Mittwoch, 28. Januar 2009

Arnold Hottinger: NACHWORT zu dem Buch „Checkpoint Huwara“ von Karin Wenge, erschienen in NZZ- Verlag.

Nablus, sagt der Soldat Shai, sei die Hölle und Balata noch mehr als die Hölle. Man muss zustimmen. Allerdings handelt es sich um eine Hölle auf Erden, von Menschen gemacht, unvollkommen verglichen mit jener im Jenseits, die Dante schildert. Die Teufel, die hier auftreten, um die Schuldigen zu plagen, sind nur Menschen, nicht echte Inkarnationen des Bösen, und die Schuldigen und Angeschuldigten sind auch Menschen, nicht reine Unmenschen und Missetäter. Dazu kommt, dass die Unschuldigen, die mitbestraft werden, eine vielfache Zahl der Schuldigen ausmachen, von denen man möglicherweise behaupten könnte, dass sie Strafe verdienten.
Der menschliche Ursprung dieser Hölle ist auch daran erkenntlich, dass alle Beteiligten ihr eigenes Verhalten stets zu entschuldigen trachten. Die Kämpfer-Terroristen behaupten, es gebe für sie und für ihr ganzes Volk keinen anderen Weg. Die israelische Gegenseite begreife nur dann, was sie den Palästinensern antue, wenn sie selbst vergleichbares zu spüren bekomme. Die Repressionsorgane der Besetzungsarmee glauben, sie handelten, um ihrem Volk jenseits der Mauer Sicherheit zu verschaffen. Sie wissen nicht, oder wollen nicht wissen, dass sie in Wirklicheit eingesetzt werden, um die Macht Israels den 4 Millionen Palästinensern aufzuzwingen, die unter dem Zugriff der Besetzungsmacht leben müssen und um diesen 4 Millionen möglichst viel ihres Landbesitzes zu entreissen. Die in den Diskussionen wenig erwähnte aber unübersehbare Präsenz der immer zunehmenden Siedler beweist diese Tatsache.
Höllen, die Menschen aufgebaut haben, können theoretisch auch von Menschen wieder abgebaut werden. Ein Weg, um diesem Ziel näher zu kommen, bestünde daraus, genauere Kenntnis davon zu erlangen, wie die heutige Hölle zustande gekommen ist. - Es fällt auf, dass die Palästinenser heute zurückschauen auf die Zeit vor der ersten Intifada (diese dauerte von Dezember 1987 bis 1993) als eine gute Zeit, in der man noch leben konnte. Viele von ihnen verdienten Geld in Israel. Das war harte Arbeit aber möglich. Damals konnten auch die Israeli nach den besetzten Gebieten reisen und sich dort als Touristen und Geschäftsleute umsehen. Die Palästinenser durften nach Jerusalem fahren und in ganz Israel Arbeit suchen. Es gab schon damals einen Befreiungskampf der Palästinenser, der mit der Gründung der PLO 1965 begonnen hatte. Doch dieser Befreiungskampf wurde nicht von den „Palästinensern des Inneren“ getragen, den Bewohnern der seit 1967 besetzten Gebiete. Es waren die „Palästinenser des Äusseren“, die Vertriebenen aus dem Jahr 1948 und ihre Kinder, heute zu mehr als vier Millionen Menschen angewachsen, aus deren Reihen die Kämpfer stammten, die damals versuchten, in die von Israel beherrschten Gebiete einzudringen und dort einen Guerrilla Krieg zu entfachen.
