Ägyptens Präsident gibt der “Islamischen Republik“ die Ehre und zeigt damit die Entschlossenheit zur Rückkehr in eine aktive Führungsrolle der Region
von Birgit Cerha
Zutiefst irritiert und in banger Erwartung der Folgen beobachten Kairos alte Bündnispartner in der arabischen Welt und im Westen den ersten Besuch eines ägyptischen Präsidenten in der „Islamischen Republik“. 33 Jahre lang hatte der gestürzte Präsident Mubarak den Iran politisch boykottiert und nur ein Minimum an diplomatieschen Beziehungen aufrechterhalten. Nun gibt sein freigewählter Nachfolger Mohammed Mursi heute, Donnerstag, den Führern des schiitischen „Gottesstaates“ die Ehre, um ihnen persönlich beim Gipfel der Blockfreien Staaten die dreijährige Führung der Organisation zu übertragen.
„Schande für Ägyptens Präsidenten“, empört sich ein Kommentator in der „New York Times“ und wirft Mursi vor, dem iranischen Regime, das eine Demokratiebewegung vom Schlage jener, die ihn selbst nun in Ägypten an die Macht gespült hat, brutal unterdrückt, „Legitimität verleiht“ und den demokratiehungrigen Iranern damit die Hoffnung raubt, doch noch eines Tages Ähnliches zu erringen. Dass Teheran die Vertreter aus 118 Ländern, darunter zahlreiche Präsidenten, vor allem aber auch jenen des wichtigsten arabischen Verbündeten Washingtons , Ägyptens, empfangen kann, schmerzt jene westlichen Führer, die seit Jahren um totale internationale Isolation des Irans wegen des umstrittenen Atomprogramms ringen. Iranische Politiker betrachten den Gipfel als „einen Misserfolg der USA“. Das gelte vor allem für Mursis Besuch, der „einen Meilenstein“ setze. Parlamentssprecher Ali Larijani rühmt die „Schlüsselrollen“, diese beiden, eng miteinander verbundenen Länder in der Geschichte der islamischen Zivilisation gespielt hätten.
Die „Islamische Revolution“ 1979 hatte die engen Bande zwischen beiden abrupt zerrissen. Revolutionsführer Khomeini verdammte den Friedensschluß zwischen Ägypten und Israel im selben Jahr als „Verrat des Islams“ und rief zum Sturz des damaligen Präsidenten Sadat auf. Dessen Mörder Khaled Islambouli 1981 ehrt das Regime bis heute, indem es eine Straße nach ihm benannte. Mubarak stufte den Iran als Gefahr für die regionale Stabilität ein und auch für die nationale Sicherheit Ägyptens. Eine jüngst von Wikileaks publizierte US-Diplomatenbotschaft vom 28.4.2009 zitiert Mubarak, der den Iran als „die größte Gefahr für den Mittleren Osten“ einschätzt und die dominierende Sorge seiner Bündnispartner Saudi-Arabien und anderer Golfstaaten vor iranischem und schiitischem Expansionismus in der Region teilt. Diese Angst quält auch die radikale und sehr einflußreiche salafistische Bewegung in Ägypten, die den Schiismus als Häresie verdammt und die „Islamische Republik“ damit als Erzfeind. Mursi verrate mit seinem Besuch in Teheran die durch Irans Bündnispartner, den syrischen Präsidenten Assad, blutig verfolgten Sunniten in Syrien, empören sich Salafisten-Führer. Er schwäche die Allianz der Sunniten in der Konfrontation mit dem Schiismus. Mursi hingegen ist bestrebt, die Kluft zwischen den islamischen Glaubensrichtungen zu überbrücken.
Teheran hatte denn auch seinen Aufstieg zur Macht am Nil hoffnungsvoll begrüßt, und zum erstenmal seit 1979 durften jüngst zwei iranische Marineschiffe durch den Suezkanal fahren. Offensichtlich mit Blick auf Ägyptens alte Bündnispartner versucht das Regime unterdessen die Bedeutung von Mursis Besuch herunterzuspielen. Der Ägypter bliebe nur vier Stunden in Teheran, um seine Funktion auf dem Gipfel zu erfüllen, auf dem Heimflug aus China, wo er seine erste Visite in einem nicht-arabischen Land angetreten und sich Finanzhilfe gesichert hatte. Beide Reisen besitzen zweifellos starken Symbolcharakter. Während Mursi als Signal an Washington durch seine Gespräche in Peking die Absicht unterstreicht, Chinas wachsende Rolle in der arabischen Welt – als Gegengewicht zu den USA – zu fördern, halten es diplomatische Kreise für wenig wahrscheinlich, dass der Ägypter rasch volle Beziehungen zum Iran aufnehmen werde. Vorerst zeichnet sich noch keine klare politische Linie gegenüber dem Iran ab. Mursi ist ein vorsichtiger Pragmatiker. Er kann es nicht riskieren, das Wohlwollen seiner strategischen Verbündeten und Finanziers – allen voran die USA und Saudi-Arabien – aufs Spiel zu setzen. Anderseits aber zeigt er Entschlossenheit, Ägyptens alte, von Mubarak lange vernachlässigte, Führungsrolle in der Region wieder aufzunehmen und sich dabei wohl mehr und mehr aus der totalen Abhängigkeit von den USA zu lösen. „Wir wollen ausgewogene Beziehungen mit jedem Land#“, erläutert denn auch sein Sprecher Yasser Ali. „Wir gehören keiner politischen Achse an.“ In solcher Funktion versucht Mursi schon jetzt eine neue Vermittlungsmission unter Einbindung des Iran für ein Ende des Blutbads in Syrien.
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Mittwoch, 29. August 2012
Montag, 27. August 2012
Syrien: Jihadis gewinnen an Stärke im Kampf gegen Assad
Mit wachsendem blutigem Chaos in Syrien steigen die Chancen für das Al-Kaida Terrornetzwerk auf diesem strategisch so wichtigen Boden einen neuen „Hafen“ zu errichten
von Birgit Cerha
Und wieder dringen aus Syrien Schreckensmeldungen von Massentötungen. Fast 200 Leichen hat die Opposition nach eigenen Angaben in Darayya, nahe von Damaskus, entdeckt, massakriert durch die Armee Bashar el Assads. Wiewohl nicht durch unabhängige Quellen bestätigt, besitzt der Bericht Glaubwürdigkeit, entspricht es doch der jüngsten Strategie des Regimes, zurückeroberte Gebiete durch Massenexekutionen wieder vollends unter seine Kontrolle zu zwingen. Im Fall Darayya geht es um die endgültige Vertreibung der bewaffneten Rebellen aus den südlichen Vororten von Damaskus.
Der Kampf um die Macht in Syrien nimmt immer grauenvollere Ausmaße an und dabei häufen sich die Hinweise darauf, dass auch Assads Gegner zunehmend Verbrechen gegen die Menschlichkeit verüben. So kursieren Berichte, dass Kämpfer der „Freien syrischen Armee“ (FSA) in Zentralsyrien einen zivilen Bus mit Rekruten der regulären Streitkräfte gestoppt und die verängstigten Insassen vor die Wahl gestellt hätten, entweder ihre Eltern zu einer Spende von umgerechnet etwa 9000 Euro an die FSA zu überreden, oder sich selbst den Rebellen anzuschließen. In dem Dorf Rableh hatten Kämpfer der FSA die überwiegend christliche Bevölkerung von 12.000 Menschen als Schutzschilder festgehalten, obwohl die Armee das Dorf bereits aufgegeben hatte. Zudem häufen sich Meldungen, dass Zivilisten von FSA-Kämpfern willkürlich festgenommen, gefoltert und massenweise exekutiert würden.
Die Brutalität eskaliert mit zunehmender Bewaffnung der Opposition. Mehr und mehr mischen sich in die Kreise der Rebellen radikale Gruppen, die die hemmungslosen Methoden und – zumindest teilweise – auch die Ideologie extremer Islamisten vom Schlage des Al-Kaida-Netzwerkes übernehmen. Schon taucht die alarmierende Frage auf, ob Al-Kaida die Gunst ihres Schicksals nützt, um Syrien zum neuen Schlachtfeld im Kampf um ein Welt-Kalifat zu verwandeln.
Beängstigende Parallelen zum Irak drängen sich auf. Wie einst im Zweistromland Saddam Husseins, hatte das Terrornetzwerk in der säkularen syrischen Diktatur keine Basis, wiewohl Assad die Grenzen für den Einmarsch der Jihadis aus anderen arabischen Ländern in den Irak lange offen gehalten hatte. Im blutigen Chaos nach dem von den USA initiierten gewaltsamen Sturz des irakischen Diktators Saddam Hussein 2003 aber bot sich den Al-Kaida Terroristen die Chance, im Irak den Erzfeind USA mit dem Ziel der Errichtung eines islamischen Reiches zu bekämpfen. Die Gewalttäter fanden Unterstützung bei den ob ihres Machtverlustes frustrierten sunnitischen Stämmen des Iraks, bis auch diese die ungeheuerlichen Brutalitäten gegen zahllose unschuldige Zivilisten, verbunden mit finanziellen Lockungen in die Kooperation mit den USA trieb. Von den vernichtenden Schlägen, die Washington durch einen verstärkten Militäreinsatz und die Hilfe sunnitischer Stammeskrieger dem Terrornetzwerk zufügte, konnte sich die Al-Kaida bis heute nicht erholen.
Syriens, seit Jahrzehnten weitgehend von der Macht ausgeschlossene sunnitische Bevölkerungsmehrheit ist zwar ähnlich frustriert, wie ihre irakischen Glaubensbrüder, doch radikal-islamistischem Gedankengut, wie es Al-Kaida verbreitet, kaum aufgeschlossen. So wartete Al-Kaida Chef Zawaheri zehn Monate der syrischen Rebellion ab, bis er im Januar erstmals seine Anhänger zur Unterstützung der sunnitischen Opposition gegen den „ungläubigen“ alawitischen Assad aufrief. Seither dringen kampferprobte Jihadisten aus dem Irak, aus Saudi-Arabien über die Türkei und aus Libyen in wachsenden Zahlen nach Syrien ein. Viele fassen zunächst auch im Libanon, im sunnitischen Grenzgebiet zu Syrien und in den Lagern der (sunnitischen) Palästinaflüchtlinge Fuß und Unterstützung für den Krieg auf syrischem Territorium. Zugleich wächst auch die Zahl syrischer Jihadigruppen. Einige von ihnen, wie die jüngst in Aleppo an die Öffentlichkeit getretene „Jabhat al-Nusra“ (al-Nusra Front zum Schutz der Menschen in der Levante“), wenden zwar die Methoden der Al-Kaida an, doch versuchen sich energisch von dem Terrornetz zu distanzieren. Ebenso will die FSA nach eigenen Aussagen nichts mit Al-Kaida zu tun haben. Dennoch besteht kein Zweifel, dass diese erfahrenen Krieger der militanten Opposition in ihrem ungleichen Kampf gegen die Übermacht der staatlichen Streitkräfte hoch willkommen sind.
Nach ‚Einschätzung von Experten haben die Entschlossenheit, Disziplin, Kampferfahrung und der religiöse Eifer der Jihadis die militante syrische Opposition in den vergangenen Monaten wesentlich gestärkt. Sie haben zugleich aber auch das Regime zu immer größeren Brutalitäten insbesondere gegen Sunniten provoziert. Somit dreht sich der Teufelskreis immer schneller. Denn mit wachsender Gewalt gewinnt der Anspruch der Al-Kaida, sich zur Schutztruppe der bedrängten syrischen Sunniten zu erheben, an Attraktivität. Und damit wächst die Chance des Terrornetzwerkes, auf syrischem Boden eine neue Basis aufzubauen, von der aus al-Kaida alle nationalen Grenzen durchstoßen und ein die gesamte Region – auch die derzeit Assads Gegner tatkräftig unterstützenden Golfstaaten – in ein Kalifat zwingen will. Ob Al-Kaida tatsächlich in Syrien eine Chance gewinnt, hängt jedoch entscheidend davon ab, ob sie bei den vom Assad-Regime stets vernachlässigten sunnitischen Stämmen in den Grenzregionen zum Irak und zu Jordanien Unterschlupf und Kooperation finden. Der anhaltende Horror ist Al-Kaidas größte Hoffnung.
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von Birgit Cerha
Und wieder dringen aus Syrien Schreckensmeldungen von Massentötungen. Fast 200 Leichen hat die Opposition nach eigenen Angaben in Darayya, nahe von Damaskus, entdeckt, massakriert durch die Armee Bashar el Assads. Wiewohl nicht durch unabhängige Quellen bestätigt, besitzt der Bericht Glaubwürdigkeit, entspricht es doch der jüngsten Strategie des Regimes, zurückeroberte Gebiete durch Massenexekutionen wieder vollends unter seine Kontrolle zu zwingen. Im Fall Darayya geht es um die endgültige Vertreibung der bewaffneten Rebellen aus den südlichen Vororten von Damaskus.
