Donnerstag, 29. Januar 2009

Birgit Cerha: Irak setzt den Auftakt zur Veränderung

Provinzwahlen bringen neue Kräfte ins politische Spiel und sind zugleich ein Votum für oder gegen den neuen „starken Mann“: Premier Maliki
Derartiges hat die Metropole am Tigris noch nie gesehen. Plakatwände, Häuserfassaden, Stadtplätze sind bepflastert mit Tausenden Porträts von Männern und Frauen, die sich kommenden Samstag dem jahrzehntelang durch einen Despoten geknechteten Volk zur Wahl stellen. Erstmals seit 2003 wagen die Kandidaten ihre Identität zu enthüllen, werden die Wähler zumindest die Gesichter jener kennen, denen sie ihre Stimmen geben. Bei allen vorangegangenen Urnengängen hielten sich die Bewerber aus Angst vor Terror und Mord vollends im Hintergrund.

Das Zweistromland ist vom Wahlfieber gerüttelt. Mehr als 14.400 Kandidaten (davon etwa ein Viertel Frauen) von rund 400 politischen Gruppen, und viele Unabhängige. bewerben sich um 440 Sitze in 14 Provinzräten. Tausende von der UNO berufene Beobachter sorgen dafür, dass sich Betrug und Schwindel wenigstens in Grenzen halten.

Die Wahlen setzen den Auftakt zu wichtigen Urnengängen – einem Referendum über das im Dezember unterzeichnete amerikanisch-irakische Sicherheitsabkommen und Parlamentswahlen im Dezember, die die politische Landschaft grundlegend verändern werden. Sie sind zugleich ein wichtiger Schritt zur politischen Stabilität, denn sie bieten den Irakern erstmals die Chance einer fairen Repräsentation aller Bevölkerungsgruppen auf lokaler und schließlich auch auf nationaler Ebene. Die Provinzwahlen im Januar 2005 hatten die arabischen Sunniten und die Schiiten des anti-amerikanischen Geistlichen Moqtada Sadr boykottiert. Die die Regierungskoalition in Bagdad dominierenden Parteien konnten damit auch ungeachtet der lokalen Verhältnisse die Provinzräte weitgehend unter ihre Kontrolle bringen. Diese Entwicklung nährte blutigen Terror.

Diesmal haben sich die Sunniten zur vollen Teilnahme entschlossen und setzen damit einen wichtigen Schritt zur Eingliederung in den politischen Prozess, dem sie aus Ärger über ihren Sturz von Macht und Verlust von Privilegien bisher weitgehend ferngeblieben waren.

Die Tatsache, dass die Wahlen überhaupt stattfinden, ist schon ein Erfolg auf dem mühseligen Weg zur Demokratie. Fast wären sie am Zankapfel Kirkuk gescheitert. Nun bleiben die Provinz Tamin mit der Hauptstadt Kirkuk und die drei autonomen Kurdenprovinzen Dohuk, Erbil und Suleimaniya zunächst von den Wahlen ausgeschlossen, bis man eine Lösung für die umstrittene Ölstadt gefunden hat: Anschluss an das autonome Kurdistan, selbst autonom oder unter Kontrolle der Zentralregierung.

Heiß umstritten ist auch die Region um Iraks zweitgrößte Stadt, Basra, das wichtigste Öl- und Wirtschaftszentrum. Basra hält die Schiitenpartei Fadhila, eine Splittergruppe der Sadr-Bewegung, unter Kontrolle, während die meisten der neun süd-irakischen überwiegend schiitischen Provinzen vom „Höchsten islamischen Rats des Iraks“ (SIIC), stärkster Koalitionspartner von Premier Malikis Dawa-Partei. Diese beiden Regierungsparteien treten erstmals nicht als Wahlbündnis auf, womit sich ihre wahre Stärke erkennen lassen dürfte. Gelingt es SIIC ihre Position im Süd-Irak weiter auszubauen, will sie den Prozeß zur Bildung einer großen autonomen Schiitenregion einleiten, von dem ihre Gegner befürchten, er würde den Irak zerreißen.

Sadr stellte zwar keine eigenen Kandidaten auf, unterstützt aber Unabhängige und könnte auf diese Weise durch seine große Popularität unter den Massen der armen Schiiten den Siegeszug von SIIC, aber auch von Maliki vereiteln.
Wiewohl er selbst nicht zur Wahl steht, sind diese Wahlen ein bedeutender Test für Maliki.

Seit Monaten versucht der lange ungeliebte Regierungschef zunächst im Süd-Irak und dann im Norden, Stämme durch Geldzuwendungen und andere Vergünstigungen hinter sich zu scharen, sie mit Waffen auszustatten, um sich damit eine Hausmacht, aber auch eine eigene Miliz aufzubauen. Maliki hofft, dass die von ihm angeführte „Koalition des Rechtsstaates“ wichtige Positionen in den Provinzräten erobern und damit seine Wiederwahl bei den Parlamentswahlen im Dezember sichern wird. Die Provinzräte sind mit beträchtlicher Macht ausgestattet. Sie wählen den Gouverneur, üben entscheidenden Einfluss bei der Ernennung des Polizeichefs, kontrollieren das Provinzbudget und Wiederaufbauprojekte.

Maliki ist entschlossen, gegen den Widerstand von SIIC und seinen kurdischen Koalitionspartnern die Macht der Zentralregierung zu stärken und viele fürchten, der Premier, der sich dank des Rückgangs der Gewalt im Land, Popularität verschafft hat, könnte sich zum „neuen starken Mann“ aufbauen.

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Mittwoch, 28. Januar 2009

Arnold Hottinger: NACHWORT zu dem Buch „Checkpoint Huwara“ von Karin Wenge, erschienen in NZZ- Verlag.