Nach der Niederlage der arabischen Nachbarstaaten, Syrien, Ägypten, Jordanien im Sechstagekrieg von 1967 wurde die PLO zum Hoffnungsträger der gesamten arabischen Welt. Von ihren Aktionen erhofften und erwarteten die arabischen Völker zuversichtlich, dass sie die Übermacht Israels in ihrer Region brechen oder wenigstens eindämmen könnten. Doch die PLO wurde aus den arabischen Nachbarstaaten, einem nach dem anderen, blutig entfernt. Dies bewirkten zum Teil die Retaliationsschläge Israels auf die arabischen Staaten, von denen aus die PLO ihre Infiltrationen durchführte, teils aber auch die arabischen Staaten selbst, weil die bewaffneten Gruppen von Freischärlern ihre Souverainität immer mehr einschränkten. Im „Schwarzen September“ von 1970 vertrieb die jordanische Armee die Palästinakämpfer aus Jordanien. 1982 erzwang ein israelischer Kriegszug, der die israelischen Tanks bis nach Beirut brachte, ihre Entfernung aus Libanon.
Die Palästinenser des Inneren, das heisst die der besetzten Gebiete, fanden sich weiter unter israelischer Besetzung, doch alle Hoffnung, dass sie jemals von aussen her befreit werden könnten, war geschwunden. In dieser neuen Lage griffen sie zu Steinen, um deutlich zu machen, dass sie nicht ewig besetzt bleiben wollten. Anlass zur ersten „Intifada“ (Erhebung) hatte ein den Palästinensern verdächtig erscheinender Autounfall in Eretz, dem Übergang vom Gazastreifen nach Israel, gegeben, in dem vier Palästinenser umkamen und sieben schwer verletzt wurden. Die Israeli waren über den Aufstand ebenso überrascht wie empört. Rabin gab Befehl „Arme und Beine zu brechen“, was auch geschah. Die bisher überwiegend passive Gesellschaft der Palästinenser des Inneren organisierte sich als Gesellschaft des Widerstandes. Der Umstand, dass dieser Widerstand mit Steinen ausgekämpft wurde und nicht mit Gewehrkugeln, aber dennoch auf den ganzen brutal eingesetzten Machtapparat Israels stiess, brachte der Erhebung beträchtliche Sympathien in der Aussenwelt ein. Doch über die Jahre nützte sich die Bewegung ab. Sie kam nicht zum Erliegen, aber sie litt zunehmend unter inner-palästinensischen Kämpfen und Gewalttaten, weil die israelischen Geheimdienste immer mehr palästinensische Spitzel einsetzten und der Widerstand diese blutig zu eliminieren versuchte, wobei er wohl manchmal auch Unschuldige traf.
Der sogenannte Friedensprozess (1993 bis 2000) löste die absterbende Intifada ab. Er wurde wiederum von den Palästinensern des Äusseren getragen. Die PLO, seit 1982 von Palästina weit weg nach Tunesien und Yemen entfernt, entschloss sich, Israel anzuerkennen. Arafat wurde gezwungen, eine Formel in diesem Sinn nachzusprechen, die ihm Washington vorschrieb. Als Gegenleistung glaubte er, die Zusage erhalten zu haben, einen palästinensischen Staat in den Besetzten Gebieten zu errichten. Dies sollte schrittweise über fünf Jahre geschehen. Doch es erwies sich: die Verträge des Friedensprozesses waren so formuliert, dass die israelische Seite immer im Stande war, der palästinensischen Auffassung eine Gegeninterpretation entgegenzustellen. Die PLO glaubte die Zusage erhalten zu haben, dass ein echter Staat in allen Besetzten Gebieten, einschliesslich Ostjerusalems, als Endziel des „Friedensprozesses“ verwirklicht werde. Doch Israel legte die unbestimmt
formulierten Verträge so aus, dass weniger als ein Staat in weniger als den Besetzten Gebieten versprochen sei. Statt von einem Staat sprachen die Israeli von einer „Entität“, und es zeigte sich, dass sie darunter mehrere nicht zusammenhängende Territorien innerhalb des Westjordanlandes verstehen wollten, die nur beschränkte Autonomie und keinerelei Hoheitsrechte über ihre eigenen Grenzen besitzen sollten.