Der Kampf um die Macht in Syrien nimmt immer grauenvollere Ausmaße an und dabei häufen sich die Hinweise darauf, dass auch Assads Gegner zunehmend Verbrechen gegen die Menschlichkeit verüben. So kursieren Berichte, dass Kämpfer der „Freien syrischen Armee“ (FSA) in Zentralsyrien einen zivilen Bus mit Rekruten der regulären Streitkräfte gestoppt und die verängstigten Insassen vor die Wahl gestellt hätten, entweder ihre Eltern zu einer Spende von umgerechnet etwa 9000 Euro an die FSA zu überreden, oder sich selbst den Rebellen anzuschließen. In dem Dorf Rableh hatten Kämpfer der FSA die überwiegend christliche Bevölkerung von 12.000 Menschen als Schutzschilder festgehalten, obwohl die Armee das Dorf bereits aufgegeben hatte. Zudem häufen sich Meldungen, dass Zivilisten von FSA-Kämpfern willkürlich festgenommen, gefoltert und massenweise exekutiert würden.
Die Brutalität eskaliert mit zunehmender Bewaffnung der Opposition. Mehr und mehr mischen sich in die Kreise der Rebellen radikale Gruppen, die die hemmungslosen Methoden und – zumindest teilweise – auch die Ideologie extremer Islamisten vom Schlage des Al-Kaida-Netzwerkes übernehmen. Schon taucht die alarmierende Frage auf, ob Al-Kaida die Gunst ihres Schicksals nützt, um Syrien zum neuen Schlachtfeld im Kampf um ein Welt-Kalifat zu verwandeln.
Beängstigende Parallelen zum Irak drängen sich auf. Wie einst im Zweistromland Saddam Husseins, hatte das Terrornetzwerk in der säkularen syrischen Diktatur keine Basis, wiewohl Assad die Grenzen für den Einmarsch der Jihadis aus anderen arabischen Ländern in den Irak lange offen gehalten hatte. Im blutigen Chaos nach dem von den USA initiierten gewaltsamen Sturz des irakischen Diktators Saddam Hussein 2003 aber bot sich den Al-Kaida Terroristen die Chance, im Irak den Erzfeind USA mit dem Ziel der Errichtung eines islamischen Reiches zu bekämpfen. Die Gewalttäter fanden Unterstützung bei den ob ihres Machtverlustes frustrierten sunnitischen Stämmen des Iraks, bis auch diese die ungeheuerlichen Brutalitäten gegen zahllose unschuldige Zivilisten, verbunden mit finanziellen Lockungen in die Kooperation mit den USA trieb. Von den vernichtenden Schlägen, die Washington durch einen verstärkten Militäreinsatz und die Hilfe sunnitischer Stammeskrieger dem Terrornetzwerk zufügte, konnte sich die Al-Kaida bis heute nicht erholen.
Syriens, seit Jahrzehnten weitgehend von der Macht ausgeschlossene sunnitische Bevölkerungsmehrheit ist zwar ähnlich frustriert, wie ihre irakischen Glaubensbrüder, doch radikal-islamistischem Gedankengut, wie es Al-Kaida verbreitet, kaum aufgeschlossen. So wartete Al-Kaida Chef Zawaheri zehn Monate der syrischen Rebellion ab, bis er im Januar erstmals seine Anhänger zur Unterstützung der sunnitischen Opposition gegen den „ungläubigen“ alawitischen Assad aufrief. Seither dringen kampferprobte Jihadisten aus dem Irak, aus Saudi-Arabien über die Türkei und aus Libyen in wachsenden Zahlen nach Syrien ein. Viele fassen zunächst auch im Libanon, im sunnitischen Grenzgebiet zu Syrien und in den Lagern der (sunnitischen) Palästinaflüchtlinge Fuß und Unterstützung für den Krieg auf syrischem Territorium. Zugleich wächst auch die Zahl syrischer Jihadigruppen. Einige von ihnen, wie die jüngst in Aleppo an die Öffentlichkeit getretene „Jabhat al-Nusra“ (al-Nusra Front zum Schutz der Menschen in der Levante“), wenden zwar die Methoden der Al-Kaida an, doch versuchen sich energisch von dem Terrornetz zu distanzieren. Ebenso will die FSA nach eigenen Aussagen nichts mit Al-Kaida zu tun haben. Dennoch besteht kein Zweifel, dass diese erfahrenen Krieger der militanten Opposition in ihrem ungleichen Kampf gegen die Übermacht der staatlichen Streitkräfte hoch willkommen sind.
Nach ‚Einschätzung von Experten haben die Entschlossenheit, Disziplin, Kampferfahrung und der religiöse Eifer der Jihadis die militante syrische Opposition in den vergangenen Monaten wesentlich gestärkt. Sie haben zugleich aber auch das Regime zu immer größeren Brutalitäten insbesondere gegen Sunniten provoziert. Somit dreht sich der Teufelskreis immer schneller. Denn mit wachsender Gewalt gewinnt der Anspruch der Al-Kaida, sich zur Schutztruppe der bedrängten syrischen Sunniten zu erheben, an Attraktivität. Und damit wächst die Chance des Terrornetzwerkes, auf syrischem Boden eine neue Basis aufzubauen, von der aus al-Kaida alle nationalen Grenzen durchstoßen und ein die gesamte Region – auch die derzeit Assads Gegner tatkräftig unterstützenden Golfstaaten – in ein Kalifat zwingen will. Ob Al-Kaida tatsächlich in Syrien eine Chance gewinnt, hängt jedoch entscheidend davon ab, ob sie bei den vom Assad-Regime stets vernachlässigten sunnitischen Stämmen in den Grenzregionen zum Irak und zu Jordanien Unterschlupf und Kooperation finden. Der anhaltende Horror ist Al-Kaidas größte Hoffnung.
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Montag, 13. August 2012
Mursis Coup gegen Ägyptens Junta
„Vollendet“ der islamistische Präsident tatsächlich die Revolution oder erhebt er sich zum neuen „Super-Aitokraten“?
von Birgit Cerha
[Bild: li. Tantawi, re. Mursi]Nach 18 turbulenten Monaten könnte in Ägypten wieder eine Ära zuende gehen. Schon frohlocken die Anhänger des ersten freigewählten Staatsoberhauptes, Mohammed Mursi hätte mit seiner Absetzung der herrschenden Militärchefs und Annullierung der von diesen erlassenen Verfassungsbestimmungen die im Januar 2011 begonnene Revolution gegen die Diktatur Hosni Mubaraks „vollendet“. Denn bis jetzt hatte der Höchste Militärrat (SCAF) die absolute Macht ausgeübt.Als sich bei den Präsidentschaftswahlen im Juni der Sieg des Moslembruders Mursi abzeichnete, hatte SCAF im letzten Moment durch Ergänzungsbestimmungen der Verfassung das höchste Staatsamt jeder Macht entkleidet. Der Repräsentant der Erzfeinde des alten Regimes sollte so zum Strohmann der wahren Herrscher degradiert werden. Die offene Konfrontation zwischen den beiden stärksten Kräften im Land war damit programmiert.
Dass der farblose, doch jahrzehntelang so treue Diener der Moslembruderschaft so rasch, so entschlossen und so radikal agieren würde, hatte niemand erwartet. Ist es doch das erstemal in der Geschichte Ägyptens, dass ein Zivilist Entscheidungen des Militärcherfs annulliert. Dementsprechend groß sind, je nach politischer Orientierung, Schock und Verwirrung. Eine Vielzahl von Fragen bleibt offen, für andere bieten sich unbehagliche Antworten an.
Die Absetzung des SCAF-Chefs, Feldmarschall Tantawis, und dessen fast ebenso mächtigen Stabschefs Sami Enan, beide lange engste Vertraute Mubaraks, erleichtert all die vielen Ägypter, die – zurecht – befürchteten, ihr Land könne sich nicht aus den Fängen der Militärs befreien. Tantawi und Enan werden Mursi als „Berater“ zur Seite stehen. Die Entscheidung sei in friedlichem Einvernehmen getroffen worden, beteuert Mohamed al-Assar, das nun führende SCAF-Mitglied und neuer stellvertretender Verteidigungsminister. Doch werden Tantawi, Enan und die anderen abgesetzten Militärkommandanten diesen Machtverlust tatsächlich tatenlos hinnehmen, vielleicht mit dem Versprechen der Immunität. Denn, ebenso wie Mubarak und dessen Clique, wären auch Tantawi und Enan Gefängnis wegen gravierender Verletzung von Menschenrechten und Machtmissbrauchs gewiss.
Weit wichtiger als die Personalentscheidungen aber ist Mursis Annullierung der Verfasssungsbestimmungen vom Juni, durch die er die legislative Macht, die Kontrolle über das Budget und den Prozess zur Erarbeitung einer neuen Verfassung von SCAF auf das Präsidentenamt überträgt. Mursi vereint damit nicht nur die exekutive, sondern auch die legislative Macht in seiner Hand, da die Frage der Auflösung des Parlaments durch SCAF bis heute ungeklärt ist. Wird Mursi, sobald Ägypten wieder ein Parlament hat, die legislative Macht abgeben? Wird er sein Versprechen einhalten und Neuernennungen im Verfassungsgebenden Komitee vornehmen, damit nicht mehr nur die Islamisten dominieren, sondern alle Bevölkerungsgruppen vertreten sind? Das Recht dazu hat er sich von SCAF gesichert. Oder folgt er, wie die breite Schar der Anti-Islamisten am Nil befürchten, einer „geheimen Agenda“ der Moslembrüder, in Ägypten eine islamische Republik zu errichten und dafür schon jetzt dem Land seine Gesetze und seine Verfassung aufzuoktroyieren?
Viele Rechtsexperten zweifeln die Legalität der Entscheidungen vom Sonntag an. Mursi hatte auf die Verfassung mit all ihren nun aufgehobenen Zusatzbestimmungen seinen Amtseid geschworen. Dazu gehört auch die Zustimmung, dass nur SCAF all diese Regeln aufheben darf. Er hat, wie Tantawi autokratisch agiert, auch wenn er seine Macht dem Volkswillen verdankt. Die Neuernannten, insbesondere Tantawis Nachfolger Abdel Fattah al-Sisi, gelten als fromme Muslime mit Sympathien für die Moslembruderschaft. Dass die erbitterten und immer noch einflußreichen Gegner der Islamisten diese Entwicklung tatenlos hinnehmen, erscheint höchst zweifelhaft.
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von Birgit Cerha
[Bild: li. Tantawi, re. Mursi]Nach 18 turbulenten Monaten könnte in Ägypten wieder eine Ära zuende gehen. Schon frohlocken die Anhänger des ersten freigewählten Staatsoberhauptes, Mohammed Mursi hätte mit seiner Absetzung der herrschenden Militärchefs und Annullierung der von diesen erlassenen Verfassungsbestimmungen die im Januar 2011 begonnene Revolution gegen die Diktatur Hosni Mubaraks „vollendet“. Denn bis jetzt hatte der Höchste Militärrat (SCAF) die absolute Macht ausgeübt.Als sich bei den Präsidentschaftswahlen im Juni der Sieg des Moslembruders Mursi abzeichnete, hatte SCAF im letzten Moment durch Ergänzungsbestimmungen der Verfassung das höchste Staatsamt jeder Macht entkleidet. Der Repräsentant der Erzfeinde des alten Regimes sollte so zum Strohmann der wahren Herrscher degradiert werden. Die offene Konfrontation zwischen den beiden stärksten Kräften im Land war damit programmiert.
Dass der farblose, doch jahrzehntelang so treue Diener der Moslembruderschaft so rasch, so entschlossen und so radikal agieren würde, hatte niemand erwartet. Ist es doch das erstemal in der Geschichte Ägyptens, dass ein Zivilist Entscheidungen des Militärcherfs annulliert. Dementsprechend groß sind, je nach politischer Orientierung, Schock und Verwirrung. Eine Vielzahl von Fragen bleibt offen, für andere bieten sich unbehagliche Antworten an.
Die Absetzung des SCAF-Chefs, Feldmarschall Tantawis, und dessen fast ebenso mächtigen Stabschefs Sami Enan, beide lange engste Vertraute Mubaraks, erleichtert all die vielen Ägypter, die – zurecht – befürchteten, ihr Land könne sich nicht aus den Fängen der Militärs befreien. Tantawi und Enan werden Mursi als „Berater“ zur Seite stehen. Die Entscheidung sei in friedlichem Einvernehmen getroffen worden, beteuert Mohamed al-Assar, das nun führende SCAF-Mitglied und neuer stellvertretender Verteidigungsminister. Doch werden Tantawi, Enan und die anderen abgesetzten Militärkommandanten diesen Machtverlust tatsächlich tatenlos hinnehmen, vielleicht mit dem Versprechen der Immunität. Denn, ebenso wie Mubarak und dessen Clique, wären auch Tantawi und Enan Gefängnis wegen gravierender Verletzung von Menschenrechten und Machtmissbrauchs gewiss.