Nablus, sagt der Soldat Shai, sei die Hölle und Balata noch mehr als die Hölle. Man muss zustimmen. Allerdings handelt es sich um eine Hölle auf Erden, von Menschen gemacht, unvollkommen verglichen mit jener im Jenseits, die Dante schildert. Die Teufel, die hier auftreten, um die Schuldigen zu plagen, sind nur Menschen, nicht echte Inkarnationen des Bösen, und die Schuldigen und Angeschuldigten sind auch Menschen, nicht reine Unmenschen und Missetäter. Dazu kommt, dass die Unschuldigen, die mitbestraft werden, eine vielfache Zahl der Schuldigen ausmachen, von denen man möglicherweise behaupten könnte, dass sie Strafe verdienten.
Der menschliche Ursprung dieser Hölle ist auch daran erkenntlich, dass alle Beteiligten ihr eigenes Verhalten stets zu entschuldigen trachten. Die Kämpfer-Terroristen behaupten, es gebe für sie und für ihr ganzes Volk keinen anderen Weg. Die israelische Gegenseite begreife nur dann, was sie den Palästinensern antue, wenn sie selbst vergleichbares zu spüren bekomme. Die Repressionsorgane der Besetzungsarmee glauben, sie handelten, um ihrem Volk jenseits der Mauer Sicherheit zu verschaffen. Sie wissen nicht, oder wollen nicht wissen, dass sie in Wirklicheit eingesetzt werden, um die Macht Israels den 4 Millionen Palästinensern aufzuzwingen, die unter dem Zugriff der Besetzungsmacht leben müssen und um diesen 4 Millionen möglichst viel ihres Landbesitzes zu entreissen. Die in den Diskussionen wenig erwähnte aber unübersehbare Präsenz der immer zunehmenden Siedler beweist diese Tatsache.
Höllen, die Menschen aufgebaut haben, können theoretisch auch von Menschen wieder abgebaut werden. Ein Weg, um diesem Ziel näher zu kommen, bestünde daraus, genauere Kenntnis davon zu erlangen, wie die heutige Hölle zustande gekommen ist. - Es fällt auf, dass die Palästinenser heute zurückschauen auf die Zeit vor der ersten Intifada (diese dauerte von Dezember 1987 bis 1993) als eine gute Zeit, in der man noch leben konnte. Viele von ihnen verdienten Geld in Israel. Das war harte Arbeit aber möglich. Damals konnten auch die Israeli nach den besetzten Gebieten reisen und sich dort als Touristen und Geschäftsleute umsehen. Die Palästinenser durften nach Jerusalem fahren und in ganz Israel Arbeit suchen. Es gab schon damals einen Befreiungskampf der Palästinenser, der mit der Gründung der PLO 1965 begonnen hatte. Doch dieser Befreiungskampf wurde nicht von den „Palästinensern des Inneren“ getragen, den Bewohnern der seit 1967 besetzten Gebiete. Es waren die „Palästinenser des Äusseren“, die Vertriebenen aus dem Jahr 1948 und ihre Kinder, heute zu mehr als vier Millionen Menschen angewachsen, aus deren Reihen die Kämpfer stammten, die damals versuchten, in die von Israel beherrschten Gebiete einzudringen und dort einen Guerrilla Krieg zu entfachen.
Nach der Niederlage der arabischen Nachbarstaaten, Syrien, Ägypten, Jordanien im Sechstagekrieg von 1967 wurde die PLO zum Hoffnungsträger der gesamten arabischen Welt. Von ihren Aktionen erhofften und erwarteten die arabischen Völker zuversichtlich, dass sie die Übermacht Israels in ihrer Region brechen oder wenigstens eindämmen könnten. Doch die PLO wurde aus den arabischen Nachbarstaaten, einem nach dem anderen, blutig entfernt. Dies bewirkten zum Teil die Retaliationsschläge Israels auf die arabischen Staaten, von denen aus die PLO ihre Infiltrationen durchführte, teils aber auch die arabischen Staaten selbst, weil die bewaffneten Gruppen von Freischärlern ihre Souverainität immer mehr einschränkten. Im „Schwarzen September“ von 1970 vertrieb die jordanische Armee die Palästinakämpfer aus Jordanien. 1982 erzwang ein israelischer Kriegszug, der die israelischen Tanks bis nach Beirut brachte, ihre Entfernung aus Libanon.
Die Palästinenser des Inneren, das heisst die der besetzten Gebiete, fanden sich weiter unter israelischer Besetzung, doch alle Hoffnung, dass sie jemals von aussen her befreit werden könnten, war geschwunden. In dieser neuen Lage griffen sie zu Steinen, um deutlich zu machen, dass sie nicht ewig besetzt bleiben wollten. Anlass zur ersten „Intifada“ (Erhebung) hatte ein den Palästinensern verdächtig erscheinender Autounfall in Eretz, dem Übergang vom Gazastreifen nach Israel, gegeben, in dem vier Palästinenser umkamen und sieben schwer verletzt wurden. Die Israeli waren über den Aufstand ebenso überrascht wie empört. Rabin gab Befehl „Arme und Beine zu brechen“, was auch geschah. Die bisher überwiegend passive Gesellschaft der Palästinenser des Inneren organisierte sich als Gesellschaft des Widerstandes. Der Umstand, dass dieser Widerstand mit Steinen ausgekämpft wurde und nicht mit Gewehrkugeln, aber dennoch auf den ganzen brutal eingesetzten Machtapparat Israels stiess, brachte der Erhebung beträchtliche Sympathien in der Aussenwelt ein. Doch über die Jahre nützte sich die Bewegung ab. Sie kam nicht zum Erliegen, aber sie litt zunehmend unter inner-palästinensischen Kämpfen und Gewalttaten, weil die israelischen Geheimdienste immer mehr palästinensische Spitzel einsetzten und der Widerstand diese blutig zu eliminieren versuchte, wobei er wohl manchmal auch Unschuldige traf.
Der sogenannte Friedensprozess (1993 bis 2000) löste die absterbende Intifada ab. Er wurde wiederum von den Palästinensern des Äusseren getragen. Die PLO, seit 1982 von Palästina weit weg nach Tunesien und Yemen entfernt, entschloss sich, Israel anzuerkennen. Arafat wurde gezwungen, eine Formel in diesem Sinn nachzusprechen, die ihm Washington vorschrieb. Als Gegenleistung glaubte er, die Zusage erhalten zu haben, einen palästinensischen Staat in den Besetzten Gebieten zu errichten. Dies sollte schrittweise über fünf Jahre geschehen. Doch es erwies sich: die Verträge des Friedensprozesses waren so formuliert, dass die israelische Seite immer im Stande war, der palästinensischen Auffassung eine Gegeninterpretation entgegenzustellen. Die PLO glaubte die Zusage erhalten zu haben, dass ein echter Staat in allen Besetzten Gebieten, einschliesslich Ostjerusalems, als Endziel des „Friedensprozesses“ verwirklicht werde. Doch Israel legte die unbestimmt
formulierten Verträge so aus, dass weniger als ein Staat in weniger als den Besetzten Gebieten versprochen sei. Statt von einem Staat sprachen die Israeli von einer „Entität“, und es zeigte sich, dass sie darunter mehrere nicht zusammenhängende Territorien innerhalb des Westjordanlandes verstehen wollten, die nur beschränkte Autonomie und keinerelei Hoheitsrechte über ihre eigenen Grenzen besitzen sollten.
Was Jerusalem angehe, sei es nun Israel geworden, sagten die Israeli,obwohl im besetzten Ostjerusalem weiterhin gegen 150 000 Palästinenser lebten. Sie wurden unter Druck gesetzt, aus Jerusalem zu verschwinden. Und in den Besetzten Gebieten gab es immer mehr Siedler in immer wachsenden Siedlungen. 1993 zu Beginn des „Prozesses“ waren sie rund 100 000; ihre Zahl war auf über 200 000 gewachsen, als der„Prozess“ im Jahre 2000 zusammenbrach. Seither ist sie um gute 60 000 weiter gewachsen.

