Mittwoch, 31. August 2011
Der Irak kommt nicht zur Ruhe
Extremistengruppen verschärfen ihren blutigen Kampf, um sich für die Zeit nach einem Abzug der US-Truppen zu positionieren
von Birgit Cerha
Hunderte Milliarden von Dollar haben die USA seit dem Sturz des irakischen Diktators Saddam Hussein zur Stabilisierung des Landes investiert. Doch auch nach acht Jahren ist die Bedrohung durch Aufständische nicht gebannt. Ganz im Gegenteil, so scheint es. Im August erlebten die Iraker die blutigsten koordinierten Terrorattacken seit einem Jahr. Immer noch sind wenige Regionen des Landes vor Gewalt sicher.
Al-Kaida im Irak (AKI) drohte Ende August „hundert Attacken“ im ganzen Land an, um den Tod ihres Idols Osama bin Laden zu rächen. Doch Experten sehen diese islamistischen Terroristen keineswegs als die Hauptschuldigen an der erneuten Terrorwelle. Der Tod des AKI-Führers Abu Omar al-Baghdadi und dessen Stellvertreter Abu Ayub al-Masri im Vorjahr hat die Organisation wesentlich geschwächt. Seither haben sich andere sunnitische Gewalttäter, vereint in der Gruppe „Jaisch Ridschal Tarikah al-Nakschabandi“ unter Führung von Offizierenn der gestürzten Baath-Partei zur gefährlichsten Terrorbande entwickelt. Sie spielen vor allem eine koordinierende Rolle zwischen den diversen Extremistengruppen.
Doch das Bild des Terrors hat sich verändert. Zwar hat sich im Juli die Zahl der versuchten Massenmorde auf 33 gegenüber den 20 des Vergleichsmonats 2010 erhöht. 259 Menschen starben. Der August erlebte gar noch eine Steigerung auf mehr als 40 Anschläge. Doch die Zahl der Toten bei den einzelnen Anschlägen sank gegenüber dem Vorjahr, weil die Extremisten mehr und mehr Selbstmordattentäter durch Autobomben ersetzen, die meist weniger Menschen das Leben kosten.
Viele Anschläge werden insbesondere seit Beginn der blutigen Revolutionen in der arabischen Welt vor sieben Monaten von der Weltöffentlichkeit kaum zur Kenntnis genommen. Es sind fast tägliche Kleinattacken , Morde an politischen Gegnern oder Racheakte für vergangene Bluttaten – ein Phänomen, das den Irak mit seinen Hundettausenden menschlichen Opfern noch lange quälen wird.
Viele der Anschläge haben lokale Motivationen, da geht es um die Kontrolle etwa von Polizeieinheiten oder Ortsverwaltungen in einem Land, in dem die Regierung immer noch durch Parteienstreitereien und gegensätzliche Machtinteressen weitgehend gelähmt ist. Ein Teil der Gewalt geht freilich immer noch auf den Kampf gegen die USA zurück. Hier spielen Splittergruppen der vom Iran unterstützten Bewegung des anti-amerikanischen Schiitengeistlichen Moktada Sadr, wie die Kataib Hezbollah und Asaib Ahl al-Hak, eine entscheidende Rolle. Sadr hingegen hat scharfe Drohungen, er werde den Kampf gegen US-Truppen wieder aufnehmen, sollten sie im Lande bleiben, zurückgezogen und versucht derzeit alles, die Regierung unter Premier Maliki nicht zu provozieren, um nicht erneut eine militärische Konfrontation mit den Sicherheitskräften zu riskieren, die ihm bereits vor Jahren schwere Niederlagen zugefügt hatten. AKI anderseits befürchtet, durch einen für Ende dieses Jahres geplanten Abzug der 46.000 noch im Irak verbliebenen US-Soldaten, ihre Hauptmotivation für anhaltenden Terror im Irak – Kampf gegen die verhasste Supermacht – zu verlieren. Gelänge es ihr, unter der Bevölkerung wieder Angst und Schrecken zu verbreiten, könnte sie vielleicht eine Verlängerung des US-Mandats erreichen und damit nach ihren Vorstellungen ihre Existenzberechtigung im Zweistromland.
Vier Monate nach dem 2008 mit den Amerikanern vereinbarten Truppenrückzug herrscht allerdings immer noch Unklarheit über die Zukunft der USA im Zweistromland. Während Washington offenbar auf eine weitere Militärpräsenz hofft, verkündete Maliki am 30. August, dass alle US-Truppen „wie geplant“ mit Jahresende das Land verlassen würden und dass auch ab nächstem Jahr keine US-Militärstützpunkte mehr geplant seien. Diese erstaunliche Kehrtwende des Premiers geht nicht nur auf dessen Wunsch zurück, sich als Nationalist dem Volk zu präsentieren, sondern vor allem auf die Sorge, eine Abstimmung im Parlament, die im Falle einer Mandatsverlängerung nötig wäre, zu verlieren und damit empfindlichen politischen Schaden zu erleiden. Doch Maliki braucht US-Unterstützung für Kampf seiner immer noch nicht selbständig effizient einsatzfähigen Sicherheitskräfte gegen Terrorgruppen. US-Ausbildner, so geben Regierungskreise zu verstehen, sollten weiterhin zu diesem Zweck im Lande bleiben. Dafür bedarf es keiner Billigung des Parlaments. Welche konkrete Funktionen sie übernehmen sollen, ob sie Immunität genießen werden, darüber wird noch heftig debattiert.
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Montag, 22. August 2011
Libyens Stunde Null
von Birgit Cerha
Die Revolution gegen den dienstältesten Diktator der arabischen Welt hat beinahe ihren – blutigen – Sieg errungen. Gadafi ging in den Untergrund, drei seiner Söhne - darunter Saif al Islam, der de-facto Herrscher der vergangenen Tage – sind in Rebellenhand. Sie werden sich vor einem libyschen und/oder einem internationalen Gericht für ihre Taten der vergangenen sechs Monate verantworten müssen: massiven und systematischen Militäreinsatz gegen Zivilisten, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Junge rebellische Libyer, zuletzt in Tripolis, haben die Befreiungsaktion nach 42-jähriger Despotie entscheidend mitgetragen. Sie haben damit ihren unterdrückten Altersgenossen an anderen Orten der arabischen Welt, vom Jemen bis nach Syrien, erneut Hoffnung gegeben, dass todesmutiges Engagement für Freiheit und Würde letztlich Früchte trägt, auch wenn dies im libyschen Fall ohne Militärhilfe von außen nicht möglich gewesen wäre.
Doch Freude ist fehl am Platz. Noch läßt sich der Preis, den die Libyer für ihre Freiheit bezahlen mußten nur erahnen: Tausende Tote und noch viel mehr Verwundete, zerstörte Städte, eine kaputte Wirtschaft, darniederliegende Infrastruktur und die gigantische Gefahr eines politischen Vakuums. Ob es dem aus divergierenden Kräften zusammengesetzten Übergangsrat gelingen kann, rasch das hochexplosive Vakuum zu füllen und den Absturz ins Chaos zu verhindern, wird sich als Schicksalsfrage für das neue Libyen erweisen. Der Irak muss dabei als mahnendes negatives Beispiel dienen: Nicht Ausgrenzung (im Falle des Iraks nach dem Sturz Saddam Husseins 2003 durch Auflösung der Sicherheitskräfte und Entlassung aller Angehörigen der regierenden Baath-Partei) der Mitarbeiter des alten Regimes schafft die Basis für eine friedliche Zukunft, sondern deren Einschluß, ebenso wie die Zusammenarbeit mit islamischen Kräften, die im Kampf gegen Gadafi eine wichtige Rolle gespielt haben. Manche Oppositionsführer haben dies erkannt. Nur wenn es ihnen gelingt, die Libyer zu einem friedlichen Miteinander zu bewegen, hat die Freiheit eine Chance. Westliche Hilfe ist dafür vorerst wohl nötig, doch sie kann sich nur dann nicht als Bumerang erweisen, wenn sie vorsichtig um Hintergrund bleibt und die Libyer rasch zur alleinigen Eigenverantwortung führt.
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Die Revolution gegen den dienstältesten Diktator der arabischen Welt hat beinahe ihren – blutigen – Sieg errungen. Gadafi ging in den Untergrund, drei seiner Söhne - darunter Saif al Islam, der de-facto Herrscher der vergangenen Tage – sind in Rebellenhand. Sie werden sich vor einem libyschen und/oder einem internationalen Gericht für ihre Taten der vergangenen sechs Monate verantworten müssen: massiven und systematischen Militäreinsatz gegen Zivilisten, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Junge rebellische Libyer, zuletzt in Tripolis, haben die Befreiungsaktion nach 42-jähriger Despotie entscheidend mitgetragen. Sie haben damit ihren unterdrückten Altersgenossen an anderen Orten der arabischen Welt, vom Jemen bis nach Syrien, erneut Hoffnung gegeben, dass todesmutiges Engagement für Freiheit und Würde letztlich Früchte trägt, auch wenn dies im libyschen Fall ohne Militärhilfe von außen nicht möglich gewesen wäre.
Doch Freude ist fehl am Platz. Noch läßt sich der Preis, den die Libyer für ihre Freiheit bezahlen mußten nur erahnen: Tausende Tote und noch viel mehr Verwundete, zerstörte Städte, eine kaputte Wirtschaft, darniederliegende Infrastruktur und die gigantische Gefahr eines politischen Vakuums. Ob es dem aus divergierenden Kräften zusammengesetzten Übergangsrat gelingen kann, rasch das hochexplosive Vakuum zu füllen und den Absturz ins Chaos zu verhindern, wird sich als Schicksalsfrage für das neue Libyen erweisen. Der Irak muss dabei als mahnendes negatives Beispiel dienen: Nicht Ausgrenzung (im Falle des Iraks nach dem Sturz Saddam Husseins 2003 durch Auflösung der Sicherheitskräfte und Entlassung aller Angehörigen der regierenden Baath-Partei) der Mitarbeiter des alten Regimes schafft die Basis für eine friedliche Zukunft, sondern deren Einschluß, ebenso wie die Zusammenarbeit mit islamischen Kräften, die im Kampf gegen Gadafi eine wichtige Rolle gespielt haben. Manche Oppositionsführer haben dies erkannt. Nur wenn es ihnen gelingt, die Libyer zu einem friedlichen Miteinander zu bewegen, hat die Freiheit eine Chance. Westliche Hilfe ist dafür vorerst wohl nötig, doch sie kann sich nur dann nicht als Bumerang erweisen, wenn sie vorsichtig um Hintergrund bleibt und die Libyer rasch zur alleinigen Eigenverantwortung führt.
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„Libyen gehört nun allen“
Um das kriegsgequälte Land in eine demokratische Zukunft zu führen, müssen sich die Rebellen zu Regierenden wandeln – Die Hürden sind enorm
von Birgit Cerha
Sechs Monate nach Beginn der Rebellion gegen Libyens Herrscher Muammar Gadafi hat die letzte Schlacht um die Freiheit nach 42-jähriger Diktatur begonnen. Während den Rebellen in der Nacht auf Montag der Einzug in die Hauptstadt Tripolis überraschend schnell gelungen war, gilt es nun hartnäckige Widerstandszentren zu überwinden. Westliche Augenzeugen berichten von alarmierendem Chaos, Kämpfern auf beiden Seiten ohne Kommandostrukturen und sie sehen darin enorme Gefahren für einen sich vielleicht noch länger hinziehenden Städtekrieg, in einer Situation, in der orientierungslose Bewaffnete Freunde von Gegnern nur schwer unterscheiden können.
