Sonntag, 19. Dezember 2010

LIBANON: Der Libanon auf Messers Schneide

Die Hochspannung über die unmittelbar erwartete Anklage im Mordfall Ex-Premiers Hariri durch das Internationale Tribunal wächst – Stürzt das Land wieder in einen Bürgerkrieg?

von Birgit Cerha

In der Levante halten die Menschen den Atem an, da das „Sondertribunal für den Libanon“ (STL) zur Aufklärung des Mordes an Ex-Premier Rafik Hariri und 22 anderen Libanesen noch vor oder bald nach Jahresende seine ersten Anklagen erheben wird. Amin Gemayel, einst libanesischer Präsident in hochturbulenten Zeiten, hält die Situation im Land für „die gefährlichste … seit vielen, vielen Jahren“. Spannungen und Ängste quälen die Bürger im ganzen, politisch tief gespaltenen Land. „Hisbollah“, so der politische Analyst Nadim Shehdaheh, „betrachtet das UN-Tribunal als ein amerikanisch-israelisches Komplott gegen ihre Organisation, während (Saad) Hariri (der Sohn des Ermordeten und gegenwärtige Premier) und dessen sunnitische und christliche Anhänger mit Hilfe des Tribunals die Wahrheit hinter dem Attentat zu entlarven hoffen“.

Seit Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah im August verkündete, dass nach seinen Informationen das STL zwei Mitglieder seiner Organisation als Täter anklagen wolle, hat die Spannung im Levantestaat, aufgeheizt durch einen heftigen Verbalkrieg, dramatisch eskaliert.

Nasrallahs Drohung, „die Hände jener abzuhacken, die es wagen sollten, Hisbollah zu berühren“, wird weithin ernst genommen. Wiederholt drängte der Schiitenführer die Regierung, das Tribunal zu boykottieren. Kooperation mit dieser internationalen Institution käme „einem Verrat gleich“. Doch Hariri, unterstützt vor allem von Saudi-Arabien, bleibt entschlossen, die Suche nach Gerechtigkeit und Sühne mit internationaler Hilfe nicht aufzugeben..

Seit Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah im August verkündet hatte, dass nach seinen Informationen das STL zwei Mitglieder seiner Organisation als Täter anklagen wolle, hat die Spannung im Levantestaat, aufgeheizt durch einen heftigen Verbalkrieg, dramatisch eskaliert.

Nasrallahs Drohung, „die Hände jener abzuhacken, die es wagen sollten, Hisbollah zu berühren“, wird weithin ernst genommen. Wiederholt drängte der Schiitenführer die Regierung, das Tribunal zu boykottieren. Kooperation mit dieser internationalen Institution käme „einem Verrat gleich“. Doch Hariri bleibt entschlossen, den Mord an seinem Vater mit Hilfe des STL aufzuklären.

Viele Libanesen befürchten, würden Hisbollah-Mitglieder tatsächlich angeklagt, könnte unkontrollierbare Gewalt ausbrechen. „Das Leben einer Person ist die erneute Zerstörung des Landes nicht wert. Wir wollen leben. Wir wollen, dass auch unsere Kinder leben. Wir alle wollen die Wahrheit wissen, aber wir wollen dafür nicht den Preis von Zehntausenden Menschenleben bezahlen“, umreißt ein Libanese die allgemeine Stimmung. Und vielen wird in diesen Wochen voll bewusst, dass zwar seit zwei Jahrzehnten die Waffen in der Levante schweigen, dass aber der zerstörerische Geist des Bürgerkrieges, der von 1975 bis 1990 mindestens 250.000 Menschenleben gefordert hatte, immer noch fortlebt. Insbesondere zwischen der schiitischen Bevölkerungsmehrheit und den Sunniten hat sich die Kluft dramatisch vertieft. Die Milizen bereiten sich auf eine blutige Konfrontation vor.

Libanons politische Kräfte, selbst Saad Hariri, gestehen im privaten Kreis ein, dass sie das Tribunal am liebsten sofort stoppen würden, um das Land vom Rand Abgrunds zu wegzureißen. Doch das internationale Gerichtsverfahren hat längst seine Eigengesetzlichkeit erreicht.

Das Attentat auf den Autokonvoi Hariris hatte im Februar 2005 die gesamte Region erschüttert. Es löste im Libanon nicht nur die „Zedern-Revolution“ aus, die zu dem demütigen Abzug der syrischen Besatzungstruppen nach fast drei Jahrzehnten führte, sondern stärkte die pro-westlichen Kräfte, die „14.März-Koalition“ unter dem Sunniten Saad Hariri, ermöglichte eine enge amerikanisch-französische Kooperation, die die Einsetzung eines UN-Tribunals zur Aufklärung des Attentats mit Sitz in Den Haag durchsetzte. Hariris Mord wird im Libanon gerne mit dem Attentat auf US-Präsident Kennedy 1963 verglichen, der ebenfalls bis heute ungeklärt blieb.

