied der islamisch-oppositionellen Islah-Partei aufzusteigen und seit 2006 offen Salehs Sturz zu betreiben. Im Vorjahr warf er in einem Interview mit Al Jezira dem Präsidenten „Hochverrat“ vor, weil er den Jemen wie ein Familienunternehmen beherrsche, eine Kritik, die nicht der Ironie mangelt.

Je mehr die staatliche Autorität seit Beginn der Proteste zerfiel, desto stärker erlebte die uralte Stammesstruktur mit ihren Gesetzen der Blutrache eine neue Blüte. Damit wuchs der Einfluss der Ahmars noch mehr, ein wichtiger Grund für Saleh, den von den Golfstaaten vermittelten Plan für seinen Abtritt abzulehnen. Denn dem darin enthaltene Versprechen auf Straffreiheit konnte der Präsident nicht vertrauen, da seine Sicherheitskräfte mit einem blutigen Angriff auf eine Stammesdelegation von Vermittlern in diesem Konflikt die Stammesgesetze brachen.

Doch die Demokratie und Freiheit suchende Jugend misstraut den Ahmars zutiefst, Sadik und Hamid ebenso, wie deren Vetter General Ali Mohsen, der sich im März mit einem großen Teil seiner Ersten Bewaffneten Brigade von Saleh getrennt hatte und seither die Demonstranten schützt. Er widerstand jedoch dem Werben Sadik Ahmars, sich dem bewaffneten Kampf gegen Saleh anzuschließen. Die Familie hat sich durch ihren Weg zu unermäßlichem Reichtum in diesem bitterarmen Land viele Gegner geschaffen, die heute fürchten, dass ihr Aufstieg zur Macht das Land nicht aus der Hölle von Korruption, Armut und Elend reißen werde.

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Donnerstag, 2. Juni 2011

SYRIEN: „Warum hasst du unsere Kinder?“


Ein 13-jähriger Syrer wird zum Symbol der Revolution – Präsident Assad versucht vergeblich, durch Amnestie und andere Versprechen das aufgebrachte Volk zu beschwichtigen

von Birgit Cerha

„Noch nie haben wir solchen Horror gesehen“, betitelt die angesehene „Human Rights Watch“ (HRW) ihren Mittwoch veröffentlichten 54-seitigen Bericht über Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die syrische Sicherheitskräfte in dem – bisher vergeblichen – Versuch verüben, die seit fast drei Monaten anhaltenden Anti-Regime-Proteste im Terror zu ersticken. HRW fordert die UNO eindringlich zur Untersuchung der gravierenden Missbräuche auf. Nur einen Tag danach starben wieder Dutzende unbewaffnete Syrer im Kugelhagel der Schergen des Regimes. Insgesamt kamen bisher mindestens 1.100 Menschen bei weitgehend friedlichen Protesten ums Leben. Die Brutalität des Regimes erreicht einen besonders schockierenden Grad, da die Sicherheitskräfte zunehmend auf Kinder zielen. Nach Angaben von Menschenrechtsaktivisten starben bisher mindestens 25 kleine Syrer. Unter ihnen ist der 13-jährige Hamza al-Khatib aus einem Dorf nahe der südsyrischen Stadt Deraa, wo die Rebellion nach Festnahme von Jugendlichen begonnen hatte.
Hamza war im April nach Aussagen von Familienangehörigen und Aktivisten während einer friedlichen Demonstration festgenommen und zu Tode gequält worden. Als seine Leiche ein Monat später der Familie übergeben wurde, wies sie Spuren schwerer Mißhandlungen und Verstümmelungen auf. Drei Kugeln hatten seinen Körper durchbohrt. Das offizielle Syrien leugnet ein derartiges Verbrechen. Hamza, so heißt es, sei bei der Demonstration sofort erschossen worden. Doch unterdessen dominieren Fotos des grauenvoll zugerichteten kleinen Körpers Facebook, Internet-Websites, tauchten in Al-Jezira und anderen Satelliten-Sendern auf und lösten auch international einen Proteststurm aus. Binnen weniger Tage wurde Hamza zur Ikone der syrischen Revolution, gab den langsam ermüdenden und frustrierten Aktivistenneue Argumente und der Revolution neuen Schwung, wie es ähnlich in Tunesien und in Syrien geschah. „Warum hasst du unsere Kinder“ fragt die führende Facebook Seite, „The Syrian Revolution 2011“. „Sie sind das Symbol unserer Revolution. Sie sind unsere Freiheit und die Zukunft unseres Landes.“

Um den Schaden zu begrenzen, hat Präsident Assad nicht nur Hamzas Familie zu sich geladen, ihr seine tiefe Erschütterung bekundet, volle Aufklärung versprochen und damit den Vater nach dessen Aussagen tief beeindruckt. Er erließ auch ein Amnestiegesetz für „alle Mitglieder von politischen Bewegungen“. Doch ein breites Spektrum syrischer Oppositionsgruppen, deren 300 Vertreter sich Mittwoch im türkischen Antalya erstmals an einen Tisch setzen, um binnen drei Tagen eine gemeinsame Strategie für einen friedlichen Wandel zur Demokratie zu erarbeiten, wiesen Assads vermeintliches Entgegenkommen als viel zu wenig und viel zu spät zurück. Das Gesetz ist äußerst unklar, verwandelt etwa Todesstrafen in lebenslange Haft mit schwerer Arbeit und stellt damit keineswegs sicher, dass wirkliche alle politischen Gegner freikommen. Rund 500 wurden unterdessen freigelassen, doch mehr als 9000 schmachten seit Beginn der Revolution in syrischen Gefängnissen, ganz zu schweigen von den 10.000 politischen Gegnern, die schon viel, viel länger ihre Freiheit verloren hatten.

Hamza und die zwölfjährige Hajar Tysir al Khatib werden weiterhin die syrische Revolution befeuern. Hajar wird von Aktivisten als „die Blume der syrischen Märtyrer“ verehrt, seit sie vergangenen Samstag starb, als Sicherheitskräfte, den Schulbus, in dem sie saß, unter Feuer nahmen.

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