Gadafi, so scheint es, bleibt seinen Worten treu, flüchtet nicht, ergibt sich nicht, harrt irgendwo aus, in Tripolis, vielleicht in seiner Heimatstadt Siirt, wo noch viele Anhänger zu ihm stehen dürften. Damit könnte das Blutvergießen noch Tage, vielleicht einige Wochen weitergehen.
Die Rebellen aber sind euphorisch. „Libyen gehört nun allen“, verkündete Mahmoud Jibril, einer ihrer Führer. „Ab heute dürfen sich alle Libyer am Aufbau der Zukunft beteiligen, der Errichtung von Institutionen auf der Basis einer Verfassung, die nicht zwischen Mann und Frau, Religion oder Ethnie unterscheidet.“
Auch in Tripllois, Gadafis jahrzehntelanger Hochburg , feiern viele Menschen die von den Rebellen deklarierte „Stunde Null“ ihrer Heimat. Doch keineswegs alle. In Tripolis, in Siirt und anderswo in West-Libyen schlagen wohl immer noch nicht wenige Herzen für den Oberst, dessen Schicksalstunde nach 42 Jahren der Macht nun schlägt. Damit ist keineswegs sicher, dass der in Benghazi gegründete und stationierte „Nationale Übergangsrat“ von der Mehrheit in der Hauptstadt als neue Führung bis zu den ersten freien Wahlen tatsächlich akzeptiert wird. Benghazi gilt immerhin seit Jahrzehnten als Erzrivale von Tripolis.
Die Frage der Glaubwürdigkeit der Rebellen im Rest des Landes wird sich als schicksalhaft für die Zukunft Libyens erweisen. Gadafis Gegner im Übergangsrat setzen sich aus ehemaligen Ministern, langjährigen Oppositionellen mit sehr unterschiedlichen Ideologien – von arabischen Nationalisten, über Säkularisten, Sozialisten, Islamisten bis zu Technokraten, Geschäftsleuten, ehemaligen Offizieren und Soldaten bis zu freiwilligen Kämpfern – zusammen. Und viele mistrauen einander.
Sie können sich nicht, wie etwa die Ägypter, auf eine starke staatliche Institution – in jenem Fall das Militär – stützen, das ihnen Rückhalt beim Aufbau eines demokratischen Systems bietet. Aus Angst vor einem Putsch hatte Gadafi über die Jahrzehnte ein Erstarken des Militärs verhindert.
Doch die Führung des Übergangsrates ist sich der enormen Gefahren eines Machtvakuums voll bewußt und hat die vergangenen Monate genützt, um sich auf die „Stunde Null“ vorzubereiten. In Dubai haben 70 Oppositionelle ein „Libysches Stabilisierungsteam“gegründet, das den Übergang von der Ära Gadafi zur Demokratie vorbereitete und zwar vor allem in den Bereichen Sicherheit, Gesundheit, Bildung und Infrastruktur. Man nahm Kontakte zu Einheiten der Sicherheitskräfte auf, deren Angehörige sofort nach dem Sturz Gadafis in Tripolis und anderen Städten Straßensperren errichten,die Bevölkerung entwaffnen sollen, um den Ausbruch eines durch Rachegelüste nach sechsmonatigem Blutvergießen gespeisten Bürgerkrieg zu verhindern. Für besonders wichtig halten es unabhängige Beobachter, dass die von den Rebellen im Juni verhängte Teilblockade von Tripolis sofort aufgehoben und so eine humanitäre Katastrophe verhindert wird. Nur so besteht die Chance sich die von monatelangen Bombardements gequälten Menschen der Stadt zu den Übergangsführern positiv einstellen.
Die Herausforderungen, das tief gespaltene Land zu einen und wieder aufzubauen sind gigantisch. Zu den Prioritäten der Rebellenführer zählt die Erweiterung des Übergangsrates durch Vertreter aus den bisher noch von Gadafi kontrollierten Regionen. Binnen acht Monaten sollen Wahlen für einen 200-köpfigen Übergangs-Nationalkongreß stattfinden. Und ein Jahr später soll die erste gewählte Regierung ein neues demokratisches Libyen führen.
Manche Beobachter, wie EU-Repräsentant in Benghazi, Jeremy Nagoda, zeigen sich durchaus optimistisch: „Ich glaube“, meint Nagoda, der Übergangsrat „war extrem vorsichtig im Umgang mit den gegensätzlichen Kräften und „bei der Verhinderung von Rachakten, die einen schweren Schatten auf die Zukunft werden könnten“.
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von Birgit Cerha
Sechs Monate nach Beginn der Rebellion gegen Libyens Herrscher Muammar Gadafi hat die letzte Schlacht um die Freiheit nach 42-jähriger Diktatur begonnen. Während den Rebellen in der Nacht auf Montag der Einzug in die Hauptstadt Tripolis überraschend schnell gelungen war, gilt es nun hartnäckige Widerstandszentren zu überwinden. Westliche Augenzeugen berichten von alarmierendem Chaos, Kämpfern auf beiden Seiten ohne Kommandostrukturen und sie sehen darin enorme Gefahren für einen sich vielleicht noch länger hinziehenden Städtekrieg, in einer Situation, in der orientierungslose Bewaffnete Freunde von Gegnern nur schwer unterscheiden können.
Gadafi, so scheint es, bleibt seinen Worten treu, flüchtet nicht, ergibt sich nicht, harrt irgendwo aus, in Tripolis, vielleicht in seiner Heimatstadt Siirt, wo noch viele Anhänger zu ihm stehen dürften. Damit könnte das Blutvergießen noch Tage, vielleicht einige Wochen weitergehen.
Die Rebellen aber sind euphorisch. „Libyen gehört nun allen“, verkündete Mahmoud Jibril, einer ihrer Führer. „Ab heute dürfen sich alle Libyer am Aufbau der Zukunft beteiligen, der Errichtung von Institutionen auf der Basis einer Verfassung, die nicht zwischen Mann und Frau, Religion oder Ethnie unterscheidet.“
Auch in Tripllois, Gadafis jahrzehntelanger Hochburg , feiern viele Menschen die von den Rebellen deklarierte „Stunde Null“ ihrer Heimat. Doch keineswegs alle. In Tripolis, in Siirt und anderswo in West-Libyen schlagen wohl immer noch nicht wenige Herzen für den Oberst, dessen Schicksalstunde nach 42 Jahren der Macht nun schlägt. Damit ist keineswegs sicher, dass der in Benghazi gegründete und stationierte „Nationale Übergangsrat“ von der Mehrheit in der Hauptstadt als neue Führung bis zu den ersten freien Wahlen tatsächlich akzeptiert wird. Benghazi gilt immerhin seit Jahrzehnten als Erzrivale von Tripolis.
Die Frage der Glaubwürdigkeit der Rebellen im Rest des Landes wird sich als schicksalhaft für die Zukunft Libyens erweisen. Gadafis Gegner im Übergangsrat setzen sich aus ehemaligen Ministern, langjährigen Oppositionellen mit sehr unterschiedlichen Ideologien – von arabischen Nationalisten, über Säkularisten, Sozialisten, Islamisten bis zu Technokraten, Geschäftsleuten, ehemaligen Offizieren und Soldaten bis zu freiwilligen Kämpfern – zusammen. Und viele mistrauen einander.
Sie können sich nicht, wie etwa die Ägypter, auf eine starke staatliche Institution – in jenem Fall das Militär – stützen, das ihnen Rückhalt beim Aufbau eines demokratischen Systems bietet. Aus Angst vor einem Putsch hatte Gadafi über die Jahrzehnte ein Erstarken des Militärs verhindert.
Doch die Führung des Übergangsrates ist sich der enormen Gefahren eines Machtvakuums voll bewußt und hat die vergangenen Monate genützt, um sich auf die „Stunde Null“ vorzubereiten. In Dubai haben 70 Oppositionelle ein „Libysches Stabilisierungsteam“gegründet, das den Übergang von der Ära Gadafi zur Demokratie vorbereitete und zwar vor allem in den Bereichen Sicherheit, Gesundheit, Bildung und Infrastruktur. Man nahm Kontakte zu Einheiten der Sicherheitskräfte auf, deren Angehörige sofort nach dem Sturz Gadafis in Tripolis und anderen Städten Straßensperren errichten,die Bevölkerung entwaffnen sollen, um den Ausbruch eines durch Rachegelüste nach sechsmonatigem Blutvergießen gespeisten Bürgerkrieg zu verhindern. Für besonders wichtig halten es unabhängige Beobachter, dass die von den Rebellen im Juni verhängte Teilblockade von Tripolis sofort aufgehoben und so eine humanitäre Katastrophe verhindert wird. Nur so besteht die Chance sich die von monatelangen Bombardements gequälten Menschen der Stadt zu den Übergangsführern positiv einstellen.
Die Herausforderungen, das tief gespaltene Land zu einen und wieder aufzubauen sind gigantisch. Zu den Prioritäten der Rebellenführer zählt die Erweiterung des Übergangsrates durch Vertreter aus den bisher noch von Gadafi kontrollierten Regionen. Binnen acht Monaten sollen Wahlen für einen 200-köpfigen Übergangs-Nationalkongreß stattfinden. Und ein Jahr später soll die erste gewählte Regierung ein neues demokratisches Libyen führen.
Manche Beobachter, wie EU-Repräsentant in Benghazi, Jeremy Nagoda, zeigen sich durchaus optimistisch: „Ich glaube“, meint Nagoda, der Übergangsrat „war extrem vorsichtig im Umgang mit den gegensätzlichen Kräften und „bei der Verhinderung von Rachakten, die einen schweren Schatten auf die Zukunft werden könnten“.
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Freitag, 12. August 2011
Noch schweigt Syriens Mehrheit
Verschärfte Sanktionen, vor allem gegen den Energiesektor, könnten die Geschäftswelt aus der Passivität reißen – Doch Assads ökonomische Durchhaltekraft ist stark
(Bild: Souk von Aleppo)
von Birgit Cerha
„Um den Druck auf (Syriens Präsidenten Baschar) Assad zu verstärken, müssen wir unbedingt Sanktionen gegen die Öl- und Gasindustrie verhängen.“ Es dauerte viele Wochen des Blutvergießens in Syrien und intensives Lobbying syrischer Exil-Aktivisten, bis sich US-Außenministerin Hillary Clinton nun zu dieser Warnung durchrang. Während die USA angesichts der anhaltenden Brutalitäten des Assad-Regimes nun auch ernsthaft erwägen, das syrische Regime dort zu treffen, wo es – möglicherweise – am meisten schmerzt, zögern noch die Europäer. Die Vorbilder ermutigen nicht: Irans Ölindustrie unterliegt seit Jahren Sanktionen, ohne dass deshalb auch nur die kleinste politische Haltungsänderung – insbesondere in der Atomfrage – erzielt worden wäre. Und das Schreckensbeispiel der zwölfjährigen Sanktionen gegen den Irak wird international zwar totgeschwiegen, dies ändert aber nichts an der Tatsache, dass damit die Unschuldigen, die Schwächsten getroffen wurden, während sich das Regime selbst hemmungslos bereicherte. Im Gegensatz zum Irak, dessen Staatseinkommen zu rund 90 Prozent vom Öl abhängen, ist Syriens Ölförderung weitaus bescheidener. Das Land exportiert lediglich 148.000 Barrel im Tag, fast ausschließlich nach Frankreich, Italien und Deutschland. Diese Verkäufe machen mit etwa vier Mrd. Dollar mindestens ein Viertel der Budgeteinnahmen aus. Syrische Aktivisten argumentieren seit vielen Wochen, dass diese Erträge es dem Regime ermöglichen, Waffen, Panzer und Technologie für seine Unterdrückungsmaschinerie zu kaufen und seine Sicherheits- und Geheimdienstkräfte zu bezahlen.
