Al Kaida ernennt den von den USA „meist gesuchten Terroristen“, Ayman al Zawarheri, zum neuen Chef des Netzwerkes
von Birgit Cerha
Man nennt ihn seit langem „das Gehirn“ des Terrornetzwerkes. Osama bin Ladens langjähriger engster Vertrauter und Stellvertreter wird nun Al-Kaida leiten. Es war offenbar ein mühseliger Eintscheidungsprozeß, zu dem sich das verwaiste Führungsteam eineinhalb Monate nach dem Tod Bin Ladens durch eine US-Sondereinheit durchrang. Bespickt mit der seit Jahren bekannten radikalen Rhetorik, heißt es in einer über die islamistische Website „Ansar al-Mudschaheddin“ Donnerstag verbreiteten Botschaft der Al-Kaida-Führer, man werde unter Zawaheris Leitung den Kampf gegen die USA und Israel, fortsetzen, diese „häretischen Invasoren“ (islamischen Landes) und all jene, die diese unterstützten.
Der etwa 60-jährige ägyptische Kinderarzt und Chirurg ist seit dem Tod Bin Ladens am 2. Mai auf den ersten Platz der vom US-Geheimdienst FBI zusammengestellten Liste der meistgesuchten Terroristen aufgerückt. Die US-Regierung hat auf ihn ein Kopfgeld von 25 Mio. Dollar ausgesetzt. Über seinen gegenwärtigen Aufenthaltsort gibt es nur Vermutungen. Möglicherweise hält er sich in dem unkontrollierbaren Grenzland zwischen Afghanistan und Pakistan auf.
Zawaheri gilt seit langem als der Hauptideologe und Stratege von Al-Kaida. Er meldete sich in den vergangenen Jahren auch weit häufiger als Bin Laden mit Video- und Audiobotschaften an die Öffentlichkeit. Darin verdammte er „amerikanische Freiheiten“ ebenso, wie den ehemaligen britischen Premierminister Tony Blair oder Queen Elizabeth, charakterisierte etwa England als den „schärfsten Feind des Islam“ und drängte jüngst Muslime aller Welt, die „Truppen der USA und NATO in Libyen“ zu bekämpfen, während umgekehrt Libyens schwer bedrängter Führer Gadafi seinen Krieg gegen die vom Westen unterstützten Aufständischen als Feldzug gegen „Al Kaida“ klassifiziert.
Zawaheri entstammt einer hochangesehenen ägyptischen Familie. Der Onkel seines Vaters war Groß-Imam von Al-Azhar und bekleidete damit eine Position im sunnitischen Islam, die mit jener des Papstes der Katholiken vergleichbar ist. Sein Vater war Pharmazeut und Universitätsprofessor und der Vater seiner Mutter Rektor der Kairoer Universität und Gründungsvater der König Saud Universität in Riad. Ayman wuchs im wohlhabenden, von liberalen Muslimen bewohnten Kairoer Bezirk Maadi auf. Doch seine Familie achtete auf moralisch strikte Lebensregeln und mischte sich nicht in das rege lokale Gesellschaftsleben. So könnte sich Ayman schon als Kind als Außenseiter gefühlt haben. Ehemalige Komilitonen der medizinischen Fakultät in Kairo aber beschreiben ihn als humorvollen Studenten, den Freuden des Lebens durchaus zugetan. Doch sein Hang zu fundamentalistischer islamischer Ideologie zeigte sich offen schon im Alter von 15 Jahren, als er eine extremistische Studentengruppe organisierte und anzuführen begann, inspiriert von den Schriften des einflußreichsten islamistischen Denkers des 20. Jahrhunderts, dem Ägypter Sayyid Qutb, der die These vertrat, dass einzig islamischer Fundamentalismus, Heiliger Krieg und Martyrium die Muslime aus dem drückenden westlichen Einfluß befreien könnten. Ein wahrer Muslim, so Qutb, müsse nicht nur den Sturz westlicher Führer, sondern auch derer Sympathisanten in der muslimischen Welt betreiben.
Nach der Ermordung des ägyptischen Präsidenten Sadat 1981 zählte Zawaheri zu Tausenden Ägyptern, die ins Gefängnis wanderten. Er harrte dort wegen illegalen Waffenbesitzes drei Jahre lang aus und soll nach Berichten von Zeitgenossen, die Kerkermauern als ein „Anderer“ verlassen haben. Manche Analysten vertreten deshalb die Ansicht, Zawaheri sei, wie andere auch, durch die massive und äußerst brutale Repression islamistischer Kräfte durch das Regime Mubarak in die Gewalt getrieben worden. Er stellte sich an die Spitze des ägyptischen „Islamischen Jihad“ und verbreitete mit seinem Extremisten Angst und Schrecken im Lande. Zu den Attentaten zählte auch ein barbarischer Anschlag auf Touristen in Luxor 1997, bei dem 68 Menschen (darunter 36 Schweizer) ums Leben kamen. Zwei Jahre zuvor hatte er ein Attentat auf Mubarak bei dessen Besuch in Addis Abeba organisiert, bei dem zwei äthiopische Polizisten getötet worden waren.
Um Verhaftung und einem drohenden Todesurteil zu entgehen, flüchtete Zawaheri zunächst in den Sudan, arbeitete auch als Arzt im pakistanischen Peschawar und traf schließlich auf den Multimillionär Bin Laden, den er nach Aussagen von Terrorexperten ideologisch stark beeinflußte. Gemeinsam richteten sie, in Kooperation mit dem Chef der islamistischen afghanischen Taleban, Mullah Omar, im Afghanistan ihre Terrorzentren ein. Nach Erkenntnissen von Geheimdiensten soll Zawaheri weit mehr in die Planung der Anschläge vom 11. September 2001 in den USA verwickelt gewesen sein, als Bin Laden. Die beiden, so heißt es, ergänzten einander. Das Verhältnis zwischen Zawaheri und Bin Laden sei „wie das des Gehirns zum Körper“ gewesen ,meint Montasser al Zayat, Zawaheris Anwalt in Kairo.
2001 starben Zawaheris Frau und vermutlich vier seiner Kinder bei einem amerikanischen Luftangriff in Afghanistan. Er selbst war seither mit Bin Laden auf der Flucht. Innerhalb des Netzwerkes aber dürfte er nicht auf die einhellige Zustimmung stoßen wie Bin Laden, zudem fehlt ihm auch das Charisma des verstorbenen Terrorchefs. Seine Ziele sind unverändert radikal: Bedingungsloser Kampf gegen den Westen. Nach dem Tod dieses „noblen Märtyrers“ Bin Laden schwor er: „Ihr (der Westen) werdet nicht in Sicherheit leben, bis auch wir sie genießen können.“
Donnerstag, 16. Juni 2011
Vom Kinderarzt zum Massenmörder
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