Da Israel der ungleich stärkere Partner war und die Vereinigten Staaten, die stets als der einzige Vermittler auftraten, so gut wie nie gegen Israel sprachen, war Israel in der Lage, seine Sicht der Dinge immer erneut durchzusetzen. Der „Prozess“, der vertraglich auf fünf Jahre festgelegt war, dauerte acht Jahre. Im Jahre 2000 brach er in Camp David zusammen. Arafat sollte unter heftigem Druck der Amerikaner und Israeli gezwungen werden, einen endgültigen Friedensvertrag zu unterschreiben, nachdem jahrelang die Hauptfragen, die den geplanten Staat betrafen, systematisch zurückgestellt worden waren. Sie waren: Wer erhält Ostjerusalem? Was geschieht mit den Siedlern? Entsteht ein Staat, oder weniger als ein Staat?, welche sind seine Grenzen? Wer kontrolliert diese Grenzen? Was geschieht mit den Vertriebenen und Flüchtlingen aus den Jahren 1948 und 1967, die ein von der Uno verbrieftes Recht auf Heimkehr oder Kompensation besitzen? Arafat, der schon einmal zu seinem Nachteil zweideutig formulierte Verträge unterzeichnet hatte, forderte mehr Zeit und eindeutigere Verhandlungsergebnisse. Doch Zeitdruck, gegeben durch die amerikanische und die israelische politische Agenda, die Präsidentenwahlen und die politischen Wahlen in Israel, führte zum Abbruch der Verhandlungen.
Kaum war es dazu gekommen, begann eine israelische und amerikanische Propaganda Kampagne, um Arafat die „Schuld“ am Zusammenbruch der Verhandlungen zuzusprechen.. Sie fand viel Glauben in Europa und der übrigen Aussenwelt. Die gegenteilige, besser begründete Sicht der palästinensischen Unterhändler fand kaum Gehör.
Israel trat in die Vorwahlperiode ein. Zu den Wahlmaneuvern gehörte der „Spaziergang“ Sharons auf dem Gelände der Aqsa Moschee von Jerualem, begleitet von 1000 Bewaffneten, der am 28. September 2000 stattfand. Damals bezeichneten sogar die Amerikaner dieses Vorgehen als eine Provokation. Bei Provokationen gibt es immer den Provokateur und den Provozierten. Der Provozierte begeht einen Fehler, wenn er sich provozieren lässt. Der Provokateur jedoch einen zutiefst unmoralischen Akt, weil er darauf ausgeht, bestehende Spannungen zu vertiefen, um den dadurch ausgelösten Streit oder noch lieber das Blutvergiessen zu seinen Gunsten auszunützen, gleichgültig wieviele Opfer dies kosten wird. Das damals erfolgreich ausgelöste Blutvergiessen hat bis heute nicht aufgehört, neue blutige Opfer zu kosten. Es erhielt den Namen einer „zweiten Intifada“ ( seit 2000 bis heute). Sie fiel blutiger aus als die erste, die im wesentlichen nur durch Steinwürfe vorgetragen wurde. Die seit 1993 entstandene palästinensische Polizei besass leichte Schusswaffen, und es gab Gruppen unter den Palästinensern, die davon Gebrauch machten. Die Israeli brachen mit der geballten Macht ihrer modernen, hoch ausgerüsteten Streitkräfte in die Westjordangebiete und nach Gaza ein. Sharon wurde zum neuen Regierungschef. Er beschloss einen Plan zu verwirklichen, den er schon Jahre zuvor gefasst hatte. Dieser beruhte auf einer „einseitigen Lösung“ des Streites um die Besetzten Gebiete. Damit war gemeint: keine Verhandlungslösung sondern ein israelisches Diktat. Sein Inhalt war dadurch bestimmt, dass Sharon erkannte: die über zwei Millionen Palästinenser im Westjordanland und die anderthalb im Gazastreifen liessen sich nicht einfach beiseite schieben oder sonst beseitigen. Sie waren da, und ihre Zahl wuchs schneller als jene der Israeli. Wenn Israel möglichst viel ihres Landes in Besitz nehmen, die Menschen aber Israel nicht einverleiben wollte, die in dem Lande lebten, musste es versuchen, die Menschen auf enge Gebiete zu konzentrieren und zugleich möglichst weite Zonen ihres Landes für sich in Besitz zu nehmen. Dies führte zum Konzept dessen, was die Palästinenser „Bantustans“ nennen: von einander isolierte Konzentrationen der Palästinenser in den dicht besiedelten städtischen und halbstädtischen Gebieten und Inbeschlagnahme des übrigen Landes durch israelische Siedler und den israelischen Staat.
Die Selbstmordbomben, die in den ersten Jahren der Herrschaft Sharons und schon in den Jahren zuvor von palästinensischen Extremisten im israelischen Gebiet ausgelöst wurden und zu zahlreichen Todesopfern führten, veranlassten einen weiteren Plan, der mit dem Batustan Konzept kombiniert wurde: die Abkapselung der palästinensischen Gebiete durch eine Mauer, offiziell „Sicherheitszaun“. Dieses gewaltige Absperrungswerk verläuft nicht auf der „Grünen Linie“ , jener des Waffenstillstands von 1948, die zur international anerkannten Grenze Israels geworden war, sondern auf der palästinischen Seite dieser Grenze, mit tiefen Einbuchtungen, die dazu dienen, möglichst viele der israelischen Siedlungen auf der palästinensischen Seite mit „ihrem“, oft von palästinensischen privaten Besitzern widerrechtlich beschlagnahmten, Land zu umgehen, so dass sie auf die israelische Seite des „Sicherheitszauns“ zu liegen kommen.
Die Westjordangebiete wurden darüber hinaus durch besondere Strassen voneinander getrennt, die nur von den Siedlern und israelischen Fahrzeugen benützt werden dürfen und die zu betreten oder zu überqueren den Palästinensern bei schwerer Strafe verboten ist. Auf den Strassen, die auch Palästinenser benützen dürfen, wurden 160 festungsartige israelische Sperren errichtet (darüber hinaus gibt es auch „fliegende“ Strassensperren) , an denen die Armee langwierige Kontrollen durchführt. Die Bewegungsfreiheit der Palästinenser wurde dadurch weitgehend blockiert. Der Verkehr wurde manchmal gänzlich lahm gelegt, andere male stundenlang aufgehalten, so dass die Wirtschaft der Palästinenser fast völlig zum Erliegen kam. Dies bewirkte einen starken Fall des Sozialproduktes im Westjordangebiet. Heute lebt mehr als die Hälfte der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Viele der Kinder und Frauen sind unterernährt. Arbeitslosigkeit ist der Normalzustand geworden.
Um diese Bantustanlösung im Westjordanland durchführen zu können, schritt Sharon zur Entfernung der relativ kleinen Zahl von 8 000 Siedlern, die im Gazastreifen eingepflanzt worden waren. Dies war, wie sein engster Mitarbeiter Dov Weisglass erklärte, „das Formalin, das nötig war, um zu vermeiden, dass ein politischer Prozess mit den Palästinensern stattfinde“ 1) . Gaza sollte das erste der von den Israeli einseitig festgelegten Bantustans werden. Und wurde es auch. Die dort auf engem Gebiet zusammengedrängten guten anderthalb Millionen Palästinenser wurden wasserdicht von der Aussenwelt abgekapselt. Gaza wurde dadurch in „ein grosses Gefängnis“ verwandelt. Dies trieb natürlich den Extremismus der radikalen Palästinensergruppen weiter voran und half mit, den Wahlsieg der kämpferischen Hamas zu bewirken.
Weil Hamas die Anerkennung Israels ablehnt, boykottierten alle Aussenmächte, die bisher die Flüchtlingsanballung von Gaza unterstützt hatten, die immerhin völlig legal gewählte Hamas Regierung. Die so gesteigerte Not führte zu Kämpfen zwischen den Bewaffneten der PLO und jenen von Hamas, die mit dem Sieg von Hamas in Gaza endeten. Dieser Sieg bedeutete aber auch eine noch engere Einschnürung der dortigen Bevölkerung mit dem zu erwartenden Resultat, dass die nun mittellos gewordenen zivilen Politiker, welche die Kampfpartei bisher angeführt hatten, immer mehr Macht an die bewaffneten Kämpfer von Hamas verloren.
Die Kämpfer sind Leute, die den Verzweiflungskampf gegen Israel mit allen denkbaren Mitteln und ungeachtet der Folgen, auch für die Palästinenser, um jeden Preis fortführen wollen. Sie denken unpolitisch und handeln emotional. Sie werden dadurch zu Partnern der israelischen Rechtsregierungen und fördern deren Programm der Inbesitznahme des Landes Palästina unter möglichster Niederhaltung seiner Bevölkerung. Ein jeder ihrer Anschläge, erfolgreich oder ohne Erfolg, gibt ihren israelischen Gegenspielrn mehr Grund, die Frage der Sicherheit der Israeli hochzuspielen und sie als Vorwand zu benützen, um weitere Massnahmen zum Landraub und zur allseitigen Schwächung der palästinensischen Gesellschaft zu treffen.
Die Kämpfer im Westjordanland bewirken das gleiche. Karin Wenger schildert sie ausführlich. Es besteht eine innere Diskussion unter den Palästinensern, ob die Anschläge nützlich oder verderblich seien. Je brutaler die Besetzungsmächte zugreifen, desto mehr fördern sie die These der Kämpfer, nämlich, dass „die Israeli“ nichts anderes als Gewalt verstünden und dass deshalb ungeachtet aller israelischen und palästinensischen Opfer Terror notwendig sei. Auf diesem Weg setzen die Besatzungssoldaten die ursprüngliche Provokation Sharons fort und vertiefen ihre Wirkung. Ihr Gewinn, so wie ihn die israelischen Rechtsregierungen sehen, liegt darin, dass mehr Terrortaten mehr Vorwand liefern, um mehr Land in Beschlag zu nehmen und die Zersetzung der palästinensischen Gesellschaft weiter voran zu treiben.
Karin Wegner zeigt deutlich auf: beide Seiten, die Täter der Palästinenser und ihre kaum 20 jährigen Niederhalter sind eingebunden in ein System, aus dem sie nicht mehr entrinnen können. Die Terrorkämpfer können so wenig zurück wie die Soldaten. Beide Seiten kommen nicht frei von Gruppenzusammenhängen, von den Hierarchien der sie übersteigenden Organisationen und von den Ängsten, die diese Hierarchien bewusst verbreiten. Auch eine dritte Gruppe, jene der vielen Tausenden von mit allen ausgeklügelten Druckmittteln zu ihrer dreckigen Arbeit gezwungenen Spitzeln, kann nicht mehr zurück. Hier liegt der wahrhaft teuflische Urgrund der menschengemachten Hölle von Nablus und Balata, zu der wir auch Gaza und Hebron hinzurechnen müssen. Es gibt Drahtzieher, welche die heutige Lage angestrebt haben und sie weiter mit aller Kraft aufrecht erhalten. - Warum handeln sie so? Ihre Motive lassen sich nur erahnen: vielleicht eine Mischung von nationalistischem und religiösem Fanatismus, in die ein starker persönlicher Macht- und Karrieretrieb hineinspielt. Dazu kommt die Verzweiflung auf der Seite der Verlierer und das Siegesgefühl auf jener der vermeintlichen Gewinner. Doch die Drahtzieher auf beiden Seiten sind sich wahrscheinlich der Kräfte wenig bewusst, die sie befeuern. Sie verkleiden sie vor sich selbst mit der Behauptung, ihr Handeln sei notwendig, so schmerzlich es sei. Einen anderen Weg gebe es nicht. Dabei gäbe es einen anderen Weg, den einer ehrlichen Zweistaatenlösung; gerade den aber wollen die Drahtzieher nicht. Wer wären sie noch, wenn er begangen würde?
Was aber bewirkt, dass diese Drahtzieher, ebenfalls auf der palästinensischen und auf der israelischen Seite, Zustimmung, Gehorsam, Beifall, Selbstaufopferung bei Mehrheiten ihrer Gesellschaften finden? Auf der israelischen Seite spielt die Angst eine wesentliche Rolle. Aus sehr begreiflichen Gründen ist es sehr leicht, den Israeli Angst vor ihren Feinden einzuflössen. Immerwieder taucht der wenig zutreffende Vergleich ihrer arabischen Gegner mit Hitler auf. - Nie wieder darf es einen Holocaust geben! „Sicherheit“ wird der Vorwand, der die Agressionspolitik radikaler Minderheiten verschleiern kann. Was dabei übersehen wird, ist der Umstand, dass die Feindschaft der dominierten und misshandelten Palästinenser durch diese Behandlung immer neu angefacht wird.
Auf der arabischen Seite ist es in ähnlichem Masse leicht, an das heldische Selbstbild der einfachen Leute zu appellieren. „Wir sind doch Helden; unsere Ehre erfordert es!“ Zunehmend wird jedoch die heroische Selbstsicht durch Verzweiflung ersetzt, die dadurch entsteht, dass die Realität statt aus Heldentum aus Erniedrigungen besteht. Selbstgefordertes Heldentum im Zusammenstoss mit erfahrener und stets wiederholter Dehmütigung führt zu Selbstzweifeln bei Vielen und zu Selbstmordbereitschaft bei Einigen.
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1) Die Erklärung verdient eine ausführlichere Wiedergabe :
Haaretz 8. 10. 04 von Dov Weisglass, zitiert in der Kolonne « Verbatim » in Le Monde vom 8. 10. 2004:
(...) Le désengagement, c’est en fait du formol, c’est la dose de formol nécessaire pour qu’il n’y ait pas de processus politique avec les Palestiniens. (...) A l’automne 2003, nous avons compris que tout était bloqué et que, même si les Américains rendaient les Palestiniens seuls responsables (...), cette situation ne pourrait pas durer, qu’ils ne nous laisseraient pas tranquilles (...), que le temps ne jouait pas en notre faveur. Il y avait une détérioration internationale, et intérieure (...), l’économie stagnait. L’initiative de Genève -pour un accord de paix définitif- était populaire. Et puis il y a eu les lettres d’officiers et de pilotes -critiquant la politique israélienne- (...).
Le processus de paix est un ensemble d’idées et d’engagements. - Il signifie la création d’un Etat palestinien avec tous les dangers pour la sécurité qui y sont liés. Le processus de paix, c’est l’évacuation de colonies, c’est le retour des réfugiés, c’est le partage de Jérusalem, tout cela est maintenant gelé.
Ce sur quoi nous sommes tombés d’accord avec les Américains, c’est qu’une partie des colonies ne sera jamais concernée -par une négociation- et que l’autre ne sera pas discutée tant que les Palestiniens n’auront pas changé ("turn into Finns"). Sur 240 000 colons - hors les quartiers de colonisation de Jérusalem-Est -, 190 000 n’auront pas à quitter leur maison.

