Mehr als 200 Baath-Funktionäre scheiden aus – Doch die Stützen des Regimes – Sicherheitskräfte und Assad-Familie – bleiben vorerst stark
von Birgit Cerha
Bewohner von Deraa, der südsyrischen Wiege der Rebellion, berichten von unvorstellbarem Grauen: In den Straßen der Stadt liegen die Leichen, die Angehörige nicht zu bergen wagen, aus Angst, die Sicherheitskräfte des Regimes könnte ihnen das selbe Schicksal erteilen. Mindestens 500 Menschen mussten seit Beginn der friedlichen Demonstrationen für politische Reformen bereits laut Menschenrechtsgruppen ihr Leben lassen. Aus den Kasernen rollten überall im Land die Panzer an und nun richtet sich der Zorn der Menschen mehr und mehr gegen Präsident Bashar el Assad. „Dies ist seine Art von Reform“, so der sarkastische Kommentar eines Amateur-Kameramannes aus Deraa. „Er reformiert mit Hilfe von Panzern.“
Die Brutalität der von Bashars jüngerem Bruder Maher kommandierten „Vierten Armeedivision“ überschreitet mehr und mehr die Toleranzgrenze selbst treuer Akteure des Regimes. Rund 200 Funktionäre der herrschenden Baath-Partei aus Süd-Syrien legten Donnerstag in Protest gegen die Gewalt ihre Ämter nieder. Zuvor waren bereits 30 Baath-Funktionäre wegen eines Blutbades in der nordwestlichen Küstenstadt Baniyas zurückgetreten. Sie beschuldigen die Sicherheitskräfte Feuer auf Wohnhäuser, Moscheen und Kirchen zu eröffnen, um einen Bürgerkrieg zu provozieren.
Protestaktionen von Angehörigen der seit 1963 das Land dominierenden Baath sind eine Seltenheit und sind allein deshalb als bedeutsam zu werten. Oppositionskreise schöpfen Hoffnung, dass dies die ersten Anzeichen für einen Zusammenbruch des Regimes sein könnten. Sie berichten auch von blutigen Kämpfen in Deraa zwischen Mahers Kommandanten und einfachen Soldaten, die sich geweigert hätten, Schussbefehle auf Zivilisten zu befolgen. Finden solche Zwischenfälle – sollten sie sich als wahr erweisen – auch in anderen Städten eine Fortsetzung, könnten sie tatsächlich Assads Herrschaft ernsthaft gefährden. Doch noch ist nicht klar, ob diese Gerüchte bloßem Wunschdenken entspringen.
Die Anzeichen sprechen vielmehr dafür, dass Assad immer noch die Zügel der Macht fest in Händen hält, die Kontrolle über die beiden wichtigsten Stützen des Regimes – die Sicherheitskräfte und seine Familie – nicht verloren hat. Bashar hat dieses dichte und geheime Netz von Sicherheitsdiensten geerbt, das einst sein Vater nach seiner Machtübernahme 1971 zu einem Ungeheuer geflochten hatte, um internen Widerstand gegen die Familienherrschaft der Assads im Keim zu ersticken. Vier große und unzählige kleinere Geheimdienste bespitzeln und terrorisieren die Bevölkerung und einander gegenseitig, eifersüchtig über ihren jeweiligen Interessensbereich wachend. Hauptaufgabe der Armee ist seit 40 Jahren die Machterhaltung der Assads. Um sich die Loyalität des Offizierskorps zu sichern, rekrutierte Hafez die Kommandanten unter seiner alawitischen, sowie anderen Minderheiten (Drusen, Christen, Ismailiten), deren Treue ihm im Falle eines Konflikts mit der sunnitischen Bevölkerungsmehrheit sicher schien. Zugleich stattete er die Führung der Streitkräfte und Geheimdienste mit enormen Privilegien aus. So verbot er etwa in den 90-Jahren den Import von Tabak, um Armeekommandanten den höchst lukrativen Schmuggel nach Syrien und damit quasi ein Monopol zu sichern. Ebenso gestattete er Offizieren, Dollar zum offiziellen Kurs zu kaufen und diese zu dem weit höheren inoffiziellen Kurs wieder zu veräußern.
Bashar wurde in eine durch die Macht korrumpierte Familie hineingeboren, die das Land mit einigen Getreuen fest im Griff hält. Bruder Maher gilt als der zweitmächtigste Mann, der neben der vierten Armeedivision auch noch die Elite-Einheit der Republikanischen Garden – beide fast ausschließlich aus Alawiten zusammengesetzt – kommandiert. Der studierte Ökonom zählt heute neben seinem Schwager Asef Schaukat, dem Stellvertretenden Stabschef der Streitkräfte und einer der führenden Sicherheitschefs, zu den gefürchtetsten Männern im Land. Beide wurden in vorläufigen UN-Untersuchungsbericht über den Mord an dem ehemaligen libanesischen Premier Rafik Hariri 2005 verdächtigt, das Attentat geplant zu haben. Es wird auch Mahers Einfluß zugeschrieben, dass Bashar der nach seiner Machtübernahme 2000 eingeleitete politische Öffnung rasch ein Ende setzte. Maher gilt als charakterlich instabil und soll vor einigen Jahren in einem Familienstreit Schaukat in den Magen geschossen haben.
Bashars Vetter Rami Maklouf besitzt enorme Anteile an Syriens Öl-, Gas und Tourismusindustrie. Er besitzt „Syriatel“, die größte Mobiltelefongesellschaft, Freihandelszonen, Baufirmen, eine Fluggesellschaft und u.a. ein Importunternehmen für Luxuslimousinen. Maklouf ist Hauptziel von Kritikern an der massiven Korruption und Vetternwirtschaft der Assad-Familie und Kenner der syrischen Szene sind überzeugt, dass keine ausländische Firma ohne seine Zustimmung im Land Fuß fassen kann. Nach einer Erklärung des US-Finanzministeriums, das 2008 Amerikanern wirtschaftliche Kontakte mit Maklouf verbot und dessen Vermögenswerte in den USA einfror, manipulierte Bashars Cousin zur Einschüchterung von Geschäftsrivalen das syrische Jusdtizsystem und setzt zu diesem Zweck auch Geheimagenten ein. Bashars Anti-Korruptionskamagne kann seinem Tun nichts anhaben.
Im März, so heißt es aus informierten Kreisen, soll der Familienrat beschlossen haben, mit voller Härte die Rebellion niederzuschlagen.
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Donnerstag, 28. April 2011
Dienstag, 26. April 2011
SYRIEN: Noch eine Chance für Assad
Vier Jahrzehnte lang hat sich das Assad-Regime in Syrien auf zwei Säulen gestützt: Freunderlwirtschaft und Furcht. Die Angst im Volk ist nun geschwunden und Assad steht in einer Entscheidungsschlacht, in der der Gegner – die der Diktatur längst überdrüssigen Untertanen – immer stärker werden können. Doch noch hält Assad einige Karten in diesem blutigen Spiel in Händen: die Angst vieler Syrer vor dem Absturz in Instabilität, ja gar Bürgerkrieg zwischen den zahlreichen Bevölkerungsgruppen, wie sie der Irak so grausig durchlitt; die Angst auch westlicher Mächte vor unabsehbaren Folgen für die gesamte Region, sollte die Herrschaft der Baath zusammenbrechen, all zu eng ist Syrien verstrickt in die regionalpolitischen Konflikte mit Israel und den Palästinensern, Libanon und der schiitischen Hisbollah, Israels Erzfeind; und vor allem: Syrien ist nicht Ägypten, Assad nicht Mubarak, den sein Militär zum friedlichen Rücktritt zwang, um das System, oder wenigstens Teile davon zu erhalten. Syriens mächtige Streitkräfte und unzählige Geheimdienste verbindet mit dem Regime des Diktators eine feste Nabelschnur. Der Untergang Assads wäre auch jener der Offiziere und Geheimdienstchefs und das Ende der privilegierten Herrschaft der alawitischen Minderheit, die zudem noch blutige Rache ihrer überwiegend sunnitischen Repressionsopfer fürchtet. Viele Tausende Gegner des Assad Regimes mussten ihre Opposition in 40 Jahren mit dem Leben bezahlen. Noch hält deshalb die Nabelschnur fest und noch besitzt Assad kurzfristig die Chance die Situation unter Kontrolle zu bringen. Noch gehen nicht Millionen auf die Straßen. Noch hoffen viele Syrer der sich verbal so reformfreudig gebende Herrscher werde endlich den Mut und die Kraft finden, sich gegen die despotische Clique, darunter engste Familienmitglieder, durchzusetzen und ernsthaft den Freiheitssehnsüchten des Volkes zu begegnen. Doch die Zeit drängt. Läßt Bashar die Schergen der Diktatur weiter blutig zuschlagen, könnte der Aufruhr schließlich seine Eigengesetzlichkeit gewinnen
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SYRIEN: Assad zielt auf sein Volk
Syrisches Regime setzt im Überlebenskampf auf volle Härte, während sich immer stärkere Kräfte der Bevölkerung zu organisieren beginnen
von Birgit Cerha
„Wir erhielten den Befehl zu schießen. Doch wir haben Angst, diese Order zu befolgen, weil es noch mehr Tote geben wird. Doch tun wir dies nicht, dann wird uns jemand töten.“ Mit diesen Worten beschreibt ein Offizier in der südsyrischen Stadt Deraa das zunehmend dramatische Dilemma der Sicherheitskräfte im Dienste Bashar el Assads. Wenige Stunden zuvor hatten Regierungstruppen die Region um Deraa, wo vor vier Wochen der Aufstand gegen das Regime begonnen hatte, abgeriegelt. Panzer waren in die Stadt gerollt, wahllos fielen Schüsse und mehrere Dutzend Menschen starben.
Große Teile Syriens, von Homs, nördlich von Damaskus, bis nach Deraa, gleichen unterdessen einer militarisierten Zone, deutliches Zeichen dafür, dass das zunehmend bedrängte Regime Assad in seiner schwersten Existenzkrise seit vier Jahrzehnten seine Repression zur Niederschlagung der sich ausbreitenden Protestbewegung dramatisch verschärft. Nach einem bericht der libanesischen „An Nahar“ kamen allein seit vergangenen Freitag mindestens 160 Menschen, überwiegend friedliche Demonstranten, bei Attacken der Sicherheitskräfte ums Leben. Amnesty International spricht von 400 Toten seit Beginn der Demonstrationen vor vier Wochen.
Neben Kugeln auf friedliche Bürger versucht das Regime den Widerstand nun durch eine massive Verhaftungswelle von Dissidenten und mutmaßlichen Aktivisten zu ersticken. An die 500 Menschen sollen seit dem Wochenende verschwunden oder verhaftet worden sein. Indem er Befehl zum Artilleriebeschuß auf sein eigenes Volk erteilte, stellt der 45-jährige Präsident seine Entschlossenheit klar, die Macht zu retten, gleichgültig, welchen Preis an syrischen Menschenleben er dafür zu bezahlen hätte.
Assad spricht von „dunklen Kräften“, Verschwörungen von außen. Doch in Wahrheit formiert sich mit jedem Toten der friedliche Widerstand gegen den Diktator aus immer breiteren Bevölkerungskreisen. Zunächst waren es ungeduldige Bürger gewesen, die seit einem Jahrzehnt vergeblich auf die Erfüllung von politischen Reformversprechen des Präsidenten gewartet hatten. Viel zu lange zögerte Assad daraufhin mit Zugeständnissen, wie Bürgerrechte für die schwer diskriminierte kurdische Minderheit und schließlich die Aufhebung der seit fast vier Jahrzehnten geltenden Notstandsgesetze, garniert freilich mit gar nicht versteckten Drohungen gegen potentielle Demonstranten. Versprechen politischer Liberalisierung trauen die freiheitshungrigen Syrer vor allem deshalb nicht mehr, weil sie begleitet werden von Brutalitäten der Sicherheitskräfte und der seit langem wegen ihrer Macht und Willkür gefürchteten Geheimdienste, die ungehindert weiter zuschlagen.
Mehr und mehr verliert Bashar, der vor elf Jahren als moderner Reformer die Macht übernahm, das Vorschussvertrauen, das ihm viele Syrer so lange geschenkt hatten. Immer lauter erschallen die Rufe nach seinem Sturz und dem des gesamten Regimes, während sich die Aktivisten zunächst mit Reformen und einem Kampf gegen die himmelschreiende Korruption begnügen wollten. Schon wurden einige Statuen und Porträts von Bashar und dessen Präsidentenvater Hafez el Assad zerstört und mehr und mehr Menschen wagen es gar, die Auflösung der so lange gefürchteten Geheimdienste zu fordern – ein klares Signal dafür, dass das Volk die Barriere der Angst, die wichtigste Garantie zur Machterhaltung von Diktatoren, trotz der vielen Toten überwunden hat.