Zudem stärken die Ölexporte auch materiell wichtige Kräfte des Regimes. Kein ausländisches Unternehmen kann in Syriens Energiesektor aktiv werden ohne Mitwirkung der staatlichen Ölfirmen oder Syriens reichsten Geschäftsmann Rami Mahlouf, Vetter des Präsidenten, den Washington bereits 2008 wegen massiver Korruption und jüngst auch wegen Menschenrechtsverletzung auf die schwarze Liste gesetzt hat. Die syrische Opposition ist davon überzeugt, dass höchst lukrative Joint Ventures und Investitions-Partnerschaften zwischen internationalen Energiekonzernen und dem mit dem Assad-Clan verbundenen Unternehmens-Netz die nun so grausig zuschlagende Unterdrückungsmaschinerie des Regimes in Schwung hält.
Syriens Ölsektor ist von ausländischer Technologie und Unterstützung abhängig. Die wichtigsten Partner kommen aus Großbritannien, den Niederlanden, Frankreich, China, Rußland, Canada, Indien und Kroatien.
Manche Experten sind davon überzeugt, sollte es durch internationale Sanktionen gelingen, den Energiesektor lahm zu legen, wäre das Schicksal des Regimes besiegelt. Doch die ökonomische Widerstandskraft des Assad-Clans ist beachtlich. Seit den 80er Jahren haben die Machthaber Devisen massiv gehortet. Nach Schätzungen verfügen die Zentralbank und die Kommerzbank Syriens derzeit über 18 Mrd. Dollar in bar. Während der syrische und libanesische Schwarzmarkt den Geldbedarf des Privatsektors abdecken kann, dürften die nationalen Geldreserven drei Jahre lang ausreichen, um die Importe des Landes zu bezahlen. Zudem wird wohl auch Syrien, wie so lange der Irak, sein Öl im Falle von Sanktionen auf illegale Weise zu verkaufen.
Im schlimmsten Fall steht der strategische Partner Iran bereit, der nach Berichten Assad ein zinsenfreies Darlehen von 5,8 Mrd. Dollar und 290.000 Barrel Öl im Tag versprochen hat, um den strategisch so wichtigen Freund zu retten.
Verschärfte internationale Sanktionen sollen nach den Wünschen syrischer Aktivisten vor allem aber die immer noch schweigende Mehrheit, die Geschäftswelt von Damaskus und Aleppo aus ihrer Passivität reißen.
Als der Alawit Hafez el Assad 1970 die Macht übernahm, schloß er einen Pakt mit der überwiegend sunnitischen, aber auch christlichen Geschäftswelt des Landes. Er versprach ihr Sicherheit, Stabilität und Nicht-Einmischung in ihre geschäftlichen Angelegenheiten und verlangte als Gegenleistung politische Passivität. Eine breite Schichte in Damaskus und Aleppo brachte es damit zu Wohlstand. Schon Hafez hatte sich Loyalität durch Nepotismus erkauft. Eine kleine Schichte von Freunden und Angehörigen des Assad-Clans häufte seit Baschars Machtübernahme 2000 gigantischem Reichtum auf. An der Spitze dieser Neureichen steht Makhlouf. Eine andere Säule dieser aus nur etwa 200 Personen bestehenden zweiten Geschäftselite ist Mohammed Hamsho, nun ebenfalls auf die US-Sanktionsliste gesetzt. Diese Profiteure aber haben ihr Schicksal auf das Engste mit jenem des Regimes verknüpft und werden ihm auch durch noch so massiven internationalen Druck nicht den Rücken kehren.
Anders verhält es sich mit der traditionellen Geschäftswelt. Sie sieht ihr Überleben in politischer Stabilität und kann bisher keine Alternative zum Assad-Regime erkennen, die ihre Existenz sichern kann. Die Angst vor einem Machtvakuum und blutig-anarchischem Chaos zwingt sie bis heute zum Schweigen und gibt damit Assad politische Überlebenskraft.
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(Bild: Souk von Aleppo)
von Birgit Cerha
„Um den Druck auf (Syriens Präsidenten Baschar) Assad zu verstärken, müssen wir unbedingt Sanktionen gegen die Öl- und Gasindustrie verhängen.“ Es dauerte viele Wochen des Blutvergießens in Syrien und intensives Lobbying syrischer Exil-Aktivisten, bis sich US-Außenministerin Hillary Clinton nun zu dieser Warnung durchrang. Während die USA angesichts der anhaltenden Brutalitäten des Assad-Regimes nun auch ernsthaft erwägen, das syrische Regime dort zu treffen, wo es – möglicherweise – am meisten schmerzt, zögern noch die Europäer. Die Vorbilder ermutigen nicht: Irans Ölindustrie unterliegt seit Jahren Sanktionen, ohne dass deshalb auch nur die kleinste politische Haltungsänderung – insbesondere in der Atomfrage – erzielt worden wäre. Und das Schreckensbeispiel der zwölfjährigen Sanktionen gegen den Irak wird international zwar totgeschwiegen, dies ändert aber nichts an der Tatsache, dass damit die Unschuldigen, die Schwächsten getroffen wurden, während sich das Regime selbst hemmungslos bereicherte. Im Gegensatz zum Irak, dessen Staatseinkommen zu rund 90 Prozent vom Öl abhängen, ist Syriens Ölförderung weitaus bescheidener. Das Land exportiert lediglich 148.000 Barrel im Tag, fast ausschließlich nach Frankreich, Italien und Deutschland. Diese Verkäufe machen mit etwa vier Mrd. Dollar mindestens ein Viertel der Budgeteinnahmen aus. Syrische Aktivisten argumentieren seit vielen Wochen, dass diese Erträge es dem Regime ermöglichen, Waffen, Panzer und Technologie für seine Unterdrückungsmaschinerie zu kaufen und seine Sicherheits- und Geheimdienstkräfte zu bezahlen.
Zudem stärken die Ölexporte auch materiell wichtige Kräfte des Regimes. Kein ausländisches Unternehmen kann in Syriens Energiesektor aktiv werden ohne Mitwirkung der staatlichen Ölfirmen oder Syriens reichsten Geschäftsmann Rami Mahlouf, Vetter des Präsidenten, den Washington bereits 2008 wegen massiver Korruption und jüngst auch wegen Menschenrechtsverletzung auf die schwarze Liste gesetzt hat. Die syrische Opposition ist davon überzeugt, dass höchst lukrative Joint Ventures und Investitions-Partnerschaften zwischen internationalen Energiekonzernen und dem mit dem Assad-Clan verbundenen Unternehmens-Netz die nun so grausig zuschlagende Unterdrückungsmaschinerie des Regimes in Schwung hält.
Syriens Ölsektor ist von ausländischer Technologie und Unterstützung abhängig. Die wichtigsten Partner kommen aus Großbritannien, den Niederlanden, Frankreich, China, Rußland, Canada, Indien und Kroatien.
Manche Experten sind davon überzeugt, sollte es durch internationale Sanktionen gelingen, den Energiesektor lahm zu legen, wäre das Schicksal des Regimes besiegelt. Doch die ökonomische Widerstandskraft des Assad-Clans ist beachtlich. Seit den 80er Jahren haben die Machthaber Devisen massiv gehortet. Nach Schätzungen verfügen die Zentralbank und die Kommerzbank Syriens derzeit über 18 Mrd. Dollar in bar. Während der syrische und libanesische Schwarzmarkt den Geldbedarf des Privatsektors abdecken kann, dürften die nationalen Geldreserven drei Jahre lang ausreichen, um die Importe des Landes zu bezahlen. Zudem wird wohl auch Syrien, wie so lange der Irak, sein Öl im Falle von Sanktionen auf illegale Weise zu verkaufen.
Im schlimmsten Fall steht der strategische Partner Iran bereit, der nach Berichten Assad ein zinsenfreies Darlehen von 5,8 Mrd. Dollar und 290.000 Barrel Öl im Tag versprochen hat, um den strategisch so wichtigen Freund zu retten.
Verschärfte internationale Sanktionen sollen nach den Wünschen syrischer Aktivisten vor allem aber die immer noch schweigende Mehrheit, die Geschäftswelt von Damaskus und Aleppo aus ihrer Passivität reißen.
Als der Alawit Hafez el Assad 1970 die Macht übernahm, schloß er einen Pakt mit der überwiegend sunnitischen, aber auch christlichen Geschäftswelt des Landes. Er versprach ihr Sicherheit, Stabilität und Nicht-Einmischung in ihre geschäftlichen Angelegenheiten und verlangte als Gegenleistung politische Passivität. Eine breite Schichte in Damaskus und Aleppo brachte es damit zu Wohlstand. Schon Hafez hatte sich Loyalität durch Nepotismus erkauft. Eine kleine Schichte von Freunden und Angehörigen des Assad-Clans häufte seit Baschars Machtübernahme 2000 gigantischem Reichtum auf. An der Spitze dieser Neureichen steht Makhlouf. Eine andere Säule dieser aus nur etwa 200 Personen bestehenden zweiten Geschäftselite ist Mohammed Hamsho, nun ebenfalls auf die US-Sanktionsliste gesetzt. Diese Profiteure aber haben ihr Schicksal auf das Engste mit jenem des Regimes verknüpft und werden ihm auch durch noch so massiven internationalen Druck nicht den Rücken kehren.
Anders verhält es sich mit der traditionellen Geschäftswelt. Sie sieht ihr Überleben in politischer Stabilität und kann bisher keine Alternative zum Assad-Regime erkennen, die ihre Existenz sichern kann. Die Angst vor einem Machtvakuum und blutig-anarchischem Chaos zwingt sie bis heute zum Schweigen und gibt damit Assad politische Überlebenskraft.
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Montag, 8. August 2011
Assads Hölle
Die syrische Autorin und Journalistin Samar Yazbek beschreibt für den Londoner “The Guardian” die Zustände in einem syrischen Gefängnis, in das sie im Anschluß an eine Demonstration gegen das Assad-Regime abgeschleppt wurde. Der Beitrag ist im „The Guardian“ unter dem Titel “A Testimony from Syria” am 3. August 2011 erschienen.
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(http://www.guardian.co.uk/books/2011/aug/03/author-author-samar-yazbek-syria)
Two huge men entered the room. They stood in readiness, in plainclothes. One of them stood to the right and the other to the left. With a signal from his eyes, each seized me by the shoulders, though not roughly. They seized me as if I were some object, easy for them to move. I did not resist when they started to lift me out of my chair. I even stood up, surprised at what was happening. Would they finally arrest me, putting this nightmare to an end? One gave the officer a jaunty look, and I looked at him not knowing what was next. I tried to read some good news in their eyes, body movements and demeanour. He was neutral, looking at some spot in the room. The two of them put a band of cloth over my eyes. Moments later, I was blindfolded, and noticed a strange smell from the cloth. A strong arm seized me, an arm sure of its grasp of my elbow, of its push and pull. Then I straightened up and shouted, "Where are you taking me?"