Die „14. März-Koalition“ und deren ausländische Bündnispartner (Saudi-Arabien, USA, Frankreich) setzten große Hoffnung in das STL. Es sollte in einer von politischen Attentaten gequälten Region einen Präzedenzfall für internationale Gerechtigkeit setzen, im Libanon der Serie von Morden an prominenten anti-syrischen Persönlichkeiten Einhalt gebieten. Vor allem aber hofften Amerikaner und Franzosen, eine Verschiebung der politischen Kräfte in der Region durch Stärkung der pro-westlichen Gruppierungen zu erreichen, damit Syrien zu destabilisieren und Irans wachsenden Einfluss zurückzudämmen – ein Ziel, das Hisbollah zum energischen Kampf gegen das Tribunal motivierte.

Solche Erwartungen erwiesen sich als extrem opitimistisch. Sie ruhten auf einer Fehleinschätzung des tatsächlichen Kräftegleichgewichts im Libanon, der Fähigkeit Syriens, sich internationalem Druck zu widersetzen und der abschreckenden Wirkung des Tribunals. Die Serie politischer Morde riß nicht ab und heute ist Syrien wieder die dominierende Macht in der Levante. Selbst Saad Hariri musste sich mit Damaskus aussöhnen, während Hisbollah mit Vetorecht in der Regierung sitzt und deren Geschäfte jederzeit blockieren kann. Tatsächlich ist das Kabinett seit dem 10. November nicht zusammengetreten. Mitte Dezember wurde eine Regierungssitzung über das Problem der „falschen Zeugen“ wegen Unvereinbarkeit der Standpunkte abgebrochen. Nasrallah fordert die Einvernahmen von Personen, die seiner Überzeugung nach gegenüber STL zu Lasten von Hisbollah falsch ausgesagt hätten. Hariri will davon nichts wissen.

Das Land ist politisch vollends gelähmt. „Finden wir keine Lösung, dann landen wir im dunkelsten aller Tunnels“, klagt der Beiruter „Daily Star“. Beiruter Analysten sind sich einig, dass kein Sieger aus dieser Krise hervorgehen kann. Erfüllt Hariri Nasrallahs Forderungen nach Distanzierung vom STL, wäre dies ein schwerer politischer Schlag, auch für Libanons Sunniten insgesamt. Hisbollah anderseits riskiert einen empfindlichen Gesichtsverlust als heroische Befreiungsbewegung, wenn sie tatenlos der Verhaftung ihrer Mitglieder zusieht. Ihre Anhängerschar im Libanon und darüber hinaus hat sich längst von Nasrallahs israelisch-amerikanischen Verschwörungstheorie zur Vernichtung der Organisation überzeugen lassen.

Nasrallah stehen nun mehrere Optionen offen. Er kann durch totalen Regierungsboykott den Staat vollends lähmen; er kann die Massen seiner Anhänger zu zivilem Ungehorsam aufrufen (schon kündigte die mit Hisbollah verbundene Arbeitergewerkschaft einen Streik gegen Preiserhöhungen an. Zahlreiche Demonstrationen sind für Januar geplant); Nasrallah kann auch wichtige Verkehradern und den Flughafen blockieren; er kann seine Guerillas zu bewaffneter Aktion rufen, Gegner gefangen nehmen, Beirut und andere Landesteile besetzen, wie Hisbollah es kurzfristig im Mai 2008 getan hatte.Doch damit würde Hisbollah viel Sympathie unter den Libanesen verlieren und einen erneuten Bürgerkrieg will Nasrallah offenbar auch nicht riskieren. So schlug er zuletzt versöhnliche Töne an, verurteilte den Mord an Hariri als „nationales Verbrechen“ und stellt zugleich aber siegessicher fest: „Die Verschwörung des STL wird vom Winde weggeblasen“ – was immer dies bedeuten mag.

