Provinzwahlen bringen neue Kräfte ins politische Spiel und sind zugleich ein Votum für oder gegen den neuen „starken Mann“: Premier Maliki
Derartiges hat die Metropole am Tigris noch nie gesehen. Plakatwände, Häuserfassaden, Stadtplätze sind bepflastert mit Tausenden Porträts von Männern und Frauen, die sich kommenden Samstag dem jahrzehntelang durch einen Despoten geknechteten Volk zur Wahl stellen. Erstmals seit 2003 wagen die Kandidaten ihre Identität zu enthüllen, werden die Wähler zumindest die Gesichter jener kennen, denen sie ihre Stimmen geben. Bei allen vorangegangenen Urnengängen hielten sich die Bewerber aus Angst vor Terror und Mord vollends im Hintergrund.
Das Zweistromland ist vom Wahlfieber gerüttelt. Mehr als 14.400 Kandidaten (davon etwa ein Viertel Frauen) von rund 400 politischen Gruppen, und viele Unabhängige. bewerben sich um 440 Sitze in 14 Provinzräten. Tausende von der UNO berufene Beobachter sorgen dafür, dass sich Betrug und Schwindel wenigstens in Grenzen halten.
Die Wahlen setzen den Auftakt zu wichtigen Urnengängen – einem Referendum über das im Dezember unterzeichnete amerikanisch-irakische Sicherheitsabkommen und Parlamentswahlen im Dezember, die die politische Landschaft grundlegend verändern werden. Sie sind zugleich ein wichtiger Schritt zur politischen Stabilität, denn sie bieten den Irakern erstmals die Chance einer fairen Repräsentation aller Bevölkerungsgruppen auf lokaler und schließlich auch auf nationaler Ebene. Die Provinzwahlen im Januar 2005 hatten die arabischen Sunniten und die Schiiten des anti-amerikanischen Geistlichen Moqtada Sadr boykottiert. Die die Regierungskoalition in Bagdad dominierenden Parteien konnten damit auch ungeachtet der lokalen Verhältnisse die Provinzräte weitgehend unter ihre Kontrolle bringen. Diese Entwicklung nährte blutigen Terror.
Diesmal haben sich die Sunniten zur vollen Teilnahme entschlossen und setzen damit einen wichtigen Schritt zur Eingliederung in den politischen Prozess, dem sie aus Ärger über ihren Sturz von Macht und Verlust von Privilegien bisher weitgehend ferngeblieben waren.
Die Tatsache, dass die Wahlen überhaupt stattfinden, ist schon ein Erfolg auf dem mühseligen Weg zur Demokratie. Fast wären sie am Zankapfel Kirkuk gescheitert. Nun bleiben die Provinz Tamin mit der Hauptstadt Kirkuk und die drei autonomen Kurdenprovinzen Dohuk, Erbil und Suleimaniya zunächst von den Wahlen ausgeschlossen, bis man eine Lösung für die umstrittene Ölstadt gefunden hat: Anschluss an das autonome Kurdistan, selbst autonom oder unter Kontrolle der Zentralregierung.
Heiß umstritten ist auch die Region um Iraks zweitgrößte Stadt, Basra, das wichtigste Öl- und Wirtschaftszentrum. Basra hält die Schiitenpartei Fadhila, eine Splittergruppe der Sadr-Bewegung, unter Kontrolle, während die meisten der neun süd-irakischen überwiegend schiitischen Provinzen vom „Höchsten islamischen Rats des Iraks“ (SIIC), stärkster Koalitionspartner von Premier Malikis Dawa-Partei. Diese beiden Regierungsparteien treten erstmals nicht als Wahlbündnis auf, womit sich ihre wahre Stärke erkennen lassen dürfte. Gelingt es SIIC ihre Position im Süd-Irak weiter auszubauen, will sie den Prozeß zur Bildung einer großen autonomen Schiitenregion einleiten, von dem ihre Gegner befürchten, er würde den Irak zerreißen.
Sadr stellte zwar keine eigenen Kandidaten auf, unterstützt aber Unabhängige und könnte auf diese Weise durch seine große Popularität unter den Massen der armen Schiiten den Siegeszug von SIIC, aber auch von Maliki vereiteln.
Wiewohl er selbst nicht zur Wahl steht, sind diese Wahlen ein bedeutender Test für Maliki.
Seit Monaten versucht der lange ungeliebte Regierungschef zunächst im Süd-Irak und dann im Norden, Stämme durch Geldzuwendungen und andere Vergünstigungen hinter sich zu scharen, sie mit Waffen auszustatten, um sich damit eine Hausmacht, aber auch eine eigene Miliz aufzubauen. Maliki hofft, dass die von ihm angeführte „Koalition des Rechtsstaates“ wichtige Positionen in den Provinzräten erobern und damit seine Wiederwahl bei den Parlamentswahlen im Dezember sichern wird. Die Provinzräte sind mit beträchtlicher Macht ausgestattet. Sie wählen den Gouverneur, üben entscheidenden Einfluss bei der Ernennung des Polizeichefs, kontrollieren das Provinzbudget und Wiederaufbauprojekte.
Maliki ist entschlossen, gegen den Widerstand von SIIC und seinen kurdischen Koalitionspartnern die Macht der Zentralregierung zu stärken und viele fürchten, der Premier, der sich dank des Rückgangs der Gewalt im Land, Popularität verschafft hat, könnte sich zum „neuen starken Mann“ aufbauen.