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Birgit Cerha: Teheran hofft auf einen „großen Handel“

Iran und die USA haben viele gemeinsame Interessen in der Region – und einen gemeinsamen Feind: sunnitischen Extremismus
Eine riesige Wandmalerei im Herzen Teherans erinnert die Bürger der Stadt an den wichtigsten Slogan, der den revolutionären Eifer der „Islamischen Republik“ bis heute lebendig erhalten soll: „Nieder mit den USA“ steht unter einer riesigen gemalten US-Flagge, die anstelle der Sterne Totenköpfe zeigt. Der Hass des Regimes auf den „Großen Satan“ sitzt in manchen Kreisen immer noch tief, auch wenn die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung sich nach Aussöhnung sehnt. Aussöhnung erstreben aber auch Präsident Ahmadinedschad und höchste Repräsentanten in der islamischen Führung. Wenn US-Präsident Obama direkten Dialog mit dem Iran ankündigt, nehmen iranische Führungskreise dies mit Befriedigung zur Kenntnis, offen für ein Gespräch, an das sie allerdings eine Bedingung knüpfen: fundamentale Haltungsänderung der Supermacht gegenüber der „Islamischen Republik“, nicht Animosität, wie bisher, sondern Respektl

In politischen Kreisen Teherans hofft man, Obama hätte verstanden, dass sich die Politik der Drohungen als kontraproduktiv erweisen. Sanktionen setzen den Iranern zwar ökonomisch zu, verhärten jedoch eher die Position des Regimes in der Atomfrage, dem Hauptanliegen der US-Diplomatie.

Das Teheraner Regime sieht die amerikanisch-iranischen Beziehungen als ein endloses Geflecht von Problemen, die zur Gänze, in Form eines Art „großen Handels“ gelöst werden müssten, sollte die Feindschaft endlich zum Wohl aller überwunden werden. Seit Jahrzehnten herrschte unter den iranischen Führern die Überzeugung, dass sie ihre Regionalpolitik auf gegenseitige Animosität mit der Supermacht ausrichten müssten. Doch mehr und mehr setzt sich in Teheran die Erkenntnis durch, dass beide Seite gemeinsame Interessen verbinden. Beide bekämpfen den selben Feind, den sunnitischen Extremismus insbesondere in Afghanistan in Form der Taleban und der Al-Kaida. Deshalb bieten sich heute wichtige Möglichkeiten zur Kooperation insbesondere im Anti-Terror-Krieg, einem zentralen Anliegen der Obama-Administration, das vielleicht schließlich auch Kompromisse in der Atomfrage einleiten könnte.