Der teilweise problematische und äußerst langsame Verlauf der Untersuchungen hat zudem nicht nur im Libanon dem Ansehen des STL Schaden zugefügt. Insbesondere kann Nasrallah die Tatsache für sich nutzen, dass sich nach jüngst durchgesickerten und von der Canadian Broadcast Corporation CBC verbreiteten Informationen die Anklage des Tribunals primär auf abgehörte Mobiltelefonate stützt. Mehrere Mitarbeiter der libanesischen Telekom wurden im Laufe des vergangenen Jahres wegen Spionage für Israel verhaftet und Libanons Telekommunikations-Minister Sherbel Nahhas präsentierte vor der Presse eine Serie von technischen Beweisen, die nach seinen Worten darauf hinwiesen, dass Israel das libanesischen Kommunikationssystem derart unterwandert habe, dass sie „Parasiten“ innerhalb bestehender Linien einpflanzen konnten. Solche Feststellungen erleichtern es Hisbollah, die erwarteten Anklagen durch das Tribunal als von Israel manipulierte Fälschungen abzutun.

„Viel wichtiger als die Mörder Hariris zu finden“ sei es in dieser explosiven Situation einen Weg zu finden, wie die Eskalation der Krise zwischen Sunniten und Schiiten im Libanon gestoppt werden könne, meint Drusenführer Walid Dschumblatt, der sich jüngst von seinem langjährigen Verbündeten Hariri gelöst hat und eine unabhängige Position einnimmt. Genau dies versuchen äußere Kräfte in intensiver Diplomatie, Hisbollahs Gönner Syrien, Hariris engster Verbündeter Saudi-Arabien, das neutrale Katar, ebenso wie die Türken, die Franzosen und die Amerikaner. Ein Kompromiß, der keinem wirklich weh tut, könnte die aktuelle Krise kurzfristig entschärfen. Die Grundprobleme – mangelnde Souveränität und nationale Identität, tiefes gegenseitiges Misstrauen und Manipulationen von außen - lösen, wird er nicht.

Bild: Rafik Hariri

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Montag, 13. Dezember 2010

ÄGYPTEN: Politisches Erwachen am Nil

Durch seine massive Wahlmanipulation beging das Regime Mubarak einen gavierenden strategischen Fehler – Die empörte Opposition sucht neue Wege

von Birgit Cerha


Mehr als eine Woche nach den Parlamentswahlen in Ägypten, die am 5. Dezember mit einer zweiten Runde endeten, hat sich der Zorn im Land über gravierende Manipulationen nicht gelegt. Ganz im Gegenteil. Dabei sind die Ägypter, die ihr Präsident Mubarak seit drei Jahrzehnten mit Notstandsgesetzen regiert, krasse Übergriffe auf Grundfreiheiten gewöhnt. Freie Wahlen hat es am Nil wohl nie gegeben. Bisher aber hatte sich Mubarak bemüht, den Anschein von Demokratie zu wahren. Diesmal nicht. Das Feigenblatt ist dahin.

„Oh Gott, bitte nimm den Präsidenten zu Dir“, riefen empörte Demonstranten, die aus mehreren Teilen des Landes nach Kairo geströmt waren. Erzfeinde aus den Reihen der Moslembrüder – der stärksten Oppositionsgruppierung – und der Liberalen schlossen einander in die Arme, andere Laizisten, Sozialdemokraten, Mitglieder der Bewegung für Veränderung „Kifaya“ und der „Nationalen Vereinigung für Veränderung“ des ehemaligen Chefs der Internationalen Atomenergiebehörde el Baradei reichen einander die Hände, entschlossen, eine gerichtliche Annullierung der Wahlen durchzusetzen. „Ich glaube, dies ist der Beginn eines Frühlings der Freiheit in diesem Land, denn zum erstenmal finden sich alle Kräfte zusammen“, frohlockt Osama al Ghazali Harb von der „Demokratischen Front-Partei“. Ägypten werde eine Welle des Protests gegen „diese illegale Situation“ erfassen.
Tatsächlich zeigen sich erste Anzeichen, dass diese Wahlen die Ägypter aus ihrer politischen Lethargie herausreißen könnten. „Al Ahram“ berichtet von einer Flut empörter Leserbriefe. Das Regime ist eindeutig zu weit gegangen. 95 Prozent der Abgeordneten im neuen Parlament, das Montag mit seiner ersten Sitzung eröffnet wurde, gehören der regierenden „Nationalen Demokratischen Partei“ (NDP) an. Die Moslembrüder, die im alten Abgeordnetenhaus ein Fünftel der Sitze hatten, schafften den Einzug nicht, ihre Rivalin, die liberale „Wafd“, zog den einzigen gewählten Abgeordneten zurück. Selbst NDP-Mitgliedern ging die Manipulation zu weit. Einige schlossen sich den Protestierenden an.

