Sonntag, 17. April 2011

ÄGYPTEN: Militär wagt den Bruch mit dem Mubarak-Regime

Demontage der Institutionen der Diktatur öffnet der Demokratie-Bewegung neue Chancen – Doch die Vision eines neuen Ägypten fehlt


von Birgit Cerha

Und wieder feiert die „Koalition der Jugend der Revolution vom 25. Januar“ einen Triumph. Unter dem steten Druck der sich nach Freiheit sehnenden ägyptischen Aktivisten hat der herrschende Militärrat nach zweimonatigem Zögern nun einen dramatischen Schritt nach dem anderen gesetzt. Der gestürzte Präsident Hosni Mubarak und seine beiden Söhne sitzen wegen des Verdachts schweren Machtmissbrauchs und illegaler Bereicherung in Milliardenhöhe in Untersuchungshaft - eine außerordentliche Entwicklung in diesem Teil der Welt, wo Präsidenten und Potentaten nach Jahrzehnten der Repression und Korruption traditionell der Gerechtigkeit zu entgehen pflegten. Ja ägyptische Medien spekulieren gar, der gesundheitlich schwer angeschlagene Ex-Präsident könnte wegen der Tötung von mehr als 800 friedlichen Demonstranten exekutiert werden, sollte sich herausstellen, dass er dazu Befehle erteilt hatte.
Der Festnahme der Mubaraks und mehr als einem Dutzend führender Männer des Regimes folgte nun am Wochenende die Auflösung der seit mehr als drei Jahrzehnten das politische Leben dominierenden „Nationalen Demokratie-Partei“ (NDP), die weniger einer politischen Bewegung als einem sich auf Kosten des Volkes unverschämt bereichernden Club von Opportunisten glich. Der Militärrat hat damit zwei der wichtigsten Forderungen der jugendlichen Aktivisten erfüllt und so seinem Anspruch, Ägypten auf den Weg zu einer pluralistischen Demokratie zu führen, etwas Glaubwürdigkeit verliehen. Denn wäre eine intakte NDP in die für September geplanten Parlamentswahlen gezogen, hätte mit ihrem riesigen, perfekt durchorganisierten Apparat die sich erst mühselig neu formierenden demokratischen Bewegungen hoffnungslos in die Defensive gedrängt und das neue Parlament wieder dominiert. Das Tor zu einem demokratischen System am Nil wäre damit wohl weiterhin geschlossen geblieben.

Die durch wochenlangen Reformstillstand tief frustrierte Demokratiebewegung schöpft nun neue Hoffnung. Doch noch lebt das Misstrauen gegenüber den herrschenden Militärs, die sich zwar verbal hinter die Forderungen der Revolution gestellt, doch so lange nicht begonnen hatten, diese zu verwirklichen, fort. Ägyptens Offizierskorps ist eine zutiefst traditionalistische Institution, die sich keineswegs als Speerspitze der Reformer eignet. Stabilität – und nicht demokratisches Experiment - ist ihr höchstes Anliegen. Im herrschenden Militärrat sitzen nicht die Männer, die eine Vision für ein modernes, pluralistisches Ägypten entwickeln können. Bisher haben sie nur reagiert. So folgt die Festnahme der Mubaraks offenbar dem Bruch eines Versprechens, dass der Ex-Präsident vor seinem Abtritt gegeben hatte: totale politische Enthaltsamkeit, dann könnte die Familie unangetastet in ihrem Ferienheim in Scharm el Scheich leben. Doch der Sohn Gamal engagierte Schlägertrupps um den chaotischen Boden für eine Konterrevolution zu bereiten, während der Vater sich das Satellitenfernsehen Al-Arabiya gegen die schweren Korruptionsvorwürfe verteidigte.

Auch die Methodik der Offiziere gibt Anlass zu Pessimismus: Zwei Menschen starben vor einer Woche, als Soldaten brutal Demonstranten vom Kairoer Tahrir-Platz verjagten. Und, ganz wie zu Mubaraks Repressionszeiten wurde dieser Tage der 25-jährige Blogger Maikel Nabil wegen der Verbreitung falscher Informationen über die Streitkräfte zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Nabil hatte geklagt, dass „die Diktatur immer noch hier ist“ und sich Hunderte Zivilisten in den vergangenen zwei Monaten vor Militärtribunals verantworten mussten. Mubarak ist zwar seiner Freiheit beraubt, doch sein Geist weht immer noch über dem Nil. Da nützt es – vorerst – wenig, wenn die Offiziere nun über große Publikationen wie Al-Ahram eine Imagekampagne starten, um der Bevölkerung klarzumachen, dass ihr Zögern, ihre Vorsicht „patriotischen“ Ansinnen entsprängen und dass sie keinerlei Absicht hegten, das Land über eine kurze Übergangsperiode hinaus zu regieren.

Unabhängige politische Beobachter in Kairo warnen allerdings, dass eine wachsende Kluft zwischen der Bevölkerung und den Streitkräften selbst zaghafte Reformen blockieren und das Land ins Chaos stürzen könnten. Der Weg dazu ist nicht weit. Die Sicherheitslage verschlechtert sich zusehends, Kriminalität nimmt dramatisch zu, viele Touristen, die der Ökonomie zu ihrem Rückgrat verhelfen, bleiben aus, die Wirtschaft stagniert, soziale Nöte steigen. So warnt denn auch der führende Demokratie-Aktivist Wael Ghonim: „Wenn die Menschen ihre Grundbedürfnisse nicht mehr zu erfüllen vermögen, dann sich könnte die Konterrevolution ereignen.“

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