Die Protestbewegung setzt sich vor allem aus Angehörigen der Opfer der Repressionen, aus einer breiten Schichte von Unzufriedenen, sich nach Freiheit sehnenden Jugendlichen, Angehörigen der Mittelschichte, aber auch aus vielen der großen Schar sozial Benachteiligter zusammen. Über Facebook und Internet knüpfen sie Kontakte mit Exil-Syrern und versuchen, die friedlichen Proteste zu organisieren. Lange existierende Oppositiongruppen, wie die seit ihrem blutig niedergeschlagenen Aufstand in Hama und Homs 1982 empfindlich geschwächten Moslembrüder oder die schwer diskriminierten Kurden, sowie säkulare Linke – haben bisher, wohl durch bittere Erfahrung vergangener Aktivititäten verängstigt, keine Führungsrolle bei Demonstrationen übernommen.
Angesichts der massiven Repression erweist sich die interne Koordination von Protesten als sehr schwierig. Dennoch zeigen sich jugendliche Aktivisten entschlossen, mehr und mehr Mitglieder der schweigenden Mehrheit auf ihre Seite zu ziehen. Denn keineswegs in allen syrischen Städten keimt die Saat der Rebellion. Aleppo, die größte von ihnen, ist bisher weitgehend ruhig geblieben. In der dort stark vertretenen Geschäftswelt dominiert die Sorge vor einem Absturz Syriens in die Instabilität, ja vielleicht gar einem Bürgerkrieg zwischen den Angehörigen der verschiedenen Bevölkerungsgruppen, wie ihn der Nachbar Irak durchlitten hatte. Hatte doch das Assad-Regime, trotz all seiner gravierenden Missstände, dieser Schichte durch vier Jahrzehnte lange Stabilität Wohlstand beschert.
Reißen die Protest auch Aleppo und das historische Zentrum von Damaskus mit sich, dann könnte Assads Schicksal besiegelt sein.
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von Birgit Cerha
„Wir erhielten den Befehl zu schießen. Doch wir haben Angst, diese Order zu befolgen, weil es noch mehr Tote geben wird. Doch tun wir dies nicht, dann wird uns jemand töten.“ Mit diesen Worten beschreibt ein Offizier in der südsyrischen Stadt Deraa das zunehmend dramatische Dilemma der Sicherheitskräfte im Dienste Bashar el Assads. Wenige Stunden zuvor hatten Regierungstruppen die Region um Deraa, wo vor vier Wochen der Aufstand gegen das Regime begonnen hatte, abgeriegelt. Panzer waren in die Stadt gerollt, wahllos fielen Schüsse und mehrere Dutzend Menschen starben.
Große Teile Syriens, von Homs, nördlich von Damaskus, bis nach Deraa, gleichen unterdessen einer militarisierten Zone, deutliches Zeichen dafür, dass das zunehmend bedrängte Regime Assad in seiner schwersten Existenzkrise seit vier Jahrzehnten seine Repression zur Niederschlagung der sich ausbreitenden Protestbewegung dramatisch verschärft. Nach einem bericht der libanesischen „An Nahar“ kamen allein seit vergangenen Freitag mindestens 160 Menschen, überwiegend friedliche Demonstranten, bei Attacken der Sicherheitskräfte ums Leben. Amnesty International spricht von 400 Toten seit Beginn der Demonstrationen vor vier Wochen.
Neben Kugeln auf friedliche Bürger versucht das Regime den Widerstand nun durch eine massive Verhaftungswelle von Dissidenten und mutmaßlichen Aktivisten zu ersticken. An die 500 Menschen sollen seit dem Wochenende verschwunden oder verhaftet worden sein. Indem er Befehl zum Artilleriebeschuß auf sein eigenes Volk erteilte, stellt der 45-jährige Präsident seine Entschlossenheit klar, die Macht zu retten, gleichgültig, welchen Preis an syrischen Menschenleben er dafür zu bezahlen hätte.
Assad spricht von „dunklen Kräften“, Verschwörungen von außen. Doch in Wahrheit formiert sich mit jedem Toten der friedliche Widerstand gegen den Diktator aus immer breiteren Bevölkerungskreisen. Zunächst waren es ungeduldige Bürger gewesen, die seit einem Jahrzehnt vergeblich auf die Erfüllung von politischen Reformversprechen des Präsidenten gewartet hatten. Viel zu lange zögerte Assad daraufhin mit Zugeständnissen, wie Bürgerrechte für die schwer diskriminierte kurdische Minderheit und schließlich die Aufhebung der seit fast vier Jahrzehnten geltenden Notstandsgesetze, garniert freilich mit gar nicht versteckten Drohungen gegen potentielle Demonstranten. Versprechen politischer Liberalisierung trauen die freiheitshungrigen Syrer vor allem deshalb nicht mehr, weil sie begleitet werden von Brutalitäten der Sicherheitskräfte und der seit langem wegen ihrer Macht und Willkür gefürchteten Geheimdienste, die ungehindert weiter zuschlagen.
Mehr und mehr verliert Bashar, der vor elf Jahren als moderner Reformer die Macht übernahm, das Vorschussvertrauen, das ihm viele Syrer so lange geschenkt hatten. Immer lauter erschallen die Rufe nach seinem Sturz und dem des gesamten Regimes, während sich die Aktivisten zunächst mit Reformen und einem Kampf gegen die himmelschreiende Korruption begnügen wollten. Schon wurden einige Statuen und Porträts von Bashar und dessen Präsidentenvater Hafez el Assad zerstört und mehr und mehr Menschen wagen es gar, die Auflösung der so lange gefürchteten Geheimdienste zu fordern – ein klares Signal dafür, dass das Volk die Barriere der Angst, die wichtigste Garantie zur Machterhaltung von Diktatoren, trotz der vielen Toten überwunden hat.
Die Protestbewegung setzt sich vor allem aus Angehörigen der Opfer der Repressionen, aus einer breiten Schichte von Unzufriedenen, sich nach Freiheit sehnenden Jugendlichen, Angehörigen der Mittelschichte, aber auch aus vielen der großen Schar sozial Benachteiligter zusammen. Über Facebook und Internet knüpfen sie Kontakte mit Exil-Syrern und versuchen, die friedlichen Proteste zu organisieren. Lange existierende Oppositiongruppen, wie die seit ihrem blutig niedergeschlagenen Aufstand in Hama und Homs 1982 empfindlich geschwächten Moslembrüder oder die schwer diskriminierten Kurden, sowie säkulare Linke – haben bisher, wohl durch bittere Erfahrung vergangener Aktivititäten verängstigt, keine Führungsrolle bei Demonstrationen übernommen.
Angesichts der massiven Repression erweist sich die interne Koordination von Protesten als sehr schwierig. Dennoch zeigen sich jugendliche Aktivisten entschlossen, mehr und mehr Mitglieder der schweigenden Mehrheit auf ihre Seite zu ziehen. Denn keineswegs in allen syrischen Städten keimt die Saat der Rebellion. Aleppo, die größte von ihnen, ist bisher weitgehend ruhig geblieben. In der dort stark vertretenen Geschäftswelt dominiert die Sorge vor einem Absturz Syriens in die Instabilität, ja vielleicht gar einem Bürgerkrieg zwischen den Angehörigen der verschiedenen Bevölkerungsgruppen, wie ihn der Nachbar Irak durchlitten hatte. Hatte doch das Assad-Regime, trotz all seiner gravierenden Missstände, dieser Schichte durch vier Jahrzehnte lange Stabilität Wohlstand beschert.
Reißen die Protest auch Aleppo und das historische Zentrum von Damaskus mit sich, dann könnte Assads Schicksal besiegelt sein.
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Montag, 25. April 2011
JEMEN: Krise im Jemen verschärft
Jugend-Opposition schwört Eskalation der Proteste, während Vermittlungsversuche der Golfstaaten in der Sackgasse landen
von Birgit Cerha
Wieder mündeten Montag Protestkundgebungen gegen Jemens Präsidenten Ali Abdullah Saleh in ein Blutbad. Dutzende Menschen wurden in der Stadt Taez verwundet, als regimetreue Sicherheitskräfte in die Menge schossen. Die Jugendbewegung, die seit zwei Monaten die Speerspitze der Volksrevolution gegen Saleh bildet, hatte am Wochenende eine Eskalation ihrer Aktionen gegen den Präsidenten angekündigt, um dessen sofortigen Rücktritt zu erzwingen.
Ein von den USA und der EU unterstützter Vermittlungsplan des Golfkooperationsrates (GCC) hat die Krise im Jemen, die bisher bereits an die 130 Menschenleben forderte, nur noch verschärft. Denn der Plan sieht einen „ehrenhaften“ Abgang des seit 33 Jahren herrschenden Diktators vor, den ihm die jugendlichen Demokratie-Aktivisten nicht gewähren wollen. Zudem fand das tiefe Misstrauen gegen den politischen Überlebenskünstler Saleh unter den Demonstranten am Wochenende erneute Nahrung. Zunächst akzeptierte der Präsident laut einem Palastsprecher Samstag den GCC-Plan, der die sofortige Bildung einer Übergangsregierung zwischen Salehs das Land dominierenden „Allgemeinen Volkskongress“ und der „Opposition“ (wie es im Plan heißt) vorsieht. Erst drei Monate später sollte der Präsident selbst aus der Politik ausscheiden, während ihm und seiner Familie auch danach Straffreiheit wegen Machtmissbrauchs, dem Tod unzähliger friedlicher Demonstranten, Vetternwirtschaft und hemmungslosen Diebstahls aufkosten des bitterarmen Volkes zugesichert werden soll.
Die Gegner des Präsidenten hatten in den vergangenen Wochen eine erstaunliche Einheit gefunden. Nicht nur protestierten Angehörige diverser Bevölkerungsgruppen unter jugendlicher Führung friedlich auf Hauptplätzen jemenitischer Städte, es schlossen sich ihnen auch die seit langem im Parlament vertretenen Parteien an, die mit Saleh kooperiert hatten und deshalb unter vielen Jemeniten wenig Vertrauen genießen. Als besonders bemerkenswert aber ist die Position der weitgehend autonomen, miteinander traditionell rivalisierenden Stämme, der weitaus stärksten gesellschaftspolitischen Kraft des Landes, zu werten. Selbst lange miteinander verfeindete Stammesgruppen begruben plötzlich ihr Kriegsbeil und verzichteten selbst auf uralte Gepflogenheiten der Blutrache angesichts der zahllosen Toten und Verwundeten, um gemeinsam, unter Erhaltung des friedlichen Charakters ihre Aktionen, Saleh zum Abtritt zu zwingen. Kenner des Jemens sehen darin einen Hoffnungsschimmer für die Zukunft. Doch noch steht keineswegs fest, ob dieser Kooperationswille auch anhält, sobald das Hauptziel – Sturz Salehs – erreicht ist.
Und schon zeigten sich Montag erste Sprünge in der neuen Einigkeit. Während die im „Gemeinsamen Forum“ zusammengeschlossenen sieben Oppositionsparteien den GCC-Plan grundsätzlich begrüßten, wiewohl sie noch über Änderungen diskutieren wollen, stieß der Vorschlag bei der „Straße“ auf Empörung. Jugendsprecher stoßen sich vor allem daran, dass ihre Massenbewegung und deren Forderungen völlig ignoriert werden. Es ist im Plan nur von der Regierungspartei und der (etablierten) Opposition die Rede. Deren Bereitschaft, sich auf Kompromisse einzulassen könnte, so befürchten die Aktivisten, dem raffinierten Taktiker Saleh neue Chancen bieten, seine Macht doch noch zu retten, zumal das GCC-Projekt die Jugendbewegung ihrer effizientesten Waffe beraubt: Demonstrationen und Sitzstreiks, die mit Unterzeichnung des Dokuments sofort eingestellt werden sollten.
