Irans islamistische Führung drängt zu Polygamie und zeitlich befristeter Ehe, doch „die Kultur passt nicht“ zu diesen Ideen
von Birgit Cerha
Shahla Jahed, die Mittwoch wegen des Mordes an der Frau ihres ehemaligen Geliebten in Teheran exekutierte 40-jährige Iranerin ist nach Überzeugung des Chefs der Iranischen Menschenrechtsliga, Karim Lahidji, „Opfer von Lücken im Justizsystem“ in einer „frauenfeindlichen Gesellschaft“. Jahed hatte mit dem Ehemann der Ermordeten, einem bekannten Fußball-Profi, eine zeitlich befristete Ehe geführt. Ihr Fall wirft ein Schlaglicht auf uralte Praktiken im islamischen „Gottesstaat“, die die herrschenden radikalen Führer unter Berufung auf den Islam dem Volk verstärkt aufzuzwingen suchen, koste es was es wolle. So stellte jüngst der stellvertretende Außenminister Hassan Ghaschghavi klar: „Wir leben in einem islamischen Land und wir handeln nach den Regeln des Korans. Selbst wenn wir hunderttausend Menschen exekutieren müssen, werden wir mit der Durchsetzung dieser Regeln fortfahren.“
Mit einer mehrjährigen Unterbrechung Ende der 80er und 90er Jahre hat das islamische Regime intensiv das Volk zu früher Heirat und Fortpflanzung, sowohl innerhalb der Ehe, als auch in dem Arrangement der „Zeitehe“ gedrängt. Als das Bevölkerungswachstum jedoch in den 80er Jahren auf eine Rekordrate von mehr als 3,5 Prozent hinaufgeschnellt war, entschlossen sich die herrschenden Geistlichen zu einem eindrucksvollen, selbst von der UNESCO als Vorbild gelobtes Familienplanungs-Programm, das die Geburtenrate auf knapp über ein Prozent senkte – und dies dauerhaft bis heute. Doch inzwischen zeigen sich Irans radikale Führer von dieser Entwicklung mehr und mehr beunruhigt. So rief Präsident Ahmadinedschad vor wenigen Tagen die Mädchen des Landes auf, sich doch schon mit 16 zur Ehe zu entschließen, um „den Satan in Schach zu halten“. Er schloß sich damit den Appellen gleichgtesinnter Geistlicher an, die in der Frühehe die einzige Chance sehen, die Jugend „von Sünde und Versuchung“ fernzuhalten, aber auch Irans islamische Gesellschaft zu einem Bollwerk gegen die westlichen Feinde aufzubauen.
Nach dem Gesetz dürfen Mädchen ab 13 und Burschen ab 15 heiraten. Bei Zustimmung des Vaters oder väterlichen Großvaters ist eine frühere Verehelichung von Mädchen jedoch gestattet. So geschieht es immer wieder, insbesondere in ländlichen Regionen, das Väter Mädchen selbst im Alter von sieben oder acht Jahren verheiraten, um mit dem Brautgeld ihre Schulden zu bezahlen.
Doch im allgemeinen, insbesondere in den Städten ist in den vergangenen Jahren das Heiratsalter bei Frauen auf 22 bis 29 Jahre und bei Männern auf 27 bis 34 angestiegen. Ökonomische Gründe, der Wunsch auch bei Frauen, ein Studium zu vollenden und bei Männern darüber hinaus auch noch den zweijährigen Militärdienst abzuleisten, sind dafür verantwortlich. Und genau diese Entwicklung ist dem Regime und seinen Geistlichen ein Dorn im Auge. Deshalb versuchen sie immer intensiver uralte sexuelle Praktiken wiederzubeleben.
Nach iranischem Recht darf ein Mann – wie es der Islam vorsieht – eine Ehe mit vier Frauen führen, allerdings nur, wenn die erste Frau den weiteren Eheschließungen zustimmt. Versuche Erzkonservativer, diese Bestimmung zu lockern, scheiterten bisher im Parlament. Seit Jahren drängen iranische Führer die Männer des Landes auch zur „Zeitehe“. Doch der Erfolg bleibt weitgehend aus. Nach dieser auch im iranischen Recht verankerten, auf die Zeit Mohammeds zurückgehenden Praxis können Männer und Frauen vor einem Geistlichen eine Ehe von wenigen Stunden bis zu vielen Jahren eingehen. Die Frau erhält dafür eine vereinbarten Summe und der Mann ist zur finanziellen Sorge für Kinder aus dieser Ehe, die auch erbberechtigt sind, verpflichtet.
Mit der Empfehlung zur Polygamie, wie zur „Zeitehe“ suchen Irans Führer eine islamische Lösung für den Zeitvertreib der Jugend, der sie fast alle anderen Freuden und vor allem Freiheiten verbieten. Doch ihre Appelle stoßen weitgehend auf taube Ohren. Insbesondere die städtische Mittelschicht lehnt Vielweiberei entschieden ab und viele Iraner betrachten die „Zeitehe“ als nichts anderes als legitimierte Prostitution. Kein iranischer Vater wird seine Tochter in eine Ehe entlassen, die nur kurze Zeit währt. Jungfräulichkeit gilt auch im Iran, wie in anderen Ländern des Orients als „Ehre“ vor allem der Väter. Und jeder weiß, dass die „Zeitehe“ für die Frau das Tor zu Armut, Elend und Prostitution öffnet.
Zu der Frage, warum die Vielehe im Iran nicht so gut ankommt, wie in der arabischen Welt, meint der Geistliche und Politiker Mohammad Taqi Rahbar: „Die iranische Gesellschaft hat gezeigt, dass sie mit diesem Thema Probleme hat. Unsere Kultur passt nicht zur der Idee von Polygamie und Zeitehe.“
Donnerstag, 2. Dezember 2010
IRAN: Um den „Satan in Schach zu halten“
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