Weit wichtiger als die Personalentscheidungen aber ist Mursis Annullierung der Verfasssungsbestimmungen vom Juni, durch die er die legislative Macht, die Kontrolle über das Budget und den Prozess zur Erarbeitung einer neuen Verfassung von SCAF auf das Präsidentenamt überträgt. Mursi vereint damit nicht nur die exekutive, sondern auch die legislative Macht in seiner Hand, da die Frage der Auflösung des Parlaments durch SCAF bis heute ungeklärt ist. Wird Mursi, sobald Ägypten wieder ein Parlament hat, die legislative Macht abgeben? Wird er sein Versprechen einhalten und Neuernennungen im Verfassungsgebenden Komitee vornehmen, damit nicht mehr nur die Islamisten dominieren, sondern alle Bevölkerungsgruppen vertreten sind? Das Recht dazu hat er sich von SCAF gesichert. Oder folgt er, wie die breite Schar der Anti-Islamisten am Nil befürchten, einer „geheimen Agenda“ der Moslembrüder, in Ägypten eine islamische Republik zu errichten und dafür schon jetzt dem Land seine Gesetze und seine Verfassung aufzuoktroyieren?
Viele Rechtsexperten zweifeln die Legalität der Entscheidungen vom Sonntag an. Mursi hatte auf die Verfassung mit all ihren nun aufgehobenen Zusatzbestimmungen seinen Amtseid geschworen. Dazu gehört auch die Zustimmung, dass nur SCAF all diese Regeln aufheben darf. Er hat, wie Tantawi autokratisch agiert, auch wenn er seine Macht dem Volkswillen verdankt. Die Neuernannten, insbesondere Tantawis Nachfolger Abdel Fattah al-Sisi, gelten als fromme Muslime mit Sympathien für die Moslembruderschaft. Dass die erbitterten und immer noch einflußreichen Gegner der Islamisten diese Entwicklung tatenlos hinnehmen, erscheint höchst zweifelhaft.
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Donnerstag, 9. August 2012
Ägyptens Armee zeigt ihre Muskeln
Im Sinai öffnet sich eine neue blutige Front in Nahost, mit weitreichenden Folgen - Ein Test für Präsident Mursi und seine militärischen Gegenspieler
von Birgit Cerha
Ägyptens Militärführung entsandte Donnerstag Truppenverstärkungen auf die Halbinsel Sinai und dokumentiert damit ihre Entschlossenheit, die „Operation Adler“ gegen Terroristen und Kriminelle so lange zu eskalieren, bis auf dIm Sinai öffnet sich eine neue blutige Front in Nahost, mit weitreichenden Folgen - Ein Test für Präsident Mursi und seine militärischen Gegenspielerer an Israel und den palästinensischen Gaza-Streifen angrenzende Halbinsel Ruhe und Sicherheit eingekehrt ist. Auch Kampfflugzeuge und schwere Artillerie sind erstmals in diesem seit dem Friedensvertrag mit Israel 1979 de facto demilitarisierten Wüstenland im Einsatz.
Die Attacke einer Gruppe maskierter Männer in Beduinenkleidung, die Sonntag 16 ägyptische Soldaten im Nord-Sinai, an der Grenze zu Israel ermordeten, anschließend nach Israel eindrangen, wo Sicherheitskräfte einen blutigen Terroranschlag verhindern konnten und dabei acht Teroristen töteten, kam nicht unerwartet, löste aber vor allem in Ägypten einen schweren Schock aus. Sie entlarvt eine ganze Serie von Problemen mit möglicherweis großen Auswirkungen.Eine zentrale Sorge für die Stabilität der gesamten Region ist das Sicherheitsvakuum auf dem nur spärlich besiedelten Wüstengebiet, in dem Ägypten zwar im Vorjahr seine Militärpräsenz in einer Vereinbarung mit Israel erhöhte, jedoch die 800 Soldaten, die Kairo dort stationieren durfte, sind bei der Aufgabe, Terroristen, Kriminellen, Schmugglern das Handwerk zu legen und einen Flüchtlingsstrom aus Afrika fernzuhalten, hoffnungslos überfordert. Seit dem Sturz Präsident Mubaraks im Februar 2011 hat das illegale Treiben auf der Halbinsel, darunter auch die Entführung ausländischer Touristen, drastisch zugenommen.
Nach blutigen Attacken von heimischen Beduinen unterstützter palästinensischer Extremisten , die etwa 2004 nahe des von Israelis beliebten Ferienortes Taba 34 Menschen getötet hatten, ordnete Mubarak massive Vergeltung an. 3000 Bewohner der Region wurden festgenommen und nach Informationen von Menschenrechtsorganisationen brutal gefoltert, wiewohl sie nachweislich mit dem Anschlag nichts zu tun hatten. Diese scharfe Repression verhinderte in den darauffolgenden Jahren eine Wiederholung des Terrors, brachte aber die betroffene heimische Bevölkerung entschieden gegen das Regime im fernen Kairo auf. Wiewohl nach ersten Informationen offenbar keine Angehörigen der etwa 100.000 im Sinai lebenden Beduinen an den Terrorakten vom Sonntag und anschließenden Übergriffen auf Grenzposten beteiligt gewesen war, spielten die Beduinen in der Vergangenheit bei Gewaltakten eine nicht unwesentliche Rolle. Diese Bevölkerungsgruppe, die sich traditionell ihrem Stamm weit loyaler fühlt als dem ägyptischen Staat, der sie zudem seit Jahrzehnten ökonomisch sträflich vernachlässigt, ist nicht nur stark in Schmuggel verwickelt. Die Beduinen sind überwiegend traditionell religiös, wodurch auf der Halbinsel zunehmend aktive Jihadisten bei diesen Bewohnern leicht auch aktive Unterstützung finden.
Sowohl die Israelis, wie auch die ägyptische Militärführung sind davon überzeugt, dass „Globale Jihadisten“, möglicherweise mit Unterstützung aus Gaza, Sonntag, wie schon zuvor zuschlugen. Laut ägyptischer Militärführung halten sich bis zu 2000 Terroristen derzeit im Sinai auf und haben in den vergangenen eineinhalb Jahren mindestens 28 Mal die Gaspipeline von Ägypten nach Israel attackiert.
Die Beziehungen zwischen Israel und dem islamistischen Präsidenten Ägyptens stehen nun vor einem Test. Die Entschlossenheit, mit der Mursi reagierte und in Einklang mit dem Militär Operationen gegen mutmaßliche Terroristen startete, weckt die Hoffnung, dass auch das „neue Ägypten“ an sicheren Grenzen mit Israel interessiert ist. Doch dafür ist eine Revision der Verträge von Camp David, die Verstärkung ägyptischer Militärpräsenz, unerlässlich. Anderseits lassen Attacken aus der Luft, wie etwa jene auf die nahe von Gaza gelegene Stadt Touma, die wahllos Zivilisten treffen, eine verstärkte Solidarisierung der lokalen Bevölkerung mit Extremisten befürchten.
In Gaza versucht unterdessen die islamistische Hamas, die sich durch den Gesinnungsgenossen Mursi eine starke Annäherung der Palästinenser an Ägypten erhofft, alles um sich von derartiger Gewalt zu distanzieren, verstärkte ihre Bewaffneten an der Grenze zu Ägypten und begann mit der Schließung einiger der 1.200 Tunnels, durch die ein reger Schmuggel aller Arten von Waren, Waffen und Menschen zwischen Ägypten und Gaza betrieben wird.
Mursi wiederum, kaum eineinhalb Monate im Amt, bieten die dramatischen Entwicklungen im Sinai die Möglichkeit, im internen Machtkampf mit den Militärs an Boden zu gewinnen. Die beiden Rivalen demonstrierten durch die Entscheidung zu einer großen Militäroperation Einigkeit, zugleich nützte Mursi die Chance, den vor allem unter den Gegnern der alten Ordnung verhaßten militärischen Geheimdienstchef, der auf israelische Warnungen vor einem Anschlag nicht reagiert hatte, abzusetzen – eine Entscheidung, die führende Demokratie-Aktivisten als „revolutionär“ preisen und die Chancen erhöhen, dass der neue von der Hälfte der ägyptischen Bevölkerung entschieden abgelehnte Präsident seinen ersten großen Test bestehen könnte.
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von Birgit Cerha
Ägyptens Militärführung entsandte Donnerstag Truppenverstärkungen auf die Halbinsel Sinai und dokumentiert damit ihre Entschlossenheit, die „Operation Adler“ gegen Terroristen und Kriminelle so lange zu eskalieren, bis auf dIm Sinai öffnet sich eine neue blutige Front in Nahost, mit weitreichenden Folgen - Ein Test für Präsident Mursi und seine militärischen Gegenspielerer an Israel und den palästinensischen Gaza-Streifen angrenzende Halbinsel Ruhe und Sicherheit eingekehrt ist. Auch Kampfflugzeuge und schwere Artillerie sind erstmals in diesem seit dem Friedensvertrag mit Israel 1979 de facto demilitarisierten Wüstenland im Einsatz.
Die Attacke einer Gruppe maskierter Männer in Beduinenkleidung, die Sonntag 16 ägyptische Soldaten im Nord-Sinai, an der Grenze zu Israel ermordeten, anschließend nach Israel eindrangen, wo Sicherheitskräfte einen blutigen Terroranschlag verhindern konnten und dabei acht Teroristen töteten, kam nicht unerwartet, löste aber vor allem in Ägypten einen schweren Schock aus. Sie entlarvt eine ganze Serie von Problemen mit möglicherweis großen Auswirkungen.Eine zentrale Sorge für die Stabilität der gesamten Region ist das Sicherheitsvakuum auf dem nur spärlich besiedelten Wüstengebiet, in dem Ägypten zwar im Vorjahr seine Militärpräsenz in einer Vereinbarung mit Israel erhöhte, jedoch die 800 Soldaten, die Kairo dort stationieren durfte, sind bei der Aufgabe, Terroristen, Kriminellen, Schmugglern das Handwerk zu legen und einen Flüchtlingsstrom aus Afrika fernzuhalten, hoffnungslos überfordert. Seit dem Sturz Präsident Mubaraks im Februar 2011 hat das illegale Treiben auf der Halbinsel, darunter auch die Entführung ausländischer Touristen, drastisch zugenommen.
Nach blutigen Attacken von heimischen Beduinen unterstützter palästinensischer Extremisten , die etwa 2004 nahe des von Israelis beliebten Ferienortes Taba 34 Menschen getötet hatten, ordnete Mubarak massive Vergeltung an. 3000 Bewohner der Region wurden festgenommen und nach Informationen von Menschenrechtsorganisationen brutal gefoltert, wiewohl sie nachweislich mit dem Anschlag nichts zu tun hatten. Diese scharfe Repression verhinderte in den darauffolgenden Jahren eine Wiederholung des Terrors, brachte aber die betroffene heimische Bevölkerung entschieden gegen das Regime im fernen Kairo auf. Wiewohl nach ersten Informationen offenbar keine Angehörigen der etwa 100.000 im Sinai lebenden Beduinen an den Terrorakten vom Sonntag und anschließenden Übergriffen auf Grenzposten beteiligt gewesen war, spielten die Beduinen in der Vergangenheit bei Gewaltakten eine nicht unwesentliche Rolle. Diese Bevölkerungsgruppe, die sich traditionell ihrem Stamm weit loyaler fühlt als dem ägyptischen Staat, der sie zudem seit Jahrzehnten ökonomisch sträflich vernachlässigt, ist nicht nur stark in Schmuggel verwickelt. Die Beduinen sind überwiegend traditionell religiös, wodurch auf der Halbinsel zunehmend aktive Jihadisten bei diesen Bewohnern leicht auch aktive Unterstützung finden.
Sowohl die Israelis, wie auch die ägyptische Militärführung sind davon überzeugt, dass „Globale Jihadisten“, möglicherweise mit Unterstützung aus Gaza, Sonntag, wie schon zuvor zuschlugen. Laut ägyptischer Militärführung halten sich bis zu 2000 Terroristen derzeit im Sinai auf und haben in den vergangenen eineinhalb Jahren mindestens 28 Mal die Gaspipeline von Ägypten nach Israel attackiert.
Die Beziehungen zwischen Israel und dem islamistischen Präsidenten Ägyptens stehen nun vor einem Test. Die Entschlossenheit, mit der Mursi reagierte und in Einklang mit dem Militär Operationen gegen mutmaßliche Terroristen startete, weckt die Hoffnung, dass auch das „neue Ägypten“ an sicheren Grenzen mit Israel interessiert ist. Doch dafür ist eine Revision der Verträge von Camp David, die Verstärkung ägyptischer Militärpräsenz, unerlässlich. Anderseits lassen Attacken aus der Luft, wie etwa jene auf die nahe von Gaza gelegene Stadt Touma, die wahllos Zivilisten treffen, eine verstärkte Solidarisierung der lokalen Bevölkerung mit Extremisten befürchten.
In Gaza versucht unterdessen die islamistische Hamas, die sich durch den Gesinnungsgenossen Mursi eine starke Annäherung der Palästinenser an Ägypten erhofft, alles um sich von derartiger Gewalt zu distanzieren, verstärkte ihre Bewaffneten an der Grenze zu Ägypten und begann mit der Schließung einiger der 1.200 Tunnels, durch die ein reger Schmuggel aller Arten von Waren, Waffen und Menschen zwischen Ägypten und Gaza betrieben wird.