Unabhängige politische Analysten sind überzeugt, dass das Regime einen schweren strategischen Fehler begangen und damit jegliche Legitimität verloren hat. Baradei, der sich monatelang für demokratische Veränderung eingesetzt und schließlich frustriert für einige Zeit wieder der Heimat den Rücken gekehrt hatte, klagt in einem Online-Video, das Regime habe alle Chancen auf Veränderung abgetötet“. Er fordert die Einheit der Opposition zur Durchsetzung eine Reihe von Forderungen, darunter die Aufhebung der Notstandsgesetze.

Die Gründung eines „Schattenparlaments“ ist geplant, dem u.a. 120 nicht wiedergewählte Abgeordnete angehören sollen, sowie die Erarbeitung eines neuen Verfassungsentwurfs der demokratische Freiheiten garantieren soll.

Ob diese Wahlmanipulation tatsächlich, wie manche Beobachter meinen, fataler Ausdruck höchster Nervosität eines Regimes ist, dessen vom Alter gezeichneter Führer die Nachfolge bis heute nicht zu regeln vermochte, muss vorerst Spekulation bleiben. Fest steht, dass die NDP sich für die Präsidentschaftswahlen in einem Jahr jeglichen Widerstands im Parlament entledigt hat. Zugleich hat sich jüngst immer deutlicher gezeigt, dass dem Präsidentensohn Gamal Mubarak keineswegs auch in höchsten Führungskreisen unumstrittener Kandidat für die Staatsführung ist. Ganz im Gegenteil, der Widerstand gegen ihn zwang den liberalen Ökonomen, sich vermehrt aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen. Die mächtige alte Garde im Militär- und Sicherheitsapparat favorisiert hingegen den 74-jährigen Geheimdienstchef und engen Präsidentenberater Omar Suleiman, der auch enge Beziehungen zu den USA pflegt. Doch in den vergangenen Monaten begann auch Suleimans Stern zu sinken. So taucht nun ein neuer Anwärter auf: Ahmed Shafiq, gegenwärtig Minister für Zivilluftfahrt und ehemaliger Kommandant der Luftwaffe. Er gilt als Mann mit „guter Reputation“, hart, energisch, ehrlich und zurückhaltend.. Der 69-Jährige verfügt über ausgeprägte Managerbegabung und, so meinen informierte Kreise, die Fähigkeit, zwischen den beiden miteinander offenbar heftig rivalisierenden Machtzentren innerhalb der NDP ausgleichen und vermittelnd zu wirken. Eine solche Integrationsfigur ist als Folge des Wahlschocks dringend von Nöten, um die NDP vor einer zersetzenden Krise zu bewahren.

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Freitag, 10. Dezember 2010

SAUDI-ARABIEN: Die Ängste der Autokraten

Ein Artikel über die Königsfamilie kostet die Freiheit – Internationale Appelle zugunsten Prof. Mohammed Abdulkarims

von Birgit Cerha


Es ist gar nicht lange her, das Saudi-Arabiens König Abdullah die Bürger seines ölreichen Wüstenstaates ermutigte, ihre „legitimen Sorgen“ auszusprechen. Wer aber solche Empfehlung ernst meint, hat viel im Reiche der al-Sauds zu riskieren. Das erfuhr eben Mohammed Abdulkarim, Professor für islamisches Recht an der Imam Mohamed bin Saud-Universität in Riad, Menschenrechtsaktivist und Chefredakteur des online Magazins Mutamar Al-Umma. Der reformorientierte Intellektuelle sitzt seit 5. Dezember im Al-Hayer Gefängnis von Riad, wohin das Königshaus unbequeme Kritiker und politische Gegner zu verbannen pflegt.

Abdulkarims „Verbrechen“ war die Veröffentlichung einer Abhandlung über die königliche Familie zunächst auf seinem Facebook und später auf diversen Online-Sites. Die Reaktion der Behörden, die den Professor von vier Geheimdienstlern in zivil aus seinem Haus abholen ließen, illustriert die enorme Empfindlichkeit der autokratischen Herrscher, wenn es um Berichterstattung oder Spekulationen über das Königshaus und dessen Zukunft geht, zumal der Artikel nur einen Tag nach einer Operation erschien, der sich der 87-jährige Abdullah in den USA unterzogen hatte. (siehe IFAMO-Artikel „Krise in Saudi-Arabiens Gerontokratie“)

In seinem Artikel „Suche nach dem Schicksal des saudischen Volkes“ setzte sich Abdulkarim mit der Frage der Nachfolge für König Abdullah und Streitigkeiten innerhalb der Herrscherfamilie auseinander. Er wagte sich sogar so weit vor, ein Auseinanderbrechen des Königreiches im Falle von Abdullahs Tod nicht auszuschließen. „Was, wenn die Familie durch interne Konflikte oder durch äußere Faktoren zerrissen wird? Soll die Einheit (des Königreichs) und das Schicksal des Volkes davon abhängen, ob die königliche Familie bleibt oder geht?.... Einige der Staatsmänner wollen ein Regime erhalten, das nur ihre eigenen Interessen schützt und dies wird durch Autokratie, Hegemonie, Gier, Manipulation und Bestechung“ ermöglicht.