He answered calmly, and I heard a certain buzz. "For a little drive, to improve your writing." I was certain they had decided to arrest me.
It took less than two minutes; but all these thoughts passed faster than that, and I would have collapsed had it not been for the man on the right and the other to the left moving me along, which they were still doing with fastidious calm. They must have been ordered to do that, but when I almost fell and they caught me, I knew we were going down stairs.
The staircase was narrow. I tried to peek around the blindfold, but it was firm and tight. My breathing grew tighter; I felt we had descended several flights. A nausea started to rack my body, and rotten smells mingled with odours I had never smelled before. At last we stopped. A burning pain shot up my lower back and I shivered. A hand undid the blindfold. I did not expect what awaited me to be horrible, despite everything I had read about prisons; I had tried to write about what I had heard and imagined, but all that meant nothing the moment I opened my eyes. I could scarcely believe this was a real place and not a space in my mind, sick from writing. A passage down which two persons could barely pass side by side, the far end enveloped in blackness. I looked behind me and saw nothing, and before me was utter blackness. A passage with no beginning or end, suspended in nothingness, with me in the middle, and closed doors. The man standing before me opened one of the doors. A sharp buzz started quickly and then ended with slow beats, sad beats like a melody I heard once in a Greek bar. One of the men grasped my elbow and pushed me further in, and kept holding my arm and the open door, and there . . . I saw them. It was a cell scarcely big enough for two or three to stand in. I could not see clearly, but I made out three bodies hanging there, I did not know how! I was bewildered, and my stomach began to convulse. The bodies were nearly naked. There was a dim light seeping in from somewhere, feeble rays for enough vision to discern that they were youths of no more than 20 years old. Their fresh young bodies were clear beneath the blood. They were suspended from their hands in steel cuffs, and their toes barely touched the floor. Blood streamed down their bodies, fresh blood, dried blood, deep bruises visible like the blows of a random blade. Their faces looked down; they were unconscious, and they swayed to and fro like slaughtered animals.
I retreated, but one of the men grabbed me and pushed me, in total silence. One young man raised his head in agony, and the weak light allowed me to see his face.
He had no face; his eyes were completely encrusted. I could see no light in his eyes. There was no place for his nose or even lips. His face was like a red painting with no lines. Red mixed with black.At that point I collapsed, and the two men lifted me up. For a minute I teetered on a slippery spot, blindly, and it took several moments for me to regain my balance on my feet. I heard one of them tell the other, "Man, she can't take it. Look at her. The closet's killing her!"
Then that smell gushed out, the smell of blood, urine, and faeces. Abruptly they took me out of the cell and opened another, and as they did so, the sounds of screaming and torture came from somewhere. Never had I heard such sounds of pain. They did not stop until we left the passage.
A second cell was opened. There was a young man curled up on the floor, in a foetal position, his back to me, the vertebrae of his spinal column like an anatomist's drawing. He, too, seemed to be unconscious. His back was sliced up, as if a knife had carved a map into it.
They closed the cell, and so on with cell after cell, grabbing me by my elbows and pushing me into them, then pulling me out. Bodies lay on top of bodies in heaps. This was Hell. As if humans were just pieces of meat, laid out to put on optimal display the arts of murder and torture. Young men transformed into cold pieces of meat in damp, narrow cells.
I asked one of the men, as they tied the blindfold back on me, "Are those the boys from the demonstrations?"
"Those are the traitors from the demonstrations," one of them answered.
My question irritated him. He seized my elbow and squeezed it harshly, until I thought he would break it. I stumbled and fell, but instead of letting me get up, he kept dragging me. I felt a scalding pain in my bones when I thought back on the boys who had gone out to demonstrate. All those smells were in my mouth, and the images from the cells covered the blackness before my eyes. We stopped. They pulled off the blindfold and I saw him sitting behind an elegant desk, and I knew that this was not a nightmare. He stared at me derisively.
"What do you think?" he asked. "Did you see your traitor friends?"
I vomited, and fell to my knees. They got very angry. He got out of his chair to stare at the beautiful furniture I had ruined. I kept vomiting. The thought came back to me: everyone who goes out to demonstrate in the streets here is shot, or lives as a fugitive, or is detained and tortured like those boys. What courage was now growing from this flinty ground!
My voice was weak but I heard it say: You are the traitor. I know he heard it because he leaned over and hit me hard. Finally I fell to the floor and everything began to fall apart. Before I passed out, I could feel it: my mouth was open against the floor, and the blood started flowing.
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(http://www.guardian.co.uk/books/2011/aug/03/author-author-samar-yazbek-syria)
Two huge men entered the room. They stood in readiness, in plainclothes. One of them stood to the right and the other to the left. With a signal from his eyes, each seized me by the shoulders, though not roughly. They seized me as if I were some object, easy for them to move. I did not resist when they started to lift me out of my chair. I even stood up, surprised at what was happening. Would they finally arrest me, putting this nightmare to an end? One gave the officer a jaunty look, and I looked at him not knowing what was next. I tried to read some good news in their eyes, body movements and demeanour. He was neutral, looking at some spot in the room. The two of them put a band of cloth over my eyes. Moments later, I was blindfolded, and noticed a strange smell from the cloth. A strong arm seized me, an arm sure of its grasp of my elbow, of its push and pull. Then I straightened up and shouted, "Where are you taking me?"
He answered calmly, and I heard a certain buzz. "For a little drive, to improve your writing." I was certain they had decided to arrest me.
It took less than two minutes; but all these thoughts passed faster than that, and I would have collapsed had it not been for the man on the right and the other to the left moving me along, which they were still doing with fastidious calm. They must have been ordered to do that, but when I almost fell and they caught me, I knew we were going down stairs.
The staircase was narrow. I tried to peek around the blindfold, but it was firm and tight. My breathing grew tighter; I felt we had descended several flights. A nausea started to rack my body, and rotten smells mingled with odours I had never smelled before. At last we stopped. A burning pain shot up my lower back and I shivered. A hand undid the blindfold. I did not expect what awaited me to be horrible, despite everything I had read about prisons; I had tried to write about what I had heard and imagined, but all that meant nothing the moment I opened my eyes. I could scarcely believe this was a real place and not a space in my mind, sick from writing. A passage down which two persons could barely pass side by side, the far end enveloped in blackness. I looked behind me and saw nothing, and before me was utter blackness. A passage with no beginning or end, suspended in nothingness, with me in the middle, and closed doors. The man standing before me opened one of the doors. A sharp buzz started quickly and then ended with slow beats, sad beats like a melody I heard once in a Greek bar. One of the men grasped my elbow and pushed me further in, and kept holding my arm and the open door, and there . . . I saw them. It was a cell scarcely big enough for two or three to stand in. I could not see clearly, but I made out three bodies hanging there, I did not know how! I was bewildered, and my stomach began to convulse. The bodies were nearly naked. There was a dim light seeping in from somewhere, feeble rays for enough vision to discern that they were youths of no more than 20 years old. Their fresh young bodies were clear beneath the blood. They were suspended from their hands in steel cuffs, and their toes barely touched the floor. Blood streamed down their bodies, fresh blood, dried blood, deep bruises visible like the blows of a random blade. Their faces looked down; they were unconscious, and they swayed to and fro like slaughtered animals.
I retreated, but one of the men grabbed me and pushed me, in total silence. One young man raised his head in agony, and the weak light allowed me to see his face.
He had no face; his eyes were completely encrusted. I could see no light in his eyes. There was no place for his nose or even lips. His face was like a red painting with no lines. Red mixed with black.At that point I collapsed, and the two men lifted me up. For a minute I teetered on a slippery spot, blindly, and it took several moments for me to regain my balance on my feet. I heard one of them tell the other, "Man, she can't take it. Look at her. The closet's killing her!"
Then that smell gushed out, the smell of blood, urine, and faeces. Abruptly they took me out of the cell and opened another, and as they did so, the sounds of screaming and torture came from somewhere. Never had I heard such sounds of pain. They did not stop until we left the passage.
A second cell was opened. There was a young man curled up on the floor, in a foetal position, his back to me, the vertebrae of his spinal column like an anatomist's drawing. He, too, seemed to be unconscious. His back was sliced up, as if a knife had carved a map into it.
They closed the cell, and so on with cell after cell, grabbing me by my elbows and pushing me into them, then pulling me out. Bodies lay on top of bodies in heaps. This was Hell. As if humans were just pieces of meat, laid out to put on optimal display the arts of murder and torture. Young men transformed into cold pieces of meat in damp, narrow cells.
I asked one of the men, as they tied the blindfold back on me, "Are those the boys from the demonstrations?"
"Those are the traitors from the demonstrations," one of them answered.
My question irritated him. He seized my elbow and squeezed it harshly, until I thought he would break it. I stumbled and fell, but instead of letting me get up, he kept dragging me. I felt a scalding pain in my bones when I thought back on the boys who had gone out to demonstrate. All those smells were in my mouth, and the images from the cells covered the blackness before my eyes. We stopped. They pulled off the blindfold and I saw him sitting behind an elegant desk, and I knew that this was not a nightmare. He stared at me derisively.
"What do you think?" he asked. "Did you see your traitor friends?"
I vomited, and fell to my knees. They got very angry. He got out of his chair to stare at the beautiful furniture I had ruined. I kept vomiting. The thought came back to me: everyone who goes out to demonstrate in the streets here is shot, or lives as a fugitive, or is detained and tortured like those boys. What courage was now growing from this flinty ground!
My voice was weak but I heard it say: You are the traitor. I know he heard it because he leaned over and hit me hard. Finally I fell to the floor and everything began to fall apart. Before I passed out, I could feel it: my mouth was open against the floor, and the blood started flowing.
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Sonntag, 7. August 2011
Irans Ängste um Assad
Die blutigen Turbulenzen in Syrien werden die geostrategischen Kräfteverhältnisse dramatisch verschieben
von Birgit Cerha
Die syrischen Panzer rollen, Scharfschützen töten wahllos Zivilisten. Die Rebellion des unterdrückten Volkes gegen die Diktatur des Assad Clans geht in den fünften Monat. Die Zahl der Toten steigt dramatisch. 2.000 sollen es bereits sein, schätzt die US-Administration. Und nun beginnen die hemmungslosen Grausamkeiten des tödlich getroffenen Regimes auch die arabischen Brüder aufzurütteln, die die Turbulenzen in Syrien bisher mit entsetztem Schweigen verfolgten. Zum erstenmal erhoben am Wochenende die arabischen Golf-Monarchen, selbst von einer unzufriedenen Bevölkerung bedrängte Autokraten, gemeinsam ihre Stimme und forderten Bashar el Assad auf, „der Gewalt und dem Blutvergießen sofort ein Ende“ zu setzen. Zugleich drängten die Herrscher, die ihren Untertanen bis heute weitgehend demokratische Freiheiten verwehren, den Kollegen in Damaskus zu „ernsthaften und notwendigen Reformen, die die Rechte und Würde des (syrischen) Volkes schützen und deren Sehnsüchte erfüllen würden“.