Die am Wochenende skandierte Forderung „keine Regierung, kein Dialog – Rücktritt (Salehs) oder Flucht“ stützt sich auf den begründeten Verdacht, dass der Jemen nur dann eine Chance auf Wandel zur Demokratie besitzt, wenn der Diktator und seine die Machtzentren kontrollierenden Familienmitglieder ausgeschieden sind. Die vergangenen Wochen haben dies bewiesen. Trotz des Absprungs hoher Offiziere, einflussreicher Mitglieder seines „Allgemeinen Volkskongresses“, des Parlaments und der Regierung, sitzt Saleh immer noch im Sattel, zum Bleiben entschlossen. Solange sein Sohn und sein Neffe die schlagkräftigsten Armee-Einheiten und Sicherheitskräfte kontrollieren, verfehlen friedliche Demonstrationen die erwünschte Wirkung. Dennoch schlittert so das Land und seine ohnedies schon danieder liegende Wirtschaft immer tiefer ins Chaos. Eine rasche Lösung ist deshalb dringend geboten. Doch niemand, das gestehen nun auch Vertreter der Opposition ein, vermag heute mehr „die Straße“, die einen totalen Bruch mit der korrupten Saleh-Ära anstrebt, zu kommandieren oder zu kontrollieren.
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von Birgit Cerha
Wieder mündeten Montag Protestkundgebungen gegen Jemens Präsidenten Ali Abdullah Saleh in ein Blutbad. Dutzende Menschen wurden in der Stadt Taez verwundet, als regimetreue Sicherheitskräfte in die Menge schossen. Die Jugendbewegung, die seit zwei Monaten die Speerspitze der Volksrevolution gegen Saleh bildet, hatte am Wochenende eine Eskalation ihrer Aktionen gegen den Präsidenten angekündigt, um dessen sofortigen Rücktritt zu erzwingen.
Ein von den USA und der EU unterstützter Vermittlungsplan des Golfkooperationsrates (GCC) hat die Krise im Jemen, die bisher bereits an die 130 Menschenleben forderte, nur noch verschärft. Denn der Plan sieht einen „ehrenhaften“ Abgang des seit 33 Jahren herrschenden Diktators vor, den ihm die jugendlichen Demokratie-Aktivisten nicht gewähren wollen. Zudem fand das tiefe Misstrauen gegen den politischen Überlebenskünstler Saleh unter den Demonstranten am Wochenende erneute Nahrung. Zunächst akzeptierte der Präsident laut einem Palastsprecher Samstag den GCC-Plan, der die sofortige Bildung einer Übergangsregierung zwischen Salehs das Land dominierenden „Allgemeinen Volkskongress“ und der „Opposition“ (wie es im Plan heißt) vorsieht. Erst drei Monate später sollte der Präsident selbst aus der Politik ausscheiden, während ihm und seiner Familie auch danach Straffreiheit wegen Machtmissbrauchs, dem Tod unzähliger friedlicher Demonstranten, Vetternwirtschaft und hemmungslosen Diebstahls aufkosten des bitterarmen Volkes zugesichert werden soll.
Die Gegner des Präsidenten hatten in den vergangenen Wochen eine erstaunliche Einheit gefunden. Nicht nur protestierten Angehörige diverser Bevölkerungsgruppen unter jugendlicher Führung friedlich auf Hauptplätzen jemenitischer Städte, es schlossen sich ihnen auch die seit langem im Parlament vertretenen Parteien an, die mit Saleh kooperiert hatten und deshalb unter vielen Jemeniten wenig Vertrauen genießen. Als besonders bemerkenswert aber ist die Position der weitgehend autonomen, miteinander traditionell rivalisierenden Stämme, der weitaus stärksten gesellschaftspolitischen Kraft des Landes, zu werten. Selbst lange miteinander verfeindete Stammesgruppen begruben plötzlich ihr Kriegsbeil und verzichteten selbst auf uralte Gepflogenheiten der Blutrache angesichts der zahllosen Toten und Verwundeten, um gemeinsam, unter Erhaltung des friedlichen Charakters ihre Aktionen, Saleh zum Abtritt zu zwingen. Kenner des Jemens sehen darin einen Hoffnungsschimmer für die Zukunft. Doch noch steht keineswegs fest, ob dieser Kooperationswille auch anhält, sobald das Hauptziel – Sturz Salehs – erreicht ist.
Und schon zeigten sich Montag erste Sprünge in der neuen Einigkeit. Während die im „Gemeinsamen Forum“ zusammengeschlossenen sieben Oppositionsparteien den GCC-Plan grundsätzlich begrüßten, wiewohl sie noch über Änderungen diskutieren wollen, stieß der Vorschlag bei der „Straße“ auf Empörung. Jugendsprecher stoßen sich vor allem daran, dass ihre Massenbewegung und deren Forderungen völlig ignoriert werden. Es ist im Plan nur von der Regierungspartei und der (etablierten) Opposition die Rede. Deren Bereitschaft, sich auf Kompromisse einzulassen könnte, so befürchten die Aktivisten, dem raffinierten Taktiker Saleh neue Chancen bieten, seine Macht doch noch zu retten, zumal das GCC-Projekt die Jugendbewegung ihrer effizientesten Waffe beraubt: Demonstrationen und Sitzstreiks, die mit Unterzeichnung des Dokuments sofort eingestellt werden sollten.
Die am Wochenende skandierte Forderung „keine Regierung, kein Dialog – Rücktritt (Salehs) oder Flucht“ stützt sich auf den begründeten Verdacht, dass der Jemen nur dann eine Chance auf Wandel zur Demokratie besitzt, wenn der Diktator und seine die Machtzentren kontrollierenden Familienmitglieder ausgeschieden sind. Die vergangenen Wochen haben dies bewiesen. Trotz des Absprungs hoher Offiziere, einflussreicher Mitglieder seines „Allgemeinen Volkskongresses“, des Parlaments und der Regierung, sitzt Saleh immer noch im Sattel, zum Bleiben entschlossen. Solange sein Sohn und sein Neffe die schlagkräftigsten Armee-Einheiten und Sicherheitskräfte kontrollieren, verfehlen friedliche Demonstrationen die erwünschte Wirkung. Dennoch schlittert so das Land und seine ohnedies schon danieder liegende Wirtschaft immer tiefer ins Chaos. Eine rasche Lösung ist deshalb dringend geboten. Doch niemand, das gestehen nun auch Vertreter der Opposition ein, vermag heute mehr „die Straße“, die einen totalen Bruch mit der korrupten Saleh-Ära anstrebt, zu kommandieren oder zu kontrollieren.
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Sonntag, 17. April 2011
SYRIEN: „Ordnung“ über alles
von Birgit Cerha
Sympathisch, voll Verständnis für die sich weitende Kluft zwischen dem Volk und seinem Regime, präsentierte sich Baschar el Assad Samstag den Syrern, als er in seiner zweiten Rede seit Beginn der blutig niedergeschlagenen Proteste Anfang März und dem internationalen Schrei nach Veränderung das Wort an seine Untertanen richtete. Fast alle ihre Sorgen sprach er an, vor allem auch ihr Hauptanliegen: die Aufhebung der seit 1963 das Volk terrorisierenden Notstandsgesetze.
Bis Ende dieser Woche sollen sie annulliert werden. Mit diesem Ölzweig hofft Assad die schweigende Mehrheit, die Chaos, Anarchie und gar einen Bürgerkrieg nach irakischem Beispiel fürchten, davon abzuhalten, sich den radikaleren Demokratie-Aktivisten anzuschließen. Zugleich aber hielt er drohend die Peitsche hoch: „Ordnung“ über alles lautet die Botschaft. Sobald die Reform in Kraft trete, würden keine weiteren Demonstrationen toleriert. Doch die Aufhebung der Notstandsgesetze, sollte sie tatsächlich Realität werden, bedeutet keine Lockerung der Repressionen. Die außerordentliche Macht und Willkür der zahlreichen Geheimdienste bleiben ebenso unangetastet wie das korrupte Justizsystem und der Verfassungsartikel Acht, der der Baath-Partei das Machtmonopol sichert. Die Freilassung politischer Gefangener versprach der Präsident vor wenigen Tagen. Tausende schmachten in Haftanstalten, manche gar seit Jahrzehnten ohne Prozess. Ihre Freilassung wäre ein Zeichen echten Reformwillens. Doch die Demokratie-Aktivisten bleiben skeptisch und gingen schon wieder auf die Straße, rufen über Facebook zu weiteren Protesten auf. Gibt die schweigende Mehrheit Baschar noch eine Chance?
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Sympathisch, voll Verständnis für die sich weitende Kluft zwischen dem Volk und seinem Regime, präsentierte sich Baschar el Assad Samstag den Syrern, als er in seiner zweiten Rede seit Beginn der blutig niedergeschlagenen Proteste Anfang März und dem internationalen Schrei nach Veränderung das Wort an seine Untertanen richtete. Fast alle ihre Sorgen sprach er an, vor allem auch ihr Hauptanliegen: die Aufhebung der seit 1963 das Volk terrorisierenden Notstandsgesetze.
Bis Ende dieser Woche sollen sie annulliert werden. Mit diesem Ölzweig hofft Assad die schweigende Mehrheit, die Chaos, Anarchie und gar einen Bürgerkrieg nach irakischem Beispiel fürchten, davon abzuhalten, sich den radikaleren Demokratie-Aktivisten anzuschließen. Zugleich aber hielt er drohend die Peitsche hoch: „Ordnung“ über alles lautet die Botschaft. Sobald die Reform in Kraft trete, würden keine weiteren Demonstrationen toleriert. Doch die Aufhebung der Notstandsgesetze, sollte sie tatsächlich Realität werden, bedeutet keine Lockerung der Repressionen. Die außerordentliche Macht und Willkür der zahlreichen Geheimdienste bleiben ebenso unangetastet wie das korrupte Justizsystem und der Verfassungsartikel Acht, der der Baath-Partei das Machtmonopol sichert. Die Freilassung politischer Gefangener versprach der Präsident vor wenigen Tagen. Tausende schmachten in Haftanstalten, manche gar seit Jahrzehnten ohne Prozess. Ihre Freilassung wäre ein Zeichen echten Reformwillens. Doch die Demokratie-Aktivisten bleiben skeptisch und gingen schon wieder auf die Straße, rufen über Facebook zu weiteren Protesten auf. Gibt die schweigende Mehrheit Baschar noch eine Chance?
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ÄGYPTEN: Militär wagt den Bruch mit dem Mubarak-Regime
Demontage der Institutionen der Diktatur öffnet der Demokratie-Bewegung neue Chancen – Doch die Vision eines neuen Ägypten fehlt
von Birgit Cerha
Und wieder feiert die „Koalition der Jugend der Revolution vom 25. Januar“ einen Triumph. Unter dem steten Druck der sich nach Freiheit sehnenden ägyptischen Aktivisten hat der herrschende Militärrat nach zweimonatigem Zögern nun einen dramatischen Schritt nach dem anderen gesetzt. Der gestürzte Präsident Hosni Mubarak und seine beiden Söhne sitzen wegen des Verdachts schweren Machtmissbrauchs und illegaler Bereicherung in Milliardenhöhe in Untersuchungshaft - eine außerordentliche Entwicklung in diesem Teil der Welt, wo Präsidenten und Potentaten nach Jahrzehnten der Repression und Korruption traditionell der Gerechtigkeit zu entgehen pflegten. Ja ägyptische Medien spekulieren gar, der gesundheitlich schwer angeschlagene Ex-Präsident könnte wegen der Tötung von mehr als 800 friedlichen Demonstranten exekutiert werden, sollte sich herausstellen, dass er dazu Befehle erteilt hatte.
Der Festnahme der Mubaraks und mehr als einem Dutzend führender Männer des Regimes folgte nun am Wochenende die Auflösung der seit mehr als drei Jahrzehnten das politische Leben dominierenden „Nationalen Demokratie-Partei“ (NDP), die weniger einer politischen Bewegung als einem sich auf Kosten des Volkes unverschämt bereichernden Club von Opportunisten glich. Der Militärrat hat damit zwei der wichtigsten Forderungen der jugendlichen Aktivisten erfüllt und so seinem Anspruch, Ägypten auf den Weg zu einer pluralistischen Demokratie zu führen, etwas Glaubwürdigkeit verliehen. Denn wäre eine intakte NDP in die für September geplanten Parlamentswahlen gezogen, hätte mit ihrem riesigen, perfekt durchorganisierten Apparat die sich erst mühselig neu formierenden demokratischen Bewegungen hoffnungslos in die Defensive gedrängt und das neue Parlament wieder dominiert. Das Tor zu einem demokratischen System am Nil wäre damit wohl weiterhin geschlossen geblieben.
