Dienstag, 27. Januar 2009

Birgit Cerha: „Warum habt ihr diese Revolution gemacht?“

Im Iran hat eine neue Generation mit den Traditionen der Vergangenheit und mit dem Islam der herrschenden Geistlichen gebrochen
„Ihr habt die Geschichte meiner Generation schon oft gehört.“ Und doch drängte es diesen anonymen iranischen Studenten, in einem der mehr als hunderttausend Blogs das Leid der jungen Iraner noch einmal über das Internet zusammenzufassen, damit es irgendwo in der Welt Verständnis und offene Herzen findet. „Wir zählen zu einer Generation, die mit Bomben aufwuchs, mit Raketen, mit Krieg und revolutionären Slogans…. . Die Mädchen meiner Generation werden niemals vergessen, wie ihre Lehrerinnen fest auch an den kleinsten Haarstränen zogen, die aus ihrem Hedschab (islamische Kopfbedeckung) hervorlugten… Die Burschen meiner Generation werden nicht vergessen, wie sie jedesmal fünf Ohrfeigen einstecken mussten, wenn sie ein Hemd mit einem westlichen Markenzeichen trugen… . Wir alle haben ähnliche Erinnerungen. Wir gehören zur geschädigten Generation. Permanent wurden wir gezüchtigt und ermahnt, das ‚heilige Blut’ in Ehren zu halten, das für uns in Revolution und Krieg vergossen wurde. Jede Form des Glücks war uns verboten….“.

Während sich das offizielle Teheran auf pompöse Feiern zum 30. Geburtstag der „Islamischen Republik“ vorbereitet, können weit mehr als die Hälfte der 60 Millionen Iraner die Euphorie der islamischen Herrscherschicht nicht teilen, ja nicht einmal mehr verstehen. Eine tiefe Kluft trennt die Kinder und Enkel der Revolution, rund zwei Drittel der Bevölkerung, von den Ayatollahs und dem politischen Auftrag Revolutionsführer Khomeinis, den diese zu erfüllen vorgeben. Viele junge Iraner wissen den Sturz des Tyrannen (Schah Reza Pahlevi), den auch ihre links oder iranisch-nationalistisch orientierten Eltern betrieben hatten, nicht mehr zu schätzen. Viele fragen ihre Väter, warum denn nur „habt ihr diese Revolution gemacht?“

Khomeinis einzigartiges Experiment, die „Islamische Republik“, deren Geburt die Welt erzittern ließ, hat es nicht geschafft, die Kinder der Revolution und deren Kinder für ihr System und ihre Ideale zu gewinnen. Auch wenn der „Gottesstaat“ sich heute noch an der Macht halten kann, ist er dennoch damit gescheitert.

Khomeini brachte den Iranern den politischen Islam und die Tradition. Doch drei Jahrzehnte später ist die Religion zu einer bloßen Staatsideologie verkommen. Indem sie den Islam zur Durchsetzung ihrer autoritären Macht missbrauchen, treiben die herrschenden Geistlichen der Jugend die Religion aus. Während sich überall in der islamischen Welt die Moscheen mehr und mehr füllen, bleibt ihnen im Iran heute vor allem die Jugend weitgehend fern. „Wenn das der Islam ist“, meint eine Studentin über die Verquickung von Machtpolitik und Geistlichkeit, „dann will ich keine Muslimin sein. So verlieren wir unsere Religion“, Bemerkungen, die man heute vor allem unter jungen Iranern häufig vernimmt. Und immer mehr Iraner zieht es, auf der Suche nach religiös-orientierten Tröstungen für die Härten ihres Daseins, gar – mit Hilfe des Internets – zu christlichen Lehren hin.

Zwar ist Irans Jugend heute so gut gebildet wie noch nie. Und noch nie zuvor standen Irans Mädchen die Universitäten so offen: 70 Prozent der Universitätsstudenten sind heute Frauen. Doch nur ein winziger Prozentsatz hat nach Abschluss des Studiums auch eine Berufschance. Zudem braucht man dafür fast immer auch einen Fürsprecher im Regime. Die Folge ist eine Arbeitslosigkeit von bis zu 40 Prozent unter der Jugend. Sogar das Bildungsministerium gibt zu, dass 90 Prozent der hochbegabten Studenten ins Ausland gehen, drei Viertel davon in die USA. Die anderen haben kaum eine Chance auf ein Visum eines westlichen Landes und stehen ihre Familien dem Regime fern, dann bleiben sie Außenseiter.

