Die Minderheit gerät zur Zielscheibe islamistischer Opposition - Wachsende Ängste um den Verlust jahrhundertelanger religiöser Harmonie
von Birgit Cerha
Mit wachsender Angst der Minderheit vor dem nun auch sie ernsthaft bedrohenden „irakischen Alptraum“ nehmen immer mehr Christen das Waffen-Angebot des Regimes an, um sich selbst zu schützen. Seit dem Sturz Saddam Husseins im Irak 2003 ist die christliche Minderheit von mehr als einer Million auf die Hälfte geschrumpft. An die 300.000 flüchteten vor dem Bürgerkrieg und gezielten Angriffen radikaler Islamisten nach Syrien. Ein großer Teil von ihnen kehrte nun in den nach wie vor unsicheren Irak zurück.
Denn die dramatischen Ereignisse in Quseir wecken die schlimmsten Ängste. Nach etwa sieben Monate der Belagerung durch Assads Sicherheitskräfte hatten sunnitische Geistliche in der 60.000 Einwohner zählenden Stadt südwestlich der lange umkämpften Rebellenhochburg Homs die etwa 10.000 Christen, der Kollaboration mit dem Regime bezichtigt und ihnen ein Ultimatum gestellt, um die Stadt zu verlassen. Fast alle flüchteten. In Homs selbst haben Angehörige der bewaffneten Opposition ganze christliche Stadtviertel gesäubert. Nur etwa 400 der einst rund 80.000 christlichen Bewohner harren dort noch aus.
Dabei hatte das Gebiet des heutigen Syrien in der Geschichte ein Musterbeispiel eines Lebens in religiöser Harmonie geboten. Eine der ältesten christlichen Gemeinschaften, nach Ägypten der größten im Nahen Osten, hat sich hier seit 2.000 Jahren entwickelt. Das Neue Testament berichtet von Saulus, der auf dem Weg nach Damaskus zum Christentum bekehrt wurde. Und in der berühmten Omayyaden –Moschee von Damaskus wird das Haupt Johannes des Täufers aufbewahrt, der die Muslime als Vorläufer des Propheten Mohammed verehren Niemals in der Geschichte gab es auf dem Boden des heutigen Syrien eine Christenverfolgung.
Mehr als zwei Millionen Christen leben heute in Syrien, etwa zehn Prozent der Bevölkerung. Die Christen sind nach Religionszugehörigkeit und politischer Einstellung gespalten.
Die griechisch orthodoxe und griechisch katholische Kirche sind die beiden größten christlichen Glaubensgemeinschaften. Kleiner Gruppierungen sind mit Rom unierte Maroniten, Katholiken Syrisch-Orthodoxe, Assyrer, Armenisch-Orthodoxe und mit Rom unierte armenische Katholiken.
Traditionell leben die Christen in städtischen Gebieten, die meisten in Aleppo, das mehr als 40 teils kulturhistorisch höchst bemerkenswerte Kirchen beherbergt. Sie zeichnen sich durch einen relativ hohen Bildungsgrad aus, gehören überwiegend der Mittelschichte an und genossen bisher in Syrien den größten Freiraum im gesamten Nahen Osten: Keine berufliche und politische Diskriminierung (selbst Ministerposten standen ihnen offen) und völlige Religionsfreiheit. Die 40-jährige Herrschaft der Assads, die sich stets als Schutzherren der Minderheiten präsentierten, setzte de facto nur einen religiösen Liberalismus fort, der in Syrien traditionell bestanden hatte. Schon in den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts gab es einen christlichen Premierminister. Das Regime aber spielte stets diese Schutzrolle zur Absicherung seiner Macht und im Kampf gegen die sie bedrohenden radikalen Sunniten aus. Nun wollen sich die Christen – so betonen einige ihrer prominenten Vertreter – aber nicht mehr instrumentalisieren lassen. Sie „müssen sich nicht zu ihrem Schutz hinter einem Regime verbergen“, betont der Geistliche Nadium Nassar im britischen „Guardian“. „Wir sind geschützt durch die Tatsache, dass wir Syrer sind, ursprünglicher Teil des Grundgefüges unserer Gesellschaft.“ Und diese Gesellschaft, so Nassar, sei „aufgeklärt, säkular,.. mit einem tiefen spirituellen Kern und der gemeinsamen Überzeugung, dass Syrien (Heimat) für jeden ist.“ Doch auch Nassar befürchtet, dass radikale Islamisten, unter Einfluss von außen, an Macht gewinnen und die „Traditionen der Ko-Existenz und religiöser Harmonie“ zerstören könnten.
In Wahrheit geht es in diesem Krieg zunehmend nicht mehr nur um Macht. Es geht um die Seele Syriens.
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