Die durch wochenlangen Reformstillstand tief frustrierte Demokratiebewegung schöpft nun neue Hoffnung. Doch noch lebt das Misstrauen gegenüber den herrschenden Militärs, die sich zwar verbal hinter die Forderungen der Revolution gestellt, doch so lange nicht begonnen hatten, diese zu verwirklichen, fort. Ägyptens Offizierskorps ist eine zutiefst traditionalistische Institution, die sich keineswegs als Speerspitze der Reformer eignet. Stabilität – und nicht demokratisches Experiment - ist ihr höchstes Anliegen. Im herrschenden Militärrat sitzen nicht die Männer, die eine Vision für ein modernes, pluralistisches Ägypten entwickeln können. Bisher haben sie nur reagiert. So folgt die Festnahme der Mubaraks offenbar dem Bruch eines Versprechens, dass der Ex-Präsident vor seinem Abtritt gegeben hatte: totale politische Enthaltsamkeit, dann könnte die Familie unangetastet in ihrem Ferienheim in Scharm el Scheich leben. Doch der Sohn Gamal engagierte Schlägertrupps um den chaotischen Boden für eine Konterrevolution zu bereiten, während der Vater sich das Satellitenfernsehen Al-Arabiya gegen die schweren Korruptionsvorwürfe verteidigte.
Auch die Methodik der Offiziere gibt Anlass zu Pessimismus: Zwei Menschen starben vor einer Woche, als Soldaten brutal Demonstranten vom Kairoer Tahrir-Platz verjagten. Und, ganz wie zu Mubaraks Repressionszeiten wurde dieser Tage der 25-jährige Blogger Maikel Nabil wegen der Verbreitung falscher Informationen über die Streitkräfte zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Nabil hatte geklagt, dass „die Diktatur immer noch hier ist“ und sich Hunderte Zivilisten in den vergangenen zwei Monaten vor Militärtribunals verantworten mussten. Mubarak ist zwar seiner Freiheit beraubt, doch sein Geist weht immer noch über dem Nil. Da nützt es – vorerst – wenig, wenn die Offiziere nun über große Publikationen wie Al-Ahram eine Imagekampagne starten, um der Bevölkerung klarzumachen, dass ihr Zögern, ihre Vorsicht „patriotischen“ Ansinnen entsprängen und dass sie keinerlei Absicht hegten, das Land über eine kurze Übergangsperiode hinaus zu regieren.
Unabhängige politische Beobachter in Kairo warnen allerdings, dass eine wachsende Kluft zwischen der Bevölkerung und den Streitkräften selbst zaghafte Reformen blockieren und das Land ins Chaos stürzen könnten. Der Weg dazu ist nicht weit. Die Sicherheitslage verschlechtert sich zusehends, Kriminalität nimmt dramatisch zu, viele Touristen, die der Ökonomie zu ihrem Rückgrat verhelfen, bleiben aus, die Wirtschaft stagniert, soziale Nöte steigen. So warnt denn auch der führende Demokratie-Aktivist Wael Ghonim: „Wenn die Menschen ihre Grundbedürfnisse nicht mehr zu erfüllen vermögen, dann sich könnte die Konterrevolution ereignen.“
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von Birgit Cerha
Und wieder feiert die „Koalition der Jugend der Revolution vom 25. Januar“ einen Triumph. Unter dem steten Druck der sich nach Freiheit sehnenden ägyptischen Aktivisten hat der herrschende Militärrat nach zweimonatigem Zögern nun einen dramatischen Schritt nach dem anderen gesetzt. Der gestürzte Präsident Hosni Mubarak und seine beiden Söhne sitzen wegen des Verdachts schweren Machtmissbrauchs und illegaler Bereicherung in Milliardenhöhe in Untersuchungshaft - eine außerordentliche Entwicklung in diesem Teil der Welt, wo Präsidenten und Potentaten nach Jahrzehnten der Repression und Korruption traditionell der Gerechtigkeit zu entgehen pflegten. Ja ägyptische Medien spekulieren gar, der gesundheitlich schwer angeschlagene Ex-Präsident könnte wegen der Tötung von mehr als 800 friedlichen Demonstranten exekutiert werden, sollte sich herausstellen, dass er dazu Befehle erteilt hatte.
Der Festnahme der Mubaraks und mehr als einem Dutzend führender Männer des Regimes folgte nun am Wochenende die Auflösung der seit mehr als drei Jahrzehnten das politische Leben dominierenden „Nationalen Demokratie-Partei“ (NDP), die weniger einer politischen Bewegung als einem sich auf Kosten des Volkes unverschämt bereichernden Club von Opportunisten glich. Der Militärrat hat damit zwei der wichtigsten Forderungen der jugendlichen Aktivisten erfüllt und so seinem Anspruch, Ägypten auf den Weg zu einer pluralistischen Demokratie zu führen, etwas Glaubwürdigkeit verliehen. Denn wäre eine intakte NDP in die für September geplanten Parlamentswahlen gezogen, hätte mit ihrem riesigen, perfekt durchorganisierten Apparat die sich erst mühselig neu formierenden demokratischen Bewegungen hoffnungslos in die Defensive gedrängt und das neue Parlament wieder dominiert. Das Tor zu einem demokratischen System am Nil wäre damit wohl weiterhin geschlossen geblieben.
Die durch wochenlangen Reformstillstand tief frustrierte Demokratiebewegung schöpft nun neue Hoffnung. Doch noch lebt das Misstrauen gegenüber den herrschenden Militärs, die sich zwar verbal hinter die Forderungen der Revolution gestellt, doch so lange nicht begonnen hatten, diese zu verwirklichen, fort. Ägyptens Offizierskorps ist eine zutiefst traditionalistische Institution, die sich keineswegs als Speerspitze der Reformer eignet. Stabilität – und nicht demokratisches Experiment - ist ihr höchstes Anliegen. Im herrschenden Militärrat sitzen nicht die Männer, die eine Vision für ein modernes, pluralistisches Ägypten entwickeln können. Bisher haben sie nur reagiert. So folgt die Festnahme der Mubaraks offenbar dem Bruch eines Versprechens, dass der Ex-Präsident vor seinem Abtritt gegeben hatte: totale politische Enthaltsamkeit, dann könnte die Familie unangetastet in ihrem Ferienheim in Scharm el Scheich leben. Doch der Sohn Gamal engagierte Schlägertrupps um den chaotischen Boden für eine Konterrevolution zu bereiten, während der Vater sich das Satellitenfernsehen Al-Arabiya gegen die schweren Korruptionsvorwürfe verteidigte.
Auch die Methodik der Offiziere gibt Anlass zu Pessimismus: Zwei Menschen starben vor einer Woche, als Soldaten brutal Demonstranten vom Kairoer Tahrir-Platz verjagten. Und, ganz wie zu Mubaraks Repressionszeiten wurde dieser Tage der 25-jährige Blogger Maikel Nabil wegen der Verbreitung falscher Informationen über die Streitkräfte zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Nabil hatte geklagt, dass „die Diktatur immer noch hier ist“ und sich Hunderte Zivilisten in den vergangenen zwei Monaten vor Militärtribunals verantworten mussten. Mubarak ist zwar seiner Freiheit beraubt, doch sein Geist weht immer noch über dem Nil. Da nützt es – vorerst – wenig, wenn die Offiziere nun über große Publikationen wie Al-Ahram eine Imagekampagne starten, um der Bevölkerung klarzumachen, dass ihr Zögern, ihre Vorsicht „patriotischen“ Ansinnen entsprängen und dass sie keinerlei Absicht hegten, das Land über eine kurze Übergangsperiode hinaus zu regieren.
Unabhängige politische Beobachter in Kairo warnen allerdings, dass eine wachsende Kluft zwischen der Bevölkerung und den Streitkräften selbst zaghafte Reformen blockieren und das Land ins Chaos stürzen könnten. Der Weg dazu ist nicht weit. Die Sicherheitslage verschlechtert sich zusehends, Kriminalität nimmt dramatisch zu, viele Touristen, die der Ökonomie zu ihrem Rückgrat verhelfen, bleiben aus, die Wirtschaft stagniert, soziale Nöte steigen. So warnt denn auch der führende Demokratie-Aktivist Wael Ghonim: „Wenn die Menschen ihre Grundbedürfnisse nicht mehr zu erfüllen vermögen, dann sich könnte die Konterrevolution ereignen.“
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Mittwoch, 13. April 2011
ÄGYPTEN: Etappensieg für Ägyptens Demokraten
von Birgit Cerha
(Bild:v.l.n.r. mubaraks söhne alaa und gamal)
Derartiges hat das moderne Ägypten noch nie gesehen: einen Herrscher, der von seinem Volk für Untaten, Machtmissbrauch und Diebstahl des nationalen Eigentums zur Verantwortung gezogen wird. Zwei Monate, nachdem die ägyptische Demokratie-Bewegung Hosni Mubarak nach drei Jahrzehnten autoritärer Macht vom Thron gejagt hatte, droht dem Ex-Präsidenten und seinen beiden Söhnen juristisches Ungemach. Alle drei stehen für 15 Tage in Polizeigewahrsam, während Untersuchungen wegen Korruption und der Verantwortung für den Tod von Hunderten Demonstranten beginnen.
Die Opposition feiert einen Etappensieg. Noch nie wurde ein abgesetzter Herrscher am Nil vor Gericht gestellt. Das soll nun anders werden, damit Ägypten tatsächlich einen Weg in eine neue, eine demokratische Ära findet, in der Transparenz herrscht, Ausbeutung und soziale Ungerechtigkeit zulasten der bitterarmen Massen endlich ausgemerzt wird. Das zumindest ist die Hoffnung der von jugendlichen Aktivisten angetriebenen Demokratie-Bewegung.
Dass das Militär und die Justiz nun ihre Hauptforderung – einen raschen Prozeß gegen Mubarak – erfüllen will, zeigt, wie die regierende Junta immer noch den Druck der Straße fürchtet. Nach einer Massendemonstration vergangenen Freitag hatten die Aktivisten für kommenden Freitag eine erneute Demonstration angekündigt und diese nun abgesagt. Damit wächst die Hoffnung, dass Ägypten den Weg zur Normalität zurückfindet.
Noch ist allerdings nicht klar, ob die Untersuchungshaft der Mubaraks nur ein Beschwichtigungsmanöver war, dem kein ernsthafter Prozess folgt. Immerhin heißt es, der 82-jährige Ex-Präsident hätte einen Herzinfarkt erlitten, vielleicht wird er für prozessunfähig erklärt. Denn noch ist nicht bekannt, ob er sich nicht vom Militär erst durch das Versprechen dauerhafter Immunität von der Macht drängen ließ. Und noch bekleiden viele Mitglieder der einstigen Herrscher-Elite einflussreiche Positionen. Um Gerechtigkeit durchzusetzen, wird die Straße ihren Druck weiter aufrecht erhalten müssen.
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(Bild:v.l.n.r. mubaraks söhne alaa und gamal)
Derartiges hat das moderne Ägypten noch nie gesehen: einen Herrscher, der von seinem Volk für Untaten, Machtmissbrauch und Diebstahl des nationalen Eigentums zur Verantwortung gezogen wird. Zwei Monate, nachdem die ägyptische Demokratie-Bewegung Hosni Mubarak nach drei Jahrzehnten autoritärer Macht vom Thron gejagt hatte, droht dem Ex-Präsidenten und seinen beiden Söhnen juristisches Ungemach. Alle drei stehen für 15 Tage in Polizeigewahrsam, während Untersuchungen wegen Korruption und der Verantwortung für den Tod von Hunderten Demonstranten beginnen.
Die Opposition feiert einen Etappensieg. Noch nie wurde ein abgesetzter Herrscher am Nil vor Gericht gestellt. Das soll nun anders werden, damit Ägypten tatsächlich einen Weg in eine neue, eine demokratische Ära findet, in der Transparenz herrscht, Ausbeutung und soziale Ungerechtigkeit zulasten der bitterarmen Massen endlich ausgemerzt wird. Das zumindest ist die Hoffnung der von jugendlichen Aktivisten angetriebenen Demokratie-Bewegung.
Dass das Militär und die Justiz nun ihre Hauptforderung – einen raschen Prozeß gegen Mubarak – erfüllen will, zeigt, wie die regierende Junta immer noch den Druck der Straße fürchtet. Nach einer Massendemonstration vergangenen Freitag hatten die Aktivisten für kommenden Freitag eine erneute Demonstration angekündigt und diese nun abgesagt. Damit wächst die Hoffnung, dass Ägypten den Weg zur Normalität zurückfindet.
