Krankheit und Altersschwäche von König und Kronprinz machen die ungelöste Nachfolgefrage in einem der reichsten staaten der Welt akut
von Birgit Cerha
„Es schwelt keinerlei Konflikt über die Nachfolge: Es ist der König, dann der Kronprinz und dann Nayef (seit 1975 saudischer Innenminister)“, versucht Mustafa Alani vom Gulf Research Center in den Vereinigten Arabischen Emiraten Sorgen über mögliche Turbulenzen in Saudi-Arabien zu zerstreuen, nun, da nicht nur der 86-jährige Kronprinz Sultan schwer erkrankt ist, sondern auch König Abdullah. Der 87-jährige unterzieht sich nach einer – keineswegs lebensbedrohlichen, wie man offiziell betont – Operation an der Wirbelsäule in den USA noch intensiven medizinischen Tests. Nachdem Sultan bereits seit Jahren vermutlich an einem Krebsleiden laboriert, hatte der Monarch Nayef zum Stellvertretenden Premierminister ernannt, ein Posten, der als Sprungbrett auf den Königsthron gilt.
Abdullah, der 2005 die Macht im ölreichsten Staat der Welt übernommen hatte, zeigte in den vergangenen Monaten zudem deutliche Anzeichen von Altersschwäche. Seine engsten Berater, so heißt es, müssten regelmäßig seinen Texten klaren Sinn verleihen. Sultan gilt bereits als regierungsunfähig und der Aufstieg des 77-jährigen Hardliners Nayef an die Spitze des Königreiches ist keineswegs gesichert.
Ungeachtet äußerer Ruhe und Stabilität herrscht unter Kennern Saudi-Arabiens wenig Zweifel, dass hinter den Kulissen ein heftiger Konflikt um die Nachfolge tobt. Die Frage ist höchst kompliziert und von einem dichten Schleier des Geheimnisses umhüllt. Gerne erinnern Saudi-Arabien-Experten an ein altes Cliche: „Jene, die wissen, was sich in der Königsfamilie ereignet, sprechen nicht, jene, die sprechen, wissen nichts.“
Das Königreich gleicht einem in altmodischer Weise geführten Familienunternehmen. Der König ist nicht nur Premierminister, er ernennt die Parlamentsmitglieder und bestimmt seinen Nachfolger. Bis heute ging die Nachfolge strikt auf die Söhne des 1953 verstorbenen Gründers Abdul Aziz Ibn Saud (vermutlich um die 30 an der Zahl) über. 19 sind heute noch am Leben. Nur vier von ihnen kämen jedoch aufgrund ihres Gesundheitszustandes und ihrer Position für das höchste Staatsamt infrage. Dies bedeutet, dass die Enkel des Gründervaters mehr und mehr die Hierarchie der Monarchie dominieren. Und da auch Abdul Aziz’ Söhne mehrere Frauen und unzählige Kinder haben, hat sich die Zahl der nach Macht strebenden Prinzen dramatisch erweitert und damit die Nachfolgefrage entscheidend kompliziert. Die Schlüsselfrage dabei ist, welcher Familienzweig gibt den Ton an?
Die zweite Generation der al-Sauds konnte dem Königreich eine erstaunliche Stabilität bescheren, weil die drei Hauptclans der Familie einander kontrollieren: Der Faisal-Clan, genannt nach Abdul Aziz’ Nachfolger König Saud; die Abdullah-Fraktion des gegenwärtigen Königs und der Sudairi Clan, genannt nach Abdul Aziz’ achter Frau. Sultan ist dessen ältestes Mitglied, Nyaef und Salman, der Gouverneur von Riad und Favorit unter westlichen Diplomaten für die Nachfolge, sind seine Vollbrüder. Jahrelang hatten die Sudairis ihre Fäden gezogen, um Abdullah vom Königsthron fernzuhalten. Vergeblich. Dennoch einigte man sich im kritischen Moment immer auf einen Kompromiß undiese byzantinische Machtregelung hat bisher Hunderte potentiell machtgierige Prinzen in Schach gehalten.
Tief besorgt, dass dies in der nächsten Generation nicht mehr möglich sein könnte, hat Abdullah 2006 einen Familienrat, „Loyalitätskommission“ genannt, bestellt, dem alle noch lebenden Söhne Abdul Aziz, 13 Enkel und je einem vom König ausgewöhnten Sohn des Königs und des Kronprinzen angehören. Diese Regelung könnte Abdullah aber durch die Ernennung Nayefs zum stellvertretenden Premier selbst untergraben haben. Das zumindest befürchtet etwa Prinz Talal, ebenfalls einer der Söhne Abdul Aziz aus dem Sudairi-Clan, der – im Gegensatz zu Sultan – zum progressiven Zweig der Sauds zählt.
Zudem hat der Monarch, um die Position seiner Familie im Machtgefüge zu stärken, jüngst seinen Sohn Mitab zum Oberkommandierenden der 100,000 Mann starken Saudischen Nationalgarde, der schlagkräftigsten militärischen Kraft im Königreich ernannt, was zu Rivalitäten mit anderen Zweigen der Familie führt.
Dank riesiger, von ihnen kontrollierter Medienunternehmen, gelang es den Sauds bis heute, ihre internen Konflikte vor der Öffentlichkeit weitgehend zu verbergen. Ihren teilweise hochgebildeten Bürger bleibt vorerst nur das Internet, um ihrer Sehnsucht nach einem Ende der Entmündigung, nach Mitbestimmung, nicht nach dem Sturz des Königshauses, aber nach einer konstitutionellen Monarchie Luft zu machen.
Samstag, 27. November 2010
SAUDI-ARABIEN: Krise in Saudi-Arabiens Gerontokratie
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Interessant - kleine Korrektur: Talal ist als "roter Prinz" den Sudairy nicht wirklich gewogen und sieht den eigenenen "liberalen touch" am besten durch Abdallah vertreten.
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