Mursi wiederum, kaum eineinhalb Monate im Amt, bieten die dramatischen Entwicklungen im Sinai die Möglichkeit, im internen Machtkampf mit den Militärs an Boden zu gewinnen. Die beiden Rivalen demonstrierten durch die Entscheidung zu einer großen Militäroperation Einigkeit, zugleich nützte Mursi die Chance, den vor allem unter den Gegnern der alten Ordnung verhaßten militärischen Geheimdienstchef, der auf israelische Warnungen vor einem Anschlag nicht reagiert hatte, abzusetzen – eine Entscheidung, die führende Demokratie-Aktivisten als „revolutionär“ preisen und die Chancen erhöhen, dass der neue von der Hälfte der ägyptischen Bevölkerung entschieden abgelehnte Präsident seinen ersten großen Test bestehen könnte.
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Mittwoch, 8. August 2012
Syriens Palästinenser: Schutzlos und ohne Freunde
Allmählich zerreißen die alten Bande mit dem Assad-Regime – Neutralität erweist sich als schweres Dilemma
von Birgit Cerha
Yarmouk am Südrand der syrischen Hauptstadt Damaskus, gleicht einem elenden Arbeiterviertel. Riesige Wohnblocks, durch enge Straßenzüßge getrennt, reihen sich aneinander. 150.000 Palästinenser leben hier, fast ein Drittel der gesamten Flüchtlingsgemeinde, die Syrien seit Jahrzehnten beherbergt und deren Schicksal – ein wenig auch deren Wohl – offiziell zum zentralen Anliegen der Herrschaft der beiden Assads – des Vaters, wie des Sohnes – zählte. Durch den Einsatz für die Rechte der Palästinenser gewann Hafez el Assad einst die bedeutende geostrategische Rolle für sein kleines Land.
Seit Beginn der Rebellion gegenBashar vor 17 Monaten bemühten sich die Palästinenser um Neutralität. Doch nun ziehen sie die Kräfte des Krieges mehr und mehr in ihren Sog. Auch Yarmouk ist, wie andere Teile Syriens, von Tod und Zerstörung gezeichnet. Zuletzt starben Anfang August 20 Palästinenser im Kugelhagel, vermutlich von Rebellen verfolgenden syrischen Streitkräften abgefeuert. Ängstlich besorgt, nicht auch noch die Palästinenser gegen sich aufzubringen, hatte das Regime allerdings rasch „kriminelle Elemente“ für das Massaker verantwortlich gemacht. In der Nähe stationierte Rebellen suchen vor oder nach Attacken gegen Regierungssoldaten immer wieder unter den Palästinensern Schutz – eine Praxis, die der zunehmend in die Enge getriebene Diktator nicht länger dulden will.
Syriens Palästinenser „bleiben strikt neutral“ in diesem Krieg, bekräftigt Palästinenserpräsident Abbas erneut eine Strategie, an der diverse Fraktionsführer in Syrien verzweifelt seit Monaten festzuhalten suchen. Doch die überwiegend älteren Funktionäre haben längst den Bezug vor allem zur jüngeren Flüchtlingsgeneration verloren. Unter diesen Jungen wachsen mit jedem Gewaltakt gegen ihre Gemeinde die Solidaritätsgefühle mit ihren um Freiheit, Demokratie und ein Ende der Unterdrückung kämpfenden syrischen Altersgenossen.
Der Großteil der im ganzen Land zerstreuten Palästinenser , rund 500.000, sind Flüchtlinge und deren Nachkommen aus dem ersten Krieg gegen Israel 1948, die anderen fanden nach anderen Kriegen hier Aufnahme. Wie in anderen arabischen Ländern, erhielten sie auch in Syrien keine Staatsbürgerschaft, doch sie genießen weit mehr Rechte. Alle Arbeitsplätze, sogar in der Regierung, stehen ihnen offen, sie können kostenlos studieren und die sogar Militärlaufbahn ergreifen. Doch Enttäuschung über Vater, wie Sohn Assad, die die Palästinenserfrage primär für eigene, national-syrische Interessen missbrauchten und in Wahrheit nichts unternahmen, um die Flüchtlinge dem ersehnten eigenen Staat näher zu bringen, hat unter Palästinensern vor allem der jüngeren Generation Gefühle der Dankbarkeit gegenüber den Assads verdrängt und mitunter sogar durch das Gegenteil ersetzt. Denn die Politik des Regimes gegenüber den Flüchtlingen war stets von (nationalem) Eigeninteresse geprägt. Immer wieder heizte Damaskus interne palästinensische Konflikte an und schmiedete Komplotte zur Ermordung von Palästinenserführern, die nicht ihren Interessen zuwiderhandelten. Auch jetzt bleiben Flüchtlingen Repressionen des Staates nicht erspart. Einen Tag nach dem Massaker in Yarmouk schleppten syrische Sicherheitskräfte verwundete Palästinenser aus einem Krankenhaus ab. Seither fehlt von ihnen, wie zahllosen Syrern seit 17 Monaten, jede Spur. An die 300 Palästinenser dürften nach Schätzungen seit Beginn der Rebellion ums Leben gekommen sein. In syrischen Gefängnisse schmachten unzählige Palästinenser. „Wir sind Waisen“, klagt ein eben Freigelassener.
„Niemand bemerkt, ob wir gefangen genommen oder freigelassen werden.“ Und als Staatenlose fühlen sie sich grenzenlos verwundbar, werden sie voll in den Krieg hineingezogen, finden sie kein Land, das ihnen Schutz bietet. Die Ankündigung der Führung der „Freien syrischen Armee“, Palästinenser auf syrischem Boden, die auf der Seite des Regimes stünden, seien „legitime Ziele“- und damit kann de facto jeder der Flüchtlinge gemeint sein – lässt Schlimmes für die Zukunft befürchten.
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von Birgit Cerha
Yarmouk am Südrand der syrischen Hauptstadt Damaskus, gleicht einem elenden Arbeiterviertel. Riesige Wohnblocks, durch enge Straßenzüßge getrennt, reihen sich aneinander. 150.000 Palästinenser leben hier, fast ein Drittel der gesamten Flüchtlingsgemeinde, die Syrien seit Jahrzehnten beherbergt und deren Schicksal – ein wenig auch deren Wohl – offiziell zum zentralen Anliegen der Herrschaft der beiden Assads – des Vaters, wie des Sohnes – zählte. Durch den Einsatz für die Rechte der Palästinenser gewann Hafez el Assad einst die bedeutende geostrategische Rolle für sein kleines Land.
Seit Beginn der Rebellion gegenBashar vor 17 Monaten bemühten sich die Palästinenser um Neutralität. Doch nun ziehen sie die Kräfte des Krieges mehr und mehr in ihren Sog. Auch Yarmouk ist, wie andere Teile Syriens, von Tod und Zerstörung gezeichnet. Zuletzt starben Anfang August 20 Palästinenser im Kugelhagel, vermutlich von Rebellen verfolgenden syrischen Streitkräften abgefeuert. Ängstlich besorgt, nicht auch noch die Palästinenser gegen sich aufzubringen, hatte das Regime allerdings rasch „kriminelle Elemente“ für das Massaker verantwortlich gemacht. In der Nähe stationierte Rebellen suchen vor oder nach Attacken gegen Regierungssoldaten immer wieder unter den Palästinensern Schutz – eine Praxis, die der zunehmend in die Enge getriebene Diktator nicht länger dulden will.
Syriens Palästinenser „bleiben strikt neutral“ in diesem Krieg, bekräftigt Palästinenserpräsident Abbas erneut eine Strategie, an der diverse Fraktionsführer in Syrien verzweifelt seit Monaten festzuhalten suchen. Doch die überwiegend älteren Funktionäre haben längst den Bezug vor allem zur jüngeren Flüchtlingsgeneration verloren. Unter diesen Jungen wachsen mit jedem Gewaltakt gegen ihre Gemeinde die Solidaritätsgefühle mit ihren um Freiheit, Demokratie und ein Ende der Unterdrückung kämpfenden syrischen Altersgenossen.
Der Großteil der im ganzen Land zerstreuten Palästinenser , rund 500.000, sind Flüchtlinge und deren Nachkommen aus dem ersten Krieg gegen Israel 1948, die anderen fanden nach anderen Kriegen hier Aufnahme. Wie in anderen arabischen Ländern, erhielten sie auch in Syrien keine Staatsbürgerschaft, doch sie genießen weit mehr Rechte. Alle Arbeitsplätze, sogar in der Regierung, stehen ihnen offen, sie können kostenlos studieren und die sogar Militärlaufbahn ergreifen. Doch Enttäuschung über Vater, wie Sohn Assad, die die Palästinenserfrage primär für eigene, national-syrische Interessen missbrauchten und in Wahrheit nichts unternahmen, um die Flüchtlinge dem ersehnten eigenen Staat näher zu bringen, hat unter Palästinensern vor allem der jüngeren Generation Gefühle der Dankbarkeit gegenüber den Assads verdrängt und mitunter sogar durch das Gegenteil ersetzt. Denn die Politik des Regimes gegenüber den Flüchtlingen war stets von (nationalem) Eigeninteresse geprägt. Immer wieder heizte Damaskus interne palästinensische Konflikte an und schmiedete Komplotte zur Ermordung von Palästinenserführern, die nicht ihren Interessen zuwiderhandelten. Auch jetzt bleiben Flüchtlingen Repressionen des Staates nicht erspart. Einen Tag nach dem Massaker in Yarmouk schleppten syrische Sicherheitskräfte verwundete Palästinenser aus einem Krankenhaus ab. Seither fehlt von ihnen, wie zahllosen Syrern seit 17 Monaten, jede Spur. An die 300 Palästinenser dürften nach Schätzungen seit Beginn der Rebellion ums Leben gekommen sein. In syrischen Gefängnisse schmachten unzählige Palästinenser. „Wir sind Waisen“, klagt ein eben Freigelassener.
„Niemand bemerkt, ob wir gefangen genommen oder freigelassen werden.“ Und als Staatenlose fühlen sie sich grenzenlos verwundbar, werden sie voll in den Krieg hineingezogen, finden sie kein Land, das ihnen Schutz bietet. Die Ankündigung der Führung der „Freien syrischen Armee“, Palästinenser auf syrischem Boden, die auf der Seite des Regimes stünden, seien „legitime Ziele“- und damit kann de facto jeder der Flüchtlinge gemeint sein – lässt Schlimmes für die Zukunft befürchten.
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Dienstag, 7. August 2012
Syriens Drusen: Assads loyalste Bürger
Doch selbst unter dieser Minderheit wächst der Ärger über die Brutalitäten des Regimes in dessen verzweifelten Überlebenskampf
von Birgit Cerha
[Bild: Drusenhochbrug Sweida im Mount Hauran]
Während Teile Syriens in Flammen stehen, sich das syrische Regime und dessen Gegner für die „Entscheidungsschlachten“ in den Metropolen Damaskus und Aleppo rüsten, herrscht auf dem vulkanischen Plateau von Mount Hauran gespenstische Ruhe – und das schon seit vielen Monaten. Doch auch hier, im Kernland der Drusen, 40 km südlich von Damaskus gelegen, wächst das Unbehagen, ja die Empörung über die hemmungslose Brutalität, mit der der schwerbedrängte Diktator Bashar el Assad seinen Überlebenskampf führt. Doch noch haben sich die Drusen in dieser höchst unangenehmen Wahl zwischen dem Herrscher, dem sie so lange vertraut haben, und der Schar seiner Gegner, unter denen die so lange von der Minderheit gefürchteten radikalen Islamisten starken Einfluss haben, mehrheitlich nicht entschieden. Doch die regimekritischen Stimmen werden immer lauter.
Lange hatten sich Scheichs der Drusen persönlich eingesetzt, um auch im Jebel el-Druze, wie die Syrer das Kerngebiet der Minderheit nennen, sich schwach formierenden Demonstrationen gegen Assad zu zerstreuen. Die Gründe, warum die Drusen so lange dem Assad-Regime treu bleiben, sind vielfältig. In der Minderheit ist die Loyalität zum Regime, insbesondere aber zur Familie Assads besonders stark ausgeprägt, da der Vater des heutigen Präsidenten, Hafez, die Wiedergewinnung der von Israel 1967 besetzten Golanhöhen zu seinem zentralen politischen Anliegen erhoben hatte, eine politische Strategie, die der Sohn Bashar treu fortsetzte. Durch seine Besetzung des Golans hat Israel Tausende drusische Familien zerrissen. Etwa 20.000 Drusen leben heute, hermetisch getrennt von ihren Angehörigen in Syrien, unter israelischer Herrschaft jenseits der Waffenstillstandslinie und haben auch nach mehr als 40 Jahren die Hoffnung auf Wiedervereinigung nicht aufgegeben – eine Hoffnung, die Bashar, wie sein Vater, nährte.
