Ein 13-jähriger Syrer wird zum Symbol der Revolution – Präsident Assad versucht vergeblich, durch Amnestie und andere Versprechen das aufgebrachte Volk zu beschwichtigen
von Birgit Cerha
„Noch nie haben wir solchen Horror gesehen“, betitelt die angesehene „Human Rights Watch“ (HRW) ihren Mittwoch veröffentlichten 54-seitigen Bericht über Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die syrische Sicherheitskräfte in dem – bisher vergeblichen – Versuch verüben, die seit fast drei Monaten anhaltenden Anti-Regime-Proteste im Terror zu ersticken. HRW fordert die UNO eindringlich zur Untersuchung der gravierenden Missbräuche auf. Nur einen Tag danach starben wieder Dutzende unbewaffnete Syrer im Kugelhagel der Schergen des Regimes. Insgesamt kamen bisher mindestens 1.100 Menschen bei weitgehend friedlichen Protesten ums Leben. Die Brutalität des Regimes erreicht einen besonders schockierenden Grad, da die Sicherheitskräfte zunehmend auf Kinder zielen. Nach Angaben von Menschenrechtsaktivisten starben bisher mindestens 25 kleine Syrer. Unter ihnen ist der 13-jährige Hamza al-Khatib aus einem Dorf nahe der südsyrischen Stadt Deraa, wo die Rebellion nach Festnahme von Jugendlichen begonnen hatte.
Hamza war im April nach Aussagen von Familienangehörigen und Aktivisten während einer friedlichen Demonstration festgenommen und zu Tode gequält worden. Als seine Leiche ein Monat später der Familie übergeben wurde, wies sie Spuren schwerer Mißhandlungen und Verstümmelungen auf. Drei Kugeln hatten seinen Körper durchbohrt. Das offizielle Syrien leugnet ein derartiges Verbrechen. Hamza, so heißt es, sei bei der Demonstration sofort erschossen worden. Doch unterdessen dominieren Fotos des grauenvoll zugerichteten kleinen Körpers Facebook, Internet-Websites, tauchten in Al-Jezira und anderen Satelliten-Sendern auf und lösten auch international einen Proteststurm aus. Binnen weniger Tage wurde Hamza zur Ikone der syrischen Revolution, gab den langsam ermüdenden und frustrierten Aktivistenneue Argumente und der Revolution neuen Schwung, wie es ähnlich in Tunesien und in Syrien geschah. „Warum hasst du unsere Kinder“ fragt die führende Facebook Seite, „The Syrian Revolution 2011“. „Sie sind das Symbol unserer Revolution. Sie sind unsere Freiheit und die Zukunft unseres Landes.“
Um den Schaden zu begrenzen, hat Präsident Assad nicht nur Hamzas Familie zu sich geladen, ihr seine tiefe Erschütterung bekundet, volle Aufklärung versprochen und damit den Vater nach dessen Aussagen tief beeindruckt. Er erließ auch ein Amnestiegesetz für „alle Mitglieder von politischen Bewegungen“. Doch ein breites Spektrum syrischer Oppositionsgruppen, deren 300 Vertreter sich Mittwoch im türkischen Antalya erstmals an einen Tisch setzen, um binnen drei Tagen eine gemeinsame Strategie für einen friedlichen Wandel zur Demokratie zu erarbeiten, wiesen Assads vermeintliches Entgegenkommen als viel zu wenig und viel zu spät zurück. Das Gesetz ist äußerst unklar, verwandelt etwa Todesstrafen in lebenslange Haft mit schwerer Arbeit und stellt damit keineswegs sicher, dass wirkliche alle politischen Gegner freikommen. Rund 500 wurden unterdessen freigelassen, doch mehr als 9000 schmachten seit Beginn der Revolution in syrischen Gefängnissen, ganz zu schweigen von den 10.000 politischen Gegnern, die schon viel, viel länger ihre Freiheit verloren hatten.
Hamza und die zwölfjährige Hajar Tysir al Khatib werden weiterhin die syrische Revolution befeuern. Hajar wird von Aktivisten als „die Blume der syrischen Märtyrer“ verehrt, seit sie vergangenen Samstag starb, als Sicherheitskräfte, den Schulbus, in dem sie saß, unter Feuer nahmen.
Donnerstag, 2. Juni 2011
SYRIEN: „Warum hasst du unsere Kinder?“
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