Eine Verständigung über die Politik gegenüber Irak und Afghanistan könnte Kernpunkte eines amerikanisch-iranischen Abkommens bilden. Zwischen 2001 und 2003 hatten beide Seiten Geheimverhandlungen in Genf geführt. Teheran leistete den USA im Krieg gegen Al-Kaida und die Taleban wichtige Unterstützung. Doch dann brach Ex-Präsident Bush, verärgert über Irans Beharren auf seinem Atomprogramm, diese Kontakte ab. Unterdessen konnte die ‚“Islamische Republik“ dank des amerikanischen Feldzuges gegen ihren Erzfeind, den irakischen Diktator Saddam Hussein, ihren Einfluss im Irak entscheidend ausbauen. Derart geostrategisch gestärkt, hat Teheran heute über seine engen Bindungen an mächtige Schiitengruppen im Nachbarland den USA noch weit mehr an attraktiver Zusammenarbeit zu bieten. Seit einiger Zeit bemühen sich die Iraner demonstrativ ihren Willen zur Stabilisierung des Iraks zu bekunden, da anhaltende Turbulenzen im Nachbarstaat auch ihre Sicherheit gefährden. Zwar hat Teheran das Ende des Vorjahres vereinbarte amerikanisch-irakische Sicherheitsabkommen abgesegnet, doch in Regierungskreisen herrscht tiefe Skepsis, dass die USA tatsächlich, wie geplant, bis 2011 alle US-Truppen abziehen würden. Die Aussicht auf anhaltende US-Präsenz im Nachbarland, aber auch indirekten Einfluss, wie etwa über leitende Offiziere der von den Amerikanern aufgebauten und trainierten Sicherheitskräfte, irritiert die Iraner. Im Rahmen eines „großen Handels“ könnten, so meinen iranische Beobachter, Iraner und Amerikaner im Irak kooperieren und ein US-Abzug „wäre realisierbar“.

Entschieden aber lehnen die Iraner jeden Dialog mit den Taliban ab. Doch in den heikelsten politischen Fragen, der Fortsetzung des iranischen Atomprogramms und der Unterstützung anti-israelischer Extremistengruppen (Hisbollah im Libanon und der palästinensischen Hamas) erscheint eine Verständigung am schwierigsten. Dennoch könnte sich ein amerikanisch-iranischer Deal positiv auf die Suche nach Frieden zwischen Israelis und Palästinensern auswirken, meint der politische Stratege Amir Mohebbian, Anhänger Ahmadinedschads. „Es gibt zwei Ebenen der Politik gegenüber Israel: Slogans und Aktionen. Beide unterscheiden sich voneinander.“ Das Hauptproblem zwischen beiden Staaten ist nach iranischer Überzeugung Washingtons Widerstand gegen Irans Status als „Grossmacht in der Region“. Nur wenn dieser überwunden werde, könnte es eine echte Aussöhnung geben. Um als Grossmacht anerkannt zu werden, muss der Iran endlich aus der Isolation ausbrechen können. Hier liegt ein wichtiges Motiv auch radikalerer Kräfte des Regimes, wie jener um den Präsidenten, für eine Aussöhnung mit dem „Großen Satan“.

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Dienstag, 27. Januar 2009

Birgit Cerha: Die verdorrten Rosen der Revolution


30 Jahre nach dem Sturz des Schahs entwickelt die „Islamische Republik“ einen neuen Totalitarismus – Die Herrschaft der Geistlichen ist an einem Kreuzpunkt
Als die „Air-France“-Maschine mit höchst revolutionärer „Fracht“ am 1. Februar 1979 über der iranischen Hauptstadt kreiste, da erfasste eine unübersehbare Menschenmenge eine Sturmwelle der Euphorie. Sechs Millionen Iraner, so erzählen Zeitzeugen, drängten sich auf den Zufahrtsstraßen zum Flughafen, auf Plätzen, Gehsteigen und Höfen. Das „Licht der Arier“ (wie sich der Schah, Herrscher auf dem Pfauenthron, nannte) war der düsteren Gestalt seines schärfsten religiösen Widersachers, Ruholla Khomeini, gewichen. Die von dem zornigen Ayatollah zuletzt vom französischen Exil aus entfachte islamische Revolution hatte der großen persischen Monarchie nach mehr als zweitausend Jahren ein Ende gesetzt. Die Rosenstöcke der Freiheit, der Demokratie und der nationalen Würde trugen reiche Knospen. Ein unterdrücktes, verarmtes und rückständiges Volk umarmte in grenzenloser Hoffnung diesen islamischen Geistlichen, der ihm eine aussichtsreiche Zukunft verhieß. Diese Begeisterung aus – fast – allen politischen Lagern für Khomeini und seine Botschaft, verlieh dem kämpferischen Gottesmann die kaum erhoffte Stärke, seine Ziele auch durchzusetzen. „Die islamische Revolution ist eine mächtige Woge, die den gesamten Mittleren Osten erfassen wird“, jubelten die Medien des Landes. Und die Welt zitterte.

Drei Jahrzehnte später planen Khomeinis „politische Kinder“ ein riesiges Freudenfest, einen Karneval für Millionen und eine Militärparade. Helikopter werden über dem Grabmal des unterdessen zum „Imam“ (von Gott ganz besonders Auserwählten) avancierten Gründers der „Islamischen Republik“ einen Regen von Rosen niederprasseln lassen. Doch selbst Khomeinis treueste Jünger glauben nicht, dass sich nur ein Bruchteil jener Menschenmassen zum Gedenken dieses dramatischen Bruchs in der iranischen Geschichte einfinden werden, als an jenem denkwürdigen Februartag vor 30 Jahren. Die Begeisterung ist verpufft, der revolutionäre Eifer erstickt, hoffnungsvolle Träume sind zerstoben. Die Sehnsucht bleibt ungestillt. Die Rosen sind verdorrt. Das trockene Gestrüpp blieb zurück und seine Dornen fügen tiefe Wunden zu.

Die alljährlichen Revolutionsfeiern, und dieses Jubiläum ganz besonders, sollen die ersterbende Glut der Revolution zu neuem Feuer entfachen. Doch das gelingt nicht. Die junge Generation, mehr als die Hälfte der Bevölkerung, begreift die Euphorie der Väter für Khomeini und dessen Ideale nicht. Die Geistlichen konnten die Herzen der Kinder nicht erobern. Es bleibt nur die Knute zur Absicherung ihrer Macht. Und die setzen sie heute eifrig ein, wie schon lange nicht.

Drei Jahrzehnte nach Khomeinis Heimkehr sitzen seine Getreuen immer noch fest im Sattel. Doch eine tiefe Kluft trennt sie vom Großteil ihrer Untertanen. Und diese Kluft droht sich unüberwindbar zu erweitern. Der „Gottesstaat“ steht am Rande einer ökonomischen Implosion. Bis heute hat sich das Land immer noch nicht vom achtjährigen, vom Irak angezettelten Krieg (1980-88), der nicht nur mehr als 500.000 Iranern das Leben, sondern das Land mindestens 800 Mrd. Dollar und 60 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts gekostet hat, erholt. Dreieinhalb Jahre Präsidentschaft Ahmadinedschads, haben den Iran an den Rand eines Finanzchaos getrieben. Das Loch in der Staatskasse wuchs – ungeachtet hoher Ölpreise – unaufhörlich und der dramatische Preissturz der vergangenen Monate droht den Iran in die Katastrophe zu stürzen. Das Subventionsgeflecht, das der wachsenden Zahl der Armen das Überleben ermöglicht, ist unfinanzierbar geworden, während die Preise für Obst, Gemüse, Fleisch in die Höhe schnellen. Die Inflationsrate liegt bei 30 Prozent, die Arbeitslosigkeit bei über 20. Jeder fünfte Iraner lebt unter der Armutsgrenze. Dringend nötige und immer wieder aufgeschobene Wirtschaftsreformen lassen sich in dieser Situation nicht anpacken. In den vergangenen sechs Jahren brachten reiche Iraner – darunter viele Profiteure des Regimes – insgesamt 300 Mrd. Dollar ins Ausland, vor allem in die Vereinigten Arabischen Emirate.

