Mehr als 200 Baath-Funktionäre scheiden aus – Doch die Stützen des Regimes – Sicherheitskräfte und Assad-Familie – bleiben vorerst stark
von Birgit Cerha
Bewohner von Deraa, der südsyrischen Wiege der Rebellion, berichten von unvorstellbarem Grauen: In den Straßen der Stadt liegen die Leichen, die Angehörige nicht zu bergen wagen, aus Angst, die Sicherheitskräfte des Regimes könnte ihnen das selbe Schicksal erteilen. Mindestens 500 Menschen mussten seit Beginn der friedlichen Demonstrationen für politische Reformen bereits laut Menschenrechtsgruppen ihr Leben lassen. Aus den Kasernen rollten überall im Land die Panzer an und nun richtet sich der Zorn der Menschen mehr und mehr gegen Präsident Bashar el Assad. „Dies ist seine Art von Reform“, so der sarkastische Kommentar eines Amateur-Kameramannes aus Deraa. „Er reformiert mit Hilfe von Panzern.“
Die Brutalität der von Bashars jüngerem Bruder Maher kommandierten „Vierten Armeedivision“ überschreitet mehr und mehr die Toleranzgrenze selbst treuer Akteure des Regimes. Rund 200 Funktionäre der herrschenden Baath-Partei aus Süd-Syrien legten Donnerstag in Protest gegen die Gewalt ihre Ämter nieder. Zuvor waren bereits 30 Baath-Funktionäre wegen eines Blutbades in der nordwestlichen Küstenstadt Baniyas zurückgetreten. Sie beschuldigen die Sicherheitskräfte Feuer auf Wohnhäuser, Moscheen und Kirchen zu eröffnen, um einen Bürgerkrieg zu provozieren.
Protestaktionen von Angehörigen der seit 1963 das Land dominierenden Baath sind eine Seltenheit und sind allein deshalb als bedeutsam zu werten. Oppositionskreise schöpfen Hoffnung, dass dies die ersten Anzeichen für einen Zusammenbruch des Regimes sein könnten. Sie berichten auch von blutigen Kämpfen in Deraa zwischen Mahers Kommandanten und einfachen Soldaten, die sich geweigert hätten, Schussbefehle auf Zivilisten zu befolgen. Finden solche Zwischenfälle – sollten sie sich als wahr erweisen – auch in anderen Städten eine Fortsetzung, könnten sie tatsächlich Assads Herrschaft ernsthaft gefährden. Doch noch ist nicht klar, ob diese Gerüchte bloßem Wunschdenken entspringen.
Die Anzeichen sprechen vielmehr dafür, dass Assad immer noch die Zügel der Macht fest in Händen hält, die Kontrolle über die beiden wichtigsten Stützen des Regimes – die Sicherheitskräfte und seine Familie – nicht verloren hat. Bashar hat dieses dichte und geheime Netz von Sicherheitsdiensten geerbt, das einst sein Vater nach seiner Machtübernahme 1971 zu einem Ungeheuer geflochten hatte, um internen Widerstand gegen die Familienherrschaft der Assads im Keim zu ersticken. Vier große und unzählige kleinere Geheimdienste bespitzeln und terrorisieren die Bevölkerung und einander gegenseitig, eifersüchtig über ihren jeweiligen Interessensbereich wachend. Hauptaufgabe der Armee ist seit 40 Jahren die Machterhaltung der Assads. Um sich die Loyalität des Offizierskorps zu sichern, rekrutierte Hafez die Kommandanten unter seiner alawitischen, sowie anderen Minderheiten (Drusen, Christen, Ismailiten), deren Treue ihm im Falle eines Konflikts mit der sunnitischen Bevölkerungsmehrheit sicher schien. Zugleich stattete er die Führung der Streitkräfte und Geheimdienste mit enormen Privilegien aus. So verbot er etwa in den 90-Jahren den Import von Tabak, um Armeekommandanten den höchst lukrativen Schmuggel nach Syrien und damit quasi ein Monopol zu sichern. Ebenso gestattete er Offizieren, Dollar zum offiziellen Kurs zu kaufen und diese zu dem weit höheren inoffiziellen Kurs wieder zu veräußern.
Bashar wurde in eine durch die Macht korrumpierte Familie hineingeboren, die das Land mit einigen Getreuen fest im Griff hält. Bruder Maher gilt als der zweitmächtigste Mann, der neben der vierten Armeedivision auch noch die Elite-Einheit der Republikanischen Garden – beide fast ausschließlich aus Alawiten zusammengesetzt – kommandiert. Der studierte Ökonom zählt heute neben seinem Schwager Asef Schaukat, dem Stellvertretenden Stabschef der Streitkräfte und einer der führenden Sicherheitschefs, zu den gefürchtetsten Männern im Land. Beide wurden in vorläufigen UN-Untersuchungsbericht über den Mord an dem ehemaligen libanesischen Premier Rafik Hariri 2005 verdächtigt, das Attentat geplant zu haben. Es wird auch Mahers Einfluß zugeschrieben, dass Bashar der nach seiner Machtübernahme 2000 eingeleitete politische Öffnung rasch ein Ende setzte. Maher gilt als charakterlich instabil und soll vor einigen Jahren in einem Familienstreit Schaukat in den Magen geschossen haben.
Bashars Vetter Rami Maklouf besitzt enorme Anteile an Syriens Öl-, Gas und Tourismusindustrie. Er besitzt „Syriatel“, die größte Mobiltelefongesellschaft, Freihandelszonen, Baufirmen, eine Fluggesellschaft und u.a. ein Importunternehmen für Luxuslimousinen. Maklouf ist Hauptziel von Kritikern an der massiven Korruption und Vetternwirtschaft der Assad-Familie und Kenner der syrischen Szene sind überzeugt, dass keine ausländische Firma ohne seine Zustimmung im Land Fuß fassen kann. Nach einer Erklärung des US-Finanzministeriums, das 2008 Amerikanern wirtschaftliche Kontakte mit Maklouf verbot und dessen Vermögenswerte in den USA einfror, manipulierte Bashars Cousin zur Einschüchterung von Geschäftsrivalen das syrische Jusdtizsystem und setzt zu diesem Zweck auch Geheimagenten ein. Bashars Anti-Korruptionskamagne kann seinem Tun nichts anhaben.
Im März, so heißt es aus informierten Kreisen, soll der Familienrat beschlossen haben, mit voller Härte die Rebellion niederzuschlagen.
Donnerstag, 28. April 2011
SYRIEN: Erste Sprünge in Syriens Machtsystem
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