Niemand aber in der Region hat es bisher gewagt, Regimewechsel zu fordern, zu gravierend, zu unabsehbar sind die Folgen solch dramatischer Veränderung in diesem kleinen Staat, der enorme geostrategische Bedeutung besitzt. Dennoch schwinden zunehmend die Zweifel, dass das Regime durch blutigen Massenmord an einer überwiegend wehrlosen Bevölkerung seine Macht retten kann. Diese Entwicklung stürzt die wichtigsten geopolitischen Spieler und Rivalen – Türkei, Saudi-Arabien und Iran - in Ratlosigkeit. Der türkische Premier Erdogan entsendet seinen Außenminister kommenden Dienstag nach Damaskus, um „unsere Botschaft (Ende der Geewalt und Reformen) in entschlossener Weise zu übermitteln. Die Türkei muss die Stimmen (der Syrer aller Seiten) hören und dann tun was notwendig ist“. Ankara betrachtet die Krise in Syrien, zu dem die Türkei eine 850 km lange Grenze hat, von enormer Bedeutung auch für die internen Entwicklungen – so Erdogan – im eigenen Land und der Regierungschef hatte Assad bereits mehrmals zu Reformen und einem Ende des Blutvergießens aufgefordert.
Seit langem stellt Syrien die wichtigste Säule in einer strategischen Allianz, die dieses „schlagende Herz der arabischen Welt“ mit dem Iran verbindet und anti-israelischen Kräften in der Region, allen voran der schiitischen libanesischen Hisbollah und den islamistischen Palästinensergruppen Hamas und Islamischer Jihad u.a. Seit dem Sturz des irakischen Diktators Saddam Hussein, Erzfeind Teherans, durch eine von den USA geführte internationale Invasion 2003 konnte der Iran in der Region enorme geostrategische Geländegewinne erzielen, die vor allem seinem religiösen und politischen Erzrivalen Saudi-Arabien tiefe Ängste vor einem die Vorherrschaft der islamisch-sunnitischen Mehrheit in der Region bedrohenden schiitischen Gürtel (vom Iran über den Irak, die Golfstaaten mit ihren schiitischen Minderheiten, Syrien bis in den Libanon) einjagte. In Teherans geostrategischer Planung spielt Syrien als Brücke und wichtigstem Verbindungsglied zu Hisbollah und den in Damaskus stationierten Hamas und Islamischer Jihad eine entscheidende Rolle.
Die engen Band des alawitischen Minderheitsregimes in Damaskus mit dem Iran reichen zurück in die frühen 80er Jahre, als Bahars Präsidentenvater Hafez el Assad als einiger arabischer Führer sich offen auf die Seite des Irans im Krieg gegen den von einer mit seiner rivalisierenden Baath-Partei in Bagdad schlug. Stürzt das Assad-Regime, würde eine neue politische Führung zweifellos von Vertretern der sunnitischen Mehrheit dominiert, eine Aussicht, die wohl eine Annäherung an das sunnitische Saudi-Arabien und die sunnitische Türkei zur Folge hätte und Riad die einzigartige Chance böte, Irans Vormarsch in der Region, auch im Sinne der USA und Israels, zurück zu drängen. Zudem würde das Haus al-Saud gerne die Bestrafung Assads für den Mord am sunnitischen libanesischen Ex-Präsidenten Rafik Hariri 2005, einem engen Verbündeten der Saudis, sehen. Für Riad herrscht kein Zweifel an Assads Schuld. Doch weder Saudi-Arabien, noch Teheran können sich zu einer klaren Strategie in der Syrien-Krise durchringen. So sehr die Saudis Assads politisches Ende auch begrüßen mögen, der Sturz eines arabischen Despoten durch ein sich nach Freiheit sehnendes Volk würde auch den eigenen, vorerst mit Milliarden-Gaben ruhig gehaltenen Untertanen erneut Auftrieb geben, sich für Würde, Menschenrechte und Mitbestimmung einzusetzen.
Größter Verlierer aber dürfte der Iran werden. Syrien ist für Teheran unersetzbar. Mit Assads Hilfe konnten die Iraner mit der Hisbollah einen wichtigen „Stellvertreter“ an Israels Nord-Grenze aufbauen. Um diesen Zugang nicht zu verlieren, unterstützt Teheran nach informierten westlichen Kreisen auch nach Kräften das bedrängte Regime in Damaskus mit Ratschlägen und Technologie, mit deren Hilfe die Iraner selbst 2009 eine bedrohliche Volksrevolte blutig erstickt hatten. Zugleich aber baut Teheran darauf, dass das syrische Volk dieselben anti-israelischen Gefühle hegt, wie sein verhaßtes Regime und ermahnt immer wieder Assad, den Willen der Syrer zu hören. Alle wissen, anhaltende Turbulenzen, ja gar ein Bürgerkrieg in diesem kleinen Staat hätte dramatische Folgen für die gesamte Region.
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von Birgit Cerha
Die syrischen Panzer rollen, Scharfschützen töten wahllos Zivilisten. Die Rebellion des unterdrückten Volkes gegen die Diktatur des Assad Clans geht in den fünften Monat. Die Zahl der Toten steigt dramatisch. 2.000 sollen es bereits sein, schätzt die US-Administration. Und nun beginnen die hemmungslosen Grausamkeiten des tödlich getroffenen Regimes auch die arabischen Brüder aufzurütteln, die die Turbulenzen in Syrien bisher mit entsetztem Schweigen verfolgten. Zum erstenmal erhoben am Wochenende die arabischen Golf-Monarchen, selbst von einer unzufriedenen Bevölkerung bedrängte Autokraten, gemeinsam ihre Stimme und forderten Bashar el Assad auf, „der Gewalt und dem Blutvergießen sofort ein Ende“ zu setzen. Zugleich drängten die Herrscher, die ihren Untertanen bis heute weitgehend demokratische Freiheiten verwehren, den Kollegen in Damaskus zu „ernsthaften und notwendigen Reformen, die die Rechte und Würde des (syrischen) Volkes schützen und deren Sehnsüchte erfüllen würden“.
Niemand aber in der Region hat es bisher gewagt, Regimewechsel zu fordern, zu gravierend, zu unabsehbar sind die Folgen solch dramatischer Veränderung in diesem kleinen Staat, der enorme geostrategische Bedeutung besitzt. Dennoch schwinden zunehmend die Zweifel, dass das Regime durch blutigen Massenmord an einer überwiegend wehrlosen Bevölkerung seine Macht retten kann. Diese Entwicklung stürzt die wichtigsten geopolitischen Spieler und Rivalen – Türkei, Saudi-Arabien und Iran - in Ratlosigkeit. Der türkische Premier Erdogan entsendet seinen Außenminister kommenden Dienstag nach Damaskus, um „unsere Botschaft (Ende der Geewalt und Reformen) in entschlossener Weise zu übermitteln. Die Türkei muss die Stimmen (der Syrer aller Seiten) hören und dann tun was notwendig ist“. Ankara betrachtet die Krise in Syrien, zu dem die Türkei eine 850 km lange Grenze hat, von enormer Bedeutung auch für die internen Entwicklungen – so Erdogan – im eigenen Land und der Regierungschef hatte Assad bereits mehrmals zu Reformen und einem Ende des Blutvergießens aufgefordert.
Seit langem stellt Syrien die wichtigste Säule in einer strategischen Allianz, die dieses „schlagende Herz der arabischen Welt“ mit dem Iran verbindet und anti-israelischen Kräften in der Region, allen voran der schiitischen libanesischen Hisbollah und den islamistischen Palästinensergruppen Hamas und Islamischer Jihad u.a. Seit dem Sturz des irakischen Diktators Saddam Hussein, Erzfeind Teherans, durch eine von den USA geführte internationale Invasion 2003 konnte der Iran in der Region enorme geostrategische Geländegewinne erzielen, die vor allem seinem religiösen und politischen Erzrivalen Saudi-Arabien tiefe Ängste vor einem die Vorherrschaft der islamisch-sunnitischen Mehrheit in der Region bedrohenden schiitischen Gürtel (vom Iran über den Irak, die Golfstaaten mit ihren schiitischen Minderheiten, Syrien bis in den Libanon) einjagte. In Teherans geostrategischer Planung spielt Syrien als Brücke und wichtigstem Verbindungsglied zu Hisbollah und den in Damaskus stationierten Hamas und Islamischer Jihad eine entscheidende Rolle.
Die engen Band des alawitischen Minderheitsregimes in Damaskus mit dem Iran reichen zurück in die frühen 80er Jahre, als Bahars Präsidentenvater Hafez el Assad als einiger arabischer Führer sich offen auf die Seite des Irans im Krieg gegen den von einer mit seiner rivalisierenden Baath-Partei in Bagdad schlug. Stürzt das Assad-Regime, würde eine neue politische Führung zweifellos von Vertretern der sunnitischen Mehrheit dominiert, eine Aussicht, die wohl eine Annäherung an das sunnitische Saudi-Arabien und die sunnitische Türkei zur Folge hätte und Riad die einzigartige Chance böte, Irans Vormarsch in der Region, auch im Sinne der USA und Israels, zurück zu drängen. Zudem würde das Haus al-Saud gerne die Bestrafung Assads für den Mord am sunnitischen libanesischen Ex-Präsidenten Rafik Hariri 2005, einem engen Verbündeten der Saudis, sehen. Für Riad herrscht kein Zweifel an Assads Schuld. Doch weder Saudi-Arabien, noch Teheran können sich zu einer klaren Strategie in der Syrien-Krise durchringen. So sehr die Saudis Assads politisches Ende auch begrüßen mögen, der Sturz eines arabischen Despoten durch ein sich nach Freiheit sehnendes Volk würde auch den eigenen, vorerst mit Milliarden-Gaben ruhig gehaltenen Untertanen erneut Auftrieb geben, sich für Würde, Menschenrechte und Mitbestimmung einzusetzen.
Größter Verlierer aber dürfte der Iran werden. Syrien ist für Teheran unersetzbar. Mit Assads Hilfe konnten die Iraner mit der Hisbollah einen wichtigen „Stellvertreter“ an Israels Nord-Grenze aufbauen. Um diesen Zugang nicht zu verlieren, unterstützt Teheran nach informierten westlichen Kreisen auch nach Kräften das bedrängte Regime in Damaskus mit Ratschlägen und Technologie, mit deren Hilfe die Iraner selbst 2009 eine bedrohliche Volksrevolte blutig erstickt hatten. Zugleich aber baut Teheran darauf, dass das syrische Volk dieselben anti-israelischen Gefühle hegt, wie sein verhaßtes Regime und ermahnt immer wieder Assad, den Willen der Syrer zu hören. Alle wissen, anhaltende Turbulenzen, ja gar ein Bürgerkrieg in diesem kleinen Staat hätte dramatische Folgen für die gesamte Region.
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Dienstag, 2. August 2011
Syriens Weg zur Selbstzerstörung
Assads Strategie eskalierender Gewalt treibt das Land an den Rand des Bürgerkrieges – Die Repressionsmachinerie ist noch lange nicht erschöpft
von Birgit Cerha
In Hama, der zentralsyrischen Sunniten-Stadt mit grauenvoller Vergangenheit, wissen die Menschen nicht mehr, wo sie ihre Toten begraben sollen. Doch die Strategie hemmungsloser Gewalt, durch die das schwer bedrängte Regime Assad die in den vergangenen Wochen der Volksrebellion abbröckelnde Mauer der Angst zu neuer Stärke aufzubauen hofft, erweist sich als Bumerang. Die mehr als hundert Toten der vergangenen Tage, die hemmungslos wehrlose Menschen attackierenden Panzer bestärken die Bewohner dieser Hochburg der Opposition lediglich in ihrer Entschlossenheit, die Stadt selbst mit offener Brust zu verteidigen, damit die Armee des Assad-Regimes nicht wieder hier wüte wie vor fast drei Jahrzehnten, als in einem der blutigsten Massaker der Geschichte des Mittleren Ostens an die 20.000 Menschen starben.