Das lange Schweigen der Drusen hat aber auch andere, rein praktische Gründe. Hohe Arbeits- und Perspektivlosigkeit hat die junge Generation, die den Kern der Rebellion in anderen Bevölkerungsgruppen Syriens stellt, aus dem Mount Hauran weitgehend verjagt. Wer konnte, suchte im Ausland eine neue Existenz, andere fanden in den Streit- und Sicherheitskräften des Regimes, ja sogar in der gefürchteten alawitischen Todesschwadronen, den Shabiha, ein gar nicht kleines Einkommen. Vor allem aber sind es die Urängste vor einem Machtgewinn radikaler sunnitischer Muslime, die die große Mehrheit der Drusen in passives Abwarten drängen.
Die Drusen zählen mit etwa 300.000 Menschen zu den kleinsten Minderheiten Syriens.Sie verstehen sich als „spirituelle Cousins“ der herrschenden alawitischen Minderheit des Landes. Wie jene der Alawiten, hat sich ihre monotheistische Religion aus dem Islam entwickelt. Sie geht auf Sultan al-Hakim Biamrillah, den Herrscher der ägyptischen Fatimiden zurück. Sein Tod 1021 wird von einigen seiner Anhänger als Übergang in die Verborgenheit ausgelegt, aus der er nach tausend Jahren wieder kehren werde, um die Weltherrschaft anzutreten – ein Mythos, der von der Schia übernommen wurde. Ob Hakim aber tatsächlich als Gründer der Drusen betrachtet werden kann, ist unklar, denn die theologische Lehre, nach der er als Inkarnation Gottes gilt, wurde erst nach seinem Tod von von Hamza ibn-Ali und Mohammed al-Darazi, zwei von der Schia abgespaltenen Gelehrten entwickelt. Der Name Drusen leitet sich von Darazi ab, der als einer der ersten Vertreter dieser Glaubensrichtung in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde.
Alle Richtungen des Islams betrachten die Drusen als Nicht-Muslime. Die Drusen selbst sehen in ihrem Glauben, „Din al-Tawhid“ (Religion der göttlichen Einheit) bezeichnet, eine Neu-Interpretation der drei monotheistischen Religionen – Judentum, Christentum und Islam. Ihre Theologie stützt sich aber auch auf hinduistische und andere Philosophen, auf den ägyptischen Pharao Echnaton, den Griechen Sokrates, Plato und Aristoteles, wie Alexander den Großen. ‚Sie haben eine allegorische Interpretation des Korans mit eigener Doktrin verwoben. Es ist besonders ihr Glaube an Reinkarnation, die Seelenwanderung, die unter Muslimen derartige Ablehnung auslöste, dass sie die Drusen blutig verfolgten. Diese zogen sich zum Schutz in die Berge, insbesondere des heutigen Libanons und Syriens, zurück, wo sie sich von ihrer Umwelt über Jahrhunderte abschotteten, ihren Glauben und ihre religiösen Praktiken weitgehend geheim hielten und keine Missionierung betrieben.
Sie entwickelten ein starkes Gemeinschaftsgefühl, das sie durch ausgeprägtes martialisches Geschick in einer ihnen häufig feindlich gesinnten Umwelt zu schützen suchten. Zugleich erhoben sie die Anpassung an äußere politische Kräfte, ohne Aufgabe der eigenen Identität, zu den Grundprinzipien ihres Lebens. Dennoch zeichnen sich die Drusen durch einen starken Sinn für Freiheit und Unabhängigkeit aus, haben sich so in der Geschichte durch mutigen Widerstand gegen Besatzungsmächte hervorgetan und damit mehr Freiheit erkämpft als andere Bevölkerungsgruppen in der Levante. Sie erhoben sich gegen die Osmanen und spielten eine wichtige Rolle in der „Großen Revolte“ gegen die französische Mandatsherrschaft (1925-27).
Der Libanon ist heute das einzige Land, in dem die Drusen eine aktive politische Rolle spielen. In Israel leben etwa 107.000 Drusen. Insgesamt gibt es weltweit nach Schätzungen nicht einmal eine Million Angehörige dieser Glaubensgemeinschaft. In Syrien konnten sie unter der 40-jährigen Baath-Herrschaft relativ frei leben und Baschar el Assad hofierte sie seit vielen Jahren, insbesondere seit Beginn der Revolten im Vorjahr. Sicherheitskräfte vermieden alles, um Drusen zu attackieren oder zu schikanieren. Dennoch schlossen sich einige drusische Intellektuelle der Opposition an, sind sowohl in dem in der Türkei stationierten „Syrischen Nationalrat“, wie in der „Freien Syrischen Armee“ vertreten. Wenn unter der weniger gebildeten Bevölkerungsmehrheit der sich schon abzeichnende Stimmungsumschwung voll einsetzt, würde Assad eine potentiell kämpferische Stütze seines Regimes verlieren.
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von Birgit Cerha
[Bild: Drusenhochbrug Sweida im Mount Hauran]
Während Teile Syriens in Flammen stehen, sich das syrische Regime und dessen Gegner für die „Entscheidungsschlachten“ in den Metropolen Damaskus und Aleppo rüsten, herrscht auf dem vulkanischen Plateau von Mount Hauran gespenstische Ruhe – und das schon seit vielen Monaten. Doch auch hier, im Kernland der Drusen, 40 km südlich von Damaskus gelegen, wächst das Unbehagen, ja die Empörung über die hemmungslose Brutalität, mit der der schwerbedrängte Diktator Bashar el Assad seinen Überlebenskampf führt. Doch noch haben sich die Drusen in dieser höchst unangenehmen Wahl zwischen dem Herrscher, dem sie so lange vertraut haben, und der Schar seiner Gegner, unter denen die so lange von der Minderheit gefürchteten radikalen Islamisten starken Einfluss haben, mehrheitlich nicht entschieden. Doch die regimekritischen Stimmen werden immer lauter.
Lange hatten sich Scheichs der Drusen persönlich eingesetzt, um auch im Jebel el-Druze, wie die Syrer das Kerngebiet der Minderheit nennen, sich schwach formierenden Demonstrationen gegen Assad zu zerstreuen. Die Gründe, warum die Drusen so lange dem Assad-Regime treu bleiben, sind vielfältig. In der Minderheit ist die Loyalität zum Regime, insbesondere aber zur Familie Assads besonders stark ausgeprägt, da der Vater des heutigen Präsidenten, Hafez, die Wiedergewinnung der von Israel 1967 besetzten Golanhöhen zu seinem zentralen politischen Anliegen erhoben hatte, eine politische Strategie, die der Sohn Bashar treu fortsetzte. Durch seine Besetzung des Golans hat Israel Tausende drusische Familien zerrissen. Etwa 20.000 Drusen leben heute, hermetisch getrennt von ihren Angehörigen in Syrien, unter israelischer Herrschaft jenseits der Waffenstillstandslinie und haben auch nach mehr als 40 Jahren die Hoffnung auf Wiedervereinigung nicht aufgegeben – eine Hoffnung, die Bashar, wie sein Vater, nährte.
Das lange Schweigen der Drusen hat aber auch andere, rein praktische Gründe. Hohe Arbeits- und Perspektivlosigkeit hat die junge Generation, die den Kern der Rebellion in anderen Bevölkerungsgruppen Syriens stellt, aus dem Mount Hauran weitgehend verjagt. Wer konnte, suchte im Ausland eine neue Existenz, andere fanden in den Streit- und Sicherheitskräften des Regimes, ja sogar in der gefürchteten alawitischen Todesschwadronen, den Shabiha, ein gar nicht kleines Einkommen. Vor allem aber sind es die Urängste vor einem Machtgewinn radikaler sunnitischer Muslime, die die große Mehrheit der Drusen in passives Abwarten drängen.
Die Drusen zählen mit etwa 300.000 Menschen zu den kleinsten Minderheiten Syriens.Sie verstehen sich als „spirituelle Cousins“ der herrschenden alawitischen Minderheit des Landes. Wie jene der Alawiten, hat sich ihre monotheistische Religion aus dem Islam entwickelt. Sie geht auf Sultan al-Hakim Biamrillah, den Herrscher der ägyptischen Fatimiden zurück. Sein Tod 1021 wird von einigen seiner Anhänger als Übergang in die Verborgenheit ausgelegt, aus der er nach tausend Jahren wieder kehren werde, um die Weltherrschaft anzutreten – ein Mythos, der von der Schia übernommen wurde. Ob Hakim aber tatsächlich als Gründer der Drusen betrachtet werden kann, ist unklar, denn die theologische Lehre, nach der er als Inkarnation Gottes gilt, wurde erst nach seinem Tod von von Hamza ibn-Ali und Mohammed al-Darazi, zwei von der Schia abgespaltenen Gelehrten entwickelt. Der Name Drusen leitet sich von Darazi ab, der als einer der ersten Vertreter dieser Glaubensrichtung in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde.
Alle Richtungen des Islams betrachten die Drusen als Nicht-Muslime. Die Drusen selbst sehen in ihrem Glauben, „Din al-Tawhid“ (Religion der göttlichen Einheit) bezeichnet, eine Neu-Interpretation der drei monotheistischen Religionen – Judentum, Christentum und Islam. Ihre Theologie stützt sich aber auch auf hinduistische und andere Philosophen, auf den ägyptischen Pharao Echnaton, den Griechen Sokrates, Plato und Aristoteles, wie Alexander den Großen. ‚Sie haben eine allegorische Interpretation des Korans mit eigener Doktrin verwoben. Es ist besonders ihr Glaube an Reinkarnation, die Seelenwanderung, die unter Muslimen derartige Ablehnung auslöste, dass sie die Drusen blutig verfolgten. Diese zogen sich zum Schutz in die Berge, insbesondere des heutigen Libanons und Syriens, zurück, wo sie sich von ihrer Umwelt über Jahrhunderte abschotteten, ihren Glauben und ihre religiösen Praktiken weitgehend geheim hielten und keine Missionierung betrieben.
Sie entwickelten ein starkes Gemeinschaftsgefühl, das sie durch ausgeprägtes martialisches Geschick in einer ihnen häufig feindlich gesinnten Umwelt zu schützen suchten. Zugleich erhoben sie die Anpassung an äußere politische Kräfte, ohne Aufgabe der eigenen Identität, zu den Grundprinzipien ihres Lebens. Dennoch zeichnen sich die Drusen durch einen starken Sinn für Freiheit und Unabhängigkeit aus, haben sich so in der Geschichte durch mutigen Widerstand gegen Besatzungsmächte hervorgetan und damit mehr Freiheit erkämpft als andere Bevölkerungsgruppen in der Levante. Sie erhoben sich gegen die Osmanen und spielten eine wichtige Rolle in der „Großen Revolte“ gegen die französische Mandatsherrschaft (1925-27).
Der Libanon ist heute das einzige Land, in dem die Drusen eine aktive politische Rolle spielen. In Israel leben etwa 107.000 Drusen. Insgesamt gibt es weltweit nach Schätzungen nicht einmal eine Million Angehörige dieser Glaubensgemeinschaft. In Syrien konnten sie unter der 40-jährigen Baath-Herrschaft relativ frei leben und Baschar el Assad hofierte sie seit vielen Jahren, insbesondere seit Beginn der Revolten im Vorjahr. Sicherheitskräfte vermieden alles, um Drusen zu attackieren oder zu schikanieren. Dennoch schlossen sich einige drusische Intellektuelle der Opposition an, sind sowohl in dem in der Türkei stationierten „Syrischen Nationalrat“, wie in der „Freien Syrischen Armee“ vertreten. Wenn unter der weniger gebildeten Bevölkerungsmehrheit der sich schon abzeichnende Stimmungsumschwung voll einsetzt, würde Assad eine potentiell kämpferische Stütze seines Regimes verlieren.
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Montag, 6. August 2012
Assad verliert seinen Premierminister
Schwerer politischer Schlag für das Regime, das auch militärisch zunehmend in die Defensive gerät
von Birgit Cerha
„Ich gebe heute bekannt, dass ich mich von diesem mörderischen und terroristischen Regime abwende und der für Freiheit und Würde kämpfenden Revolution anschließe.“ Die mit diesen Worten durch einen Sprecher bekanntgegebene Flucht des syrischen Preministers Riad Hijab ist der politisch bisher schwerste Schlag gegen das Regime Bashar el Assads seit Beginn der Revolution vor 17 Monaten. Als das staatliche Fernsehen Montag Früh die Absetzung des Premiers verkündete, hatte Hijab mit seiner Familie und nach bisher unbestätigten Berichten auch zwei Ministern die Grenze zu Jordanien überschritten. Finanzminister Mohammad Jalilati soll bei der Flucht festgenommen worden sein. Mit Hijab hat die syrische Opposition das höchstrangige Mitglied des Regimes für sich gewonnen.
Hijab gehört zwar nicht dem innersten Kreis um Assad an, doch er zählt seit 1982 zu den wichtigen Funktionären der herrschenden Baath-Partei, seit 1998 Mitglied des Führungsteams der Partei. Er war als Provinzchef von Latakia für die Niederschlagung von Unruhen verantwortlich, als diese im Vorjahr dort ausbrachen. Bashar hatte den damaligen Landwirtschaftsminister am 23. Juni, einen Monat nach Parlamentswahlen, nach Aussagen von Hijabs Sprecher Mohammed el Etri, in das Amt des Regierungschefs mit der Drohung gezwungen, entweder zu akzeptieren oder getötet zu werden. Schon zuvor habe der Sunnit Hijab empört über die Brutalitäten des Alawiten-Regimes mit der Opposition Fluchtpläne geschmiedet. „Sein Absprung wird schwerwiegende Folgen“ für Assads Herrschaft haben und „den Erfolg der Revolution“ beeinflussen, meint Etri.