Noch ist allerdings nicht klar, ob die Untersuchungshaft der Mubaraks nur ein Beschwichtigungsmanöver war, dem kein ernsthafter Prozess folgt. Immerhin heißt es, der 82-jährige Ex-Präsident hätte einen Herzinfarkt erlitten, vielleicht wird er für prozessunfähig erklärt. Denn noch ist nicht bekannt, ob er sich nicht vom Militär erst durch das Versprechen dauerhafter Immunität von der Macht drängen ließ. Und noch bekleiden viele Mitglieder der einstigen Herrscher-Elite einflussreiche Positionen. Um Gerechtigkeit durchzusetzen, wird die Straße ihren Druck weiter aufrecht erhalten müssen.
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LIBYEN: Wettlauf gegen die Zeit
Militärisches Patt bei anhaltenden Kämpfen setzt Zivilisten immer größeren Gefahren aus
von Birgit Cerha
Während sowohl die hochmotivierten Gegner Gadafis, wie die dem libyschen Diktator noch treu ergebenen Einheiten an den Endsieg glauben, verstärken sich die Anzeichen, dass der achtwöchige Krieg in ein militärisches Patt mündet. Die NATO-Luftangriffe vermögen weder ihren eigentlichen Auftrag – den Schutz der Zivilisten – zu erfüllen, noch einen dauerhaften Vormarsch der Rebellen zu ermöglichen. Die Aufständischen können Geländegewinne in West-Libyen nicht zu halten.
Hauptgrund dafür ist nicht so sehr die schlechtere militärische Ausrüstung der Rebellen, sondern deren Desorganisation und fehlende Ausbildung. Eroberungen gelangen, wenn sich Gadafis Soldaten zurückgezogen hatten, doch sobald die Rebellen auf gut vorbereitete Verteidigungspositionen stießen, wurden sie rasch zum eiligen Rückzug gezwungen. Abgesprungene Offiziere der Armee versuchen nun, etwas Ordnung in die Rebellentruppen zu bringen. Viele untrainierte Kämpfer hatten im Einsatz an vorderster Front durch ihre mangelnde Erfahrung dem Gegner enorme strategische Vorteile verschafft. Gadafi verstand es, diese Schwäche zu nutzen. Nun haben ausgebildete Soldaten unter Führung von ehemaligen Offizieren den Kampf an der Front übernommen, während die unerfahrenen Unterstützung nur im Hintergrund liefern. Ob diese Änderung der Strategie wirklich das Blatt zu wenden vermag, bleibt fraglich.
Fest steht, dass der Lufteinsatz der NATO zwar Gadafis Luftwaffe und Luftabwehr vernichten, sowie Kommando- und Kontroll- und Kommunikationszentren zerstören kann, doch nicht die Fähigkeit am Boden Krieg zu führen, wenn die Alliierten nicht zivile Opfer riskieren wollen. Dies trifft in hohem Maße im Falle eines Gegners wie den Libyer zu, der keine Skrupel kennt, seine eigene Bevölkerung zu massakrieren. Gadafi praktiziert dies in der drittgrößten Stadt Misrata, die seine Truppen seit Wochen bombardieren und nun aushungern, um den Kampfgeist der Menschen zu brechen. Hier, wie anderswo ereignen sich Kriegsverbrechen unter den Augen der NATO.
Seit Beginn der Luftangriffe hat Gadafi seine Militärstrategie wirkungsvoll verändert. Er verzichtet auf Panzer, setzt kleine Kampf- und Zivilfahrzeuge ein, damit die Piloten Rebelleneinsätze nicht mehr von jenen des Regimes unterscheiden können. Zudem wendet er zunehmend Guerilla-Taktik an. Kleine Kampfeinheiten attackieren Konvois der Opposition und schießen dann mit schwerer Artillerie auf deren Stellungen. Schließlich rücken Regierungstruppen in Zivilfahrzeugen, wie eben bei Ajdabiya, vor Nach Aussagen von NATO-Generälen gibt es auch Beweise dafür, dass Gadafis Soldaten schwere Waffen in der Nähe von Zivilisten, von deren Wohngebäuden und Moscheen stationieren und sich hinter Frauen und Kindern verstecken.
Dennoch dürfte es Gadafi nach Einschätzung von Militärexperten nicht gelingen, Benghazi wieder zurück zu erobern, solange die NATO-Luftwaffe seine Einheiten an der Durchquerung weiter Wüstengebiete, die den Golf von Sidra von diesem wichtigsten Rebellenzentrum, sowie dem östlichen Rest des Landes trennen, hindern. Dennoch können sich die Aufständischen im Osten nicht sicher fühlen, denn Gadafi kann sie mit Hilfe von Sabotage-Teams, die er in die Ölproduktiions-Zentren, wie auch zu den Hauptquartieren der Rebellen entsendet, zermürben. Und die Kontrolle West-Libyens mit all den Folgen für die Sicherheit für den Mittelmeer-Raum, dürfte ihm garantiert bleiben.
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von Birgit Cerha
Während sowohl die hochmotivierten Gegner Gadafis, wie die dem libyschen Diktator noch treu ergebenen Einheiten an den Endsieg glauben, verstärken sich die Anzeichen, dass der achtwöchige Krieg in ein militärisches Patt mündet. Die NATO-Luftangriffe vermögen weder ihren eigentlichen Auftrag – den Schutz der Zivilisten – zu erfüllen, noch einen dauerhaften Vormarsch der Rebellen zu ermöglichen. Die Aufständischen können Geländegewinne in West-Libyen nicht zu halten.
Hauptgrund dafür ist nicht so sehr die schlechtere militärische Ausrüstung der Rebellen, sondern deren Desorganisation und fehlende Ausbildung. Eroberungen gelangen, wenn sich Gadafis Soldaten zurückgezogen hatten, doch sobald die Rebellen auf gut vorbereitete Verteidigungspositionen stießen, wurden sie rasch zum eiligen Rückzug gezwungen. Abgesprungene Offiziere der Armee versuchen nun, etwas Ordnung in die Rebellentruppen zu bringen. Viele untrainierte Kämpfer hatten im Einsatz an vorderster Front durch ihre mangelnde Erfahrung dem Gegner enorme strategische Vorteile verschafft. Gadafi verstand es, diese Schwäche zu nutzen. Nun haben ausgebildete Soldaten unter Führung von ehemaligen Offizieren den Kampf an der Front übernommen, während die unerfahrenen Unterstützung nur im Hintergrund liefern. Ob diese Änderung der Strategie wirklich das Blatt zu wenden vermag, bleibt fraglich.
Fest steht, dass der Lufteinsatz der NATO zwar Gadafis Luftwaffe und Luftabwehr vernichten, sowie Kommando- und Kontroll- und Kommunikationszentren zerstören kann, doch nicht die Fähigkeit am Boden Krieg zu führen, wenn die Alliierten nicht zivile Opfer riskieren wollen. Dies trifft in hohem Maße im Falle eines Gegners wie den Libyer zu, der keine Skrupel kennt, seine eigene Bevölkerung zu massakrieren. Gadafi praktiziert dies in der drittgrößten Stadt Misrata, die seine Truppen seit Wochen bombardieren und nun aushungern, um den Kampfgeist der Menschen zu brechen. Hier, wie anderswo ereignen sich Kriegsverbrechen unter den Augen der NATO.
Seit Beginn der Luftangriffe hat Gadafi seine Militärstrategie wirkungsvoll verändert. Er verzichtet auf Panzer, setzt kleine Kampf- und Zivilfahrzeuge ein, damit die Piloten Rebelleneinsätze nicht mehr von jenen des Regimes unterscheiden können. Zudem wendet er zunehmend Guerilla-Taktik an. Kleine Kampfeinheiten attackieren Konvois der Opposition und schießen dann mit schwerer Artillerie auf deren Stellungen. Schließlich rücken Regierungstruppen in Zivilfahrzeugen, wie eben bei Ajdabiya, vor Nach Aussagen von NATO-Generälen gibt es auch Beweise dafür, dass Gadafis Soldaten schwere Waffen in der Nähe von Zivilisten, von deren Wohngebäuden und Moscheen stationieren und sich hinter Frauen und Kindern verstecken.
Dennoch dürfte es Gadafi nach Einschätzung von Militärexperten nicht gelingen, Benghazi wieder zurück zu erobern, solange die NATO-Luftwaffe seine Einheiten an der Durchquerung weiter Wüstengebiete, die den Golf von Sidra von diesem wichtigsten Rebellenzentrum, sowie dem östlichen Rest des Landes trennen, hindern. Dennoch können sich die Aufständischen im Osten nicht sicher fühlen, denn Gadafi kann sie mit Hilfe von Sabotage-Teams, die er in die Ölproduktiions-Zentren, wie auch zu den Hauptquartieren der Rebellen entsendet, zermürben. Und die Kontrolle West-Libyens mit all den Folgen für die Sicherheit für den Mittelmeer-Raum, dürfte ihm garantiert bleiben.
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Montag, 11. April 2011
JEMEN: Golfstaaten entziehen Saleh die Unterstützung
Friedensplan für den Jemen sieht raschen Rücktritt des Präsidenten vor – Doch Saleh klammert sich weiterhin an die Macht.
von Birgit Cerha
Zwei Monate lang hat Jemens Überlebenskünstler, Präsident Ali Abdullah Saleh, fast täglichen Protestrufe Tausender Menschen nach seinem Rücktritt hartnäckig widerstanden und ist dabei auch vor brutaler Gewalt gegen friedliche Demonstranten nicht zurückgeschreckt. Intern in die Isolation gedrängt, von Teilen des Militärs, dem Parlament und selbst der Regierung verlassen, haben sich nun auch die engsten arabischen Verbündeten gegen Saleh gestellt. Die die im Golfkooperationsrat (GCC) zusammengeschlossenen Nachbarstaaten (Saudi-Arabien, Kuwait, Katar, Bahrain, Oman und die Vereinigten Arabischen Emirate) fordern erstmals offen Jemens Führer zum Rücktritt auf, einen „ehrenvollen“ allerdings. Ein Friedensplan, der einen Dialog mit der Opposition in Saudi-Arabien vorsieht, setzt keinen klaren Zeitplan für Salehs Abtritt und will dem Präsidenten, wie seiner Familie volle Immunität gegen mögliche Gerichtsverfahren wegen brutalem Machtmissbrauch und Korruption gewähren.
Seit Wochen hatte Saleh Saudi-Arabien zur Vermittlung in der schweren Krise gedrängt. Doch Riad fand sich in einem Dilemma. Einerseits wittern die Saudis, die traditionell größte Interessen in dem geostrategisch so wichtigen Nachbarland verfolgen, durch einen Fall Salehs neue Chancen, ihren Einfluss weiter zu stärken. Anderseits hegen sie keinerlei Interesse, sich am Sturz eines durch friedliche Demonstrationen bedrängten Autokraten, noch eines Nachbarn, zu beteiligen. All zu gefährlich wäre die Beispielwirkung. Zudem fürchtet Riad ein auch Saudi-Arabiens Stabilität bedrohendes Chaos, sollte der Jemen in noch größere Instabilität, ja in einen Bürgerkrieg versinken. Die Sorge wuchs auch unter den anderen Monarchen am Golf in dem Maße, in dem der Konflikt zwischen dem Regime und den Demokratie-Aktivisten eskalierte.
Doch der GCC-Plan, der die Übergabe der Macht an Vizepräsident Abdurabu Mansur Hadi und die Bildung einer von der Opposition geführten Regierung der nationalen Einheit vorsieht, wurde von der Opposition entschieden abgelehnt. Die Bewegung aus Parteien, Jugend-Aktivisten, Vertretern der Zivilgesellschaft empört insbesondere die Vorstellung, dass Saleh, der seit Beginn der Proteste am 8. Februar für den Tod von mehr als hundert Menschen, darunter mindestens 24 Kinder, verantwortlich ist, sowie für die hemmungslose Bereicherung seiner Familie auf Kosten der bitterarmen Bevölkerung, nicht im Jemen für seine Taten zur Verantwortung gezogen werden soll. So halten die Protestdemonstrationen an, während hinter den Kulissen weiter um eine Lösung gerungen wird. Salehs Reaktionen sind widersprüchlich. Im besten Fall spielt er auf Zeit, um eine für sich und seine Familie beste Lösung zu erzwingen.