Dass Baschar el Assad gerade in dieser symbolträchtigen Stadt, in der die alten Wunden immer noch bluten, seine übermächtige Militärmaschinerie auf unbewaffnete Bürger hetzte, könnte sein Schicksal besiegeln. Doch zuvor müssen die Syrer wohl noch mehr Gewalt, noch mehr Terror, noch mehr des Mordens erleiden.
Hama fügt sich nun ein in die Liste der Fehlkalkulationen Assads, die dem Regime und mit ihm dem ganzen Land zum Verhängnis werden. Seit Wochen hatte sich die viertgrößte Stadt der Kontrolle des Diktators entzogen. Die Gefahr, dass sich hier, wie im libyschen Benghazi, ein Hafen für Rebellen, die Brutstätte eines freien Syriens, einer „Oppositions-Regierung“ entwickeln könnte, wollte Assad endgültig mit seinen Panzern bannen. Die Strategie ist fehlgeschlagen. Der Protest, der Widerstand, die Empörung in einer Bevölkerung wächst, die noch zu Beginn der Rebellion nur Reformen forderte, von Regime-Wechsel aber gar nichts wissen wollte.
Vollends überrascht von der Herausforderung durch ein vermeintlich zufriedenes Volk, setzte das Regime von Anfang an Scharfschützen gegen friedlich demonstrierende Bürger ein und bewies damit seine arrogante Missachtung des Lebens seiner Untertanen, die sich gerade gegen diese Haltung zur Wehr setzten. Denn, wie in anderen Teilen der arabischen Welt, ist auch in Syrien die Sehnsucht nach Respekt und Würde der den „arabischen Frühling“ antreibende Motor. In seinen drei großen Reden an die Nation seit März ignorierte Assad diese Motive und verhöhnte in den Augen vieler das Volk durch wiederholte – unerfüllte – Reformversprechen, während seine Schergen gleichzeitig die Kanonenkugeln auf demonstrierende Bürger richteten und sich die Gefängnisse mit Intellektuellen, jugendlichen Aktivisten und vielen anderen unschuldigen Bürgern füllten. Mit mehr als 1.500 Toten steht Syrien heute an der Spitze der von Revolutionen erschütterten arabischen Staaten, das kriegszerrissene Libyen ausgenommen. Und das Tötungspotential ist noch lange nicht ausgeschöpft.
Der Schlüssel zur Stabilität des von Bashars Vater Hafez vor drei Jahrzehnten aufgebauten Regimes ist die unabdingbare Loyalität der Familienmitglieder, sowie etwa 30 Vertrauter. Baschar hat an diesem Modell festgehalten. Jede echte demokratische Öffnung würde unweigerlich den Untergang des Regimes besiegeln, dessen stärkste Stütze die Führung der Armee und der Geheimdienste ist. Seit Wochen immer wiederkehrende Berichte von Desertionen lassen sich nicht verifizieren. Die jüngste Ankündigung einer Gruppe von Offizieren, darunter eines hohen Generals, dass sie sich den Rebellen anschlössen, löst unterdessen Spekulationen aus, dass die von der alawitischen Minderheit kommandierten Streitkräfte auseinanderbrechen könnten. Noch aber dürfte es nicht so weit sein. Hält die Armee zusammen, kann Assad noch eine beträchtliche Zeit Terror in die Herzen der Menschen jagen.
Denn die Opposition ist äußerst schwach und hoffnungslos gespalten, in säkulare Gruppen, Islamisten, jugendliche Aktivisten, Angehörige der Minderheiten, Exilsyrer und jene, die die Repression daheim durchleiden, Intellektuelle, Dissidenten, die jahrelang in Gefängnissen ausharren mussten. Einige wollen sich mit Reformen begnügen, andere drängen auf den Sturz des Regimes. Die Wahl der Strategie ist äußerst schwierig. Stürzt die Baath-Partei, dann hinterlässt sie in Syrien ein Machtvakuum, in dem es keine unabhängigen Institutionen gibt, keine politischen Parteien, keine Strukturen der Zivilgesellschaft, auf die sie ein neues, ein demokratisches System aufbauen könnten. Als Alternative böte sich Kooperation mit Assad, um Syrien zu öffnen und politisch zu reformieren. Doch dies setzt ein Minimum an Vertrauen für einen nationalen Dialog voraus. Assads Panzer und Scharfschützen haben dies in fataler Weise zerstört.
Zudem beginnt das Regime nun, da die todbringende Knute die Menschen nicht zu entmutigen vermag, zu der langfristig wohl gefährlichsten Strategie Zuflucht zu suchen: Schüren von Hass und Gewalt zwischen den diversen Bevölkerungsgruppen, um das Land an den Rand des Bürgerkriegs zu treiben. Die Angst, Syrien könnte dem katastrophalen Beispiel des Iraks folgen, soll die Mehrheit der Bürger wieder in die Arme eines Systems treiben, das dem Land rund 30 Jahre ein Maß an Stabilität und einer Schichte der Bevölkerung auch Wohlstand beschert hat. Tatsächlich hält bisher diese quälende Sorge vor allem Angehörige der Mittelschicht, der Geschäftswelt in Damaskus und der größten Stadt, Aleppo, weitgehend davon ab, sich den Demonstrationen anzuschließen. Gehen auch sie auf die Straße, dann ist das Schicksal des Regimes besiegelt.
Für Assad, das steht längst fest, gibt es keinen Weg mehr zurück. Sanktionen, Verurteilungen durch die internationale Gemeinschaft mögen dem Regime höchstens langfristig schaden, es unmittelbar aber nicht von der Gewalt abhalten, durch die es einzig sein Überleben zu sichern glaubt. Nach dem äußerst problematischen Verlauf der NATO-Unterstützung für die libyschen Rebellen gegen Diktator Gadafi muss Assad nicht eine ähnliche Aktion der internationalen Gemeinschaft in Syrien fürchten. Der Appetit nach Intervention aus, um Massaker zu verhindern, ist den westlichen Mächten vergangen. Und auch die syrische Opposition will von solcher Einmischung – noch? – nichts wissen. So wird die Zahl der Toten weiter steigen, bis eine der beiden Seiten erschöpft ist.
Opfer des Terrors
Bashar el Assad setzt auf Gewalt als einzigem Mittel, seine Macht zu retten. Nach Angaben von „Avaaz“, einer Organisation, die die Entwicklungen in Syrien, von wo ausländische Korrespondenten seit Monaten verbannt sind, beobachtet, kamen seit Beginn der Demonstrationen am 15. März 1.634 Menschen durch Attacken der Sicherheitskräfte ums Leben. Besonders dramatisch ist die Gewalt, die sich gegen Kinder richtet. Anfang Juni hatte das UN-Kinderhilfswerk Unicef 30 Fälle von ermordeten Kindern registriert. Diese Zahl dürfte unterdessen weiter stark angestiegen sein.Zudem halten sich Berichte von brutalsten Vergewaltigungen von Frauen und jungen Mädchen, die wiederholt mit Mord oder Verstümmelungen endeten. 2.918 Menschen sind in den vergangenen vier Monaten verschwunden. Gleichzeitig schlägt das Regime durch teilweise willkürliche Massenverhaftungen zu, die keineswegs nur Aktivisten und Oppositionelle treffen. Seit März landeten 26.000 Menschen in Gefängnissen, viele wurden brutal gefoltert. Derzeit harren laut Avaaz 12.617 Syrer in Haftanstalten aus.
Wirtschaftliche Nachbeben
Noch steckt Syrien im blutigen Tumult, doch die wirtschaftlichen Nachbeben zeichnen sich schon ab. Zusehends bröckeln die ökonomischen Fundamente des Regimes. Manche Berater und einflußreiche Geschäftsleute haben sich von Assad distanziert. Internationale Sanktionen einflußreiche Personen von Politik und Wirtschaft machen sich bemerkbar. So gerät der Vetter des Präsidenten, Rami Makhlouf, dessen Milliardenvermögen ein Drittel der Wirtschaft ausmacht, zunehmend unter Druck. Sein größtes Unternehmen, „Cham Holding“ konnte keinen neuen Vorstand wählen, während Makhlouf dem Volk schwor, er werde ihm künftig alle Einnahmen zur Verfügung stellen. Der Tourismus, der dem Land 23 Prozent der Deviseneinnahmen liefert, ist vollends zusammengebrochen. Am schlimmsten sind die armen Regionen des Landes, Deraa, Hama, Homs, Deir Ezour, zugleich Zentren der Proteste, betroffen. Die derart wachsenden soziale Nöte heizen die Rebellion zusätzlich an, während die Reichen untertauchten, ihre Geschäfte schließen. Aleppo, das Wirtschafts- und Handelszentrum, liegt lahm. Die Wirtschaft wird nach derzeitigen Schätzungen in diesem Jahr um drei Prozent schrumpfen. Eine soziale Katastrophe.
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von Birgit Cerha
In Hama, der zentralsyrischen Sunniten-Stadt mit grauenvoller Vergangenheit, wissen die Menschen nicht mehr, wo sie ihre Toten begraben sollen. Doch die Strategie hemmungsloser Gewalt, durch die das schwer bedrängte Regime Assad die in den vergangenen Wochen der Volksrebellion abbröckelnde Mauer der Angst zu neuer Stärke aufzubauen hofft, erweist sich als Bumerang. Die mehr als hundert Toten der vergangenen Tage, die hemmungslos wehrlose Menschen attackierenden Panzer bestärken die Bewohner dieser Hochburg der Opposition lediglich in ihrer Entschlossenheit, die Stadt selbst mit offener Brust zu verteidigen, damit die Armee des Assad-Regimes nicht wieder hier wüte wie vor fast drei Jahrzehnten, als in einem der blutigsten Massaker der Geschichte des Mittleren Ostens an die 20.000 Menschen starben.
Dass Baschar el Assad gerade in dieser symbolträchtigen Stadt, in der die alten Wunden immer noch bluten, seine übermächtige Militärmaschinerie auf unbewaffnete Bürger hetzte, könnte sein Schicksal besiegeln. Doch zuvor müssen die Syrer wohl noch mehr Gewalt, noch mehr Terror, noch mehr des Mordens erleiden.
Hama fügt sich nun ein in die Liste der Fehlkalkulationen Assads, die dem Regime und mit ihm dem ganzen Land zum Verhängnis werden. Seit Wochen hatte sich die viertgrößte Stadt der Kontrolle des Diktators entzogen. Die Gefahr, dass sich hier, wie im libyschen Benghazi, ein Hafen für Rebellen, die Brutstätte eines freien Syriens, einer „Oppositions-Regierung“ entwickeln könnte, wollte Assad endgültig mit seinen Panzern bannen. Die Strategie ist fehlgeschlagen. Der Protest, der Widerstand, die Empörung in einer Bevölkerung wächst, die noch zu Beginn der Rebellion nur Reformen forderte, von Regime-Wechsel aber gar nichts wissen wollte.
