Freitag, 26. Februar 2010
IRAK: Kein „gescheiterter Staat“ mehr?
Sieben Jahre nach Kriegsbeginn blockieren immer noch gigantische Probleme den Weg zum Ölgiganten und den Wiederaufbau des kriegszerstörten Landes
von Birgit Cerha
Ungeachtet manch blutiger Rückschläge verdrängt die Politik im kriegsgequälten Irak mehr und mehr die Gewalt. Und damit wächst die Hoffnung, dass das Zweistromland mit seinen unermesslichen Natur- und Bodenschätzen endlich den Weg zur Stabilität einschlägt und die durch Diktatur, Kriege und internationale Sanktionen so lange gequälten Bürger Hoffnung auf ein würdevolles Leben und einen gerechten Anteil am Reichtum ihrer Heimat schöpfen können.
Während sieben Jahre nach Beginn des von den USA geführten Feldzugs gegen Diktator Saddam Hussein am 20. März 2003 die Träume der neo-konservativen Herrscher in Washington unter dem damaligen Vizepräsidenten Cheney von einem Irak verflogen sind, dessen riesige Ölfelder sich US-Konzernen grenzenlos öffnen, schwelgt die Regierung in Bagdad in Visionen raschen Reichtums, Eroberung des internationalen Ölmarktes und neuer geostrategischer Macht.
Der Irak, so meinen denn auch US-Diplomaten, sei heute kein „gescheiterter Staat“ mehr. Und zehn internationale Ölkonzerne, die im Vorjahr harte Bedingungen für die Entwicklung riesiger Ölfelder akzeptiert hatten, beginnen nun mit einer gigantischen Arbeit. In nur sieben Jahren soll Iraks Ölproduktion auf zwölf Millionen Barrel im Tag fast verfünffacht werden. Damit will Bagdad Saudi-Arabien von der Weltspitze der Ölproduzente verdrängen. In den Verträgen mit den Konzernen sichert sich Bagdad den Hauptgewinn und besteht zugleich darauf, dass mindestens 85 Prozent der in diesem Bereich Beschäftigten Iraker sein müssen. Arbeitsplätze für 1,3 Millionen Bürger sollen so geschaffen werden.
Iraks Ölindustrie leidet unter den Folgen jahrzehntelanger Vernachlässigung und seit 2003 immer wiederkehrender Sabotageakte. Deshalb liegt die Produktion immer noch mit etwa 100.000 Barrel pro Tag unter dem Vorkriegsstand. Dass sich dies rasch ändern könnte, wagen aber nur die größten Optimisten zu hoffen. Noch ist die Terrorgefahr nicht vollends gebannt, Infrastruktur und Logistik müssen von Null aufgebaut, lange Straßenverbindungen durch die Wüste gezogen, Hunderte Kilometer von Pipelines verlegt, unzählige Pumpstationen errichtet werden. Auch die Exporteinrichtungen stellen die Industrie vor enorme Probleme. Der einzige Terminal, bei Umm Kasr am Persischen Golf ist gefährlich altersschwach. Der internationale Anlagenbaukonzern Foster Wheeler verlegt derzeit drei neue Pipelines und baut vier Offshore-Verankerungssysteme für Tanker nahe der Hafenstadt Basra. Doch dies reicht längst nicht aus. Eine Erweiterung der bestehenden Pipeline von der nördlichen Ölstadt Kirkuk in die Türkei wird erwogen. Doch Gespräche darüber haben noch nicht einmal begonnen. Eine Pipeline nach Syrien kann wegen politischer Schwierigkeiten nicht repariert werden.
In anderen Sektoren lassen sich aber Fortschritte erkennen. So gibt es vor allem im Süd-Irak ein funktionierendes Bankensystem. Ein großer Teil der wirtschaftlichen Entwicklung basiert hier auf Vertrauen und schiitischen Netzwerken. Insgesamt laufen jetzt Aufträge im Milliardenbereich für Infrastrukturprojekte an. Beinahe 10.000 ausländische Firmen und Investoren sind im Irak registriert, US-Unternehmen an der Spitze.
