Ein Artikel über die Königsfamilie kostet die Freiheit – Internationale Appelle zugunsten Prof. Mohammed Abdulkarims
von Birgit Cerha
Es ist gar nicht lange her, das Saudi-Arabiens König Abdullah die Bürger seines ölreichen Wüstenstaates ermutigte, ihre „legitimen Sorgen“ auszusprechen. Wer aber solche Empfehlung ernst meint, hat viel im Reiche der al-Sauds zu riskieren. Das erfuhr eben Mohammed Abdulkarim, Professor für islamisches Recht an der Imam Mohamed bin Saud-Universität in Riad, Menschenrechtsaktivist und Chefredakteur des online Magazins Mutamar Al-Umma. Der reformorientierte Intellektuelle sitzt seit 5. Dezember im Al-Hayer Gefängnis von Riad, wohin das Königshaus unbequeme Kritiker und politische Gegner zu verbannen pflegt.
Abdulkarims „Verbrechen“ war die Veröffentlichung einer Abhandlung über die königliche Familie zunächst auf seinem Facebook und später auf diversen Online-Sites. Die Reaktion der Behörden, die den Professor von vier Geheimdienstlern in zivil aus seinem Haus abholen ließen, illustriert die enorme Empfindlichkeit der autokratischen Herrscher, wenn es um Berichterstattung oder Spekulationen über das Königshaus und dessen Zukunft geht, zumal der Artikel nur einen Tag nach einer Operation erschien, der sich der 87-jährige Abdullah in den USA unterzogen hatte. (siehe IFAMO-Artikel „Krise in Saudi-Arabiens Gerontokratie“)
In seinem Artikel „Suche nach dem Schicksal des saudischen Volkes“ setzte sich Abdulkarim mit der Frage der Nachfolge für König Abdullah und Streitigkeiten innerhalb der Herrscherfamilie auseinander. Er wagte sich sogar so weit vor, ein Auseinanderbrechen des Königreiches im Falle von Abdullahs Tod nicht auszuschließen. „Was, wenn die Familie durch interne Konflikte oder durch äußere Faktoren zerrissen wird? Soll die Einheit (des Königreichs) und das Schicksal des Volkes davon abhängen, ob die königliche Familie bleibt oder geht?.... Einige der Staatsmänner wollen ein Regime erhalten, das nur ihre eigenen Interessen schützt und dies wird durch Autokratie, Hegemonie, Gier, Manipulation und Bestechung“ ermöglicht.
Saudische und internationale Appelle zur Freilassung des liberalen Professors fruchteten bisher nichts. Abdulkarim bleibt – ohne Anklage – in Haft. Jeglicher Kontakt zu seiner Familie wird ihm verwehrt. In einer umfangreichen Kampagne setzen sich Saudis im Internet für das jüngste Opfer saudischer Repression ein. Der Fall hat zugleich eine intensive Diskussion über die Meinungsfreiheit im Königreich vom Zaum gebrochen. Das saudische „Human Rights Observatory“ prangert diese klare Verletzung der Menschenrechte offen an und spricht von einer sich vertiefenden, gefährlichen Kluft zwischen der Königsfamilie und deren Untertanen.
Nur wenige Länder der Welt treten Meinungsfreiheit so unerbittlich mit Füßen, wie Washingtons engster Verbündeter am Persischen Golf. „Reporter ohne Grenzen“ stuft das Königreich auf seiner Liste von 178 Pressefreiheit achtenden Ländern an 157. Stelle ein.
Und Abdulkarim ist keineswegs das einzige Opfer. Wieviele Gewissensgefangene in saudischen Gefängnissen schmachten ist unklar. Einsatz für politische Reformen haben bereits zahlreiche Saudis hinter Gittern gebracht. So ist etwa der Publizist und Menschenrechtsaktivist Mekhlef bin Dahhawal-Shammari seit Juni in Haft, weil er es gewagt hatte, politische und religiöse Führer zu kritisieren.
Besonders radikal gehen die Behörden gegen das Internet vor. Offiziell heißt es, sie hätten an die 400.000 Websites blockiert, vor allem jene, die sich mit religiösen Fragen, Menschenrechten und liberalen, oppositionellen Ansichten befassen. Mit Hilfe einer Fülle von Gesetzen versucht das Königshaus den so bedrohlichen Teufel des Internets in Schach zu halten, zu verhindern, dass das Internet zu einem Forum freier Diskussion wird, die die al-Sauds bisher so effizient zu ersticken vermochten. Dennoch benützen heute nach Schätzungen 38 Prozent der Bevölkerung das Internet und die Zahlen steigen, trotz drakonischer Restriktionen. So wurden etwa in Internet Cafes versteckte Kameras installiert, den Besitzern droht bis zu zehn Jahre Gefängnis, wenn ihre Einrichtung zur Verbreitung von Informationen benutzt wird, die den „Werten des Königreiches“ widersprechen.
Solch scharfe Kontrollen zeigen die Entschlossenheit des Regimes, unter allen Umständen die derzeit herrschende höchst restriktive soziale Ordnung aufrecht zu erhalten.
Bild: Mohammed Abdulkarim
Freitag, 10. Dezember 2010
SAUDI-ARABIEN: Die Ängste der Autokraten
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