Viele machen Ahmadinedschads fehlende Reformbereitschaft für die heraufziehende Katastrophe ebenso verantwortlich, wie für die aggressive Außen- und beharrliche Atompolitik, die den Iran in schmerzlicher Isolation hält. Doch die Fäden der Macht hält – wie einst Khomeini – dessen Nachfolger im Amt des „höchsten islamischen Rechtsgelehrten“, Ali Khamenei, fest in der Hand. Gemeinsam mit einem Team des politischen Establishments wird er auch darüber entscheiden, ob der „Gottesstaat“ die Chance ergreift, die ihm der neue US-Präsident Obama durch die Bereitschaft zum Dialog bietet. Ein Teil der iranischen Führung teilt die weitverbreitete Sehnsucht des Volkes nach Aussöhnung mit dem „großen Satan“ USA und Anschluß an die Welt. Doch radikale Kräfte, darunter skrupellose Profiteuere des Systems, ziehen eine Fortsetzung der bisherigen isolationistischen Politik vor. Die Präsidentschaftswahlen im Juni werden wichtige Weichen stellen. Sollte sich keine politische Neuorientierung ergeben, droht eine weitere Verkrustung der Herrschaft der „Gottesmänner“ und eine Verfestigung ihrer autoritären Strukturen.

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Birgit Cerha: „Warum habt ihr diese Revolution gemacht?“

Im Iran hat eine neue Generation mit den Traditionen der Vergangenheit und mit dem Islam der herrschenden Geistlichen gebrochen
„Ihr habt die Geschichte meiner Generation schon oft gehört.“ Und doch drängte es diesen anonymen iranischen Studenten, in einem der mehr als hunderttausend Blogs das Leid der jungen Iraner noch einmal über das Internet zusammenzufassen, damit es irgendwo in der Welt Verständnis und offene Herzen findet. „Wir zählen zu einer Generation, die mit Bomben aufwuchs, mit Raketen, mit Krieg und revolutionären Slogans…. . Die Mädchen meiner Generation werden niemals vergessen, wie ihre Lehrerinnen fest auch an den kleinsten Haarstränen zogen, die aus ihrem Hedschab (islamische Kopfbedeckung) hervorlugten… Die Burschen meiner Generation werden nicht vergessen, wie sie jedesmal fünf Ohrfeigen einstecken mussten, wenn sie ein Hemd mit einem westlichen Markenzeichen trugen… . Wir alle haben ähnliche Erinnerungen. Wir gehören zur geschädigten Generation. Permanent wurden wir gezüchtigt und ermahnt, das ‚heilige Blut’ in Ehren zu halten, das für uns in Revolution und Krieg vergossen wurde. Jede Form des Glücks war uns verboten….“.

Während sich das offizielle Teheran auf pompöse Feiern zum 30. Geburtstag der „Islamischen Republik“ vorbereitet, können weit mehr als die Hälfte der 60 Millionen Iraner die Euphorie der islamischen Herrscherschicht nicht teilen, ja nicht einmal mehr verstehen. Eine tiefe Kluft trennt die Kinder und Enkel der Revolution, rund zwei Drittel der Bevölkerung, von den Ayatollahs und dem politischen Auftrag Revolutionsführer Khomeinis, den diese zu erfüllen vorgeben. Viele junge Iraner wissen den Sturz des Tyrannen (Schah Reza Pahlevi), den auch ihre links oder iranisch-nationalistisch orientierten Eltern betrieben hatten, nicht mehr zu schätzen. Viele fragen ihre Väter, warum denn nur „habt ihr diese Revolution gemacht?“

Khomeinis einzigartiges Experiment, die „Islamische Republik“, deren Geburt die Welt erzittern ließ, hat es nicht geschafft, die Kinder der Revolution und deren Kinder für ihr System und ihre Ideale zu gewinnen. Auch wenn der „Gottesstaat“ sich heute noch an der Macht halten kann, ist er dennoch damit gescheitert.

Khomeini brachte den Iranern den politischen Islam und die Tradition. Doch drei Jahrzehnte später ist die Religion zu einer bloßen Staatsideologie verkommen. Indem sie den Islam zur Durchsetzung ihrer autoritären Macht missbrauchen, treiben die herrschenden Geistlichen der Jugend die Religion aus. Während sich überall in der islamischen Welt die Moscheen mehr und mehr füllen, bleibt ihnen im Iran heute vor allem die Jugend weitgehend fern. „Wenn das der Islam ist“, meint eine Studentin über die Verquickung von Machtpolitik und Geistlichkeit, „dann will ich keine Muslimin sein. So verlieren wir unsere Religion“, Bemerkungen, die man heute vor allem unter jungen Iranern häufig vernimmt. Und immer mehr Iraner zieht es, auf der Suche nach religiös-orientierten Tröstungen für die Härten ihres Daseins, gar – mit Hilfe des Internets – zu christlichen Lehren hin.

Zwar ist Irans Jugend heute so gut gebildet wie noch nie. Und noch nie zuvor standen Irans Mädchen die Universitäten so offen: 70 Prozent der Universitätsstudenten sind heute Frauen. Doch nur ein winziger Prozentsatz hat nach Abschluss des Studiums auch eine Berufschance. Zudem braucht man dafür fast immer auch einen Fürsprecher im Regime. Die Folge ist eine Arbeitslosigkeit von bis zu 40 Prozent unter der Jugend. Sogar das Bildungsministerium gibt zu, dass 90 Prozent der hochbegabten Studenten ins Ausland gehen, drei Viertel davon in die USA. Die anderen haben kaum eine Chance auf ein Visum eines westlichen Landes und stehen ihre Familien dem Regime fern, dann bleiben sie Außenseiter.

Aus ihrem tristen Dasein, dem steten Druck durch die „Moralwächter“ des Staates, der ihnen jede Freude, jedes „normale Leben“ verwehrt, der Perspektivlosigkeit für die Zukunft flüchtet sich ein großer Teil der Jugend in eine Traum-, eine Parallelwelt, in ein Privatleben mit Partys, westlichem Styling, die durch die leicht erhältlichen Drogen rasch in Exzesse entarten und für kurze Zeit den Anschein von Freude vermitteln. Die oft verzweifelte Suche nach persönlicher Freiheit und Spaß führe zu Egoismus und Oberflächlichkeit, klagen Iraner. „Wir alle haben zwei Gesichter: eines nach außen und eines nach innen. Keiner weiß, welches das wahre ist“, analysiert die Verlegerin Shahla Lahedji. „Die Jugendlichen hassen ihre Gesellschaft, sie hassen sich selbst und ihre Familie“, die sie seit ihrer Kindheit zu Lüge und Doppelmoral gegenüber der Außenwelt zwang, zur Verheimlichung des – verbotenen – Alkoholgenusses, des Satellitenfernsehens etc.

Die Herrscher wissen, dass sich die jugendlichen Parallelwelten unterdessen fest etabliert und dass sie sich einen großen Teil der Kinder des „Gottesstaates“ zu Feinden machen. Sie versuchen dieser Entwicklung durch Ermahnungen zu Abkehr ihrer „Verdorbenheit“ im allwöchentlichen Freitagsgebet oder auch durch harte Strafen entgegen zu wirken. Vergeblich. Wie sehr diese Entwicklung das Regime irritiert, zeigt die jüngste Intervention des „Geistlichen Führers“ Ali Khamenei, der ungewöhnlich milde meinte, man dürfe die iranische Jugend nicht nur nach ihrem Äußeren (gemeint ist der verpönte Versuch etwa, sich ein wenig modisch zu kleiden) beurteilen.