Assad hatte die Parlamentswahlen und die Wahl des neuen Premiers als Erfüllung oppositioneller Forderungen nach demokratischen Reformen propagiert. Doch seine politischen Gegner verwarfen diese Aktionen rasch als Täuschungsmanöver, zumal Hijab jahrzehntelang dem Regime treu gedient hatte. Die Umstände seiner Ernennung zum Premier lassen darauf schließen, dass der Kreis um Assads vertrauenswürdige Mitstreiter immer kleiner wird.
Hijabs Flucht fügt dem von Alawiten dominierten politischen System den ersten schweren Sprung zu. Im Militär- und Geheimdienstapparat nimmt die Zahl der Desertionen schon seit einiger Zeit empfindlich zu. Als besonders schmerzhaft erwies sich der am 3. August gemeldete Absprung von general Nasr Mustafa, der eine wichtige Funktion im Geheimdienst der Luftwaffe bekleidet hatte. Mustafa ist Alawit und die bedingungslose Loyalität der hohen Funktionäre dieser Religionsgemeinschaft bot Assad bisher die sicherste Überlebenschance. Nun muss der Diktator mehr und mehr auch die Treue seiner Glaubensbrüder in Zweifel ziehen.
Auch militärisch erweist sich die Opposition als zunehmend widerstandsfähig. Das zeigte Montag auch der Bombenanschlag auf das Hauptquartier des staatlichen Radios und Fernsehens, bei dem beträchtlicher Sachschaden entstand, einige Personen verletzt, aber niemand getötet wurde. Das Gebäude liegt im schwerbewachten zentralen Omayyaden-Bezirk von Damaskus.
Erst vor zwei Tagen hatte die Militärführung nach heftigen Kämpfen verkündet, dass sie die Stadt von allen „Terroristen“ gesäubert hätte und nun wieder voll unter Kontrolle hielte.
Die „Freie Syrische Armee“ aber schafft es, ungeachtet der militärischen Überlegenheit der Regierungssoldaten, im Herzen der Großstädte Damaskus und Aleppo zuzuschlagen. Regierungstruppen verstärken unterde4ssen den militärischen Ring um Aleppo, scheuen aber vor einer immer wieder angekündigten Entscheidungsschlacht zurück. Ein Armeesprecher kündigte Montag an, dass die bisherigen heftigen Kämpfe um Aleppo nur „die Vorspeise“ gewesen seien, die eigentlich Schlacht erst beginnen und – da Straße für Straß „gesäubert“ werden müsse – sehr lange dauern würde.
Die Taktik der Rebellen, sich unter der Zivilbevölkerung zu verschanzen und – wie eben in Damaskus – mit Blitzüberfällen Ziele des Regimes zu überfallen, sich dann sofort wieder in den Schutz der unbewaffneten Bevölkerung zurückzuziehen, erweist sich als zunehmend erfolgreich. Dabei riskieren die Rebellen allerdings, die mit ihnen sympathisierenden Zivilisten brutalen Strafaktionen auszusetzen, denn militärisch sind sie nicht in der Lage, eroberte Gebiete auch zu halten. Sie zählen vielmehr auf eine zunehmend quälende Zermürbungstaktik und nehmen dabei noch größere Opfer unter der Bevölkerung in Kauf. Militärisch zunehmend besser ausgerüstet, ist es den Rebellen gelungen, Teile der Streitkräfte in ländlichen Gebieten von ihren Kommandozentralen abzuschneiden. Einige dieser Basen können nur noch mit Helikoptern versorgt werden.
Auch administrativ verliert Assad über immer größere Gebiete die Kontrolle, Steuern lassen sich nicht mehr einheben. Langsam könnte dem Regime der Atem ausgehen. Welche Alternative bietet sich dem Diktator an? Wenig ist bekannt von Assads Gedanken. Sein letzter öffentlicher Auftritt war im Juni. Wird er dem Beispiel des Libyers Gadafi folgen, den politischen Todeskampf mit Gegnern, die ihm an Grausamkeit wenig nachstehen, bis zum Ende führen und damit die Brutalität ins Unermessliche steigern? Oder hat der junge Familienvater mit mutmaßlich gigantischen Vermögenswerten im Ausland doch noch eine andere – private – Zukunftsvision? Wofür auch immer er sich entscheiden mag, er hat in Syrien das Feuer der Hölle entfacht. Niemand wird es so bald löschen können.
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von Birgit Cerha
„Ich gebe heute bekannt, dass ich mich von diesem mörderischen und terroristischen Regime abwende und der für Freiheit und Würde kämpfenden Revolution anschließe.“ Die mit diesen Worten durch einen Sprecher bekanntgegebene Flucht des syrischen Preministers Riad Hijab ist der politisch bisher schwerste Schlag gegen das Regime Bashar el Assads seit Beginn der Revolution vor 17 Monaten. Als das staatliche Fernsehen Montag Früh die Absetzung des Premiers verkündete, hatte Hijab mit seiner Familie und nach bisher unbestätigten Berichten auch zwei Ministern die Grenze zu Jordanien überschritten. Finanzminister Mohammad Jalilati soll bei der Flucht festgenommen worden sein. Mit Hijab hat die syrische Opposition das höchstrangige Mitglied des Regimes für sich gewonnen.
Hijab gehört zwar nicht dem innersten Kreis um Assad an, doch er zählt seit 1982 zu den wichtigen Funktionären der herrschenden Baath-Partei, seit 1998 Mitglied des Führungsteams der Partei. Er war als Provinzchef von Latakia für die Niederschlagung von Unruhen verantwortlich, als diese im Vorjahr dort ausbrachen. Bashar hatte den damaligen Landwirtschaftsminister am 23. Juni, einen Monat nach Parlamentswahlen, nach Aussagen von Hijabs Sprecher Mohammed el Etri, in das Amt des Regierungschefs mit der Drohung gezwungen, entweder zu akzeptieren oder getötet zu werden. Schon zuvor habe der Sunnit Hijab empört über die Brutalitäten des Alawiten-Regimes mit der Opposition Fluchtpläne geschmiedet. „Sein Absprung wird schwerwiegende Folgen“ für Assads Herrschaft haben und „den Erfolg der Revolution“ beeinflussen, meint Etri.
Assad hatte die Parlamentswahlen und die Wahl des neuen Premiers als Erfüllung oppositioneller Forderungen nach demokratischen Reformen propagiert. Doch seine politischen Gegner verwarfen diese Aktionen rasch als Täuschungsmanöver, zumal Hijab jahrzehntelang dem Regime treu gedient hatte. Die Umstände seiner Ernennung zum Premier lassen darauf schließen, dass der Kreis um Assads vertrauenswürdige Mitstreiter immer kleiner wird.
Hijabs Flucht fügt dem von Alawiten dominierten politischen System den ersten schweren Sprung zu. Im Militär- und Geheimdienstapparat nimmt die Zahl der Desertionen schon seit einiger Zeit empfindlich zu. Als besonders schmerzhaft erwies sich der am 3. August gemeldete Absprung von general Nasr Mustafa, der eine wichtige Funktion im Geheimdienst der Luftwaffe bekleidet hatte. Mustafa ist Alawit und die bedingungslose Loyalität der hohen Funktionäre dieser Religionsgemeinschaft bot Assad bisher die sicherste Überlebenschance. Nun muss der Diktator mehr und mehr auch die Treue seiner Glaubensbrüder in Zweifel ziehen.
Auch militärisch erweist sich die Opposition als zunehmend widerstandsfähig. Das zeigte Montag auch der Bombenanschlag auf das Hauptquartier des staatlichen Radios und Fernsehens, bei dem beträchtlicher Sachschaden entstand, einige Personen verletzt, aber niemand getötet wurde. Das Gebäude liegt im schwerbewachten zentralen Omayyaden-Bezirk von Damaskus.
Erst vor zwei Tagen hatte die Militärführung nach heftigen Kämpfen verkündet, dass sie die Stadt von allen „Terroristen“ gesäubert hätte und nun wieder voll unter Kontrolle hielte.
Die „Freie Syrische Armee“ aber schafft es, ungeachtet der militärischen Überlegenheit der Regierungssoldaten, im Herzen der Großstädte Damaskus und Aleppo zuzuschlagen. Regierungstruppen verstärken unterde4ssen den militärischen Ring um Aleppo, scheuen aber vor einer immer wieder angekündigten Entscheidungsschlacht zurück. Ein Armeesprecher kündigte Montag an, dass die bisherigen heftigen Kämpfe um Aleppo nur „die Vorspeise“ gewesen seien, die eigentlich Schlacht erst beginnen und – da Straße für Straß „gesäubert“ werden müsse – sehr lange dauern würde.
Die Taktik der Rebellen, sich unter der Zivilbevölkerung zu verschanzen und – wie eben in Damaskus – mit Blitzüberfällen Ziele des Regimes zu überfallen, sich dann sofort wieder in den Schutz der unbewaffneten Bevölkerung zurückzuziehen, erweist sich als zunehmend erfolgreich. Dabei riskieren die Rebellen allerdings, die mit ihnen sympathisierenden Zivilisten brutalen Strafaktionen auszusetzen, denn militärisch sind sie nicht in der Lage, eroberte Gebiete auch zu halten. Sie zählen vielmehr auf eine zunehmend quälende Zermürbungstaktik und nehmen dabei noch größere Opfer unter der Bevölkerung in Kauf. Militärisch zunehmend besser ausgerüstet, ist es den Rebellen gelungen, Teile der Streitkräfte in ländlichen Gebieten von ihren Kommandozentralen abzuschneiden. Einige dieser Basen können nur noch mit Helikoptern versorgt werden.
Auch administrativ verliert Assad über immer größere Gebiete die Kontrolle, Steuern lassen sich nicht mehr einheben. Langsam könnte dem Regime der Atem ausgehen. Welche Alternative bietet sich dem Diktator an? Wenig ist bekannt von Assads Gedanken. Sein letzter öffentlicher Auftritt war im Juni. Wird er dem Beispiel des Libyers Gadafi folgen, den politischen Todeskampf mit Gegnern, die ihm an Grausamkeit wenig nachstehen, bis zum Ende führen und damit die Brutalität ins Unermessliche steigern? Oder hat der junge Familienvater mit mutmaßlich gigantischen Vermögenswerten im Ausland doch noch eine andere – private – Zukunftsvision? Wofür auch immer er sich entscheiden mag, er hat in Syrien das Feuer der Hölle entfacht. Niemand wird es so bald löschen können.
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Sonntag, 5. August 2012
Syriens Christen: eine der ältesten Gemeinschaften des Orients
Die Minderheit gerät zur Zielscheibe islamistischer Opposition - Wachsende Ängste um den Verlust jahrhundertelanger religiöser Harmonie
von Birgit Cerha
Als vor 17 Monaten der „Arabische Frühling“ der Freiheit auch in Syrien seinen Einzug hielt, schlossen sich auch manche, insbesondere jugendliche, Angehörige der christlichen Minderheit den friedlichen Protesten gegen das Regime Bashar el Assads an. Doch als der Diktator mit ungeheurer Brutalität zuzuschlagen begann, sich die Opposition zunehmend militarisierte und radikalisierte, zogen sich die jungen christlichen Aktivisten zurück. Nun aber hat die eskalierende Gewalt auch die Christenviertel der beiden größten Städte, Aleppo und Damaskus erfasst. Christen geraten zwischen die Fronten. Zugleich häufen sich alarmierende Berichte über gezielte Attacken radikaler Islamisten, die Christen ausschließlich wegen ihrer Religionszugehörigkeit bedrohen und zunehmend auch töten. Manche Gegner Assads beschuldigen sie der Kollaboration mit dem Regime, andere, kriminelle Gewalttäter, entführen sie, um Lösegeld zu erpressen.
Mit wachsender Angst der Minderheit vor dem nun auch sie ernsthaft bedrohenden „irakischen Alptraum“ nehmen immer mehr Christen das Waffen-Angebot des Regimes an, um sich selbst zu schützen. Seit dem Sturz Saddam Husseins im Irak 2003 ist die christliche Minderheit von mehr als einer Million auf die Hälfte geschrumpft. An die 300.000 flüchteten vor dem Bürgerkrieg und gezielten Angriffen radikaler Islamisten nach Syrien. Ein großer Teil von ihnen kehrte nun in den nach wie vor unsicheren Irak zurück.