Saudische und internationale Appelle zur Freilassung des liberalen Professors fruchteten bisher nichts. Abdulkarim bleibt – ohne Anklage – in Haft. Jeglicher Kontakt zu seiner Familie wird ihm verwehrt. In einer umfangreichen Kampagne setzen sich Saudis im Internet für das jüngste Opfer saudischer Repression ein. Der Fall hat zugleich eine intensive Diskussion über die Meinungsfreiheit im Königreich vom Zaum gebrochen. Das saudische „Human Rights Observatory“ prangert diese klare Verletzung der Menschenrechte offen an und spricht von einer sich vertiefenden, gefährlichen Kluft zwischen der Königsfamilie und deren Untertanen.

Nur wenige Länder der Welt treten Meinungsfreiheit so unerbittlich mit Füßen, wie Washingtons engster Verbündeter am Persischen Golf. „Reporter ohne Grenzen“ stuft das Königreich auf seiner Liste von 178 Pressefreiheit achtenden Ländern an 157. Stelle ein.

Und Abdulkarim ist keineswegs das einzige Opfer. Wieviele Gewissensgefangene in saudischen Gefängnissen schmachten ist unklar. Einsatz für politische Reformen haben bereits zahlreiche Saudis hinter Gittern gebracht. So ist etwa der Publizist und Menschenrechtsaktivist Mekhlef bin Dahhawal-Shammari seit Juni in Haft, weil er es gewagt hatte, politische und religiöse Führer zu kritisieren.

Besonders radikal gehen die Behörden gegen das Internet vor. Offiziell heißt es, sie hätten an die 400.000 Websites blockiert, vor allem jene, die sich mit religiösen Fragen, Menschenrechten und liberalen, oppositionellen Ansichten befassen. Mit Hilfe einer Fülle von Gesetzen versucht das Königshaus den so bedrohlichen Teufel des Internets in Schach zu halten, zu verhindern, dass das Internet zu einem Forum freier Diskussion wird, die die al-Sauds bisher so effizient zu ersticken vermochten. Dennoch benützen heute nach Schätzungen 38 Prozent der Bevölkerung das Internet und die Zahlen steigen, trotz drakonischer Restriktionen. So wurden etwa in Internet Cafes versteckte Kameras installiert, den Besitzern droht bis zu zehn Jahre Gefängnis, wenn ihre Einrichtung zur Verbreitung von Informationen benutzt wird, die den „Werten des Königreiches“ widersprechen.

Solch scharfe Kontrollen zeigen die Entschlossenheit des Regimes, unter allen Umständen die derzeit herrschende höchst restriktive soziale Ordnung aufrecht zu erhalten.

Bild: Mohammed Abdulkarim

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IRAN: Anhaltende Turbulenzen unter der Oberfläche

Radikaler Geistlicher gesteht: Repression konnte die Opposition nicht vernichten – Khamenei sorgt sich um seine Nachfolge