Die bitteren Frustrationen aber treiben Irans Jugend nicht mehr in die Rebellion. 19999 hatten sie bei Studentendemonstrationen ihr durch den Reform-Präsidenten Mohammed Khatami ermutigtes Engagement für Demokratie, Freiheit und Menschenrechte blutig und bitter bezahlt. Khatami schritt nicht ein, um die brutale Niederschlagung der Studentendemonstrationen zu verhindern, nicht die Verhaftung Tausender, deren Folter und Verurteilung vieler zu mehrjährigen Haftstrafen. Irans Jugend hat den Glauben an islamische Reformer verloren. Sie sieht keine Alternative zum herrschenden System und wandte sich deshalb nach den schweren Enttäuschungen durch Khatami mehr und mehr von der Politik ab. Sie beschränkt ihre Protestaktionen gegen die islamischen Despoten auf Verletzung der Kleidervorschriften oder das verpönte Flirten in der Öffentlichkeit.


Die islamische Indoktrination ist sogar von den Kindern der konservativen Kader abgeprallt. So flüchtete etwa vor einigen Jahren Ahmad Rezai, der Sohn des radikalen ehemaligen Chefs der Revolutionsgarden, in die USA und kritisierte von dort aus heftig die Korruption der Geistlichen. Und selbst in den theologischen Hochschulen wird heute über Islam, Demokratie und Menschenrechte diskutiert. Und die Zahl der vor allem jüngeren Geistlichen wächst, die meinen, die Politik füge der Religion enormen Schaden zu und die beiden müssten voneinander strikt separiert werden.

Iranische Soziologen glauben nicht, dass die jetzige Studentengeneration eine neue Revolution entfachen werde. „Wir wollten 1979 den Schah stürzen und eine Demokratie errichten. Statt unter der Knute des Schahs leben wir heute unter jener des Mullah-Regimes. Geändert hat sich nichts. Unsere Kinder sehen das und haben daraus die Konsequenz gezogen, sich nicht mit Politik zu befassen“, meint ein Intellektueller, der seinen Namen lieber nicht nennen will.

Die junge Generation, erläutert der prominente Journalist Akbar Ganji, „hat mit der Vergangenheit und der Traditon gebrochen. Sie sagt zu allem Ja, was neu ist.“ Insbesondere sehnt sie sich nach dem Ausbruch aus der Isolation, dem Anschluss an die westliche Welt, nach der von ihren – islamistischen, wie linken und nationalistischen – Vätern stets so verpönten amerikanischen Massenkultur. Und sie findet ein Ventil im Internet, das das Regime trotz aller intensiven Versuche nicht vollends zu blockieren vermag. „Die Blogs, meint der weithin bekannte Kommentator Masoud Behmoud, „reflektieren die ungeschminkten, mutigen Ansichten unserer Jugend“. Und von ihren Kommentaren lässt sich erkennen, das sie politisch reif geworden, entschlossen ist, sich von niemanden instrumentalisieren zu lassen, heute eine Freiheit zu suchen, die ihr die Koexistenz in dieser Gesellschaft ermöglicht, um schließlich eines Tages eine bessere Zukunft aufzubauen. Und diese Zukunft gehört ihr. Die Blogs können eines Tages dabei eine ähnliche Rolle spielen wie die Tausenden Tonbänder, die Khomeinis Revolution zum Sieg verholfen hatten.

Erschienen in "Die Furche" am 23.01.2009

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Mittwoch, 14. Januar 2009

Birgit Cerha: Israels vergeblicher Kampf gegen die Tunnels

Wie die unterirdischen Schmuggelkanäle zur Lebensader des großen Gefängnisses von Gaza wurden – An ihre totale Blockade knüpft Israel einen Waffenstillstand
„Es ist eine Goldmine, für mich und meine Familie“, begründet der 14-jährige Palästinenser Ahmed stolz seinen lebensgefährlichen Einsatz. Gemeinsam mit seinen jugendlichen Freunden hat das Flüchtlingskind aus dem Elendslager Rafah in Gaza nun schon den dritten Tunnel vom Elendsstreifen nach Ägypten gegraben. 700 Meter lang ist der jüngste. Manchmal kam er mit seiner kleinen Schaufel oder mit bloßen Händen in acht Stunden nur zehn Meter voran. Und Ahmed weiß, dass er mit dieser Arbeit sein Leben riskiert. Mitunter bricht das Erdreich von selbst oder durch israelische Bomben ein und erschlagt die Grabenden, oder sie stoßen auf ein Stromkabel und erliegen dem Schock. Mitunter lassen ägyptische Sicherheitskräfte, die jenseits der Grenze eine Öffnung entdecken, auch Gase in die Kanäle, die den kleinen Arbeitern den ohnedies nur mangelhaft vorhandenen Sauerstoff noch vollends rauben. Doch für viele Palästinenser-Familien ist seit langem das Graben von Tunnels das einzige Einkommen. Schon lange klagen Lehrer, dass immer mehr jugendliche Schüler dem Unterricht fernbleiben, um ihren Familien auf diese Weise wenigstens ein wenig das Überleben zu sichern.

Seit Israelis und Ägypter nach der gewaltsamen Machtübernahme der islamistischen Hamas im Juni 2008 den Gazastreifen hermetisch abgeriegelt und total von der Außenwelt isoliert haben, blüht das Geschäft mit den Tunnels und dem Schmuggel. Seither wurde dieses unterirdische Transportnetz zur Lebensader der wie in einem riesigen Gefängnis eingeschlossenen eineinhalb Millionen Bewohner von Gaza. Benzin, Speiseöl, Nahrungsmittel aller Art, bis zu Kleidung und Medikamenten sind seither die wichtigsten Güter geworden, die durch die bis zu einem Kilometer langen Tunnels aus Ägypten geschmuggelt werden. Seit Beginn der israelischen Offensive am 27. Dezember sind es aber vor allem Medikamente und medizinische Hilfsgüter, die auf diesem Weg nach Gaza gelangen.

Das bis zu 15 Meter unter der Erde laufende System von mindestens 300 Tunnels, teilweise mit elektrischer Beleuchtung und Belüftung ausgestattet und mitunter so breit, dass es Eisenbahnwaggons Platz schafft, ist Hauptziel der israelischen Militäraktion. Aus der Luft, aber auch durch Raketen vom Meer aus versuchen die Israelis nun schon seit drei Wochen, dieses Netz zu zerstören. Denn seit sich die israelische Besatzungsarmee vor dreieinhalb Jahren aus Gaza zurückzog, haben die Palästinenser die Tunnels intensiv ausgebaut, vor allem – so der Vorwurf –, um Waffen und noch modernere Raketen für die Hamas nach Gaza zu schleusen. Nur wenn diese Transportwege für allerlei Kriegsgerät total blockiert sind, will Israel einem Waffenstillstand zustimmen. Das Tunnelsystem ist das Hauptziel dieses Krieges, in dem Hunderttausende Zivilisten einen ungeheuren Preis zahlen müssen.

Die ersten Tunnels gehen auf das Jahr 1982 zurück, nachdem die Ägypter als Folge des Friedensschlusses mit Israel und des Abzugs der israelischen Besatzungstruppen aus dem Sinai einen Grenzzaun zogen, der Mitglieder palästinensischer Großfamilien voneinander trennte. Damals wurden die unterirdischen Gänge primär für den Schmuggel von Zigaretten, Haschisch, Gold oder Autoersatzteilen benützt. Mit der ersten Intifada (dem Aufstand der Palästinenser) 1987 begann aber auch der Waffenschmuggel, der sich schließlich mit dem Aufstieg der Hamas wesentlich ausweitete.