Denn die dramatischen Ereignisse in Quseir wecken die schlimmsten Ängste. Nach etwa sieben Monate der Belagerung durch Assads Sicherheitskräfte hatten sunnitische Geistliche in der 60.000 Einwohner zählenden Stadt südwestlich der lange umkämpften Rebellenhochburg Homs die etwa 10.000 Christen, der Kollaboration mit dem Regime bezichtigt und ihnen ein Ultimatum gestellt, um die Stadt zu verlassen. Fast alle flüchteten. In Homs selbst haben Angehörige der bewaffneten Opposition ganze christliche Stadtviertel gesäubert. Nur etwa 400 der einst rund 80.000 christlichen Bewohner harren dort noch aus.
Dabei hatte das Gebiet des heutigen Syrien in der Geschichte ein Musterbeispiel eines Lebens in religiöser Harmonie geboten. Eine der ältesten christlichen Gemeinschaften, nach Ägypten der größten im Nahen Osten, hat sich hier seit 2.000 Jahren entwickelt. Das Neue Testament berichtet von Saulus, der auf dem Weg nach Damaskus zum Christentum bekehrt wurde. Und in der berühmten Omayyaden –Moschee von Damaskus wird das Haupt Johannes des Täufers aufbewahrt, der die Muslime als Vorläufer des Propheten Mohammed verehren Niemals in der Geschichte gab es auf dem Boden des heutigen Syrien eine Christenverfolgung.
Mehr als zwei Millionen Christen leben heute in Syrien, etwa zehn Prozent der Bevölkerung. Die Christen sind nach Religionszugehörigkeit und politischer Einstellung gespalten.
Die griechisch orthodoxe und griechisch katholische Kirche sind die beiden größten christlichen Glaubensgemeinschaften. Kleiner Gruppierungen sind mit Rom unierte Maroniten, Katholiken Syrisch-Orthodoxe, Assyrer, Armenisch-Orthodoxe und mit Rom unierte armenische Katholiken.
Traditionell leben die Christen in städtischen Gebieten, die meisten in Aleppo, das mehr als 40 teils kulturhistorisch höchst bemerkenswerte Kirchen beherbergt. Sie zeichnen sich durch einen relativ hohen Bildungsgrad aus, gehören überwiegend der Mittelschichte an und genossen bisher in Syrien den größten Freiraum im gesamten Nahen Osten: Keine berufliche und politische Diskriminierung (selbst Ministerposten standen ihnen offen) und völlige Religionsfreiheit. Die 40-jährige Herrschaft der Assads, die sich stets als Schutzherren der Minderheiten präsentierten, setzte de facto nur einen religiösen Liberalismus fort, der in Syrien traditionell bestanden hatte. Schon in den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts gab es einen christlichen Premierminister. Das Regime aber spielte stets diese Schutzrolle zur Absicherung seiner Macht und im Kampf gegen die sie bedrohenden radikalen Sunniten aus. Nun wollen sich die Christen – so betonen einige ihrer prominenten Vertreter – aber nicht mehr instrumentalisieren lassen. Sie „müssen sich nicht zu ihrem Schutz hinter einem Regime verbergen“, betont der Geistliche Nadium Nassar im britischen „Guardian“. „Wir sind geschützt durch die Tatsache, dass wir Syrer sind, ursprünglicher Teil des Grundgefüges unserer Gesellschaft.“ Und diese Gesellschaft, so Nassar, sei „aufgeklärt, säkular,.. mit einem tiefen spirituellen Kern und der gemeinsamen Überzeugung, dass Syrien (Heimat) für jeden ist.“ Doch auch Nassar befürchtet, dass radikale Islamisten, unter Einfluss von außen, an Macht gewinnen und die „Traditionen der Ko-Existenz und religiöser Harmonie“ zerstören könnten.
In Wahrheit geht es in diesem Krieg zunehmend nicht mehr nur um Macht. Es geht um die Seele Syriens.
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von Birgit Cerha
Als vor 17 Monaten der „Arabische Frühling“ der Freiheit auch in Syrien seinen Einzug hielt, schlossen sich auch manche, insbesondere jugendliche, Angehörige der christlichen Minderheit den friedlichen Protesten gegen das Regime Bashar el Assads an. Doch als der Diktator mit ungeheurer Brutalität zuzuschlagen begann, sich die Opposition zunehmend militarisierte und radikalisierte, zogen sich die jungen christlichen Aktivisten zurück. Nun aber hat die eskalierende Gewalt auch die Christenviertel der beiden größten Städte, Aleppo und Damaskus erfasst. Christen geraten zwischen die Fronten. Zugleich häufen sich alarmierende Berichte über gezielte Attacken radikaler Islamisten, die Christen ausschließlich wegen ihrer Religionszugehörigkeit bedrohen und zunehmend auch töten. Manche Gegner Assads beschuldigen sie der Kollaboration mit dem Regime, andere, kriminelle Gewalttäter, entführen sie, um Lösegeld zu erpressen.
Mit wachsender Angst der Minderheit vor dem nun auch sie ernsthaft bedrohenden „irakischen Alptraum“ nehmen immer mehr Christen das Waffen-Angebot des Regimes an, um sich selbst zu schützen. Seit dem Sturz Saddam Husseins im Irak 2003 ist die christliche Minderheit von mehr als einer Million auf die Hälfte geschrumpft. An die 300.000 flüchteten vor dem Bürgerkrieg und gezielten Angriffen radikaler Islamisten nach Syrien. Ein großer Teil von ihnen kehrte nun in den nach wie vor unsicheren Irak zurück.
Denn die dramatischen Ereignisse in Quseir wecken die schlimmsten Ängste. Nach etwa sieben Monate der Belagerung durch Assads Sicherheitskräfte hatten sunnitische Geistliche in der 60.000 Einwohner zählenden Stadt südwestlich der lange umkämpften Rebellenhochburg Homs die etwa 10.000 Christen, der Kollaboration mit dem Regime bezichtigt und ihnen ein Ultimatum gestellt, um die Stadt zu verlassen. Fast alle flüchteten. In Homs selbst haben Angehörige der bewaffneten Opposition ganze christliche Stadtviertel gesäubert. Nur etwa 400 der einst rund 80.000 christlichen Bewohner harren dort noch aus.
Dabei hatte das Gebiet des heutigen Syrien in der Geschichte ein Musterbeispiel eines Lebens in religiöser Harmonie geboten. Eine der ältesten christlichen Gemeinschaften, nach Ägypten der größten im Nahen Osten, hat sich hier seit 2.000 Jahren entwickelt. Das Neue Testament berichtet von Saulus, der auf dem Weg nach Damaskus zum Christentum bekehrt wurde. Und in der berühmten Omayyaden –Moschee von Damaskus wird das Haupt Johannes des Täufers aufbewahrt, der die Muslime als Vorläufer des Propheten Mohammed verehren Niemals in der Geschichte gab es auf dem Boden des heutigen Syrien eine Christenverfolgung.
Mehr als zwei Millionen Christen leben heute in Syrien, etwa zehn Prozent der Bevölkerung. Die Christen sind nach Religionszugehörigkeit und politischer Einstellung gespalten.
Die griechisch orthodoxe und griechisch katholische Kirche sind die beiden größten christlichen Glaubensgemeinschaften. Kleiner Gruppierungen sind mit Rom unierte Maroniten, Katholiken Syrisch-Orthodoxe, Assyrer, Armenisch-Orthodoxe und mit Rom unierte armenische Katholiken.
Traditionell leben die Christen in städtischen Gebieten, die meisten in Aleppo, das mehr als 40 teils kulturhistorisch höchst bemerkenswerte Kirchen beherbergt. Sie zeichnen sich durch einen relativ hohen Bildungsgrad aus, gehören überwiegend der Mittelschichte an und genossen bisher in Syrien den größten Freiraum im gesamten Nahen Osten: Keine berufliche und politische Diskriminierung (selbst Ministerposten standen ihnen offen) und völlige Religionsfreiheit. Die 40-jährige Herrschaft der Assads, die sich stets als Schutzherren der Minderheiten präsentierten, setzte de facto nur einen religiösen Liberalismus fort, der in Syrien traditionell bestanden hatte. Schon in den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts gab es einen christlichen Premierminister. Das Regime aber spielte stets diese Schutzrolle zur Absicherung seiner Macht und im Kampf gegen die sie bedrohenden radikalen Sunniten aus. Nun wollen sich die Christen – so betonen einige ihrer prominenten Vertreter – aber nicht mehr instrumentalisieren lassen. Sie „müssen sich nicht zu ihrem Schutz hinter einem Regime verbergen“, betont der Geistliche Nadium Nassar im britischen „Guardian“. „Wir sind geschützt durch die Tatsache, dass wir Syrer sind, ursprünglicher Teil des Grundgefüges unserer Gesellschaft.“ Und diese Gesellschaft, so Nassar, sei „aufgeklärt, säkular,.. mit einem tiefen spirituellen Kern und der gemeinsamen Überzeugung, dass Syrien (Heimat) für jeden ist.“ Doch auch Nassar befürchtet, dass radikale Islamisten, unter Einfluss von außen, an Macht gewinnen und die „Traditionen der Ko-Existenz und religiöser Harmonie“ zerstören könnten.
In Wahrheit geht es in diesem Krieg zunehmend nicht mehr nur um Macht. Es geht um die Seele Syriens.
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Donnerstag, 2. August 2012
Syriens Kurden zwischen allen Fronten
Endlich vereint gegen das Regime, doch nicht mit der Opposition, bietet sich der unterdrückten Minderheit endlich eine „historische Chance“?
von Birgit Cerha
Über Derik, Qamishli, Amude, Kobani bis Afrin, entlang der Grenze zur Türkei, flattern die rot-weiß-grünen Flaggen Kurdistans, in Konkurrenz zu jenen mit dem roten Stern in der Mitte, den die stärkste Kurdenpartei Syriens, die „Demokratische Uniontspartei“ (DUP), über syrischen Amtsgebäuden und an öffentlichen Plätzen aufgezogen hat. Seit Assad zum Kampf um Damaskus und Aleppo seine Truppen aus den syrischen Kurdenregionen im Norden des Landes abzog, übernahmen die Kurden erstmals die Kontrolle über diesen Teil ihrer Heimat.In manchen kleinen Städten wurden Beamte des Regimes schon hinausgedrängt, in Afrin etwa sorgt nun die DUP für Wasser- und Stromversorgung und für eine reibungslose medizinische Hilfe.
„Nun halten die Kurden ihr Schicksal selbst in der Hand“, frohlockt Nuri Brimo von der „Kurdischen Demokratischen Partei Syriens“ (KDPS). Nach mehr als tausend Jahren arabisch/osmanischer Vorherrschaft “können wir nun in dieser Revolution mit minimalen Opfern siegen“.
Öffnet sich tatsächlich den Kurden Syriens nun eine „historische Chance“? Während die Kämpfe um Aleppo in ungeheuerlicher Heftigkeit toben, stießen kurdische Gruppierungen gewaltlos in das von Assad geöffnete Sicherheitsvakuum im überwiegend kurdischen Norden des Landes vor. Durch Vermittlung des Präsidenten der autonomen nord-irakischen Kurdenregion, Massoud Barzani, schlossen die kurdischen Erzrivalen, die mit der türkisch-kurdischen PKK verbündete DUP und der „Kurdische Nationalrat“ (KNR), ein Dachverband von etwa 15 kleinen kurdischen Parteien, einen Pakt, um gemeinsam, friedlich, die freigewordenen, auch an das autonome irakisch-Kurdistan grenzenden Gebiete zu verwalten.
Schon malt der prominente türkische Journalist Mehmet Ali Birand das Schreckgespenst der Türkei an die Wand: die Geburt eines „Mega-Kurdistans“, eines Staates, der die Kurdengebiete des Iraks, Syriens und der Türkei umfaßt. Und die einflußreiche Tageszeitung „Hürriyet“ sieht in der angeblichen „Demonstration der Stärke kurdischer Gruppen“ einen „potentiellen Alptraum“. Dementsprechend stellt auch Premierminister Erdogan klar, dass die Türkei ihr Recht zur Verfolgung kurdischer Rebellen (der PKK) auf syrischem Territorium durchsetzen werde. Wenn sich DUP nicht von der PKK distanziere und verhindere, dass diese Kämpfer in die Türkei einschleuse, werde die türkische Armee mit aller Kraft reagieren. Für diesen Fall warnt die PKK, sie werde „das gesamte Kurdistan in eine Kriegszone verwandeln“. Die Zeichen stehen auf Sturm. Und zwischen den Fronten steht die kurdische Zivilbevölkerung Syriens.
