Prozess wegen Massenmordes und Korruption birgt große Ungewissheiten für ein höchst instabiles Land
von Birgit Cerha
„Vorsätzlicher Mord, versuchter Mord an Demonstranten, Missbrauch der Macht, Verschwendung öffentlicher Gelder und illegale Bereicherung mit öffentlichen Geldern für sich selbst und andere.“ Die Anklage könnte kaum schwerwiegender sein. Sollte er des Massenmordes für schuldig befunden werden, dann droht Ägyptens 83-jährigem Ex-Präsidenten Hosni Mubarak die Todesstrafe.
Viele Wochen lang haben jugendliche Aktivisten in Demonstrationen und Sitzstreiks ein Ende der Verzögerung des Prozesses gegen Mubarak gefordert. Der herrschende Militärrat fügte sich dem Druck der Straße und ab dem 3. August sollen der am 11. Februar gestürzte Diktator, sein Innenminister Habib el Adly, sechs hohe Sicherheitsbeamte, Mubaraks beide Söhne Alaa und Gamal, sowie ein flüchtiger Geschäftsmann (die letzten drei wegen gravierender Korruption) vor einem Gericht in der Polizeiakademie in Kairo verantworten.Ob Mubarak, seit seiner Festnahme im April in einem Krankenhaus in Sharm el Sheikh, tatsächlich vor dem Richter in Kairo erscheinen wird, beschäftigt die Öffentlichkeit seit Wochen. Widersprüchliche Berichte über seinen Gesundheitszustand, von Koma bis zur Weigerung fester Nahrungsaufnahme, gravierender Schwäche als Folge einer Krebserkrankung, verstärkten das Misstrauen in einer Bevölkerung, die einen autokratischen Herrscher zur Rechenschaft ziehen will, der sie drei Jahrzehnte lang mit brutalen Methoden regiert und viele um ihren ökonomischen Wohlstand betrogen hat. Fast die Hälfte der Ägypter muss mit umgerechnet zwei Dollar im Tag auskommen, während die Familie Mubarak und deren Vertraute Milliarden scheffelten.
Viele Ägypter sind davon überzeugt, dass der nach Aussagen der Ärzte an schwerer Depression leidende Ex-Präsidenten einen schlechten Gesundheitszustand vorspiele, um sich den Auftritt vor Gericht zu ersparen. Doch ägyptisches Gesetz schreibt nach Aussagen Nasser Amins, Anwalt im „Arabischen Zentrum für die Unabhängigkeit der Justiz“ , vor, dass „der Richter die Aussagen des Angeklagten mit eigenen Ohren hören und sich physisch in dem selben Raum wie der Angeklagte aufhalten muss“.
Der schwerste Vorwurf, jener des angeordneten Massenmordes, bezieht sich auf blutige Attacken gegen friedliche Demonstranten, von Polizisten in zivil. Scharfschützen von vom Regime angeheuerte Gangster durchgeführt. Während die 18-tägige ägyptische Revolution weitgehend gewaltlos verlief, kamen bei diesen Angriffen und Provokationen mehr als 800 Menschen ums Leben. Tausende wurden verletzt. Die Angehörigen der Opfer drängen auf Gerechtigkeit. Eine von der Übergangsregierung im April veröffentlichte Untersuchung kam zu dem Schluss, dass nur der damalige Präsident Mubarak, dem die Verfassung nach unzähligen Veränderungen im Laufe seiner 30-jährigen Diktatur absolute Macht einräumte, den Schußbefehl auf Demonstranten gegeben haben kann. Und Tarek Awady, Anwalt am Höchsten ägyptischen Berufungsgericht, vertritt die Ansicht, dass der gestürzte Staatschef eher wegen dieses Verbrechens verurteilt werden dürfte, als wegen Korruption, da er die Chance hatte, vor seinem Rücktritt die wichtigsten Beweise für illegale Bereicherung entfernt haben dürfte.