Vollends überrascht von der Herausforderung durch ein vermeintlich zufriedenes Volk, setzte das Regime von Anfang an Scharfschützen gegen friedlich demonstrierende Bürger ein und bewies damit seine arrogante Missachtung des Lebens seiner Untertanen, die sich gerade gegen diese Haltung zur Wehr setzten. Denn, wie in anderen Teilen der arabischen Welt, ist auch in Syrien die Sehnsucht nach Respekt und Würde der den „arabischen Frühling“ antreibende Motor. In seinen drei großen Reden an die Nation seit März ignorierte Assad diese Motive und verhöhnte in den Augen vieler das Volk durch wiederholte – unerfüllte – Reformversprechen, während seine Schergen gleichzeitig die Kanonenkugeln auf demonstrierende Bürger richteten und sich die Gefängnisse mit Intellektuellen, jugendlichen Aktivisten und vielen anderen unschuldigen Bürgern füllten. Mit mehr als 1.500 Toten steht Syrien heute an der Spitze der von Revolutionen erschütterten arabischen Staaten, das kriegszerrissene Libyen ausgenommen. Und das Tötungspotential ist noch lange nicht ausgeschöpft.
Der Schlüssel zur Stabilität des von Bashars Vater Hafez vor drei Jahrzehnten aufgebauten Regimes ist die unabdingbare Loyalität der Familienmitglieder, sowie etwa 30 Vertrauter. Baschar hat an diesem Modell festgehalten. Jede echte demokratische Öffnung würde unweigerlich den Untergang des Regimes besiegeln, dessen stärkste Stütze die Führung der Armee und der Geheimdienste ist. Seit Wochen immer wiederkehrende Berichte von Desertionen lassen sich nicht verifizieren. Die jüngste Ankündigung einer Gruppe von Offizieren, darunter eines hohen Generals, dass sie sich den Rebellen anschlössen, löst unterdessen Spekulationen aus, dass die von der alawitischen Minderheit kommandierten Streitkräfte auseinanderbrechen könnten. Noch aber dürfte es nicht so weit sein. Hält die Armee zusammen, kann Assad noch eine beträchtliche Zeit Terror in die Herzen der Menschen jagen.
Denn die Opposition ist äußerst schwach und hoffnungslos gespalten, in säkulare Gruppen, Islamisten, jugendliche Aktivisten, Angehörige der Minderheiten, Exilsyrer und jene, die die Repression daheim durchleiden, Intellektuelle, Dissidenten, die jahrelang in Gefängnissen ausharren mussten. Einige wollen sich mit Reformen begnügen, andere drängen auf den Sturz des Regimes. Die Wahl der Strategie ist äußerst schwierig. Stürzt die Baath-Partei, dann hinterlässt sie in Syrien ein Machtvakuum, in dem es keine unabhängigen Institutionen gibt, keine politischen Parteien, keine Strukturen der Zivilgesellschaft, auf die sie ein neues, ein demokratisches System aufbauen könnten. Als Alternative böte sich Kooperation mit Assad, um Syrien zu öffnen und politisch zu reformieren. Doch dies setzt ein Minimum an Vertrauen für einen nationalen Dialog voraus. Assads Panzer und Scharfschützen haben dies in fataler Weise zerstört.
Zudem beginnt das Regime nun, da die todbringende Knute die Menschen nicht zu entmutigen vermag, zu der langfristig wohl gefährlichsten Strategie Zuflucht zu suchen: Schüren von Hass und Gewalt zwischen den diversen Bevölkerungsgruppen, um das Land an den Rand des Bürgerkriegs zu treiben. Die Angst, Syrien könnte dem katastrophalen Beispiel des Iraks folgen, soll die Mehrheit der Bürger wieder in die Arme eines Systems treiben, das dem Land rund 30 Jahre ein Maß an Stabilität und einer Schichte der Bevölkerung auch Wohlstand beschert hat. Tatsächlich hält bisher diese quälende Sorge vor allem Angehörige der Mittelschicht, der Geschäftswelt in Damaskus und der größten Stadt, Aleppo, weitgehend davon ab, sich den Demonstrationen anzuschließen. Gehen auch sie auf die Straße, dann ist das Schicksal des Regimes besiegelt.
Für Assad, das steht längst fest, gibt es keinen Weg mehr zurück. Sanktionen, Verurteilungen durch die internationale Gemeinschaft mögen dem Regime höchstens langfristig schaden, es unmittelbar aber nicht von der Gewalt abhalten, durch die es einzig sein Überleben zu sichern glaubt. Nach dem äußerst problematischen Verlauf der NATO-Unterstützung für die libyschen Rebellen gegen Diktator Gadafi muss Assad nicht eine ähnliche Aktion der internationalen Gemeinschaft in Syrien fürchten. Der Appetit nach Intervention aus, um Massaker zu verhindern, ist den westlichen Mächten vergangen. Und auch die syrische Opposition will von solcher Einmischung – noch? – nichts wissen. So wird die Zahl der Toten weiter steigen, bis eine der beiden Seiten erschöpft ist.
Opfer des Terrors
Bashar el Assad setzt auf Gewalt als einzigem Mittel, seine Macht zu retten. Nach Angaben von „Avaaz“, einer Organisation, die die Entwicklungen in Syrien, von wo ausländische Korrespondenten seit Monaten verbannt sind, beobachtet, kamen seit Beginn der Demonstrationen am 15. März 1.634 Menschen durch Attacken der Sicherheitskräfte ums Leben. Besonders dramatisch ist die Gewalt, die sich gegen Kinder richtet. Anfang Juni hatte das UN-Kinderhilfswerk Unicef 30 Fälle von ermordeten Kindern registriert. Diese Zahl dürfte unterdessen weiter stark angestiegen sein.Zudem halten sich Berichte von brutalsten Vergewaltigungen von Frauen und jungen Mädchen, die wiederholt mit Mord oder Verstümmelungen endeten. 2.918 Menschen sind in den vergangenen vier Monaten verschwunden. Gleichzeitig schlägt das Regime durch teilweise willkürliche Massenverhaftungen zu, die keineswegs nur Aktivisten und Oppositionelle treffen. Seit März landeten 26.000 Menschen in Gefängnissen, viele wurden brutal gefoltert. Derzeit harren laut Avaaz 12.617 Syrer in Haftanstalten aus.
Wirtschaftliche Nachbeben
Noch steckt Syrien im blutigen Tumult, doch die wirtschaftlichen Nachbeben zeichnen sich schon ab. Zusehends bröckeln die ökonomischen Fundamente des Regimes. Manche Berater und einflußreiche Geschäftsleute haben sich von Assad distanziert. Internationale Sanktionen einflußreiche Personen von Politik und Wirtschaft machen sich bemerkbar. So gerät der Vetter des Präsidenten, Rami Makhlouf, dessen Milliardenvermögen ein Drittel der Wirtschaft ausmacht, zunehmend unter Druck. Sein größtes Unternehmen, „Cham Holding“ konnte keinen neuen Vorstand wählen, während Makhlouf dem Volk schwor, er werde ihm künftig alle Einnahmen zur Verfügung stellen. Der Tourismus, der dem Land 23 Prozent der Deviseneinnahmen liefert, ist vollends zusammengebrochen. Am schlimmsten sind die armen Regionen des Landes, Deraa, Hama, Homs, Deir Ezour, zugleich Zentren der Proteste, betroffen. Die derart wachsenden soziale Nöte heizen die Rebellion zusätzlich an, während die Reichen untertauchten, ihre Geschäfte schließen. Aleppo, das Wirtschafts- und Handelszentrum, liegt lahm. Die Wirtschaft wird nach derzeitigen Schätzungen in diesem Jahr um drei Prozent schrumpfen. Eine soziale Katastrophe.
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Montag, 1. August 2011
Ägypten zieht Mubarak zur Verantwortung
Prozess wegen Massenmordes und Korruption birgt große Ungewissheiten für ein höchst instabiles Land
von Birgit Cerha
„Vorsätzlicher Mord, versuchter Mord an Demonstranten, Missbrauch der Macht, Verschwendung öffentlicher Gelder und illegale Bereicherung mit öffentlichen Geldern für sich selbst und andere.“ Die Anklage könnte kaum schwerwiegender sein. Sollte er des Massenmordes für schuldig befunden werden, dann droht Ägyptens 83-jährigem Ex-Präsidenten Hosni Mubarak die Todesstrafe.
Viele Wochen lang haben jugendliche Aktivisten in Demonstrationen und Sitzstreiks ein Ende der Verzögerung des Prozesses gegen Mubarak gefordert. Der herrschende Militärrat fügte sich dem Druck der Straße und ab dem 3. August sollen der am 11. Februar gestürzte Diktator, sein Innenminister Habib el Adly, sechs hohe Sicherheitsbeamte, Mubaraks beide Söhne Alaa und Gamal, sowie ein flüchtiger Geschäftsmann (die letzten drei wegen gravierender Korruption) vor einem Gericht in der Polizeiakademie in Kairo verantworten.Ob Mubarak, seit seiner Festnahme im April in einem Krankenhaus in Sharm el Sheikh, tatsächlich vor dem Richter in Kairo erscheinen wird, beschäftigt die Öffentlichkeit seit Wochen. Widersprüchliche Berichte über seinen Gesundheitszustand, von Koma bis zur Weigerung fester Nahrungsaufnahme, gravierender Schwäche als Folge einer Krebserkrankung, verstärkten das Misstrauen in einer Bevölkerung, die einen autokratischen Herrscher zur Rechenschaft ziehen will, der sie drei Jahrzehnte lang mit brutalen Methoden regiert und viele um ihren ökonomischen Wohlstand betrogen hat. Fast die Hälfte der Ägypter muss mit umgerechnet zwei Dollar im Tag auskommen, während die Familie Mubarak und deren Vertraute Milliarden scheffelten.
Viele Ägypter sind davon überzeugt, dass der nach Aussagen der Ärzte an schwerer Depression leidende Ex-Präsidenten einen schlechten Gesundheitszustand vorspiele, um sich den Auftritt vor Gericht zu ersparen. Doch ägyptisches Gesetz schreibt nach Aussagen Nasser Amins, Anwalt im „Arabischen Zentrum für die Unabhängigkeit der Justiz“ , vor, dass „der Richter die Aussagen des Angeklagten mit eigenen Ohren hören und sich physisch in dem selben Raum wie der Angeklagte aufhalten muss“.
Der schwerste Vorwurf, jener des angeordneten Massenmordes, bezieht sich auf blutige Attacken gegen friedliche Demonstranten, von Polizisten in zivil. Scharfschützen von vom Regime angeheuerte Gangster durchgeführt. Während die 18-tägige ägyptische Revolution weitgehend gewaltlos verlief, kamen bei diesen Angriffen und Provokationen mehr als 800 Menschen ums Leben. Tausende wurden verletzt. Die Angehörigen der Opfer drängen auf Gerechtigkeit. Eine von der Übergangsregierung im April veröffentlichte Untersuchung kam zu dem Schluss, dass nur der damalige Präsident Mubarak, dem die Verfassung nach unzähligen Veränderungen im Laufe seiner 30-jährigen Diktatur absolute Macht einräumte, den Schußbefehl auf Demonstranten gegeben haben kann. Und Tarek Awady, Anwalt am Höchsten ägyptischen Berufungsgericht, vertritt die Ansicht, dass der gestürzte Staatschef eher wegen dieses Verbrechens verurteilt werden dürfte, als wegen Korruption, da er die Chance hatte, vor seinem Rücktritt die wichtigsten Beweise für illegale Bereicherung entfernt haben dürfte.