von Birgit Cerha

Die Bilder freiheitshungriger und todesmutiger Iraner, die sich von den Schächern des Regimes niederknüppeln lassen, sind längst aus den westlichen Medien verschwunden. Hunderte von politischen Gefangenen, darunter der 80-jährige erste Außenminister der Islamischen Republik Ibrahim Yazdi, die seit vielen Monaten unter elenden Bedingungen in iranischen Gefängnissen schmachten, erscheinen von der Welt vergessen. Nur gelegentlich erwähnen sie pflichtschuldig UNO oder manche Vertreter westlicher Regierungen. Einzig das Phantom der iranischen Atombombe und die Ängste naher und ferner Länder beherrschen wieder die Berichterstattung über die „Islamische Republik“. Vergessen sind auch Millionen von Iranern, die von ihren tyrannischen Herrscher qualvoll terrorisiert werden. Kaum Beachtung wurde auch jenen Studenten geschenkt, die sich am „Studententag“ zum Protest gegen „Mahmud, du Verräter“ (gemeint ist Präsident Ahmadinejad) in die Straßen iranischer Städte wagten. Seit Gründung der „Islamischen Republik“ ruft das Regime in Erinnerung an bei anti-amerikanischen Demonstrationen 1953 unter dem Schah ermordete Studenten die lernende Jugend des Landes zu Kundgebungen auf. Im Vorjahr nutzten Zehntausende empörte Iraner diesen Gedenktag, dem 7. Dezember, zu Demonstrationen gegen die manipulierte Wiederwahl Ahmadinedschads. Blut und Gefängnis waren die Folge. Bis zu 80 Studenten, viele davon Führer einst einflussreicher Studentenorganisationen sitzen immer noch in Haft.Sind es die Terrormethoden der Despoten, ihre bedingungslose Zensur und bedrohliche Einschüchterung oder ist es die Gleichgültigkeit des Westens, die verhindern, dass der Großteil der freien Welt über das anhaltende Aufbäumen der Geknechteten erfährt? „Es ist schwer zu erkennen, was wirklich (am 7. Dezember) geschah“, gesteht die informative iranische Website „Tehran Bureau“ ein. Berichte von Studenten-Demonstrationen in zahlreichen Städten dringen an die Öffentlichkeit, von frustrierten Jugendlichen, die den „Geistlichen Führer“ Khamenei auffordern „die Stimmen der Studenten zu hören, bevor es zu spät ist“, von entschlossenen jungen Studierenden, die „die Universitäten als letzte Bastion der Freiheit“ unter allen Umständen verteidigen wollen, und von den Führern der oppositionellen „Grünen Bewegung“, Mussawi und Karrubi, die die lernende Jugend des Landes bedrängen, doch ja nicht „die Hoffnung“ zu verlieren. Mehr als 50 Demonstranten sollen verhaftet worden sein. Vielleicht noch mehr.

Seit dem offensichtlichen Wahlbetrug im Juni 2009 und den darauf folgenden monatelangen Massenprotesten sind Irans Universitäten zum Hauptziel der Bemühungen Ahmadinedschads und der ihn stützenden Revolutionsgarden geworden, ihre Macht zu konsolidieren und den Widerstand zu brechen.

Dass dies jedoch auch außerhalb der höchsten Lehranstalten nicht gelang, gestand eben der Vorsitzende des mächtigen „Wächterrates“, Ahmad Janati ein: Trotz des Einsatzes von repressiven Methoden hätte der „Feind“ nicht vollständig eliminiert werden können. Es ist das erste Mal, dass ein hoher Vertreter des „Gottesstaates“ offen und ausdrücklich die Anwendung von Unterdrückungsmethoden gegen die Masse der gewaltlos demonstrierenden Iraner einbekannt und auch gleich noch zugab, dass diese ihre volle Wirkung verfehlt hätten. Janati gilt zudem als der ideologisch Hauptverantwortliche der ungeheuerlichen Brutalitäten, mit denen das Regime die Protestkundgebungen niedergeschlagen hatte.

Alarmiert zeigt sich auch Ataollah Salehi, Oberkommandierender der iranischen Armee. Er beklagt „Verhetzung“ in den Reihen der Streitkräfte und warnt, „niemand soll glauben, dass die Armee gegenüber Aufwieglern (gemeint sind Sympathisanten der „Grünen Bewegung) Milde walten lässt“. Die Armee war, im Gegensatz zu den ideologisch indoktrinierten Revolutionsgarden, nicht zur Niederschlagung der Demonstrationen eingesetzt worden. Das offizielle Bekenntnis des Generals lässt darauf schließen, dass es der „Grünen Bewegung“ im Laufe des vergangenen Jahres gelungen ist, die Streitkräfte, wie auch andere Institutionen der „Islamischen Republik“ zu beeinflussen.

Die „Grüne Bewegung“ zeigt sich in den Straßen der Städte weit seltener als vor einem Jahr, doch sie stellt zweifellos die weitgehend „schweigende Mehrheit“. Mussawi setzt offenbar längst nicht mehr auf die Macht der Straße, um Freiheiten und den Sturz Ahmadinedschads durchzusetzen, sondern auf einen internen Zersetzungsprozeß des despotischen Regimes. Dabei hilft zweifellos auch die erstaunliche Zivilcourage vieler Iraner, die ungeachtet der massiven Repression zum Widerstand entschlossen bleibt. So machen in Blogs und auf Internetseiten Berichte über iranische Bürger die Runde, die Augenzeugen von Festnahmen anderer durch die paramlitärische Bassidsch oder die Revolutionsgarden werden und physisch, verbal oder mit Hilfe der Handy-Kameras dies zu verhindern versuchen. Als Folge davon haben Sicherheitskräfte begonnen, unliebsame Bürger nicht mehr in der Öffentlichkeit abzuschleppen, denn jeder Polizist fürchtet heute, beobachtet, mit Fotos oder Videos abgelichtet und im Internet präsentiert zu werden.

