Dienstag, 2. August 2011

Syriens Weg zur Selbstzerstörung

Assads Strategie eskalierender Gewalt treibt das Land an den Rand des Bürgerkrieges – Die Repressionsmachinerie ist noch lange nicht erschöpft

von Birgit Cerha

In Hama, der zentralsyrischen Sunniten-Stadt mit grauenvoller Vergangenheit, wissen die Menschen nicht mehr, wo sie ihre Toten begraben sollen. Doch die Strategie hemmungsloser Gewalt, durch die das schwer bedrängte Regime Assad die in den vergangenen Wochen der Volksrebellion abbröckelnde Mauer der Angst zu neuer Stärke aufzubauen hofft, erweist sich als Bumerang. Die mehr als hundert Toten der vergangenen Tage, die hemmungslos wehrlose Menschen attackierenden Panzer bestärken die Bewohner dieser Hochburg der Opposition lediglich in ihrer Entschlossenheit, die Stadt selbst mit offener Brust zu verteidigen, damit die Armee des Assad-Regimes nicht wieder hier wüte wie vor fast drei Jahrzehnten, als in einem der blutigsten Massaker der Geschichte des Mittleren Ostens an die 20.000 Menschen starben.
Dass Baschar el Assad gerade in dieser symbolträchtigen Stadt, in der die alten Wunden immer noch bluten, seine übermächtige Militärmaschinerie auf unbewaffnete Bürger hetzte, könnte sein Schicksal besiegeln. Doch zuvor müssen die Syrer wohl noch mehr Gewalt, noch mehr Terror, noch mehr des Mordens erleiden.

Hama fügt sich nun ein in die Liste der Fehlkalkulationen Assads, die dem Regime und mit ihm dem ganzen Land zum Verhängnis werden. Seit Wochen hatte sich die viertgrößte Stadt der Kontrolle des Diktators entzogen. Die Gefahr, dass sich hier, wie im libyschen Benghazi, ein Hafen für Rebellen, die Brutstätte eines freien Syriens, einer „Oppositions-Regierung“ entwickeln könnte, wollte Assad endgültig mit seinen Panzern bannen. Die Strategie ist fehlgeschlagen. Der Protest, der Widerstand, die Empörung in einer Bevölkerung wächst, die noch zu Beginn der Rebellion nur Reformen forderte, von Regime-Wechsel aber gar nichts wissen wollte.

Vollends überrascht von der Herausforderung durch ein vermeintlich zufriedenes Volk, setzte das Regime von Anfang an Scharfschützen gegen friedlich demonstrierende Bürger ein und bewies damit seine arrogante Missachtung des Lebens seiner Untertanen, die sich gerade gegen diese Haltung zur Wehr setzten. Denn, wie in anderen Teilen der arabischen Welt, ist auch in Syrien die Sehnsucht nach Respekt und Würde der den „arabischen Frühling“ antreibende Motor. In seinen drei großen Reden an die Nation seit März ignorierte Assad diese Motive und verhöhnte in den Augen vieler das Volk durch wiederholte – unerfüllte – Reformversprechen, während seine Schergen gleichzeitig die Kanonenkugeln auf demonstrierende Bürger richteten und sich die Gefängnisse mit Intellektuellen, jugendlichen Aktivisten und vielen anderen unschuldigen Bürgern füllten. Mit mehr als 1.500 Toten steht Syrien heute an der Spitze der von Revolutionen erschütterten arabischen Staaten, das kriegszerrissene Libyen ausgenommen. Und das Tötungspotential ist noch lange nicht ausgeschöpft.

Der Schlüssel zur Stabilität des von Bashars Vater Hafez vor drei Jahrzehnten aufgebauten Regimes ist die unabdingbare Loyalität der Familienmitglieder, sowie etwa 30 Vertrauter. Baschar hat an diesem Modell festgehalten. Jede echte demokratische Öffnung würde unweigerlich den Untergang des Regimes besiegeln, dessen stärkste Stütze die Führung der Armee und der Geheimdienste ist. Seit Wochen immer wiederkehrende Berichte von Desertionen lassen sich nicht verifizieren. Die jüngste Ankündigung einer Gruppe von Offizieren, darunter eines hohen Generals, dass sie sich den Rebellen anschlössen, löst unterdessen Spekulationen aus, dass die von der alawitischen Minderheit kommandierten Streitkräfte auseinanderbrechen könnten. Noch aber dürfte es nicht so weit sein. Hält die Armee zusammen, kann Assad noch eine beträchtliche Zeit Terror in die Herzen der Menschen jagen.

Denn die Opposition ist äußerst schwach und hoffnungslos gespalten, in säkulare Gruppen, Islamisten, jugendliche Aktivisten, Angehörige der Minderheiten, Exilsyrer und jene, die die Repression daheim durchleiden, Intellektuelle, Dissidenten, die jahrelang in Gefängnissen ausharren mussten. Einige wollen sich mit Reformen begnügen, andere drängen auf den Sturz des Regimes. Die Wahl der Strategie ist äußerst schwierig. Stürzt die Baath-Partei, dann hinterlässt sie in Syrien ein Machtvakuum, in dem es keine unabhängigen Institutionen gibt, keine politischen Parteien, keine Strukturen der Zivilgesellschaft, auf die sie ein neues, ein demokratisches System aufbauen könnten. Als Alternative böte sich Kooperation mit Assad, um Syrien zu öffnen und politisch zu reformieren. Doch dies setzt ein Minimum an Vertrauen für einen nationalen Dialog voraus. Assads Panzer und Scharfschützen haben dies in fataler Weise zerstört.

