Radikaler Geistlicher gesteht: Repression konnte die Opposition nicht vernichten – Khamenei sorgt sich um seine Nachfolge
von Birgit Cerha
Die Bilder freiheitshungriger und todesmutiger Iraner, die sich von den Schächern des Regimes niederknüppeln lassen, sind längst aus den westlichen Medien verschwunden. Hunderte von politischen Gefangenen, darunter der 80-jährige erste Außenminister der Islamischen Republik Ibrahim Yazdi, die seit vielen Monaten unter elenden Bedingungen in iranischen Gefängnissen schmachten, erscheinen von der Welt vergessen. Nur gelegentlich erwähnen sie pflichtschuldig UNO oder manche Vertreter westlicher Regierungen. Einzig das Phantom der iranischen Atombombe und die Ängste naher und ferner Länder beherrschen wieder die Berichterstattung über die „Islamische Republik“. Vergessen sind auch Millionen von Iranern, die von ihren tyrannischen Herrscher qualvoll terrorisiert werden. Kaum Beachtung wurde auch jenen Studenten geschenkt, die sich am „Studententag“ zum Protest gegen „Mahmud, du Verräter“ (gemeint ist Präsident Ahmadinejad) in die Straßen iranischer Städte wagten. Seit Gründung der „Islamischen Republik“ ruft das Regime in Erinnerung an bei anti-amerikanischen Demonstrationen 1953 unter dem Schah ermordete Studenten die lernende Jugend des Landes zu Kundgebungen auf. Im Vorjahr nutzten Zehntausende empörte Iraner diesen Gedenktag, dem 7. Dezember, zu Demonstrationen gegen die manipulierte Wiederwahl Ahmadinedschads. Blut und Gefängnis waren die Folge. Bis zu 80 Studenten, viele davon Führer einst einflussreicher Studentenorganisationen sitzen immer noch in Haft.Sind es die Terrormethoden der Despoten, ihre bedingungslose Zensur und bedrohliche Einschüchterung oder ist es die Gleichgültigkeit des Westens, die verhindern, dass der Großteil der freien Welt über das anhaltende Aufbäumen der Geknechteten erfährt? „Es ist schwer zu erkennen, was wirklich (am 7. Dezember) geschah“, gesteht die informative iranische Website „Tehran Bureau“ ein. Berichte von Studenten-Demonstrationen in zahlreichen Städten dringen an die Öffentlichkeit, von frustrierten Jugendlichen, die den „Geistlichen Führer“ Khamenei auffordern „die Stimmen der Studenten zu hören, bevor es zu spät ist“, von entschlossenen jungen Studierenden, die „die Universitäten als letzte Bastion der Freiheit“ unter allen Umständen verteidigen wollen, und von den Führern der oppositionellen „Grünen Bewegung“, Mussawi und Karrubi, die die lernende Jugend des Landes bedrängen, doch ja nicht „die Hoffnung“ zu verlieren. Mehr als 50 Demonstranten sollen verhaftet worden sein. Vielleicht noch mehr.
Seit dem offensichtlichen Wahlbetrug im Juni 2009 und den darauf folgenden monatelangen Massenprotesten sind Irans Universitäten zum Hauptziel der Bemühungen Ahmadinedschads und der ihn stützenden Revolutionsgarden geworden, ihre Macht zu konsolidieren und den Widerstand zu brechen.
Dass dies jedoch auch außerhalb der höchsten Lehranstalten nicht gelang, gestand eben der Vorsitzende des mächtigen „Wächterrates“, Ahmad Janati ein: Trotz des Einsatzes von repressiven Methoden hätte der „Feind“ nicht vollständig eliminiert werden können. Es ist das erste Mal, dass ein hoher Vertreter des „Gottesstaates“ offen und ausdrücklich die Anwendung von Unterdrückungsmethoden gegen die Masse der gewaltlos demonstrierenden Iraner einbekannt und auch gleich noch zugab, dass diese ihre volle Wirkung verfehlt hätten. Janati gilt zudem als der ideologisch Hauptverantwortliche der ungeheuerlichen Brutalitäten, mit denen das Regime die Protestkundgebungen niedergeschlagen hatte.
Alarmiert zeigt sich auch Ataollah Salehi, Oberkommandierender der iranischen Armee. Er beklagt „Verhetzung“ in den Reihen der Streitkräfte und warnt, „niemand soll glauben, dass die Armee gegenüber Aufwieglern (gemeint sind Sympathisanten der „Grünen Bewegung) Milde walten lässt“. Die Armee war, im Gegensatz zu den ideologisch indoktrinierten Revolutionsgarden, nicht zur Niederschlagung der Demonstrationen eingesetzt worden. Das offizielle Bekenntnis des Generals lässt darauf schließen, dass es der „Grünen Bewegung“ im Laufe des vergangenen Jahres gelungen ist, die Streitkräfte, wie auch andere Institutionen der „Islamischen Republik“ zu beeinflussen.