Syriens nun lose vereinte Kurdenparteien sind realistisch. Sie streben weder nach Unabhängigkeit, noch nach Anschluss an türkische und irakische Kurdenregionen. Sie sehnen sich nach einem Ende der Repression und Diskriminierung, nach einer auch in der Verfassung eines neuen demokratischen Syrien festgehaltenen Anerkennung ihrer eigenen, der kurdischen Identität – eine Forderung, die die im „Syrischen Nationalrat“ (SNR) zusammengeschlossene Opposition beharrlich ablehnt. Auf das Wort „Arabisch“ soll im offiziellen Namen der syrischen Republik auch in Zukunft nicht verzichtet werden. Der künftige demokratische Charakter des Staates, so die Argumentation der arabischen Gegner Assads, müsse den Kurden als Garantie für Gleichberechtigung genügen. Die Türkei sieht darauf, dass der in ihrem Land stationierte SNR nicht von dieser Position abrückt. Und die den SNR dominierenden Moslembrüder verzeihen den Kurden bis heute nicht, weil sie sich 1982 nicht an dem blutigen Aufstand gegen Präsident Hafez el Assad beteiligt hatten. Nach dem Sturz der Alawiten, so die jahrzehntelange Drohung der Moslembrüder, kämen die Kurden an die Reihe. Doese Warnung wird wieder akut. Der Vorwurf, sich nicht dem Kampf gegen das repressive Regime angeschlossen zu haben, könnte tatsächlich den Kurden zum Verhängnis werden, wenn die Moslembruderschaft im Syrien nach Assad entscheidenden Einfluss erobert hat.
So haben sich Syriens Kurden nicht zu gemeinsamer Strategie mit dem SNR entschlossen. Sie haben sich aber auch nicht von Assad, der ihnen zu Beginn der Revolten im Frühjahr 2011 plötzlich jahrzehntelang verweigerte Staatsbürgerschaft für Hunderttausende Kurden und andere Grundrechte versprach, ködern lassen. All zu sehr schmerzen die Wunden vergangener Repression und die Erfahrung ihrer iranischen Brüder, die sich 1979 der Revolution Khomeinis angeschlossen hatten, nur um nach dessen Sieg die volle Wucht der Militärmaschinerie des „Gottesstaates“ zu erleiden, drängen Syriens Kurden zu großer Vorsicht.
Der Nachweis kurdischer Existenz im Gebiet des heutigen Syrien reicht bis ins siebente Jahrhundert zurück. Doch im Gegensatz zu ihren Brüdern in der heutigen Türkei, im Irak und Iran, machen sie nur etwas mehr als zehn Prozent der syrischen Bevölkerung aus (an die drei Millionen) und leben zersplittert in der nördlichen Grenzregion, aber auch in Damaskus und Aleppo. Ihr Siedlungsgebiet birgt keine reichen Bodenschätze, die geostrategische Intressen, wie das Bündnis mit einer Großmacht (USA mit den irakischen Kurden) wecken würden, ja nicht einmal den Schutz eines Berglandes, der insbesondere den irakischen Kurden den jahrzehntelangen Kampf gegen Bagdad ermöglicht hatte.
Die Repressionsgeschichte der Kurden erhielt eine neue Dimension mit dem wachsenden Einfluss der Ideologie der arabisch-nationalistischen Baath-Partei, deren Anhänger 1963 die Macht in Syrien übernahmen und sie bis heute halten. Das Feuer in einem Kino, bei dem im November 1960 fast 300 kurdische Schulkinder in Amude starben, hat bis heute blutende Narben in der Seele der Minderheit zurückgelassen. Alle Ausgangstore des Kinos waren geschlossen und die Ursache der Katastrophe wurde nie aufgeklärt. Die Kurden sind überzeugt, dass das arabisch-nationalistische Regime, dass im Streben dieser nicht-arabischen Bevölkerungsgruppe eine Gefahr für das Ziel arabischer Einheit sah, dafür die Verantwortung trug. Nur zwei Jahre später entzog die Regierung in Damaskus 120.000 Kurden die Staatsbürgerschaft. Deren Zahl hat sich auf natürlichem Wege inzwischen mehr als verdreifacht, und erst bedrängt durch die Revolten im Vorjahr versprach Assad diesen de facto Ausgestoßenen volle Bürgerrechte. 1973 legte Präsident Hafez el Assad durch Ansiedlung von Beduinen einen „arabischen Gürtel“ um das Kurdengebiet, um die Minderheit damit in Schach zu halten. Sein Sohn Bashar setzte die Repressionen fort: die kurdische Sprache, kurdische Namen, die Feier des kurdischen Neujahrsfestes Nowruz blieben verboten - Restriktionen, der Präsident im Vorjahr aufhob. Als sich die Kurden 2004 in Qamischli gegen die Unterdrückung in ungewöhnlicher Stärke erhoben, schlugen die Regierungssoldaten brutal zu.
Heute stehen Syriens Kurden zwischen allen Fronten. „Niemand hört uns“, faßt ein kurdischer Aktivist weitverbreitete Frustrationen zusammen. „Wir haben die Regionalregierung“ irakisch-Kurdistans um materielle Hilfe angesichts wachsender Not „angefleht. Nur Versprechungen, die bisher unerfüllt blieben. Und voll Bitterkeit erinnern Syriens Kurden an ihren unermüdlichen Einsatz, ihre stete Hilfe für die solange bedrängten und um ihre Freiheit kämpfenden Brüder insbesondere im Irak.
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von Birgit Cerha
Über Derik, Qamishli, Amude, Kobani bis Afrin, entlang der Grenze zur Türkei, flattern die rot-weiß-grünen Flaggen Kurdistans, in Konkurrenz zu jenen mit dem roten Stern in der Mitte, den die stärkste Kurdenpartei Syriens, die „Demokratische Uniontspartei“ (DUP), über syrischen Amtsgebäuden und an öffentlichen Plätzen aufgezogen hat. Seit Assad zum Kampf um Damaskus und Aleppo seine Truppen aus den syrischen Kurdenregionen im Norden des Landes abzog, übernahmen die Kurden erstmals die Kontrolle über diesen Teil ihrer Heimat.In manchen kleinen Städten wurden Beamte des Regimes schon hinausgedrängt, in Afrin etwa sorgt nun die DUP für Wasser- und Stromversorgung und für eine reibungslose medizinische Hilfe.
„Nun halten die Kurden ihr Schicksal selbst in der Hand“, frohlockt Nuri Brimo von der „Kurdischen Demokratischen Partei Syriens“ (KDPS). Nach mehr als tausend Jahren arabisch/osmanischer Vorherrschaft “können wir nun in dieser Revolution mit minimalen Opfern siegen“.
Öffnet sich tatsächlich den Kurden Syriens nun eine „historische Chance“? Während die Kämpfe um Aleppo in ungeheuerlicher Heftigkeit toben, stießen kurdische Gruppierungen gewaltlos in das von Assad geöffnete Sicherheitsvakuum im überwiegend kurdischen Norden des Landes vor. Durch Vermittlung des Präsidenten der autonomen nord-irakischen Kurdenregion, Massoud Barzani, schlossen die kurdischen Erzrivalen, die mit der türkisch-kurdischen PKK verbündete DUP und der „Kurdische Nationalrat“ (KNR), ein Dachverband von etwa 15 kleinen kurdischen Parteien, einen Pakt, um gemeinsam, friedlich, die freigewordenen, auch an das autonome irakisch-Kurdistan grenzenden Gebiete zu verwalten.
Schon malt der prominente türkische Journalist Mehmet Ali Birand das Schreckgespenst der Türkei an die Wand: die Geburt eines „Mega-Kurdistans“, eines Staates, der die Kurdengebiete des Iraks, Syriens und der Türkei umfaßt. Und die einflußreiche Tageszeitung „Hürriyet“ sieht in der angeblichen „Demonstration der Stärke kurdischer Gruppen“ einen „potentiellen Alptraum“. Dementsprechend stellt auch Premierminister Erdogan klar, dass die Türkei ihr Recht zur Verfolgung kurdischer Rebellen (der PKK) auf syrischem Territorium durchsetzen werde. Wenn sich DUP nicht von der PKK distanziere und verhindere, dass diese Kämpfer in die Türkei einschleuse, werde die türkische Armee mit aller Kraft reagieren. Für diesen Fall warnt die PKK, sie werde „das gesamte Kurdistan in eine Kriegszone verwandeln“. Die Zeichen stehen auf Sturm. Und zwischen den Fronten steht die kurdische Zivilbevölkerung Syriens.
Syriens nun lose vereinte Kurdenparteien sind realistisch. Sie streben weder nach Unabhängigkeit, noch nach Anschluss an türkische und irakische Kurdenregionen. Sie sehnen sich nach einem Ende der Repression und Diskriminierung, nach einer auch in der Verfassung eines neuen demokratischen Syrien festgehaltenen Anerkennung ihrer eigenen, der kurdischen Identität – eine Forderung, die die im „Syrischen Nationalrat“ (SNR) zusammengeschlossene Opposition beharrlich ablehnt. Auf das Wort „Arabisch“ soll im offiziellen Namen der syrischen Republik auch in Zukunft nicht verzichtet werden. Der künftige demokratische Charakter des Staates, so die Argumentation der arabischen Gegner Assads, müsse den Kurden als Garantie für Gleichberechtigung genügen. Die Türkei sieht darauf, dass der in ihrem Land stationierte SNR nicht von dieser Position abrückt. Und die den SNR dominierenden Moslembrüder verzeihen den Kurden bis heute nicht, weil sie sich 1982 nicht an dem blutigen Aufstand gegen Präsident Hafez el Assad beteiligt hatten. Nach dem Sturz der Alawiten, so die jahrzehntelange Drohung der Moslembrüder, kämen die Kurden an die Reihe. Doese Warnung wird wieder akut. Der Vorwurf, sich nicht dem Kampf gegen das repressive Regime angeschlossen zu haben, könnte tatsächlich den Kurden zum Verhängnis werden, wenn die Moslembruderschaft im Syrien nach Assad entscheidenden Einfluss erobert hat.
So haben sich Syriens Kurden nicht zu gemeinsamer Strategie mit dem SNR entschlossen. Sie haben sich aber auch nicht von Assad, der ihnen zu Beginn der Revolten im Frühjahr 2011 plötzlich jahrzehntelang verweigerte Staatsbürgerschaft für Hunderttausende Kurden und andere Grundrechte versprach, ködern lassen. All zu sehr schmerzen die Wunden vergangener Repression und die Erfahrung ihrer iranischen Brüder, die sich 1979 der Revolution Khomeinis angeschlossen hatten, nur um nach dessen Sieg die volle Wucht der Militärmaschinerie des „Gottesstaates“ zu erleiden, drängen Syriens Kurden zu großer Vorsicht.
Der Nachweis kurdischer Existenz im Gebiet des heutigen Syrien reicht bis ins siebente Jahrhundert zurück. Doch im Gegensatz zu ihren Brüdern in der heutigen Türkei, im Irak und Iran, machen sie nur etwas mehr als zehn Prozent der syrischen Bevölkerung aus (an die drei Millionen) und leben zersplittert in der nördlichen Grenzregion, aber auch in Damaskus und Aleppo. Ihr Siedlungsgebiet birgt keine reichen Bodenschätze, die geostrategische Intressen, wie das Bündnis mit einer Großmacht (USA mit den irakischen Kurden) wecken würden, ja nicht einmal den Schutz eines Berglandes, der insbesondere den irakischen Kurden den jahrzehntelangen Kampf gegen Bagdad ermöglicht hatte.
Die Repressionsgeschichte der Kurden erhielt eine neue Dimension mit dem wachsenden Einfluss der Ideologie der arabisch-nationalistischen Baath-Partei, deren Anhänger 1963 die Macht in Syrien übernahmen und sie bis heute halten. Das Feuer in einem Kino, bei dem im November 1960 fast 300 kurdische Schulkinder in Amude starben, hat bis heute blutende Narben in der Seele der Minderheit zurückgelassen. Alle Ausgangstore des Kinos waren geschlossen und die Ursache der Katastrophe wurde nie aufgeklärt. Die Kurden sind überzeugt, dass das arabisch-nationalistische Regime, dass im Streben dieser nicht-arabischen Bevölkerungsgruppe eine Gefahr für das Ziel arabischer Einheit sah, dafür die Verantwortung trug. Nur zwei Jahre später entzog die Regierung in Damaskus 120.000 Kurden die Staatsbürgerschaft. Deren Zahl hat sich auf natürlichem Wege inzwischen mehr als verdreifacht, und erst bedrängt durch die Revolten im Vorjahr versprach Assad diesen de facto Ausgestoßenen volle Bürgerrechte. 1973 legte Präsident Hafez el Assad durch Ansiedlung von Beduinen einen „arabischen Gürtel“ um das Kurdengebiet, um die Minderheit damit in Schach zu halten. Sein Sohn Bashar setzte die Repressionen fort: die kurdische Sprache, kurdische Namen, die Feier des kurdischen Neujahrsfestes Nowruz blieben verboten - Restriktionen, der Präsident im Vorjahr aufhob. Als sich die Kurden 2004 in Qamischli gegen die Unterdrückung in ungewöhnlicher Stärke erhoben, schlugen die Regierungssoldaten brutal zu.
Heute stehen Syriens Kurden zwischen allen Fronten. „Niemand hört uns“, faßt ein kurdischer Aktivist weitverbreitete Frustrationen zusammen. „Wir haben die Regionalregierung“ irakisch-Kurdistans um materielle Hilfe angesichts wachsender Not „angefleht. Nur Versprechungen, die bisher unerfüllt blieben. Und voll Bitterkeit erinnern Syriens Kurden an ihren unermüdlichen Einsatz, ihre stete Hilfe für die solange bedrängten und um ihre Freiheit kämpfenden Brüder insbesondere im Irak.
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