Doch selbst unter dieser Minderheit wächst der Ärger über die Brutalitäten des Regimes in dessen verzweifelten Überlebenskampf
von Birgit Cerha
Während Teile Syriens in Flammen stehen, sich das syrische Regime und dessen Gegner für die „Entscheidungsschlachten“ in den Metropolen Damaskus und Aleppo rüsten, herrscht auf dem vulkanischen Plateau von Mount Hauran gespenstische Ruhe – und das schon seit vielen Monaten. Doch auch hier, im Kernland der Drusen, 40 km südlich von Damaskus gelegen, wächst das Unbehagen, ja die Empörung über die hemmungslose Brutalität, mit der der schwerbedrängte Diktator Bashar el Assad seinen Überlebenskampf führt. Doch noch haben sich die Drusen in dieser höchst unangenehmen Wahl zwischen dem Herrscher, dem sie so lange vertraut haben, und der Schar seiner Gegner, unter denen die so lange von der Minderheit gefürchteten radikalen Islamisten starken Einfluss haben, mehrheitlich nicht entschieden. Doch die regimekritischen Stimmen werden immer lauter.
Lange hatten sich Scheichs der Drusen persönlich eingesetzt, um auch im Jebel el-Druze, wie die Syrer das Kerngebiet der Minderheit nennen, sich schwach formierenden Demonstrationen gegen Assad zu zerstreuen. Die Gründe, warum die Drusen so lange dem Assad-Regime treu bleiben, sind vielfältig. In der Minderheit ist die Loyalität zum Regime, insbesondere aber zur Familie Assads besonders stark ausgeprägt, da der Vater des heutigen Präsidenten, Hafez, die Wiedergewinnung der von Israel 1967 besetzten Golanhöhen zu seinem zentralen politischen Anliegen erhoben hatte, eine politische Strategie, die der Sohn Bashar treu fortsetzte. Durch seine Besetzung des Golans hat Israel Tausende drusische Familien zerrissen. Etwa 20.000 Drusen leben heute, hermetisch getrennt von ihren Angehörigen in Syrien, unter israelischer Herrschaft jenseits der Waffenstillstandslinie und haben auch nach mehr als 40 Jahren die Hoffnung auf Wiedervereinigung nicht aufgegeben – eine Hoffnung, die Bashar, wie sein Vater, nährte.
Das lange Schweigen der Drusen hat aber auch andere, rein praktische Gründe. Hohe Arbeits- und Perspektivlosigkeit hat die junge Generation, die den Kern der Rebellion in anderen Bevölkerungsgruppen Syriens stellt, aus dem Mount Hauran weitgehend verjagt. Wer konnte, suchte im Ausland eine neue Existenz, andere fanden in den Streit- und Sicherheitskräften des Regimes, ja sogar in der gefürchteten alawitischen Todesschwadronen, den Shabiha, ein gar nicht kleines Einkommen. Vor allem aber sind es die Urängste vor einem Machtgewinn radikaler sunnitischer Muslime, die die große Mehrheit der Drusen in passives Abwarten drängen.
Die Drusen zählen mit etwa 300.000 Menschen zu den kleinsten Minderheiten Syriens.Sie verstehen sich als „spirituelle Cousins“ der herrschenden alawitischen Minderheit des Landes. Wie jene der Alawiten, hat sich ihre monotheistische Religion aus dem Islam entwickelt. Sie geht auf Sultan al-Hakim Biamrillah, den Herrscher der ägyptischen Fatimiden zurück. Sein Tod 1021 wird von einigen seiner Anhänger als Übergang in die Verborgenheit ausgelegt, aus der er nach tausend Jahren wieder kehren werde, um die Weltherrschaft anzutreten – ein Mythos, der von der Schia übernommen wurde. Ob Hakim aber tatsächlich als Gründer der Drusen betrachtet werden kann, ist unklar, denn die theologische Lehre, nach der er als Inkarnation Gottes gilt, wurde erst nach seinem Tod von von Hamza ibn-Ali und Mohammed al-Darazi, zwei von der Schia abgespaltenen Gelehrten entwickelt. Der Name Drusen leitet sich von Darazi ab, der als einer der ersten Vertreter dieser Glaubensrichtung in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde.
Alle Richtungen des Islams betrachten die Drusen als Nicht-Muslime. Die Drusen selbst sehen in ihrem Glauben, „Din al-Tawhid“ (Religion der göttlichen Einheit) bezeichnet, eine Neu-Interpretation der drei monotheistischen Religionen – Judentum, Christentum und Islam. Ihre Theologie stützt sich aber auch auf hinduistische und andere Philosophen, auf den ägyptischen Pharao Echnaton, den Griechen Sokrates, Plato und Aristoteles, wie Alexander den Großen. ‚Sie haben eine allegorische Interpretation des Korans mit eigener Doktrin verwoben. Es ist besonders ihr Glaube an Reinkarnation, die Seelenwanderung, die unter Muslimen derartige Ablehnung auslöste, dass sie die Drusen blutig verfolgten. Diese zogen sich zum Schutz in die Berge, insbesondere des heutigen Libanons und Syriens, zurück, wo sie sich von ihrer Umwelt über Jahrhunderte abschotteten, ihren Glauben und ihre religiösen Praktiken weitgehend geheim hielten und keine Missionierung betrieben.
Sie entwickelten ein starkes Gemeinschaftsgefühl, das sie durch ausgeprägtes martialisches Geschick in einer ihnen häufig feindlich gesinnten Umwelt zu schützen suchten. Zugleich erhoben sie die Anpassung an äußere politische Kräfte, ohne Aufgabe der eigenen Identität, zu den Grundprinzipien ihres Lebens. Dennoch zeichnen sich die Drusen durch einen starken Sinn für Freiheit und Unabhängigkeit aus, haben sich so in der Geschichte durch mutigen Widerstand gegen Besatzungsmächte hervorgetan und damit mehr Freiheit erkämpft als andere Bevölkerungsgruppen in der Levante. Sie erhoben sich gegen die Osmanen und spielten eine wichtige Rolle in der „Großen Revolte“ gegen die französische Mandatsherrschaft (1925-27).
Der Libanon ist heute das einzige Land, in dem die Drusen eine aktive politische Rolle spielen. In Israel leben etwa 107.000 Drusen. Insgesamt gibt es weltweit nach Schätzungen nicht einmal eine Million Angehörige dieser Glaubensgemeinschaft. In Syrien konnten sie unter der 40-jährigen Baath-Herrschaft relativ frei leben und Baschar el Assad hofierte sie seit vielen Jahren, insbesondere seit Beginn der Revolten im Vorjahr. Sicherheitskräfte vermieden alles, um Drusen zu attackieren oder zu schikanieren. Dennoch schlossen sich einige drusische Intellektuelle der Opposition an, sind sowohl in dem in der Türkei stationierten „Syrischen Nationalrat“, wie in der „Freien Syrischen Armee“ vertreten. Wenn unter der weniger gebildeten Bevölkerungsmehrheit der sich schon abzeichnende Stimmungsumschwung voll einsetzt, würde Assad eine potentiell kämpferische Stütze seines Regimes verlieren.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen