Im Sinai öffnet sich eine neue blutige Front in Nahost, mit weitreichenden Folgen - Ein Test für Präsident Mursi und seine militärischen Gegenspieler
von Birgit Cerha
Die Attacke einer Gruppe maskierter Männer in Beduinenkleidung, die Sonntag 16 ägyptische Soldaten im Nord-Sinai, an der Grenze zu Israel ermordeten, anschließend nach Israel eindrangen, wo Sicherheitskräfte einen blutigen Terroranschlag verhindern konnten und dabei acht Teroristen töteten, kam nicht unerwartet, löste aber vor allem in Ägypten einen schweren Schock aus. Sie entlarvt eine ganze Serie von Problemen mit möglicherweis großen Auswirkungen.Eine zentrale Sorge für die Stabilität der gesamten Region ist das Sicherheitsvakuum auf dem nur spärlich besiedelten Wüstengebiet, in dem Ägypten zwar im Vorjahr seine Militärpräsenz in einer Vereinbarung mit Israel erhöhte, jedoch die 800 Soldaten, die Kairo dort stationieren durfte, sind bei der Aufgabe, Terroristen, Kriminellen, Schmugglern das Handwerk zu legen und einen Flüchtlingsstrom aus Afrika fernzuhalten, hoffnungslos überfordert. Seit dem Sturz Präsident Mubaraks im Februar 2011 hat das illegale Treiben auf der Halbinsel, darunter auch die Entführung ausländischer Touristen, drastisch zugenommen.
Nach blutigen Attacken von heimischen Beduinen unterstützter palästinensischer Extremisten , die etwa 2004 nahe des von Israelis beliebten Ferienortes Taba 34 Menschen getötet hatten, ordnete Mubarak massive Vergeltung an. 3000 Bewohner der Region wurden festgenommen und nach Informationen von Menschenrechtsorganisationen brutal gefoltert, wiewohl sie nachweislich mit dem Anschlag nichts zu tun hatten. Diese scharfe Repression verhinderte in den darauffolgenden Jahren eine Wiederholung des Terrors, brachte aber die betroffene heimische Bevölkerung entschieden gegen das Regime im fernen Kairo auf. Wiewohl nach ersten Informationen offenbar keine Angehörigen der etwa 100.000 im Sinai lebenden Beduinen an den Terrorakten vom Sonntag und anschließenden Übergriffen auf Grenzposten beteiligt gewesen war, spielten die Beduinen in der Vergangenheit bei Gewaltakten eine nicht unwesentliche Rolle. Diese Bevölkerungsgruppe, die sich traditionell ihrem Stamm weit loyaler fühlt als dem ägyptischen Staat, der sie zudem seit Jahrzehnten ökonomisch sträflich vernachlässigt, ist nicht nur stark in Schmuggel verwickelt. Die Beduinen sind überwiegend traditionell religiös, wodurch auf der Halbinsel zunehmend aktive Jihadisten bei diesen Bewohnern leicht auch aktive Unterstützung finden.
Sowohl die Israelis, wie auch die ägyptische Militärführung sind davon überzeugt, dass „Globale Jihadisten“, möglicherweise mit Unterstützung aus Gaza, Sonntag, wie schon zuvor zuschlugen. Laut ägyptischer Militärführung halten sich bis zu 2000 Terroristen derzeit im Sinai auf und haben in den vergangenen eineinhalb Jahren mindestens 28 Mal die Gaspipeline von Ägypten nach Israel attackiert.
Die Beziehungen zwischen Israel und dem islamistischen Präsidenten Ägyptens stehen nun vor einem Test. Die Entschlossenheit, mit der Mursi reagierte und in Einklang mit dem Militär Operationen gegen mutmaßliche Terroristen startete, weckt die Hoffnung, dass auch das „neue Ägypten“ an sicheren Grenzen mit Israel interessiert ist. Doch dafür ist eine Revision der Verträge von Camp David, die Verstärkung ägyptischer Militärpräsenz, unerlässlich. Anderseits lassen Attacken aus der Luft, wie etwa jene auf die nahe von Gaza gelegene Stadt Touma, die wahllos Zivilisten treffen, eine verstärkte Solidarisierung der lokalen Bevölkerung mit Extremisten befürchten.
In Gaza versucht unterdessen die islamistische Hamas, die sich durch den Gesinnungsgenossen Mursi eine starke Annäherung der Palästinenser an Ägypten erhofft, alles um sich von derartiger Gewalt zu distanzieren, verstärkte ihre Bewaffneten an der Grenze zu Ägypten und begann mit der Schließung einiger der 1.200 Tunnels, durch die ein reger Schmuggel aller Arten von Waren, Waffen und Menschen zwischen Ägypten und Gaza betrieben wird.
Mursi wiederum, kaum eineinhalb Monate im Amt, bieten die dramatischen Entwicklungen im Sinai die Möglichkeit, im internen Machtkampf mit den Militärs an Boden zu gewinnen. Die beiden Rivalen demonstrierten durch die Entscheidung zu einer großen Militäroperation Einigkeit, zugleich nützte Mursi die Chance, den vor allem unter den Gegnern der alten Ordnung verhaßten militärischen Geheimdienstchef, der auf israelische Warnungen vor einem Anschlag nicht reagiert hatte, abzusetzen – eine Entscheidung, die führende Demokratie-Aktivisten als „revolutionär“ preisen und die Chancen erhöhen, dass der neue von der Hälfte der ägyptischen Bevölkerung entschieden abgelehnte Präsident seinen ersten großen Test bestehen könnte.
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