Was Jerusalem angehe, sei es nun Israel geworden, sagten die Israeli,obwohl im besetzten Ostjerusalem weiterhin gegen 150 000 Palästinenser lebten. Sie wurden unter Druck gesetzt, aus Jerusalem zu verschwinden. Und in den Besetzten Gebieten gab es immer mehr Siedler in immer wachsenden Siedlungen. 1993 zu Beginn des „Prozesses“ waren sie rund 100 000; ihre Zahl war auf über 200 000 gewachsen, als der„Prozess“ im Jahre 2000 zusammenbrach. Seither ist sie um gute 60 000 weiter gewachsen.

Da Israel der ungleich stärkere Partner war und die Vereinigten Staaten, die stets als der einzige Vermittler auftraten, so gut wie nie gegen Israel sprachen, war Israel in der Lage, seine Sicht der Dinge immer erneut durchzusetzen. Der „Prozess“, der vertraglich auf fünf Jahre festgelegt war, dauerte acht Jahre. Im Jahre 2000 brach er in Camp David zusammen. Arafat sollte unter heftigem Druck der Amerikaner und Israeli gezwungen werden, einen endgültigen Friedensvertrag zu unterschreiben, nachdem jahrelang die Hauptfragen, die den geplanten Staat betrafen, systematisch zurückgestellt worden waren. Sie waren: Wer erhält Ostjerusalem? Was geschieht mit den Siedlern? Entsteht ein Staat, oder weniger als ein Staat?, welche sind seine Grenzen? Wer kontrolliert diese Grenzen? Was geschieht mit den Vertriebenen und Flüchtlingen aus den Jahren 1948 und 1967, die ein von der Uno verbrieftes Recht auf Heimkehr oder Kompensation besitzen? Arafat, der schon einmal zu seinem Nachteil zweideutig formulierte Verträge unterzeichnet hatte, forderte mehr Zeit und eindeutigere Verhandlungsergebnisse. Doch Zeitdruck, gegeben durch die amerikanische und die israelische politische Agenda, die Präsidentenwahlen und die politischen Wahlen in Israel, führte zum Abbruch der Verhandlungen.
Kaum war es dazu gekommen, begann eine israelische und amerikanische Propaganda Kampagne, um Arafat die „Schuld“ am Zusammenbruch der Verhandlungen zuzusprechen.. Sie fand viel Glauben in Europa und der übrigen Aussenwelt. Die gegenteilige, besser begründete Sicht der palästinensischen Unterhändler fand kaum Gehör.
Israel trat in die Vorwahlperiode ein. Zu den Wahlmaneuvern gehörte der „Spaziergang“ Sharons auf dem Gelände der Aqsa Moschee von Jerualem, begleitet von 1000 Bewaffneten, der am 28. September 2000 stattfand. Damals bezeichneten sogar die Amerikaner dieses Vorgehen als eine Provokation. Bei Provokationen gibt es immer den Provokateur und den Provozierten. Der Provozierte begeht einen Fehler, wenn er sich provozieren lässt. Der Provokateur jedoch einen zutiefst unmoralischen Akt, weil er darauf ausgeht, bestehende Spannungen zu vertiefen, um den dadurch ausgelösten Streit oder noch lieber das Blutvergiessen zu seinen Gunsten auszunützen, gleichgültig wieviele Opfer dies kosten wird. Das damals erfolgreich ausgelöste Blutvergiessen hat bis heute nicht aufgehört, neue blutige Opfer zu kosten. Es erhielt den Namen einer „zweiten Intifada“ ( seit 2000 bis heute). Sie fiel blutiger aus als die erste, die im wesentlichen nur durch Steinwürfe vorgetragen wurde. Die seit 1993 entstandene palästinensische Polizei besass leichte Schusswaffen, und es gab Gruppen unter den Palästinensern, die davon Gebrauch machten. Die Israeli brachen mit der geballten Macht ihrer modernen, hoch ausgerüsteten Streitkräfte in die Westjordangebiete und nach Gaza ein. Sharon wurde zum neuen Regierungschef. Er beschloss einen Plan zu verwirklichen, den er schon Jahre zuvor gefasst hatte. Dieser beruhte auf einer „einseitigen Lösung“ des Streites um die Besetzten Gebiete. Damit war gemeint: keine Verhandlungslösung