Die „Grüne Bewegung“ zeigt sich in den Straßen der Städte weit seltener als vor einem Jahr, doch sie stellt zweifellos die weitgehend „schweigende Mehrheit“. Mussawi setzt offenbar längst nicht mehr auf die Macht der Straße, um Freiheiten und den Sturz Ahmadinedschads durchzusetzen, sondern auf einen internen Zersetzungsprozeß des despotischen Regimes. Dabei hilft zweifellos auch die erstaunliche Zivilcourage vieler Iraner, die ungeachtet der massiven Repression zum Widerstand entschlossen bleibt. So machen in Blogs und auf Internetseiten Berichte über iranische Bürger die Runde, die Augenzeugen von Festnahmen anderer durch die paramlitärische Bassidsch oder die Revolutionsgarden werden und physisch, verbal oder mit Hilfe der Handy-Kameras dies zu verhindern versuchen. Als Folge davon haben Sicherheitskräfte begonnen, unliebsame Bürger nicht mehr in der Öffentlichkeit abzuschleppen, denn jeder Polizist fürchtet heute, beobachtet, mit Fotos oder Videos abgelichtet und im Internet präsentiert zu werden.
Auch wenn es an der Oberfläche ruhig erscheint, herrscht im „Gottesstaat“ immer noch Hochspannung. Mehr als der Konflikt mit der „Grünen Bewegung“ setzt Ahmadinedschad der Machtkampf mit den islamischen Fundamentalisten unter Führung Parlamentssprechers Ali Laridschani zu. Seit einigen Wochen läuft im Parlament eine Aktion, Ahmadinedschad zur Rechenschaft zu ziehen und ein Amtsenthebungsverfahren gegen ihn einzuleiten. Die Vorwürfe lauten: Versuche zur Zentralisierung der Macht in seinen Händen; Verletzung iranischen Rechts, da er ohne Zustimmung des Parlaments 590 Mio. Dollar aus dem Reservefonds der Zentralbank abgezogen hatte, und katastrophales Mismanagement der Wirtschaft.
Doch solange Khamenei eine Entmachtung seines Schützlings nicht billigt, können auch die Abgeordneten Ahmadinedschad nichts anhaben. Und der „Führer“ hat all sein Prestige in diesen ungeliebten Präsidenten gesteckt, ihm jetzt den politischen Todesstoß zu versetzen, könnte seinen eigenen Untergang besiegeln.
Die Erhaltung seiner Macht für sich und seine Familie aber erscheint Khameneis Hauptsorge zu sein. Wikileaks löste mit den von ihm publizierten Informationen aus amerikanischen diplomatischen Quellen über die tödliche Krankheit (Leukämie im Endstadium) des „Geistlichen Führers“ eine Flutwelle an Gerüchten und Spekulationen im Iran aus. Seit mehr als einem Jahrzehnt munkeln Iraner bereits über eine tödliche Krankheit ihres teilweise tief verhassten Herrschers. Sein unmittelbar bevorstehender Tod wurde wiederholt prophezeit. Ob der Bericht amerikanischer Diplomaten, der sich auf einen engen Vertrauten von Ex-Präsident Rafsandschani stützt, vielleicht nur eine gezielte Fehlinformation dieses Meisters der politischen Tricks und Intrigen ist, um für sich das Tor zur höchsten Macht im „Gottesstaat“ zu öffnen, muss vorerst offen bleiben.
Fest steht jedoch, dass Khamenei durch seinen jüngsten, höchst ungewöhnlichen Besuch in der Heiligen Stadt Qom das Feuer in der Gerüchteküche heftig geschürt hat. Dabei habe er sich, so munkelt man im Iran, um Unterstützung der Großayatollahs, insbesondere Hossein Vahid Khorasanis, für seinen Sohn Mojtaba als seinen Nachfolger bemüht. Khorasani, ein ehemaliger Lehrer Mojtabas, habe sich – offenbar aus prinzipiellen Auffassungsunterschieden – geweigert, Khamenei zu treffen. Ohne Unterstützung der Großayatollahs hat Khamenei keine Chance, seinen Sohn als Nachfolger zu küren. Es sei denn, er nähme de Mantel des Imams an, den sein Vorgänger und Revolutionsführer Khomeini getragen hatte und der ihn, ungeachtet seiner minderen theologischen Qualifikationen, zum neuen „Führer“ bestimmt hatte. Seit einiger Zeit lässt sich Khamenei von seinen Getreuen „Imam“ nennen.
Bild: Die Studenten schweigen nicht. Ingenieurshochschule Teheran. Quelle: Weblog von Ali Schirasi
Freitag, 10. Dezember 2010
IRAN: Anhaltende Turbulenzen unter der Oberfläche
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