Zudem beginnt das Regime nun, da die todbringende Knute die Menschen nicht zu entmutigen vermag, zu der langfristig wohl gefährlichsten Strategie Zuflucht zu suchen: Schüren von Hass und Gewalt zwischen den diversen Bevölkerungsgruppen, um das Land an den Rand des Bürgerkriegs zu treiben. Die Angst, Syrien könnte dem katastrophalen Beispiel des Iraks folgen, soll die Mehrheit der Bürger wieder in die Arme eines Systems treiben, das dem Land rund 30 Jahre ein Maß an Stabilität und einer Schichte der Bevölkerung auch Wohlstand beschert hat. Tatsächlich hält bisher diese quälende Sorge vor allem Angehörige der Mittelschicht, der Geschäftswelt in Damaskus und der größten Stadt, Aleppo, weitgehend davon ab, sich den Demonstrationen anzuschließen. Gehen auch sie auf die Straße, dann ist das Schicksal des Regimes besiegelt.

Für Assad, das steht längst fest, gibt es keinen Weg mehr zurück. Sanktionen, Verurteilungen durch die internationale Gemeinschaft mögen dem Regime höchstens langfristig schaden, es unmittelbar aber nicht von der Gewalt abhalten, durch die es einzig sein Überleben zu sichern glaubt. Nach dem äußerst problematischen Verlauf der NATO-Unterstützung für die libyschen Rebellen gegen Diktator Gadafi muss Assad nicht eine ähnliche Aktion der internationalen Gemeinschaft in Syrien fürchten. Der Appetit nach Intervention aus, um Massaker zu verhindern, ist den westlichen Mächten vergangen. Und auch die syrische Opposition will von solcher Einmischung – noch? – nichts wissen. So wird die Zahl der Toten weiter steigen, bis eine der beiden Seiten erschöpft ist.


Opfer des Terrors

Bashar el Assad setzt auf Gewalt als einzigem Mittel, seine Macht zu retten. Nach Angaben von „Avaaz“, einer Organisation, die die Entwicklungen in Syrien, von wo ausländische Korrespondenten seit Monaten verbannt sind, beobachtet, kamen seit Beginn der Demonstrationen am 15. März 1.634 Menschen durch Attacken der Sicherheitskräfte ums Leben. Besonders dramatisch ist die Gewalt, die sich gegen Kinder richtet. Anfang Juni hatte das UN-Kinderhilfswerk Unicef 30 Fälle von ermordeten Kindern registriert. Diese Zahl dürfte unterdessen weiter stark angestiegen sein.Zudem halten sich Berichte von brutalsten Vergewaltigungen von Frauen und jungen Mädchen, die wiederholt mit Mord oder Verstümmelungen endeten. 2.918 Menschen sind in den vergangenen vier Monaten verschwunden. Gleichzeitig schlägt das Regime durch teilweise willkürliche Massenverhaftungen zu, die keineswegs nur Aktivisten und Oppositionelle treffen. Seit März landeten 26.000 Menschen in Gefängnissen, viele wurden brutal gefoltert. Derzeit harren laut Avaaz 12.617 Syrer in Haftanstalten aus.



Wirtschaftliche Nachbeben

Noch steckt Syrien im blutigen Tumult, doch die wirtschaftlichen Nachbeben zeichnen sich schon ab. Zusehends bröckeln die ökonomischen Fundamente des Regimes. Manche Berater und einflußreiche Geschäftsleute haben sich von Assad distanziert. Internationale Sanktionen einflußreiche Personen von Politik und Wirtschaft machen sich bemerkbar. So gerät der Vetter des Präsidenten, Rami Makhlouf, dessen Milliardenvermögen ein Drittel der Wirtschaft ausmacht, zunehmend unter Druck. Sein größtes Unternehmen, „Cham Holding“ konnte keinen neuen Vorstand wählen, während Makhlouf dem Volk schwor, er werde ihm künftig alle Einnahmen zur Verfügung stellen. Der Tourismus, der dem Land 23 Prozent der Deviseneinnahmen liefert, ist vollends zusammengebrochen. Am schlimmsten sind die armen Regionen des Landes, Deraa, Hama, Homs, Deir Ezour, zugleich Zentren der Proteste, betroffen. Die derart wachsenden soziale Nöte heizen die Rebellion zusätzlich an, während die Reichen untertauchten, ihre Geschäfte schließen. Aleppo, das Wirtschafts- und Handelszentrum, liegt lahm. Die Wirtschaft wird nach derzeitigen Schätzungen in diesem Jahr um drei Prozent schrumpfen. Eine soziale Katastrophe.

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