sondern ein israelisches Diktat. Sein Inhalt war dadurch bestimmt, dass Sharon erkannte: die über zwei Millionen Palästinenser im Westjordanland und die anderthalb im Gazastreifen liessen sich nicht einfach beiseite schieben oder sonst beseitigen. Sie waren da, und ihre Zahl wuchs schneller als jene der Israeli. Wenn Israel möglichst viel ihres Landes in Besitz nehmen, die Menschen aber Israel nicht einverleiben wollte, die in dem Lande lebten, musste es versuchen, die Menschen auf enge Gebiete zu konzentrieren und zugleich möglichst weite Zonen ihres Landes für sich in Besitz zu nehmen. Dies führte zum Konzept dessen, was die Palästinenser „Bantustans“ nennen: von einander isolierte Konzentrationen der Palästinenser in den dicht besiedelten städtischen und halbstädtischen Gebieten und Inbeschlagnahme des übrigen Landes durch israelische Siedler und den israelischen Staat.
Die Selbstmordbomben, die in den ersten Jahren der Herrschaft Sharons und schon in den Jahren zuvor von palästinensischen Extremisten im israelischen Gebiet ausgelöst wurden und zu zahlreichen Todesopfern führten, veranlassten einen weiteren Plan, der mit dem Batustan Konzept kombiniert wurde: die Abkapselung der palästinensischen Gebiete durch eine Mauer, offiziell „Sicherheitszaun“. Dieses gewaltige Absperrungswerk verläuft nicht auf der „Grünen Linie“ , jener des Waffenstillstands von 1948, die zur international anerkannten Grenze Israels geworden war, sondern auf der palästinischen Seite dieser Grenze, mit tiefen Einbuchtungen, die dazu dienen, möglichst viele der israelischen Siedlungen auf der palästinensischen Seite mit „ihrem“, oft von palästinensischen privaten Besitzern widerrechtlich beschlagnahmten, Land zu umgehen, so dass sie auf die israelische Seite des „Sicherheitszauns“ zu liegen kommen.
Die Westjordangebiete wurden darüber hinaus durch besondere Strassen voneinander getrennt, die nur von den Siedlern und israelischen Fahrzeugen benützt werden dürfen und die zu betreten oder zu überqueren den Palästinensern bei schwerer Strafe verboten ist. Auf den Strassen, die auch Palästinenser benützen dürfen, wurden 160 festungsartige israelische Sperren errichtet (darüber hinaus gibt es auch „fliegende“ Strassensperren) , an denen die Armee langwierige Kontrollen durchführt. Die Bewegungsfreiheit der Palästinenser wurde dadurch weitgehend blockiert. Der Verkehr wurde manchmal gänzlich lahm gelegt, andere male stundenlang aufgehalten, so dass die Wirtschaft der Palästinenser fast völlig zum Erliegen kam. Dies bewirkte einen starken Fall des Sozialproduktes im Westjordangebiet. Heute lebt mehr als die Hälfte der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Viele der Kinder und Frauen sind unterernährt. Arbeitslosigkeit ist der Normalzustand geworden.
Um diese Bantustanlösung im Westjordanland durchführen zu können, schritt Sharon zur Entfernung der relativ kleinen Zahl von 8 000 Siedlern, die im Gazastreifen eingepflanzt worden waren. Dies war, wie sein engster Mitarbeiter Dov Weisglass erklärte, „das Formalin, das nötig war, um zu vermeiden, dass ein politischer Prozess mit den Palästinensern stattfinde“ 1) . Gaza sollte das erste der von den Israeli einseitig festgelegten Bantustans werden. Und wurde es auch. Die dort auf engem Gebiet zusammengedrängten guten anderthalb Millionen Palästinenser wurden wasserdicht von der Aussenwelt abgekapselt. Gaza wurde dadurch in „ein grosses Gefängnis“ verwandelt. Dies trieb natürlich den Extremismus der radikalen Palästinensergruppen weiter voran und half mit, den Wahlsieg der kämpferischen Hamas zu bewirken.