Auch wenn es an der Oberfläche ruhig erscheint, herrscht im „Gottesstaat“ immer noch Hochspannung. Mehr als der Konflikt mit der „Grünen Bewegung“ setzt Ahmadinedschad der Machtkampf mit den islamischen Fundamentalisten unter Führung Parlamentssprechers Ali Laridschani zu. Seit einigen Wochen läuft im Parlament eine Aktion, Ahmadinedschad zur Rechenschaft zu ziehen und ein Amtsenthebungsverfahren gegen ihn einzuleiten. Die Vorwürfe lauten: Versuche zur Zentralisierung der Macht in seinen Händen; Verletzung iranischen Rechts, da er ohne Zustimmung des Parlaments 590 Mio. Dollar aus dem Reservefonds der Zentralbank abgezogen hatte, und katastrophales Mismanagement der Wirtschaft.

Doch solange Khamenei eine Entmachtung seines Schützlings nicht billigt, können auch die Abgeordneten Ahmadinedschad nichts anhaben. Und der „Führer“ hat all sein Prestige in diesen ungeliebten Präsidenten gesteckt, ihm jetzt den politischen Todesstoß zu versetzen, könnte seinen eigenen Untergang besiegeln.

Die Erhaltung seiner Macht für sich und seine Familie aber erscheint Khameneis Hauptsorge zu sein. Wikileaks löste mit den von ihm publizierten Informationen aus amerikanischen diplomatischen Quellen über die tödliche Krankheit (Leukämie im Endstadium) des „Geistlichen Führers“ eine Flutwelle an Gerüchten und Spekulationen im Iran aus. Seit mehr als einem Jahrzehnt munkeln Iraner bereits über eine tödliche Krankheit ihres teilweise tief verhassten Herrschers. Sein unmittelbar bevorstehender Tod wurde wiederholt prophezeit. Ob der Bericht amerikanischer Diplomaten, der sich auf einen engen Vertrauten von Ex-Präsident Rafsandschani stützt, vielleicht nur eine gezielte Fehlinformation dieses Meisters der politischen Tricks und Intrigen ist, um für sich das Tor zur höchsten Macht im „Gottesstaat“ zu öffnen, muss vorerst offen bleiben.

Fest steht jedoch, dass Khamenei durch seinen jüngsten, höchst ungewöhnlichen Besuch in der Heiligen Stadt Qom das Feuer in der Gerüchteküche heftig geschürt hat. Dabei habe er sich, so munkelt man im Iran, um Unterstützung der Großayatollahs, insbesondere Hossein Vahid Khorasanis, für seinen Sohn Mojtaba als seinen Nachfolger bemüht. Khorasani, ein ehemaliger Lehrer Mojtabas, habe sich – offenbar aus prinzipiellen Auffassungsunterschieden – geweigert, Khamenei zu treffen. Ohne Unterstützung der Großayatollahs hat Khamenei keine Chance, seinen Sohn als Nachfolger zu küren. Es sei denn, er nähme de Mantel des Imams an, den sein Vorgänger und Revolutionsführer Khomeini getragen hatte und der ihn, ungeachtet seiner minderen theologischen Qualifikationen, zum neuen „Führer“ bestimmt hatte. Seit einiger Zeit lässt sich Khamenei von seinen Getreuen „Imam“ nennen.


Bild: Die Studenten schweigen nicht. Ingenieurshochschule Teheran. Quelle: Weblog von Ali Schirasi
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Donnerstag, 2. Dezember 2010

IRAN: Um den „Satan in Schach zu halten“

Irans islamistische Führung drängt zu Polygamie und zeitlich befristeter Ehe, doch „die Kultur passt nicht“ zu diesen Ideen