Tunnels werden unterdessen von einzelnen Familien wie ein Geschäft geführt. Wenn ein Tunnel fertig gestellt ist, erhalten der primäre Investor und seine Familie einen bestimmten Prozentsatz des Schmuggelgewinns. Der Aufschlag für den Transport, entsprechend dem Risiko, hoch, weil der Tunnel schon nach einem Tag zusammenbrechen könnte. So kostet etwa eine Kalaschnikow in Ägypten umgerechnet 320 Dollar und in Gaza tausend, oder ein Packerl Zigaretten in Gaza zehn Mal so viel wie in Ägypten.

Den bitterarmen, vom Regime in Kairo traditionell sträflich vernachlässigten Beduinen im ägyptischen Grenzgebiet zu Gaza verschafft der Schmuggel unterdessen eine halbwegs erträgliche Lebensbasis, einigen Familien sogar beträchtlichen Reichtum. Die Regierung in Kairo hatte die lokalen Stämme in den vergangenen Jahren ganz bewusst von traditionellen Einkommensquellen, wie dem Tourismus ausgeschlossen, womit der Schmuggel für viele zur Lebensexistenz geworden ist. Nach lokalen Informationen leben heute bis zu 6000 Beduinen von diesem illegalen Geschäft und das Regime Mubarak fürchtet einen gefährlichen Aufruhr, wenn es diesem Treiben Einhalt gebietet. Die Beduinen Sinais haben über die Generationen reiche Erfahrung gesammelt, wie sie den staatlichen Behörden entkommen können. Bestechung zählt auch zu den erfolgreichen Methoden in einem Land, in dem staatlich Bedienstete kaum genug zum Leben haben. Die Regierung zögert aber auch, dem Schmuggel effizient Einhalt zu gebieten, um sich nicht noch mehr den Zorn der lokalen Bewohner, aber auch der so zahlreichen Sympathisanten der Palästinenser – insbesondere unter Ägyptens stärkster Oppositionsbewegung, der Moslembruderschaft – zuzuziehen.

Unterdessen haben die Israelis nach Aussagen von Beduinen in Rafah an die 60 Prozent der Tunnels beschädigt. Doch eine rasche Reparatur stelle kein Problem dar, heißt es. Ägypten zeigt sich hilflos. Israel, so Kairos Argument, gestatte ihm nach dem Friedensvertrag die Stationierung von nur 750 Soldaten an der Grenze. Dies reiche nicht aus, um dem Schmuggel in diesem schwierigen Wüstenterrain Einhalt zu gebieten. Dem Einsatz einer internationalen Truppe will Mubarak, besorgt um den Schutz der nationalen Souveränität, nicht zustimmen.

Zu Israels Plänen, den Waffenschmuggel zu stoppen, zählt der Bau einer unterirdischen Mauer, die die Tunnelgräber blockieren würde. Radikalere Mitglieder der israelischen Führung erwägen die Anlage eines drei Kilometer breiten, menschenleeren „militärischen Korridors“ um Gaza. Dafür aber müssten unzählige Häuser gesprengt und Zehntausende Menschen ausgesiedelt werden. Die Stadt Rafah mit einer Bevölkerung von 150.000 Menschen würde in diese Zone fallen, die sich etwa einen Kilometer in den Gaza-Streifen erstrecken würde. In diesem Gebiet stationierte israelische Soldaten wären Attacken durch Palästinenser besonders ausgesetzt. Zudem besteht wenig Zweifel daran, dass auch eine solche Zone die eingeschlossenen Palästinenser kaum davon abhalten würde, noch längere Tunnels zu graben. Und auch eine erneute Besetzung Gazas könnte dies nicht verhindern, hatten die Palästinenser doch schon zuvor unter israelischer Kontrolle ihre unterirdischen Verbindungen nach Ägypten angelegt. Militärisch, das ist längst klar, lässt sich dieses Problem nicht lösen.


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Arnold Hottinger: Die Tragödie von Gaza

Israel hat vier „ konventionelle“ Kriege, Armee gegen Armee, gegen die arabischen Staaten gewonnen:1948, 1956, 1967, 1973. Israel hat darauf drei „asymetrische“ Kriege geführt, in denen es seine Armee gegen Befreiungsmilizen einsetzte. Den ersten von 1982 gegen die PLO in Libanon hat es teilweise gewonnen. Den zweiten gewann Israel nicht. Er wurde 2006 gegen Hizbullah in Libanon geführt, und die Israeli mussten nach Verlusten abziehen, ohne ihre Kriegsziele zu erreichen. Der dritte hat in Gaza begonnen. Dabei ist eines der Ziele für Israel, die Scharte von 2006 auszuwetzen. In der Sprache der israelischen Generäle, „das Abschreckungspotential der israelischen Armee (wieder) zu stärken“. Israel hat diesmal seine Kriegsziele vorsichtig formuliert: „Reduktion des Raketenbeschusses durch Hamas und Erreichen einer neuen Sicherheitslage in Gaza“. Das Wort “Sicherheitslage“ deutet das politische Ziel an: Ausschaltung von Hamas und Rückkehr der PLO zur Macht über Gaza.

Kriegsziel für Hamas dürfte sein, als Organisation den israelischen Ansturm zu überleben und womöglich den Raketenbeschuss fortzuführen oder bald wieder aufzunehmen. Endziel für Hamas wäre, die israelische Blokade des Gazastreifens zu sprengen.

Beide Seiten sind offensichtlich bereit, das Wohl der Zivilbevölkerung von Gaza, gegen 1,5 Millionen Menschen, hinter ihre Kriegsziele zurückzustellen. Gaza gehört zu den am dichtest bewohnten Gebieten der Erde, und die Kämpfer von Hamas leben und sterben in den Häusern und Lagern von Gaza. Dass dabei Zivilisten, alte Leute, Frauen und Kinder, mitsterben müssen, nehmen beide Seiten in Kauf. Beide behaupten: „es gibt keinen anderen Weg“. Beide hatten zwar sechs Monate lang einen anderen Weg eingeschlagen, den der Verhandlungen und der provisorischen Waffenruhe. Doch diesen haben beide als unbegangbar erklärt. Hamas, weil die Israeli die Umzingelung und Erstickung von Gaza weiter aufrecht erhielten; Israel weil die politische Führung nicht gewillt war, mit Hamas in weiterführende Verhandlungen einzutreten. Statt dessen übte die israelische Armee intensiv den Angriff auf Gaza, und genaue Vorbereitungen für eine nach aussen gerichtete israelische Propgandakampagne begannen auch schon vor sechs Monaten. Hamas hat seinerseits die Waffenruhe benützt, um sein Raketenarsenal, so gut es ging, durch die Tunnels aufzustocken. Die zivilen Opfer sind für Israel unvermeidliche Kollateralschäden. Für Hamas sind sie „Märtyrer“ eines Befreiungskampfes, bei dem das ganze Volk mitwirken soll.

Der Einsatz für beide Seiten ist hoch. Für Hamas geht es um Leben und Tod ihrer Bewegung. Für die israelische Armee geht es um ihre Glaubwürdigkeit im Kampf gegen irreguläre Feinde. Für die Regierung um ihre Wahlchancen im kommenden Februar. Für alle Palästinenser um Kampf- oder Verhandlungsstrategie gegenüber einem Israel, das bisher die Bildung eines eigenen Staates der Palästinenser verhindert hat - und verbunden damit um die politische Führung entweder durch Hamas oder die PLO. Dem gegenüber wiegt das Blut der Zivilisten von Gaza für beide politischen Führungsspitzen nicht schwer.

Doch die Toten von Gaza haben auch ihr Gewicht. Sie werden jede Friedenssuche weiter belasten. Die kurzfristigen Ziele eines möglichen Kriegserfolgs oder Teilerfolges überwiegen erneut alle fruchtbaren Lösungsansätze, die nur aus Verhandlungen zwischen beiden Feinden hervorgehen können. Das bisher angestrebte Verhandlungsziel einer Zweistaatenlösung läuft Gefahr, als unerreichbar abgewertet und aufgegeben zu werden.

(ah)

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