Schwerer politischer Schlag für das Regime, das auch militärisch zunehmend in die Defensive gerät
von Birgit Cerha
Hijab gehört zwar nicht dem innersten Kreis um Assad an, doch er zählt seit 1982 zu den wichtigen Funktionären der herrschenden Baath-Partei, seit 1998 Mitglied des Führungsteams der Partei. Er war als Provinzchef von Latakia für die Niederschlagung von Unruhen verantwortlich, als diese im Vorjahr dort ausbrachen. Bashar hatte den damaligen Landwirtschaftsminister am 23. Juni, einen Monat nach Parlamentswahlen, nach Aussagen von Hijabs Sprecher Mohammed el Etri, in das Amt des Regierungschefs mit der Drohung gezwungen, entweder zu akzeptieren oder getötet zu werden. Schon zuvor habe der Sunnit Hijab empört über die Brutalitäten des Alawiten-Regimes mit der Opposition Fluchtpläne geschmiedet. „Sein Absprung wird schwerwiegende Folgen“ für Assads Herrschaft haben und „den Erfolg der Revolution“ beeinflussen, meint Etri.
Assad hatte die Parlamentswahlen und die Wahl des neuen Premiers als Erfüllung oppositioneller Forderungen nach demokratischen Reformen propagiert. Doch seine politischen Gegner verwarfen diese Aktionen rasch als Täuschungsmanöver, zumal Hijab jahrzehntelang dem Regime treu gedient hatte. Die Umstände seiner Ernennung zum Premier lassen darauf schließen, dass der Kreis um Assads vertrauenswürdige Mitstreiter immer kleiner wird.
Hijabs Flucht fügt dem von Alawiten dominierten politischen System den ersten schweren Sprung zu. Im Militär- und Geheimdienstapparat nimmt die Zahl der Desertionen schon seit einiger Zeit empfindlich zu. Als besonders schmerzhaft erwies sich der am 3. August gemeldete Absprung von general Nasr Mustafa, der eine wichtige Funktion im Geheimdienst der Luftwaffe bekleidet hatte. Mustafa ist Alawit und die bedingungslose Loyalität der hohen Funktionäre dieser Religionsgemeinschaft bot Assad bisher die sicherste Überlebenschance. Nun muss der Diktator mehr und mehr auch die Treue seiner Glaubensbrüder in Zweifel ziehen.
Auch militärisch erweist sich die Opposition als zunehmend widerstandsfähig. Das zeigte Montag auch der Bombenanschlag auf das Hauptquartier des staatlichen Radios und Fernsehens, bei dem beträchtlicher Sachschaden entstand, einige Personen verletzt, aber niemand getötet wurde. Das Gebäude liegt im schwerbewachten zentralen Omayyaden-Bezirk von Damaskus.
Erst vor zwei Tagen hatte die Militärführung nach heftigen Kämpfen verkündet, dass sie die Stadt von allen „Terroristen“ gesäubert hätte und nun wieder voll unter Kontrolle hielte.
Die „Freie Syrische Armee“ aber schafft es, ungeachtet der militärischen Überlegenheit der Regierungssoldaten, im Herzen der Großstädte Damaskus und Aleppo zuzuschlagen. Regierungstruppen verstärken unterde4ssen den militärischen Ring um Aleppo, scheuen aber vor einer immer wieder angekündigten Entscheidungsschlacht zurück. Ein Armeesprecher kündigte Montag an, dass die bisherigen heftigen Kämpfe um Aleppo nur „die Vorspeise“ gewesen seien, die eigentlich Schlacht erst beginnen und – da Straße für Straß „gesäubert“ werden müsse – sehr lange dauern würde.
Die Taktik der Rebellen, sich unter der Zivilbevölkerung zu verschanzen und – wie eben in Damaskus – mit Blitzüberfällen Ziele des Regimes zu überfallen, sich dann sofort wieder in den Schutz der unbewaffneten Bevölkerung zurückzuziehen, erweist sich als zunehmend erfolgreich. Dabei riskieren die Rebellen allerdings, die mit ihnen sympathisierenden Zivilisten brutalen Strafaktionen auszusetzen, denn militärisch sind sie nicht in der Lage, eroberte Gebiete auch zu halten. Sie zählen vielmehr auf eine zunehmend quälende Zermürbungstaktik und nehmen dabei noch größere Opfer unter der Bevölkerung in Kauf. Militärisch zunehmend besser ausgerüstet, ist es den Rebellen gelungen, Teile der Streitkräfte in ländlichen Gebieten von ihren Kommandozentralen abzuschneiden. Einige dieser Basen können nur noch mit Helikoptern versorgt werden.
Auch administrativ verliert Assad über immer größere Gebiete die Kontrolle, Steuern lassen sich nicht mehr einheben. Langsam könnte dem Regime der Atem ausgehen. Welche Alternative bietet sich dem Diktator an? Wenig ist bekannt von Assads Gedanken. Sein letzter öffentlicher Auftritt war im Juni. Wird er dem Beispiel des Libyers Gadafi folgen, den politischen Todeskampf mit Gegnern, die ihm an Grausamkeit wenig nachstehen, bis zum Ende führen und damit die Brutalität ins Unermessliche steigern? Oder hat der junge Familienvater mit mutmaßlich gigantischen Vermögenswerten im Ausland doch noch eine andere – private – Zukunftsvision? Wofür auch immer er sich entscheiden mag, er hat in Syrien das Feuer der Hölle entfacht. Niemand wird es so bald löschen können.
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