von Birgit Cerha

Shahla Jahed, die Mittwoch wegen des Mordes an der Frau ihres ehemaligen Geliebten in Teheran exekutierte 40-jährige Iranerin ist nach Überzeugung des Chefs der Iranischen Menschenrechtsliga, Karim Lahidji, „Opfer von Lücken im Justizsystem“ in einer „frauenfeindlichen Gesellschaft“. Jahed hatte mit dem Ehemann der Ermordeten, einem bekannten Fußball-Profi, eine zeitlich befristete Ehe geführt. Ihr Fall wirft ein Schlaglicht auf uralte Praktiken im islamischen „Gottesstaat“, die die herrschenden radikalen Führer unter Berufung auf den Islam dem Volk verstärkt aufzuzwingen suchen, koste es was es wolle. So stellte jüngst der stellvertretende Außenminister Hassan Ghaschghavi klar: „Wir leben in einem islamischen Land und wir handeln nach den Regeln des Korans. Selbst wenn wir hunderttausend Menschen exekutieren müssen, werden wir mit der Durchsetzung dieser Regeln fortfahren.“
Mit einer mehrjährigen Unterbrechung Ende der 80er und 90er Jahre hat das islamische Regime intensiv das Volk zu früher Heirat und Fortpflanzung, sowohl innerhalb der Ehe, als auch in dem Arrangement der „Zeitehe“ gedrängt. Als das Bevölkerungswachstum jedoch in den 80er Jahren auf eine Rekordrate von mehr als 3,5 Prozent hinaufgeschnellt war, entschlossen sich die herrschenden Geistlichen zu einem eindrucksvollen, selbst von der UNESCO als Vorbild gelobtes Familienplanungs-Programm, das die Geburtenrate auf knapp über ein Prozent senkte – und dies dauerhaft bis heute. Doch inzwischen zeigen sich Irans radikale Führer von dieser Entwicklung mehr und mehr beunruhigt. So rief Präsident Ahmadinedschad vor wenigen Tagen die Mädchen des Landes auf, sich doch schon mit 16 zur Ehe zu entschließen, um „den Satan in Schach zu halten“. Er schloß sich damit den Appellen gleichgtesinnter Geistlicher an, die in der Frühehe die einzige Chance sehen, die Jugend „von Sünde und Versuchung“ fernzuhalten, aber auch Irans islamische Gesellschaft zu einem Bollwerk gegen die westlichen Feinde aufzubauen.

Nach dem Gesetz dürfen Mädchen ab 13 und Burschen ab 15 heiraten. Bei Zustimmung des Vaters oder väterlichen Großvaters ist eine frühere Verehelichung von Mädchen jedoch gestattet. So geschieht es immer wieder, insbesondere in ländlichen Regionen, das Väter Mädchen selbst im Alter von sieben oder acht Jahren verheiraten, um mit dem Brautgeld ihre Schulden zu bezahlen.

Doch im allgemeinen, insbesondere in den Städten ist in den vergangenen Jahren das Heiratsalter bei Frauen auf 22 bis 29 Jahre und bei Männern auf 27 bis 34 angestiegen. Ökonomische Gründe, der Wunsch auch bei Frauen, ein Studium zu vollenden und bei Männern darüber hinaus auch noch den zweijährigen Militärdienst abzuleisten, sind dafür verantwortlich. Und genau diese Entwicklung ist dem Regime und seinen Geistlichen ein Dorn im Auge. Deshalb versuchen sie immer intensiver uralte sexuelle Praktiken wiederzubeleben.

Nach iranischem Recht darf ein Mann – wie es der Islam vorsieht – eine Ehe mit vier Frauen führen, allerdings nur, wenn die erste Frau den weiteren Eheschließungen zustimmt. Versuche Erzkonservativer, diese Bestimmung zu lockern, scheiterten bisher im Parlament. Seit Jahren drängen iranische Führer die Männer des Landes auch zur „Zeitehe“. Doch der Erfolg bleibt weitgehend aus. Nach dieser auch im iranischen Recht verankerten, auf die Zeit Mohammeds zurückgehenden Praxis können Männer und Frauen vor einem Geistlichen eine Ehe von wenigen Stunden bis zu vielen Jahren eingehen. Die Frau erhält dafür eine vereinbarten Summe und der Mann ist zur finanziellen Sorge für Kinder aus dieser Ehe, die auch erbberechtigt sind, verpflichtet.

Mit der Empfehlung zur Polygamie, wie zur „Zeitehe“ suchen Irans Führer eine islamische Lösung für den Zeitvertreib der Jugend, der sie fast alle anderen Freuden und vor allem Freiheiten verbieten. Doch ihre Appelle stoßen weitgehend auf taube Ohren. Insbesondere die städtische Mittelschicht lehnt Vielweiberei entschieden ab und viele Iraner betrachten die „Zeitehe“ als nichts anderes als legitimierte Prostitution. Kein iranischer Vater wird seine Tochter in eine Ehe entlassen, die nur kurze Zeit währt. Jungfräulichkeit gilt auch im Iran, wie in anderen Ländern des Orients als „Ehre“ vor allem der Väter. Und jeder weiß, dass die „Zeitehe“ für die Frau das Tor zu Armut, Elend und Prostitution öffnet.

Zu der Frage, warum die Vielehe im Iran nicht so gut ankommt, wie in der arabischen Welt, meint der Geistliche und Politiker Mohammad Taqi Rahbar: „Die iranische Gesellschaft hat gezeigt, dass sie mit diesem Thema Probleme hat. Unsere Kultur passt nicht zur der Idee von Polygamie und Zeitehe.“

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