Mehrmals hatte Mubarak unterdessen jede Schuld am Blutvergießen zurückgewiesen. „Ich würde mich niemals an der Tötung ägyptischer Bürger beteiligen“, erklärte er demStaatsanwalt in einem der Verhöre. "Ich gab den Befehl, gewaltlos und friedlich mit den Protestierenden umzugehen.“
Der Prozess ist einzigartig in der Geschichte Ägyptens. Er besitzt zugleich enorme Bedeutung für die gesamte arabische Welt. Mubarak ist der erste gestürzte arabische Diktator seit Beginn der die gesamte Region in ihren Bann ziehenden Revolutionen, der von seinem Volk vor Gericht zur Rechenschaft gezogen wird. Der im Januar vom Thron gejagte Tunesier Ben Ali tröstet sich über seine Verurteilung in Abwesenheit zu drei Jahrzehnten Gefängnis in seinem luxuriösen saudischen Exil. Mubarak muss den demütigenden Fall unmittelbar durchleiden. Andere von Volksaufständen bedrängte Autokraten befürchten eine für sie bedrohliche Beispielwirkung. Insbesondere das saudische Königshaus und dessen monarchische Kollegen am Persischen Golf b edrängen seit vielen Wochen den ägyptischen Militärrat, doch Mubarak zu schonen, ihm die Würde zu erhalten.
In Ägypten dürfte wohl auch nur eine kleine Gruppe von fanatischen Aktivisten und Extremisten, sowie Angehörige der Opfer auf kompromisslose Rache sinnen, tatsächlich den Tod des greisen Herrschers durch den Henker wünschen. Viele Ägypter wollen sich offenbar damit begnügen, dass der „Pharao“, der Rais, wie er im Volksmund jahrzehntelang genannt wurde, für seine Taten, für die jahrzehntelange Demütigung seiner Untertanen Rechenschaft ablegen muss und damit dem Volk seine Würde zurückgibt. Der prominente kritische Soziologe Saadeddin Ibrahim, der Mubaraks Repression durch jahrelangen Gefängnisaufenthalt am eigenen Leib erlitten hatte, hofft, dass der Prozeß „eine große läuternde Funktion“ haben und die enormen Spannungen zwischen der Bevölkerung und dem herrschenden Militärrat, gebildet aus der wichtigsten Säulen des Mubarak Regimes und mit dessen Demontage beauftragt, lindern werde.
Den Mann, der von ihm unterstützt, Ägypten drei Jahrzehnte lang fast unumschränkt beherrscht hatte, öffentlich zur Verantwortung zu ziehen, ist für Ägyptens Militär ein äußerst riskantes Unterfangen. Denn das Verfahren, wird es fair nach rechtsstaatlichen Prinzipien durchgeführt, sollte Einblick geben in die Finanzaktionen und politischen Allianzen, die es Mubarak ermöglicht hatten, das Land zu kontrollieren. Die Möglichkeit, dass vor dem Richter Staatsgeheimnisse und seine eigenen zweifelhaften Machenschaften gelüftet werden, verleitete viele Ägypter zu dem Verdacht, dass das Militär alles unternehmen werde, um den Prozeß zu vermeiden. In privatem Kreis gestehen Offiziere ein, dass sie geringe Lust verspüren, einen hochdekorierten Kriegsveteranen, der Ägyptens Luftwaffe im krieg gegen Israel1973 kommandierte hatte und jahrzehntelang ihr Oberkommandierender gewesen war, abzuurteilen.
Ägyptens Offiziere müssen einen heiklen Balanceakt vollführen, sie müssen den drängenden Wünsche der Straße nach Gerechtigkeit nachgeben und gleichzeitig ihre eigenen Positionen, das Ansehen ihrer Institution in der Gesellschaft retten und ihre künftige Rolle im Staat absichern. Wenn sich dies nur durch die Verurteilung und Demütigung des jahrzehntelang als „Vater der Nation“ Hochverehrten bewerkstelligen läßt, dann – so die Strategie – solle es eben so sein.
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von Birgit Cerha
„Vorsätzlicher Mord, versuchter Mord an Demonstranten, Missbrauch der Macht, Verschwendung öffentlicher Gelder und illegale Bereicherung mit öffentlichen Geldern für sich selbst und andere.“ Die Anklage könnte kaum schwerwiegender sein. Sollte er des Massenmordes für schuldig befunden werden, dann droht Ägyptens 83-jährigem Ex-Präsidenten Hosni Mubarak die Todesstrafe.
Viele Wochen lang haben jugendliche Aktivisten in Demonstrationen und Sitzstreiks ein Ende der Verzögerung des Prozesses gegen Mubarak gefordert. Der herrschende Militärrat fügte sich dem Druck der Straße und ab dem 3. August sollen der am 11. Februar gestürzte Diktator, sein Innenminister Habib el Adly, sechs hohe Sicherheitsbeamte, Mubaraks beide Söhne Alaa und Gamal, sowie ein flüchtiger Geschäftsmann (die letzten drei wegen gravierender Korruption) vor einem Gericht in der Polizeiakademie in Kairo verantworten.Ob Mubarak, seit seiner Festnahme im April in einem Krankenhaus in Sharm el Sheikh, tatsächlich vor dem Richter in Kairo erscheinen wird, beschäftigt die Öffentlichkeit seit Wochen. Widersprüchliche Berichte über seinen Gesundheitszustand, von Koma bis zur Weigerung fester Nahrungsaufnahme, gravierender Schwäche als Folge einer Krebserkrankung, verstärkten das Misstrauen in einer Bevölkerung, die einen autokratischen Herrscher zur Rechenschaft ziehen will, der sie drei Jahrzehnte lang mit brutalen Methoden regiert und viele um ihren ökonomischen Wohlstand betrogen hat. Fast die Hälfte der Ägypter muss mit umgerechnet zwei Dollar im Tag auskommen, während die Familie Mubarak und deren Vertraute Milliarden scheffelten.
Viele Ägypter sind davon überzeugt, dass der nach Aussagen der Ärzte an schwerer Depression leidende Ex-Präsidenten einen schlechten Gesundheitszustand vorspiele, um sich den Auftritt vor Gericht zu ersparen. Doch ägyptisches Gesetz schreibt nach Aussagen Nasser Amins, Anwalt im „Arabischen Zentrum für die Unabhängigkeit der Justiz“ , vor, dass „der Richter die Aussagen des Angeklagten mit eigenen Ohren hören und sich physisch in dem selben Raum wie der Angeklagte aufhalten muss“.
Der schwerste Vorwurf, jener des angeordneten Massenmordes, bezieht sich auf blutige Attacken gegen friedliche Demonstranten, von Polizisten in zivil. Scharfschützen von vom Regime angeheuerte Gangster durchgeführt. Während die 18-tägige ägyptische Revolution weitgehend gewaltlos verlief, kamen bei diesen Angriffen und Provokationen mehr als 800 Menschen ums Leben. Tausende wurden verletzt. Die Angehörigen der Opfer drängen auf Gerechtigkeit. Eine von der Übergangsregierung im April veröffentlichte Untersuchung kam zu dem Schluss, dass nur der damalige Präsident Mubarak, dem die Verfassung nach unzähligen Veränderungen im Laufe seiner 30-jährigen Diktatur absolute Macht einräumte, den Schußbefehl auf Demonstranten gegeben haben kann. Und Tarek Awady, Anwalt am Höchsten ägyptischen Berufungsgericht, vertritt die Ansicht, dass der gestürzte Staatschef eher wegen dieses Verbrechens verurteilt werden dürfte, als wegen Korruption, da er die Chance hatte, vor seinem Rücktritt die wichtigsten Beweise für illegale Bereicherung entfernt haben dürfte.
Mehrmals hatte Mubarak unterdessen jede Schuld am Blutvergießen zurückgewiesen. „Ich würde mich niemals an der Tötung ägyptischer Bürger beteiligen“, erklärte er demStaatsanwalt in einem der Verhöre. "Ich gab den Befehl, gewaltlos und friedlich mit den Protestierenden umzugehen.“
Der Prozess ist einzigartig in der Geschichte Ägyptens. Er besitzt zugleich enorme Bedeutung für die gesamte arabische Welt. Mubarak ist der erste gestürzte arabische Diktator seit Beginn der die gesamte Region in ihren Bann ziehenden Revolutionen, der von seinem Volk vor Gericht zur Rechenschaft gezogen wird. Der im Januar vom Thron gejagte Tunesier Ben Ali tröstet sich über seine Verurteilung in Abwesenheit zu drei Jahrzehnten Gefängnis in seinem luxuriösen saudischen Exil. Mubarak muss den demütigenden Fall unmittelbar durchleiden. Andere von Volksaufständen bedrängte Autokraten befürchten eine für sie bedrohliche Beispielwirkung. Insbesondere das saudische Königshaus und dessen monarchische Kollegen am Persischen Golf b edrängen seit vielen Wochen den ägyptischen Militärrat, doch Mubarak zu schonen, ihm die Würde zu erhalten.
In Ägypten dürfte wohl auch nur eine kleine Gruppe von fanatischen Aktivisten und Extremisten, sowie Angehörige der Opfer auf kompromisslose Rache sinnen, tatsächlich den Tod des greisen Herrschers durch den Henker wünschen. Viele Ägypter wollen sich offenbar damit begnügen, dass der „Pharao“, der Rais, wie er im Volksmund jahrzehntelang genannt wurde, für seine Taten, für die jahrzehntelange Demütigung seiner Untertanen Rechenschaft ablegen muss und damit dem Volk seine Würde zurückgibt. Der prominente kritische Soziologe Saadeddin Ibrahim, der Mubaraks Repression durch jahrelangen Gefängnisaufenthalt am eigenen Leib erlitten hatte, hofft, dass der Prozeß „eine große läuternde Funktion“ haben und die enormen Spannungen zwischen der Bevölkerung und dem herrschenden Militärrat, gebildet aus der wichtigsten Säulen des Mubarak Regimes und mit dessen Demontage beauftragt, lindern werde.
Den Mann, der von ihm unterstützt, Ägypten drei Jahrzehnte lang fast unumschränkt beherrscht hatte, öffentlich zur Verantwortung zu ziehen, ist für Ägyptens Militär ein äußerst riskantes Unterfangen. Denn das Verfahren, wird es fair nach rechtsstaatlichen Prinzipien durchgeführt, sollte Einblick geben in die Finanzaktionen und politischen Allianzen, die es Mubarak ermöglicht hatten, das Land zu kontrollieren. Die Möglichkeit, dass vor dem Richter Staatsgeheimnisse und seine eigenen zweifelhaften Machenschaften gelüftet werden, verleitete viele Ägypter zu dem Verdacht, dass das Militär alles unternehmen werde, um den Prozeß zu vermeiden. In privatem Kreis gestehen Offiziere ein, dass sie geringe Lust verspüren, einen hochdekorierten Kriegsveteranen, der Ägyptens Luftwaffe im krieg gegen Israel1973 kommandierte hatte und jahrzehntelang ihr Oberkommandierender gewesen war, abzuurteilen.
Ägyptens Offiziere müssen einen heiklen Balanceakt vollführen, sie müssen den drängenden Wünsche der Straße nach Gerechtigkeit nachgeben und gleichzeitig ihre eigenen Positionen, das Ansehen ihrer Institution in der Gesellschaft retten und ihre künftige Rolle im Staat absichern. Wenn sich dies nur durch die Verurteilung und Demütigung des jahrzehntelang als „Vater der Nation“ Hochverehrten bewerkstelligen läßt, dann – so die Strategie – solle es eben so sein.
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