Aus ihrem tristen Dasein, dem steten Druck durch die „Moralwächter“ des Staates, der ihnen jede Freude, jedes „normale Leben“ verwehrt, der Perspektivlosigkeit für die Zukunft flüchtet sich ein großer Teil der Jugend in eine Traum-, eine Parallelwelt, in ein Privatleben mit Partys, westlichem Styling, die durch die leicht erhältlichen Drogen rasch in Exzesse entarten und für kurze Zeit den Anschein von Freude vermitteln. Die oft verzweifelte Suche nach persönlicher Freiheit und Spaß führe zu Egoismus und Oberflächlichkeit, klagen Iraner. „Wir alle haben zwei Gesichter: eines nach außen und eines nach innen. Keiner weiß, welches das wahre ist“, analysiert die Verlegerin Shahla Lahedji. „Die Jugendlichen hassen ihre Gesellschaft, sie hassen sich selbst und ihre Familie“, die sie seit ihrer Kindheit zu Lüge und Doppelmoral gegenüber der Außenwelt zwang, zur Verheimlichung des – verbotenen – Alkoholgenusses, des Satellitenfernsehens etc.

Die Herrscher wissen, dass sich die jugendlichen Parallelwelten unterdessen fest etabliert und dass sie sich einen großen Teil der Kinder des „Gottesstaates“ zu Feinden machen. Sie versuchen dieser Entwicklung durch Ermahnungen zu Abkehr ihrer „Verdorbenheit“ im allwöchentlichen Freitagsgebet oder auch durch harte Strafen entgegen zu wirken. Vergeblich. Wie sehr diese Entwicklung das Regime irritiert, zeigt die jüngste Intervention des „Geistlichen Führers“ Ali Khamenei, der ungewöhnlich milde meinte, man dürfe die iranische Jugend nicht nur nach ihrem Äußeren (gemeint ist der verpönte Versuch etwa, sich ein wenig modisch zu kleiden) beurteilen.

Die bitteren Frustrationen aber treiben Irans Jugend nicht mehr in die Rebellion. 19999 hatten sie bei Studentendemonstrationen ihr durch den Reform-Präsidenten Mohammed Khatami ermutigtes Engagement für Demokratie, Freiheit und Menschenrechte blutig und bitter bezahlt. Khatami schritt nicht ein, um die brutale Niederschlagung der Studentendemonstrationen zu verhindern, nicht die Verhaftung Tausender, deren Folter und Verurteilung vieler zu mehrjährigen Haftstrafen. Irans Jugend hat den Glauben an islamische Reformer verloren. Sie sieht keine Alternative zum herrschenden System und wandte sich deshalb nach den schweren Enttäuschungen durch Khatami mehr und mehr von der Politik ab. Sie beschränkt ihre Protestaktionen gegen die islamischen Despoten auf Verletzung der Kleidervorschriften oder das verpönte Flirten in der Öffentlichkeit.


Die islamische Indoktrination ist sogar von den Kindern der konservativen Kader abgeprallt. So flüchtete etwa vor einigen Jahren Ahmad Rezai, der Sohn des radikalen ehemaligen Chefs der Revolutionsgarden, in die USA und kritisierte von dort aus heftig die Korruption der Geistlichen. Und selbst in den theologischen Hochschulen wird heute über Islam, Demokratie und Menschenrechte diskutiert. Und die Zahl der vor allem jüngeren Geistlichen wächst, die meinen, die Politik füge der Religion enormen Schaden zu und die beiden müssten voneinander strikt separiert werden.

Iranische Soziologen glauben nicht, dass die jetzige Studentengeneration eine neue Revolution entfachen werde. „Wir wollten 1979 den Schah stürzen und eine Demokratie errichten. Statt unter der Knute des Schahs leben wir heute unter jener des Mullah-Regimes. Geändert hat sich nichts. Unsere Kinder sehen das und haben daraus die Konsequenz gezogen, sich nicht mit Politik zu befassen“, meint ein Intellektueller, der seinen Namen lieber nicht nennen will.

Die junge Generation, erläutert der prominente Journalist Akbar Ganji, „hat mit der Vergangenheit und der Traditon gebrochen. Sie sagt zu allem Ja, was neu ist.“ Insbesondere sehnt sie sich nach dem Ausbruch aus der Isolation, dem Anschluss an die westliche Welt, nach der von ihren – islamistischen, wie linken und nationalistischen – Vätern stets so verpönten amerikanischen Massenkultur. Und sie findet ein Ventil im Internet, das das Regime trotz aller intensiven Versuche nicht vollends zu blockieren vermag. „Die Blogs, meint der weithin bekannte Kommentator Masoud Behmoud, „reflektieren die ungeschminkten, mutigen Ansichten unserer Jugend“. Und von ihren Kommentaren lässt sich erkennen, das sie politisch reif geworden, entschlossen ist, sich von niemanden instrumentalisieren zu lassen, heute eine Freiheit zu suchen, die ihr die Koexistenz in dieser Gesellschaft ermöglicht, um schließlich eines Tages eine bessere Zukunft aufzubauen. Und diese Zukunft gehört ihr. Die Blogs können eines Tages dabei eine ähnliche Rolle spielen wie die Tausenden Tonbänder, die Khomeinis Revolution zum Sieg verholfen hatten.

Erschienen in "Die Furche" am 23.01.2009