Weil Hamas die Anerkennung Israels ablehnt, boykottierten alle Aussenmächte, die bisher die Flüchtlingsanballung von Gaza unterstützt hatten, die immerhin völlig legal gewählte Hamas Regierung. Die so gesteigerte Not führte zu Kämpfen zwischen den Bewaffneten der PLO und jenen von Hamas, die mit dem Sieg von Hamas in Gaza endeten. Dieser Sieg bedeutete aber auch eine noch engere Einschnürung der dortigen Bevölkerung mit dem zu erwartenden Resultat, dass die nun mittellos gewordenen zivilen Politiker, welche die Kampfpartei bisher angeführt hatten, immer mehr Macht an die bewaffneten Kämpfer von Hamas verloren.
Die Kämpfer sind Leute, die den Verzweiflungskampf gegen Israel mit allen denkbaren Mitteln und ungeachtet der Folgen, auch für die Palästinenser, um jeden Preis fortführen wollen. Sie denken unpolitisch und handeln emotional. Sie werden dadurch zu Partnern der israelischen Rechtsregierungen und fördern deren Programm der Inbesitznahme des Landes Palästina unter möglichster Niederhaltung seiner Bevölkerung. Ein jeder ihrer Anschläge, erfolgreich oder ohne Erfolg, gibt ihren israelischen Gegenspielrn mehr Grund, die Frage der Sicherheit der Israeli hochzuspielen und sie als Vorwand zu benützen, um weitere Massnahmen zum Landraub und zur allseitigen Schwächung der palästinensischen Gesellschaft zu treffen.
Die Kämpfer im Westjordanland bewirken das gleiche. Karin Wenger schildert sie ausführlich. Es besteht eine innere Diskussion unter den Palästinensern, ob die Anschläge nützlich oder verderblich seien. Je brutaler die Besetzungsmächte zugreifen, desto mehr fördern sie die These der Kämpfer, nämlich, dass „die Israeli“ nichts anderes als Gewalt verstünden und dass deshalb ungeachtet aller israelischen und palästinensischen Opfer Terror notwendig sei. Auf diesem Weg setzen die Besatzungssoldaten die ursprüngliche Provokation Sharons fort und vertiefen ihre Wirkung. Ihr Gewinn, so wie ihn die israelischen Rechtsregierungen sehen, liegt darin, dass mehr Terrortaten mehr Vorwand liefern, um mehr Land in Beschlag zu nehmen und die Zersetzung der palästinensischen Gesellschaft weiter voran zu treiben.
Karin Wegner zeigt deutlich auf: beide Seiten, die Täter der Palästinenser und ihre kaum 20 jährigen Niederhalter sind eingebunden in ein System, aus dem sie nicht mehr entrinnen können. Die Terrorkämpfer können so wenig zurück wie die Soldaten. Beide Seiten kommen nicht frei von Gruppenzusammenhängen, von den Hierarchien der sie übersteigenden Organisationen und von den Ängsten, die diese Hierarchien bewusst verbreiten. Auch eine dritte Gruppe, jene der vielen Tausenden von mit allen ausgeklügelten Druckmittteln zu ihrer dreckigen Arbeit gezwungenen Spitzeln, kann nicht mehr zurück. Hier liegt der wahrhaft teuflische Urgrund der menschengemachten Hölle von Nablus und Balata, zu der wir auch Gaza und Hebron hinzurechnen müssen. Es gibt Drahtzieher, welche die heutige Lage angestrebt haben und sie weiter mit aller Kraft aufrecht erhalten. - Warum handeln sie so? Ihre Motive lassen sich nur erahnen: vielleicht eine Mischung von nationalistischem und religiösem Fanatismus, in die ein starker persönlicher Macht- und Karrieretrieb hineinspielt. Dazu kommt die Verzweiflung auf der Seite der Verlierer und das Siegesgefühl auf jener der vermeintlichen Gewinner. Doch die Drahtzieher auf beiden Seiten sind sich wahrscheinlich der Kräfte wenig bewusst, die sie befeuern. Sie verkleiden sie vor sich selbst mit der Behauptung, ihr Handeln sei notwendig, so schmerzlich es sei. Einen anderen Weg gebe es nicht. Dabei gäbe es einen anderen Weg, den einer ehrlichen Zweistaatenlösung; gerade den aber wollen die Drahtzieher nicht. Wer wären sie noch, wenn er begangen würde?