Saudi-Arabien besitzt Einfluss auf Saleh wie kein anderes Land. Riad ließ in den vergangenen Jahren Milliarden von Dollar in die jemenitische Staatskasse fließen, um das Regime zu „stabilisieren“. Doch die Al-Sauds treiben ein Doppelspiel, stets besorgt, dass der volksreichste Staat auf der arabischen Halbinsel politisch nicht erstarke. So unterstützen sie großzügig einige der mächtigen jemenitischen Stämme und sicherten sich dabei ein Druckmittel auf den Präsidenten, dem Riad allerdings zugleich militärisch im jahrelangen Kampf gegen die sunnitischen Huthi-Rebellen im Norden half. Die Beziehungen zwischen den beiden Regimen haben sich jedoch zusehends verschlechtert, als Saleh mehr und mehr Al-Kaida Extremisten aus Saudi-Arabien in seinem Land Unterschlupf gewährte und zusah, wie sich die Jihadis mit ihren jemenitischen Gesinnungsgenossen zur heute wohl gefährlichsten Al-Kaida Organisation entwickelten, die sich den Sturz des saudischen Königshauses als eines ihrer wichtigsten Ziele gesetzt hat. Doch ob Riads Einfluß auf einen friedlichen Übergang zu einem stabilen Jemen ausreicht, ist höchst fraglich.
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von Birgit Cerha
Zwei Monate lang hat Jemens Überlebenskünstler, Präsident Ali Abdullah Saleh, fast täglichen Protestrufe Tausender Menschen nach seinem Rücktritt hartnäckig widerstanden und ist dabei auch vor brutaler Gewalt gegen friedliche Demonstranten nicht zurückgeschreckt. Intern in die Isolation gedrängt, von Teilen des Militärs, dem Parlament und selbst der Regierung verlassen, haben sich nun auch die engsten arabischen Verbündeten gegen Saleh gestellt. Die die im Golfkooperationsrat (GCC) zusammengeschlossenen Nachbarstaaten (Saudi-Arabien, Kuwait, Katar, Bahrain, Oman und die Vereinigten Arabischen Emirate) fordern erstmals offen Jemens Führer zum Rücktritt auf, einen „ehrenvollen“ allerdings. Ein Friedensplan, der einen Dialog mit der Opposition in Saudi-Arabien vorsieht, setzt keinen klaren Zeitplan für Salehs Abtritt und will dem Präsidenten, wie seiner Familie volle Immunität gegen mögliche Gerichtsverfahren wegen brutalem Machtmissbrauch und Korruption gewähren.
Seit Wochen hatte Saleh Saudi-Arabien zur Vermittlung in der schweren Krise gedrängt. Doch Riad fand sich in einem Dilemma. Einerseits wittern die Saudis, die traditionell größte Interessen in dem geostrategisch so wichtigen Nachbarland verfolgen, durch einen Fall Salehs neue Chancen, ihren Einfluss weiter zu stärken. Anderseits hegen sie keinerlei Interesse, sich am Sturz eines durch friedliche Demonstrationen bedrängten Autokraten, noch eines Nachbarn, zu beteiligen. All zu gefährlich wäre die Beispielwirkung. Zudem fürchtet Riad ein auch Saudi-Arabiens Stabilität bedrohendes Chaos, sollte der Jemen in noch größere Instabilität, ja in einen Bürgerkrieg versinken. Die Sorge wuchs auch unter den anderen Monarchen am Golf in dem Maße, in dem der Konflikt zwischen dem Regime und den Demokratie-Aktivisten eskalierte.
Doch der GCC-Plan, der die Übergabe der Macht an Vizepräsident Abdurabu Mansur Hadi und die Bildung einer von der Opposition geführten Regierung der nationalen Einheit vorsieht, wurde von der Opposition entschieden abgelehnt. Die Bewegung aus Parteien, Jugend-Aktivisten, Vertretern der Zivilgesellschaft empört insbesondere die Vorstellung, dass Saleh, der seit Beginn der Proteste am 8. Februar für den Tod von mehr als hundert Menschen, darunter mindestens 24 Kinder, verantwortlich ist, sowie für die hemmungslose Bereicherung seiner Familie auf Kosten der bitterarmen Bevölkerung, nicht im Jemen für seine Taten zur Verantwortung gezogen werden soll. So halten die Protestdemonstrationen an, während hinter den Kulissen weiter um eine Lösung gerungen wird. Salehs Reaktionen sind widersprüchlich. Im besten Fall spielt er auf Zeit, um eine für sich und seine Familie beste Lösung zu erzwingen.
Saudi-Arabien besitzt Einfluss auf Saleh wie kein anderes Land. Riad ließ in den vergangenen Jahren Milliarden von Dollar in die jemenitische Staatskasse fließen, um das Regime zu „stabilisieren“. Doch die Al-Sauds treiben ein Doppelspiel, stets besorgt, dass der volksreichste Staat auf der arabischen Halbinsel politisch nicht erstarke. So unterstützen sie großzügig einige der mächtigen jemenitischen Stämme und sicherten sich dabei ein Druckmittel auf den Präsidenten, dem Riad allerdings zugleich militärisch im jahrelangen Kampf gegen die sunnitischen Huthi-Rebellen im Norden half. Die Beziehungen zwischen den beiden Regimen haben sich jedoch zusehends verschlechtert, als Saleh mehr und mehr Al-Kaida Extremisten aus Saudi-Arabien in seinem Land Unterschlupf gewährte und zusah, wie sich die Jihadis mit ihren jemenitischen Gesinnungsgenossen zur heute wohl gefährlichsten Al-Kaida Organisation entwickelten, die sich den Sturz des saudischen Königshauses als eines ihrer wichtigsten Ziele gesetzt hat. Doch ob Riads Einfluß auf einen friedlichen Übergang zu einem stabilen Jemen ausreicht, ist höchst fraglich.
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Sonntag, 10. April 2011
Ägypter wehren sich gegen die Konterrevolution
Demokratie-Aktivisten werden ungeduldig und das Militär droht offen mit Gewalt
von Birgit Cerha
Die Flitterwochen zwischen dem ägyptischen Militär und der Bevölkerung, die die Revolution gegen das Regime Mubarak so relativ friedlich gestaltet hatten, neigen sich dem Ende zu. Spannungen und Sorge um die Zukunft am Nil wachsen, seit die Streitkräfte Samstag morgen gewaltsam eine seit Freitag am Kairoer Tahrir-Platz protestierende Menge zu verjagen gesucht und dabei vier Menschen getötet und Hunderte verletzt hatten. Freitag hatten Zehntausende Ägypter in der größten Demonstration seit dem Sturz Mubaraks am 11. Februar ihren Ärger und die Frustration über die politische Stagnation der vergangenen Wochen kundgetan. Wieder schlugen Aktivisten auf dem zentralen Platz Kairos ihre Zelte auf, zum Bleiben entschlossen, bis zumindest ein Teil ihrer wichtigsten Forderungen erfüllt sind. Die Polizei riegelte den Ort der Proteste mit Stacheldraht ab, auch das dort gelegene Kairoer Museum, größte Attraktion für ausländische Touristen, bleibt geschlossen. Und unter vielen Ägyptern wächst die Sorge vor der Zukunft, während General Adel Emarah, Mitglied des regierenden Militärrats, den Protestierenden „Härte und Gewalt“ androht, um „die Normalität“ im Zentrum Kairos wieder sicherzustellen.„Ich kam zu Tahrir-Platz, weil wir eine Konterrevolution erleben“, begründet ein Mitglied des „Jugend-Revolutionsrates“ - einer der größten Gruppen, die aus der wochenlangen Protestbewegung gegen Mubarak hervorgegangen ist – die erneuten Demonstrationen. Sie sollen den Druck auf den Militärrat verstärken, der bisher nur einen Bruchteil der langen Forderungsliste der Opposition erfüllt hat. Besonders verärgert die Opposition, dass zwar der Diktator gestürzt ist, doch viele seiner Erfüllungsgehilfen immer noch an den Hebeln der Macht sitzen. Zudem wurden bis heute die Verantwortlichen für den Tod von etwa 800 Menschen während der Demonstrationen gegen Mubarak nicht zur Rechenschaft gezogen.
Um die aufgebrachten Aktivisten zu beschwichtigen, hatte der Militärrat in der Vorwoche die Chefredakteure einiger der größten Publikationen, die sich durch starke Loyalität zu Mubarak hervorgetan hatten, sowie dessen Plan, seinen Sohn Gamals zum Nachfolger zu küren, abgelöst. Doch dieser Schritt reicht den jugendlichen Demokraten nicht, da die ehemaligen Chefredakteure als „Beraster“ weiterhin Einfluss ausüben.
Sonntag erfüllte der Militärrat wenigstens teilweise eine wichtige Forderung, indem er einige der einst von Mubarak ernannten Provinzgouverneure entließ. Unterdessen halten an der Kairoer Universität Demonstrationen von Studenten nun schon seit Wochen an, die, wie auch an anderen hohen Lehranstalten des Landes, die Absetzung der Rektoren und Dekane fordern, da diese von Mubarak nach Billigung des für brutalste Repressionen verantwortlichen, unterdessen aufgelösten Staats-Sicherheitsdienstes ernannt worden waren. „Es war leichter, den Diktator zu stürzen, als sich seiner Elite zu entledigen“, klagt eine Studentin. „Die Revolution geht weiter.“
Auf dem Tahrir-Platz konzentrieren sich die Forderungen nun darauf, Mubarak und seine Familie, die in ihrem Domizil in Scharm el-Scheich unter Hausarrest stehen, so rasch wie möglich wegen Korruption vor Gericht zu bringen. Der Militärrat hat zumindest einmal ein Komitee eingesetzt, das diese Frage studieren soll. ‚Doch die Demonstranten haben nun eine neue Forderung auf ihre Liste gesetzt: den Abgang des Chefs des Militärrats, Feldmarschall Tantawis, der seit 1991 als einer der engsten Mitstreiter Mubaraks das Amt des Verteidigungsministers ausgeübt hatte. Die Oppositionsbewegung aber ist in dieser Frage gespalten. Ein Teil fürchtet nämlich, eine Verschärfung der Spannungen mit dem Militär könnte enorme Probleme für den bis Jahresende geplanten Übergang zu einer demokratischen Zivilregierung schaffen.
Doch das Militär, in der Phase der Revolution der „Liebling des Volkes“, schafft sich zunehmend Feinde. Ägyptische Menschenrechtsaktivisten, wie etwa Mona Seif, haben Dokumente von insgesamt 5.000 Fällen zusammengetragen, in denen Militärs Demonstranten wegen falscher oder weit übertriebener Vorwürfe in überfüllten Gefängnissen festhalten und vor Militärgerichte stellen. Verletzung der Ausgangssperre, Tragen von Waffen, Beleidigung der Sicherheitskräfte werden mit jahrelangem Gefängnis bestraft. Wer sich, wie die meisten, keinen seriösen Anwalt leisten kann, ist in einem politischen Zwecken dienenden Justizsystem verloren.
Das Militär agiert weiterhin auf der Basis von Dekreten aus der Mubarak-Ära und – so der weitverbreitete Vorwurf – schützt nach Kräften die Elite eines Regimes, das auch den Streutkräften ungeheure Privilegien und Macht gesichert hatte.
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von Birgit Cerha
Die Flitterwochen zwischen dem ägyptischen Militär und der Bevölkerung, die die Revolution gegen das Regime Mubarak so relativ friedlich gestaltet hatten, neigen sich dem Ende zu. Spannungen und Sorge um die Zukunft am Nil wachsen, seit die Streitkräfte Samstag morgen gewaltsam eine seit Freitag am Kairoer Tahrir-Platz protestierende Menge zu verjagen gesucht und dabei vier Menschen getötet und Hunderte verletzt hatten. Freitag hatten Zehntausende Ägypter in der größten Demonstration seit dem Sturz Mubaraks am 11. Februar ihren Ärger und die Frustration über die politische Stagnation der vergangenen Wochen kundgetan. Wieder schlugen Aktivisten auf dem zentralen Platz Kairos ihre Zelte auf, zum Bleiben entschlossen, bis zumindest ein Teil ihrer wichtigsten Forderungen erfüllt sind. Die Polizei riegelte den Ort der Proteste mit Stacheldraht ab, auch das dort gelegene Kairoer Museum, größte Attraktion für ausländische Touristen, bleibt geschlossen. Und unter vielen Ägyptern wächst die Sorge vor der Zukunft, während General Adel Emarah, Mitglied des regierenden Militärrats, den Protestierenden „Härte und Gewalt“ androht, um „die Normalität“ im Zentrum Kairos wieder sicherzustellen.„Ich kam zu Tahrir-Platz, weil wir eine Konterrevolution erleben“, begründet ein Mitglied des „Jugend-Revolutionsrates“ - einer der größten Gruppen, die aus der wochenlangen Protestbewegung gegen Mubarak hervorgegangen ist – die erneuten Demonstrationen. Sie sollen den Druck auf den Militärrat verstärken, der bisher nur einen Bruchteil der langen Forderungsliste der Opposition erfüllt hat. Besonders verärgert die Opposition, dass zwar der Diktator gestürzt ist, doch viele seiner Erfüllungsgehilfen immer noch an den Hebeln der Macht sitzen. Zudem wurden bis heute die Verantwortlichen für den Tod von etwa 800 Menschen während der Demonstrationen gegen Mubarak nicht zur Rechenschaft gezogen.
