Um das kriegsgequälte Land in eine demokratische Zukunft zu führen, müssen sich die Rebellen zu Regierenden wandeln – Die Hürden sind enorm
von Birgit Cerha
Sechs Monate nach Beginn der Rebellion gegen Libyens Herrscher Muammar Gadafi hat die letzte Schlacht um die Freiheit nach 42-jähriger Diktatur begonnen. Während den Rebellen in der Nacht auf Montag der Einzug in die Hauptstadt Tripolis überraschend schnell gelungen war, gilt es nun hartnäckige Widerstandszentren zu überwinden. Westliche Augenzeugen berichten von alarmierendem Chaos, Kämpfern auf beiden Seiten ohne Kommandostrukturen und sie sehen darin enorme Gefahren für einen sich vielleicht noch länger hinziehenden Städtekrieg, in einer Situation, in der orientierungslose Bewaffnete Freunde von Gegnern nur schwer unterscheiden können.
Gadafi, so scheint es, bleibt seinen Worten treu, flüchtet nicht, ergibt sich nicht, harrt irgendwo aus, in Tripolis, vielleicht in seiner Heimatstadt Siirt, wo noch viele Anhänger zu ihm stehen dürften. Damit könnte das Blutvergießen noch Tage, vielleicht einige Wochen weitergehen.
Die Rebellen aber sind euphorisch. „Libyen gehört nun allen“, verkündete Mahmoud Jibril, einer ihrer Führer. „Ab heute dürfen sich alle Libyer am Aufbau der Zukunft beteiligen, der Errichtung von Institutionen auf der Basis einer Verfassung, die nicht zwischen Mann und Frau, Religion oder Ethnie unterscheidet.“
Auch in Tripllois, Gadafis jahrzehntelanger Hochburg , feiern viele Menschen die von den Rebellen deklarierte „Stunde Null“ ihrer Heimat. Doch keineswegs alle. In Tripolis, in Siirt und anderswo in West-Libyen schlagen wohl immer noch nicht wenige Herzen für den Oberst, dessen Schicksalstunde nach 42 Jahren der Macht nun schlägt. Damit ist keineswegs sicher, dass der in Benghazi gegründete und stationierte „Nationale Übergangsrat“ von der Mehrheit in der Hauptstadt als neue Führung bis zu den ersten freien Wahlen tatsächlich akzeptiert wird. Benghazi gilt immerhin seit Jahrzehnten als Erzrivale von Tripolis.
Die Frage der Glaubwürdigkeit der Rebellen im Rest des Landes wird sich als schicksalhaft für die Zukunft Libyens erweisen. Gadafis Gegner im Übergangsrat setzen sich aus ehemaligen Ministern, langjährigen Oppositionellen mit sehr unterschiedlichen Ideologien – von arabischen Nationalisten, über Säkularisten, Sozialisten, Islamisten bis zu Technokraten, Geschäftsleuten, ehemaligen Offizieren und Soldaten bis zu freiwilligen Kämpfern – zusammen. Und viele mistrauen einander.
Sie können sich nicht, wie etwa die Ägypter, auf eine starke staatliche Institution – in jenem Fall das Militär – stützen, das ihnen Rückhalt beim Aufbau eines demokratischen Systems bietet. Aus Angst vor einem Putsch hatte Gadafi über die Jahrzehnte ein Erstarken des Militärs verhindert.
Doch die Führung des Übergangsrates ist sich der enormen Gefahren eines Machtvakuums voll bewußt und hat die vergangenen Monate genützt, um sich auf die „Stunde Null“ vorzubereiten. In Dubai haben 70 Oppositionelle ein „Libysches Stabilisierungsteam“gegründet, das den Übergang von der Ära Gadafi zur Demokratie vorbereitete und zwar vor allem in den Bereichen Sicherheit, Gesundheit, Bildung und Infrastruktur. Man nahm Kontakte zu Einheiten der Sicherheitskräfte auf, deren Angehörige sofort nach dem Sturz Gadafis in Tripolis und anderen Städten Straßensperren errichten,die Bevölkerung entwaffnen sollen, um den Ausbruch eines durch Rachegelüste nach sechsmonatigem Blutvergießen gespeisten Bürgerkrieg zu verhindern. Für besonders wichtig halten es unabhängige Beobachter, dass die von den Rebellen im Juni verhängte Teilblockade von Tripolis sofort aufgehoben und so eine humanitäre Katastrophe verhindert wird. Nur so besteht die Chance sich die von monatelangen Bombardements gequälten Menschen der Stadt zu den Übergangsführern positiv einstellen.
Die Herausforderungen, das tief gespaltene Land zu einen und wieder aufzubauen sind gigantisch. Zu den Prioritäten der Rebellenführer zählt die Erweiterung des Übergangsrates durch Vertreter aus den bisher noch von Gadafi kontrollierten Regionen. Binnen acht Monaten sollen Wahlen für einen 200-köpfigen Übergangs-Nationalkongreß stattfinden. Und ein Jahr später soll die erste gewählte Regierung ein neues demokratisches Libyen führen.
Manche Beobachter, wie EU-Repräsentant in Benghazi, Jeremy Nagoda, zeigen sich durchaus optimistisch: „Ich glaube“, meint Nagoda, der Übergangsrat „war extrem vorsichtig im Umgang mit den gegensätzlichen Kräften und „bei der Verhinderung von Rachakten, die einen schweren Schatten auf die Zukunft werden könnten“.
Montag, 22. August 2011
„Libyen gehört nun allen“
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