Was aber bewirkt, dass diese Drahtzieher, ebenfalls auf der palästinensischen und auf der israelischen Seite, Zustimmung, Gehorsam, Beifall, Selbstaufopferung bei Mehrheiten ihrer Gesellschaften finden? Auf der israelischen Seite spielt die Angst eine wesentliche Rolle. Aus sehr begreiflichen Gründen ist es sehr leicht, den Israeli Angst vor ihren Feinden einzuflössen. Immerwieder taucht der wenig zutreffende Vergleich ihrer arabischen Gegner mit Hitler auf. - Nie wieder darf es einen Holocaust geben! „Sicherheit“ wird der Vorwand, der die Agressionspolitik radikaler Minderheiten verschleiern kann. Was dabei übersehen wird, ist der Umstand, dass die Feindschaft der dominierten und misshandelten Palästinenser durch diese Behandlung immer neu angefacht wird.
Auf der arabischen Seite ist es in ähnlichem Masse leicht, an das heldische Selbstbild der einfachen Leute zu appellieren. „Wir sind doch Helden; unsere Ehre erfordert es!“ Zunehmend wird jedoch die heroische Selbstsicht durch Verzweiflung ersetzt, die dadurch entsteht, dass die Realität statt aus Heldentum aus Erniedrigungen besteht. Selbstgefordertes Heldentum im Zusammenstoss mit erfahrener und stets wiederholter Dehmütigung führt zu Selbstzweifeln bei Vielen und zu Selbstmordbereitschaft bei Einigen.
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1) Die Erklärung verdient eine ausführlichere Wiedergabe :
Haaretz 8. 10. 04 von Dov Weisglass, zitiert in der Kolonne « Verbatim » in Le Monde vom 8. 10. 2004:
(...) Le désengagement, c’est en fait du formol, c’est la dose de formol nécessaire pour qu’il n’y ait pas de processus politique avec les Palestiniens. (...) A l’automne 2003, nous avons compris que tout était bloqué et que, même si les Américains rendaient les Palestiniens seuls responsables (...), cette situation ne pourrait pas durer, qu’ils ne nous laisseraient pas tranquilles (...), que le temps ne jouait pas en notre faveur. Il y avait une détérioration internationale, et intérieure (...), l’économie stagnait. L’initiative de Genève -pour un accord de paix définitif- était populaire. Et puis il y a eu les lettres d’officiers et de pilotes -critiquant la politique israélienne- (...).
Le processus de paix est un ensemble d’idées et d’engagements. - Il signifie la création d’un Etat palestinien avec tous les dangers pour la sécurité qui y sont liés. Le processus de paix, c’est l’évacuation de colonies, c’est le retour des réfugiés, c’est le partage de Jérusalem, tout cela est maintenant gelé.
Ce sur quoi nous sommes tombés d’accord avec les Américains, c’est qu’une partie des colonies ne sera jamais concernée -par une négociation- et que l’autre ne sera pas discutée tant que les Palestiniens n’auront pas changé ("turn into Finns"). Sur 240 000 colons - hors les quartiers de colonisation de Jérusalem-Est -, 190 000 n’auront pas à quitter leur maison.