Um die aufgebrachten Aktivisten zu beschwichtigen, hatte der Militärrat in der Vorwoche die Chefredakteure einiger der größten Publikationen, die sich durch starke Loyalität zu Mubarak hervorgetan hatten, sowie dessen Plan, seinen Sohn Gamals zum Nachfolger zu küren, abgelöst. Doch dieser Schritt reicht den jugendlichen Demokraten nicht, da die ehemaligen Chefredakteure als „Beraster“ weiterhin Einfluss ausüben.
Sonntag erfüllte der Militärrat wenigstens teilweise eine wichtige Forderung, indem er einige der einst von Mubarak ernannten Provinzgouverneure entließ. Unterdessen halten an der Kairoer Universität Demonstrationen von Studenten nun schon seit Wochen an, die, wie auch an anderen hohen Lehranstalten des Landes, die Absetzung der Rektoren und Dekane fordern, da diese von Mubarak nach Billigung des für brutalste Repressionen verantwortlichen, unterdessen aufgelösten Staats-Sicherheitsdienstes ernannt worden waren. „Es war leichter, den Diktator zu stürzen, als sich seiner Elite zu entledigen“, klagt eine Studentin. „Die Revolution geht weiter.“
Auf dem Tahrir-Platz konzentrieren sich die Forderungen nun darauf, Mubarak und seine Familie, die in ihrem Domizil in Scharm el-Scheich unter Hausarrest stehen, so rasch wie möglich wegen Korruption vor Gericht zu bringen. Der Militärrat hat zumindest einmal ein Komitee eingesetzt, das diese Frage studieren soll. ‚Doch die Demonstranten haben nun eine neue Forderung auf ihre Liste gesetzt: den Abgang des Chefs des Militärrats, Feldmarschall Tantawis, der seit 1991 als einer der engsten Mitstreiter Mubaraks das Amt des Verteidigungsministers ausgeübt hatte. Die Oppositionsbewegung aber ist in dieser Frage gespalten. Ein Teil fürchtet nämlich, eine Verschärfung der Spannungen mit dem Militär könnte enorme Probleme für den bis Jahresende geplanten Übergang zu einer demokratischen Zivilregierung schaffen.
Doch das Militär, in der Phase der Revolution der „Liebling des Volkes“, schafft sich zunehmend Feinde. Ägyptische Menschenrechtsaktivisten, wie etwa Mona Seif, haben Dokumente von insgesamt 5.000 Fällen zusammengetragen, in denen Militärs Demonstranten wegen falscher oder weit übertriebener Vorwürfe in überfüllten Gefängnissen festhalten und vor Militärgerichte stellen. Verletzung der Ausgangssperre, Tragen von Waffen, Beleidigung der Sicherheitskräfte werden mit jahrelangem Gefängnis bestraft. Wer sich, wie die meisten, keinen seriösen Anwalt leisten kann, ist in einem politischen Zwecken dienenden Justizsystem verloren.
Das Militär agiert weiterhin auf der Basis von Dekreten aus der Mubarak-Ära und – so der weitverbreitete Vorwurf – schützt nach Kräften die Elite eines Regimes, das auch den Streutkräften ungeheure Privilegien und Macht gesichert hatte.
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Mittwoch, 6. April 2011
LIBYEN: Tödliches Patt nützt Gadafi
Kein militärischer Ausweg aus der libyschen Katastrophe – Der Diktator spielt mit Versöhnungsangeboten auf Zeitgewinn
von Birgit Cerha
„Die Menschen in Misrata sterben“, Libyens drittgrößte Stadt erlebe einen „Genozid“ durch die Truppen Diktator Gadafis. Nur wenige Wochen nach Beginn der alliierten Luftangriffe zum Schutz der Zivilisten vor den mörderischen Angriffen ihres Herrschers, fühlen sich die Aufständischen von einer ihrer Ansicht nach zögernden NATO im Stich gelassen. Heftige Kämpfe toben um Misrata, die einzige west-libysche Stadt immer noch in Rebellenhand, vermutlich nicht mehr lange.
Längst steht fest, dass dieser blutige Konflikt zwischen dem politischen Überlebenskünstler Gadafi und den sich nach Freiheit sehnenden Libyern militärisch nicht zu lösen ist. Obwohl die NATO nach eigenen Angaben ein Drittel der militärischen Kapazitäten der Regierungstruppen ausgeschaltet hat, gelingt es diesen doch immer wieder, den Vormarsch der Rebellen zurückzuschlagen. Doch in die befreiten Städte und Regionen im Osten können sie nicht eindringen. Hier scheint der Hass auf den Despoten universell. Im Westen hingegen kann sich Gadafi immer noch auf Anhänger stützen, ob aus Furcht, aus Opportunismus oder echter Überzeugung bleibt dahingestellt.
Wie lässt sich das Grauen vor den Toren Europas stoppen? Könnte das Regime tatsächlich von innen her auseinander bersten, wie westliche Strategen hoffen und stolz auf erste Erfolge verweisen. Der spektakulärste ist jener des Außenministers Musa Kusa, der sich in der Vorwoche nach London absetzte, Geheimdienstchef Abdullah al Senussi und andere hohe Mitglieder des Gadafi-Kreises stehen ebenfalls in Kontakt mit London und Washington. Der US-Geheimdienst CIA agiert auf libyschen Boden eifrig, um Rebellen zu ermutigen, zu stärken, zu trainieren, zu finanzieren und überhaupt erst einmal festzustellen, wer diese überhaupt sind. Ein Haufen von Fanatikern, von Al-Kaida unterwandert, wie Gadafi dem Westen weismachen will? Sind die Amerikaner dabei, wie einst im falle der gegen die Sowjets in Afghanistan kämpfenden Mudschaheddin ihre eigenen Todfeinde aufzupäppeln, ja vielleicht sogar mit Waffen auszustatten, was laut jüngster Libyen-Resolution des Weltsicherheitsrates ohnedies illegal wäre? Europäische Beobachter, wie der BBC-Journalist John Simpson, der einige Wochen unter den Rebellen in Ost-Libyen verbracht hatte, konnte allerdings kaum Spuren von Fundamentalismus entdecken. Dennoch, ein großes Maß an Unsicherheit bleibt bestehen.
Bröckeln die Grundfesten des Gadafi-Regimes? Wichtige Mitstreiter springen ab, das Geld werde knapp, frohlocken die Gegner und die Söhne schmieden Kompromisslösungen. All dies riecht nach ausgeklügelter Taktik dieses Diktators, der sich in schwierigsten Umständen 42 Jahre lang durch Schläue und Brutalität die Macht gesichert hatte. Er hat Doppelzügigkeit und Desinformationspolitik in solchem Maße zur Meisterschaft entwickelt, dass er international schon lange als „verrückt“ oder „irrational“ charakterisiert wird. In Wahrheit aber hat ihn diese Methodik am libyschen Thron gehalten.
So zählen für sein politisches Überleben heute nicht so sehr Männer wie Kusa oder Senussi, sondern die engsten Familienmitglieder, auf die er sich nun in vollem Maße stützt, insbesondere die untereinander zerstrittenen Söhne. Erwartungen, diese, insbesondere der im Westen ausgebildete Saif al Islam, könnten den Vater verraten, gehen in die Irre. Der in der New York Times veröffentlichte Plan Saifs, den Vater von der Macht zu drängen und selbst in einer Übergangszeit das Land zu führen, ist zweifellos mit dem Diktator abgesprochen. Ein Sturz des Vaters würde unter den derzeitigen Umständen ein Ende der Familienherrschaft bedeuten. Für die Söhne käme dies politischem Selbstmord gleich. Und den unermäßlichen Reichtum würden sie auch verlieren, denn Muammar Gadafi hält diesen in weiser Voraussicht voll unter seiner Kontrolle.
Gadafi spielt zweifellos auf Zeit, durch Versöhnungs- und Dialogangebote, die die Opposition ohnedies entschieden ablehnt, durch Lösungsvorschläge, die seine Diplomaten dem Westen unterbreiten. Damit hofft der Diktator die „Allianz der Willigen“ allmählich zu sprengen und sich des militärischen Drucks zu entledigen. Vorübergehend könnte er wohl die Teilung Libyens in Kauf nehmen und allmählich seine Macht im Osten wieder konsolidieren. Dann müsste er nur politisch lang genug durchhalten, um die Einheit seiner Gegner zu zerstören und schließlich das Land wieder voll unter seine Kontrolle zu bringen.
Eine katastrophales Beispiel auch für die Demokratiebewegungen in anderen von Despoten beherrschten arabischen Ländern.
Bildquelle: BBC
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von Birgit Cerha
„Die Menschen in Misrata sterben“, Libyens drittgrößte Stadt erlebe einen „Genozid“ durch die Truppen Diktator Gadafis. Nur wenige Wochen nach Beginn der alliierten Luftangriffe zum Schutz der Zivilisten vor den mörderischen Angriffen ihres Herrschers, fühlen sich die Aufständischen von einer ihrer Ansicht nach zögernden NATO im Stich gelassen. Heftige Kämpfe toben um Misrata, die einzige west-libysche Stadt immer noch in Rebellenhand, vermutlich nicht mehr lange.
Längst steht fest, dass dieser blutige Konflikt zwischen dem politischen Überlebenskünstler Gadafi und den sich nach Freiheit sehnenden Libyern militärisch nicht zu lösen ist. Obwohl die NATO nach eigenen Angaben ein Drittel der militärischen Kapazitäten der Regierungstruppen ausgeschaltet hat, gelingt es diesen doch immer wieder, den Vormarsch der Rebellen zurückzuschlagen. Doch in die befreiten Städte und Regionen im Osten können sie nicht eindringen. Hier scheint der Hass auf den Despoten universell. Im Westen hingegen kann sich Gadafi immer noch auf Anhänger stützen, ob aus Furcht, aus Opportunismus oder echter Überzeugung bleibt dahingestellt.
Wie lässt sich das Grauen vor den Toren Europas stoppen? Könnte das Regime tatsächlich von innen her auseinander bersten, wie westliche Strategen hoffen und stolz auf erste Erfolge verweisen. Der spektakulärste ist jener des Außenministers Musa Kusa, der sich in der Vorwoche nach London absetzte, Geheimdienstchef Abdullah al Senussi und andere hohe Mitglieder des Gadafi-Kreises stehen ebenfalls in Kontakt mit London und Washington. Der US-Geheimdienst CIA agiert auf libyschen Boden eifrig, um Rebellen zu ermutigen, zu stärken, zu trainieren, zu finanzieren und überhaupt erst einmal festzustellen, wer diese überhaupt sind. Ein Haufen von Fanatikern, von Al-Kaida unterwandert, wie Gadafi dem Westen weismachen will? Sind die Amerikaner dabei, wie einst im falle der gegen die Sowjets in Afghanistan kämpfenden Mudschaheddin ihre eigenen Todfeinde aufzupäppeln, ja vielleicht sogar mit Waffen auszustatten, was laut jüngster Libyen-Resolution des Weltsicherheitsrates ohnedies illegal wäre? Europäische Beobachter, wie der BBC-Journalist John Simpson, der einige Wochen unter den Rebellen in Ost-Libyen verbracht hatte, konnte allerdings kaum Spuren von Fundamentalismus entdecken. Dennoch, ein großes Maß an Unsicherheit bleibt bestehen.
Bröckeln die Grundfesten des Gadafi-Regimes? Wichtige Mitstreiter springen ab, das Geld werde knapp, frohlocken die Gegner und die Söhne schmieden Kompromisslösungen. All dies riecht nach ausgeklügelter Taktik dieses Diktators, der sich in schwierigsten Umständen 42 Jahre lang durch Schläue und Brutalität die Macht gesichert hatte. Er hat Doppelzügigkeit und Desinformationspolitik in solchem Maße zur Meisterschaft entwickelt, dass er international schon lange als „verrückt“ oder „irrational“ charakterisiert wird. In Wahrheit aber hat ihn diese Methodik am libyschen Thron gehalten.