Mehrmals hatte Mubarak unterdessen jede Schuld am Blutvergießen zurückgewiesen. „Ich würde mich niemals an der Tötung ägyptischer Bürger beteiligen“, erklärte er demStaatsanwalt in einem der Verhöre. "Ich gab den Befehl, gewaltlos und friedlich mit den Protestierenden umzugehen.“
Der Prozess ist einzigartig in der Geschichte Ägyptens. Er besitzt zugleich enorme Bedeutung für die gesamte arabische Welt. Mubarak ist der erste gestürzte arabische Diktator seit Beginn der die gesamte Region in ihren Bann ziehenden Revolutionen, der von seinem Volk vor Gericht zur Rechenschaft gezogen wird. Der im Januar vom Thron gejagte Tunesier Ben Ali tröstet sich über seine Verurteilung in Abwesenheit zu drei Jahrzehnten Gefängnis in seinem luxuriösen saudischen Exil. Mubarak muss den demütigenden Fall unmittelbar durchleiden. Andere von Volksaufständen bedrängte Autokraten befürchten eine für sie bedrohliche Beispielwirkung. Insbesondere das saudische Königshaus und dessen monarchische Kollegen am Persischen Golf b edrängen seit vielen Wochen den ägyptischen Militärrat, doch Mubarak zu schonen, ihm die Würde zu erhalten.
In Ägypten dürfte wohl auch nur eine kleine Gruppe von fanatischen Aktivisten und Extremisten, sowie Angehörige der Opfer auf kompromisslose Rache sinnen, tatsächlich den Tod des greisen Herrschers durch den Henker wünschen. Viele Ägypter wollen sich offenbar damit begnügen, dass der „Pharao“, der Rais, wie er im Volksmund jahrzehntelang genannt wurde, für seine Taten, für die jahrzehntelange Demütigung seiner Untertanen Rechenschaft ablegen muss und damit dem Volk seine Würde zurückgibt. Der prominente kritische Soziologe Saadeddin Ibrahim, der Mubaraks Repression durch jahrelangen Gefängnisaufenthalt am eigenen Leib erlitten hatte, hofft, dass der Prozeß „eine große läuternde Funktion“ haben und die enormen Spannungen zwischen der Bevölkerung und dem herrschenden Militärrat, gebildet aus der wichtigsten Säulen des Mubarak Regimes und mit dessen Demontage beauftragt, lindern werde.
Den Mann, der von ihm unterstützt, Ägypten drei Jahrzehnte lang fast unumschränkt beherrscht hatte, öffentlich zur Verantwortung zu ziehen, ist für Ägyptens Militär ein äußerst riskantes Unterfangen. Denn das Verfahren, wird es fair nach rechtsstaatlichen Prinzipien durchgeführt, sollte Einblick geben in die Finanzaktionen und politischen Allianzen, die es Mubarak ermöglicht hatten, das Land zu kontrollieren. Die Möglichkeit, dass vor dem Richter Staatsgeheimnisse und seine eigenen zweifelhaften Machenschaften gelüftet werden, verleitete viele Ägypter zu dem Verdacht, dass das Militär alles unternehmen werde, um den Prozeß zu vermeiden. In privatem Kreis gestehen Offiziere ein, dass sie geringe Lust verspüren, einen hochdekorierten Kriegsveteranen, der Ägyptens Luftwaffe im krieg gegen Israel1973 kommandierte hatte und jahrzehntelang ihr Oberkommandierender gewesen war, abzuurteilen.
Ägyptens Offiziere müssen einen heiklen Balanceakt vollführen, sie müssen den drängenden Wünsche der Straße nach Gerechtigkeit nachgeben und gleichzeitig ihre eigenen Positionen, das Ansehen ihrer Institution in der Gesellschaft retten und ihre künftige Rolle im Staat absichern. Wenn sich dies nur durch die Verurteilung und Demütigung des jahrzehntelang als „Vater der Nation“ Hochverehrten bewerkstelligen läßt, dann – so die Strategie – solle es eben so sein.
Montag, 1. August 2011
Ägypten zieht Mubarak zur Verantwortung
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