So zählen für sein politisches Überleben heute nicht so sehr Männer wie Kusa oder Senussi, sondern die engsten Familienmitglieder, auf die er sich nun in vollem Maße stützt, insbesondere die untereinander zerstrittenen Söhne. Erwartungen, diese, insbesondere der im Westen ausgebildete Saif al Islam, könnten den Vater verraten, gehen in die Irre. Der in der New York Times veröffentlichte Plan Saifs, den Vater von der Macht zu drängen und selbst in einer Übergangszeit das Land zu führen, ist zweifellos mit dem Diktator abgesprochen. Ein Sturz des Vaters würde unter den derzeitigen Umständen ein Ende der Familienherrschaft bedeuten. Für die Söhne käme dies politischem Selbstmord gleich. Und den unermäßlichen Reichtum würden sie auch verlieren, denn Muammar Gadafi hält diesen in weiser Voraussicht voll unter seiner Kontrolle.
Gadafi spielt zweifellos auf Zeit, durch Versöhnungs- und Dialogangebote, die die Opposition ohnedies entschieden ablehnt, durch Lösungsvorschläge, die seine Diplomaten dem Westen unterbreiten. Damit hofft der Diktator die „Allianz der Willigen“ allmählich zu sprengen und sich des militärischen Drucks zu entledigen. Vorübergehend könnte er wohl die Teilung Libyens in Kauf nehmen und allmählich seine Macht im Osten wieder konsolidieren. Dann müsste er nur politisch lang genug durchhalten, um die Einheit seiner Gegner zu zerstören und schließlich das Land wieder voll unter seine Kontrolle zu bringen.
Eine katastrophales Beispiel auch für die Demokratiebewegungen in anderen von Despoten beherrschten arabischen Ländern.
Bildquelle: BBC
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Dienstag, 5. April 2011
JEMEN: Nur schlechte Optionen für den Jemen
Anhaltende blutige Turbulenzen bieten dem aggressivsten Al-Kaida-Zweig ungeahnten neuen Aktionsraum
von Birgit Cerha
Während die Gewalt den Jemen, dieses strategisch so wichtige Land am Roten Meer, mehr und mehr in Flammen setzt und sich die USA vom schwer bedrängten Präsident Saleh, ihrem langjährigen engen Partner im Anti-Terrorkrieg nach langem Zögern zu distanzieren beginnen, steht fest: dem arabischen Armenhaus bieten sich nur schlechte Optionen und damit zugleich auch der westlichen Welt. Denn der Jemen beherbergt den aggressivsten Zweig des Al-Kaida Terrornetzwerkes, das in den vergangenen eineinhalb Jahren seine tödlichen Fühler nach Europa und bis in die USA ausstreckte. Zunächst allerdings ohne Erfolg. Doch die nun schon wochenlang anhaltende Rebellion freiheits- und demokratiehungriger Jemeniten gegen die Diktatur Salehs öffnet der „Al Kaida auf der Arabischen Halbinsel“ (AKAH) ungeahnte neue Chancen.
Wie immer der Aufstand der Opposition auch enden mag, AKAH, die sich aus jemenitischen und aus Saudi-Arabien vertriebenen Jihadisten, sowie einigen Gesinnungsgenossen aus anderen islamischen Ländern zusammensetzt, bieten sich nun ungeahnte neue Chancen, die für die Al-Kaida nach Pakistan wichtigste Basis entscheidend auszuweiten.
Gelingt es dem Überlebenskünstler Saleh, sich noch einige Monate an der Macht zu halten, dann wird er jedoch kaum die in den vergangenen Wochen verlorene Kontrolle über weite Landesteile und insbesondere über die unterdessen gespaltenen Streitkräfte voll zurück gewinnen können. Zieht er sich zurück, wird es lange dauern, um das sich öffnende Machtvakuum zu füllen und mit einem ordnungsgemäßen Übergang zu einem modernen Staat auch nur zu beginnen. Viele befürchten, der Jemen, ein Land mit einer Bevölkerung von 23 Millionen und – nach Berichten – 60 Millionen Schusswaffen, könnte sich in einem endlosen Bürgerkrieg selbst zerfleischen.
Die USA stehen im Jemen vor einem großen Dilemma. Denn Saleh hatte sich insbesondere in den vergangenen eineinhalb Jahren als extrem williger Partner im Anti-Terror-Krieg erwiesen, nachdem er zunächst Al-Kaida weitgehend gewähren ließ, ja sie sogar immer wieder bei der Verfolgung seiner höchsten Prioritäten – dem Kampf um die Einheit des Landes und seine Macht – einsetzte, etwa gegen südjemenitische Separatisten oder gegen die schiitischen Huthi-Rebellen im Norden. Doch seit 2009 gestattete er den Amerikanern eine stete Ausweitung ihres Luftattacken gegen vermeintliche Al-Kaida-Stützpunkte, bei denen immer wieder unzählige Zivilisten ums Leben kamen und die die ohnedies wenig amerika-freundliche Bevölkerung zunehmend gegen die Supermacht aufbrachte. Ihre Anti-Terror-Operation haben die USA nun offenbar angesichts der internen Turbulenzen eingestellt. Dass ein Nachfolgeregime ihnen ähnlich großen Aktionsraum bietet, erscheint höchst unwahrscheinlich. Hält sich Saleh noch länger an der Macht, könnte der Zorn in der Bevölkerung auch auf die den Diktator stützende Supermacht mehr und mehr Menschen in die Arme der islamistischen Extremisten treiben.
In jedem Fall hat AKAH begonnen, ihre Positionen in Gebieten auszubauen, die mehr und mehr der Kontrolle des Präsidenten entgleiten, während Saleh Armee-Einheiten zur Verteidigung seiner Macht nach Sanaa ruft. Ende März übernahm AKAH gemeinsam mit der „Aden-Abyan Islamischen Armee“ (AAIA) die Kontrolle über Jaar, die historischen Hauptstadt der südlichen Provinz Abyan, in der auch eine große Waffenfabrik steht. AAIA setzt sich aus Mudschaheddin zusammen, die in den frühen 90er Jahren aus Afghanistan heimgekehrt waren, zunächst das Regime Saleh unterstützt hatten, sich jedoch schließlich mit ihm überwarfen und sich im Südjemen für einen unabhängigen Staat engagieren. Sie misstrauen AKAH, die dieses nationalistische Ziel nicht verfolgt, doch der gemeinsame Feind könnte sie mehr und mehr einen und stärken.
Die Warnung Salehs, sein Rücktritt werde AKAH enorm stärken und den Jemen in eine „Zeitbombe“ verwandeln, tun die jugendlichen Demonstranten, die all die Brutalitäten des Diktators bisher nicht von ihren friedlichen Aktionen abschrecken konnten, jedoch als machterhaltende Taktik ab. „Saleh übertreibt“, betont Adel al-Sarabi, einer der Oppositionssprecher. „Er wird gehen und wir sind der neue Jemen.“
Fest steht jedoch, dass militante Gruppen sich umso freier bewegen können, je mehr die staatliche Autorität zerfällt. Und sie gewinnen enorme Möglichkeiten, Geld und Waffen zu erobern, je länger dieses Chaos anhält.
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von Birgit Cerha
Während die Gewalt den Jemen, dieses strategisch so wichtige Land am Roten Meer, mehr und mehr in Flammen setzt und sich die USA vom schwer bedrängten Präsident Saleh, ihrem langjährigen engen Partner im Anti-Terrorkrieg nach langem Zögern zu distanzieren beginnen, steht fest: dem arabischen Armenhaus bieten sich nur schlechte Optionen und damit zugleich auch der westlichen Welt. Denn der Jemen beherbergt den aggressivsten Zweig des Al-Kaida Terrornetzwerkes, das in den vergangenen eineinhalb Jahren seine tödlichen Fühler nach Europa und bis in die USA ausstreckte. Zunächst allerdings ohne Erfolg. Doch die nun schon wochenlang anhaltende Rebellion freiheits- und demokratiehungriger Jemeniten gegen die Diktatur Salehs öffnet der „Al Kaida auf der Arabischen Halbinsel“ (AKAH) ungeahnte neue Chancen.
Wie immer der Aufstand der Opposition auch enden mag, AKAH, die sich aus jemenitischen und aus Saudi-Arabien vertriebenen Jihadisten, sowie einigen Gesinnungsgenossen aus anderen islamischen Ländern zusammensetzt, bieten sich nun ungeahnte neue Chancen, die für die Al-Kaida nach Pakistan wichtigste Basis entscheidend auszuweiten.
Gelingt es dem Überlebenskünstler Saleh, sich noch einige Monate an der Macht zu halten, dann wird er jedoch kaum die in den vergangenen Wochen verlorene Kontrolle über weite Landesteile und insbesondere über die unterdessen gespaltenen Streitkräfte voll zurück gewinnen können. Zieht er sich zurück, wird es lange dauern, um das sich öffnende Machtvakuum zu füllen und mit einem ordnungsgemäßen Übergang zu einem modernen Staat auch nur zu beginnen. Viele befürchten, der Jemen, ein Land mit einer Bevölkerung von 23 Millionen und – nach Berichten – 60 Millionen Schusswaffen, könnte sich in einem endlosen Bürgerkrieg selbst zerfleischen.
Die USA stehen im Jemen vor einem großen Dilemma. Denn Saleh hatte sich insbesondere in den vergangenen eineinhalb Jahren als extrem williger Partner im Anti-Terror-Krieg erwiesen, nachdem er zunächst Al-Kaida weitgehend gewähren ließ, ja sie sogar immer wieder bei der Verfolgung seiner höchsten Prioritäten – dem Kampf um die Einheit des Landes und seine Macht – einsetzte, etwa gegen südjemenitische Separatisten oder gegen die schiitischen Huthi-Rebellen im Norden. Doch seit 2009 gestattete er den Amerikanern eine stete Ausweitung ihres Luftattacken gegen vermeintliche Al-Kaida-Stützpunkte, bei denen immer wieder unzählige Zivilisten ums Leben kamen und die die ohnedies wenig amerika-freundliche Bevölkerung zunehmend gegen die Supermacht aufbrachte. Ihre Anti-Terror-Operation haben die USA nun offenbar angesichts der internen Turbulenzen eingestellt. Dass ein Nachfolgeregime ihnen ähnlich großen Aktionsraum bietet, erscheint höchst unwahrscheinlich. Hält sich Saleh noch länger an der Macht, könnte der Zorn in der Bevölkerung auch auf die den Diktator stützende Supermacht mehr und mehr Menschen in die Arme der islamistischen Extremisten treiben.
In jedem Fall hat AKAH begonnen, ihre Positionen in Gebieten auszubauen, die mehr und mehr der Kontrolle des Präsidenten entgleiten, während Saleh Armee-Einheiten zur Verteidigung seiner Macht nach Sanaa ruft. Ende März übernahm AKAH gemeinsam mit der „Aden-Abyan Islamischen Armee“ (AAIA) die Kontrolle über Jaar, die historischen Hauptstadt der südlichen Provinz Abyan, in der auch eine große Waffenfabrik steht. AAIA setzt sich aus Mudschaheddin zusammen, die in den frühen 90er Jahren aus Afghanistan heimgekehrt waren, zunächst das Regime Saleh unterstützt hatten, sich jedoch schließlich mit ihm überwarfen und sich im Südjemen für einen unabhängigen Staat engagieren. Sie misstrauen AKAH, die dieses nationalistische Ziel nicht verfolgt, doch der gemeinsame Feind könnte sie mehr und mehr einen und stärken.
Die Warnung Salehs, sein Rücktritt werde AKAH enorm stärken und den Jemen in eine „Zeitbombe“ verwandeln, tun die jugendlichen Demonstranten, die all die Brutalitäten des Diktators bisher nicht von ihren friedlichen Aktionen abschrecken konnten, jedoch als machterhaltende Taktik ab. „Saleh übertreibt“, betont Adel al-Sarabi, einer der Oppositionssprecher. „Er wird gehen und wir sind der neue Jemen.“
Fest steht jedoch, dass militante Gruppen sich umso freier bewegen können, je mehr die staatliche Autorität zerfällt. Und sie gewinnen enorme Möglichkeiten, Geld und Waffen zu erobern, je länger dieses Chaos anhält.
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