Der Nachholbedarf ist gigantisch. Immer noch können nur 73 Prozent des landesweiten Strombedarfs gedeckt werden, trotz enormer amerikanischer und irakischer Investitionen.
Die Kraftwerke arbeiten im Schnitt nur mit halber Kapazität. Einerseits werden sie aufgrund einer jahrelangen Dürre nicht mehr ausreichend mit Wasser versorgt. Anderseits fehlt es für effizientes Management an irakischen Fachkräften, da bis zum Krieg 2003 Iraks Energiesystem überwiegend von Ausländern betreut wurde, die das Land längst verlassen haben. Viele Anlagen werden deshalb seit Jahren nicht gewartet, sind beschädigt oder ineffizient.
Der Nachholbedarf ist gigantisch. Immer noch können nur 73 Prozent des landesweiten Strombedarfs gedeckt werden, trotz enormer amerikanischer und irakischer Investitionen.
Die Kraftwerke arbeiten im Schnitt nur mit halber Kapazität. Einerseits werden sie aufgrund einer jahrelangen Dürre nicht mehr ausreichend mit Wasser versorgt. Anderseits fehlt es für effizientes Management an irakischen Fachkräften, da bis zum Krieg 2003 Iraks Energiesystem überwiegend von Ausländern betreut wurde, die das Land längst verlassen haben.
Mangel an Fachkräften quält auch andere Sektoren, denn Krieg und Gewalt haben mehr als zwei Millionen Iraker, insbesondere der gebildeteren Schichten, ins Ausland getrieben. Die wenigsten wagen sich bisher wieder heim. So haben die USA seit 2003 im Irak für etwa 53 Mrd. Dollar zahlreiche Spitäler, Wasseraufbereitungsanlagen, Schulen und Brücken gebaut. Immer wieder, wenn Projekte, wie etwa das Ibn Sina Spital in Bagdad, das größte militärische Gesundheitszentrum der Amerikaner im Land, der Regierung übergeben wurden, konnte sie den Betrieb nicht aufnehmen, weil es an ausgebildetem Personal und Ausstattung fehlte.
Staatliche Dienstleistungen funktionieren höchst mangelhaft. In Kut etwa klagen Bewohner, „die Stadt schläft auf einem Berg von Müll.“ Nach Angaben der Regierung haben mehr als 40 Prozent der Iraker immer noch keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser.
Zudem sind Experten davon überzeugt, dass die Unfähigkeit der Politiker, wichtige Wirtschaftsgesetze zu verabschieden, endlose Querelen unter den ethnischen und religiös orientierten Gruppen dem Land Milliarden von Dollar kosten. Auch in diesem Jahr klafft im staatlichen Budget ein Loch von 19,6 Mrd. Dollar. Zudem versackte ein erheblicher Teil des Geldes durch Inkompetenz und Korruption (der Irak ist laut „Transparency International“ unter US-Schutz heute einer der korruptesten Staaten der Welt) oder floss in den Krieg gegen den Widerstand.
Trotz massiven Drängens der USA konnte das Parlament bis heute kein Ölgesetz verabschieden, obwohl man erkennt dass dies „essentiell für die Zukunft des Landes“ ist (so Amira al Baldawi, Mitglied der parlamentarischen Wirtschaftskommission). Es gibt keine geordnete Steuergesetzgebung, keine Zollregelungen. Irakische Märkte werden mit importierten Waren zu niedrigsten Preisen überschwemmt, Dumping wird durch keine gesetzlichen Regelungen verhindert. „Dies“ – so klagt der Chef der irakischen Handelskammer, Rgheb Bulaybel – „wird Tausende (dem Dumping) schutzlos ausgelieferten irakische Fabriken vernichten.“ Die Wirtschaft, so Bulaybel, „steckt in einer sehr schweren Krise, denn wir wollten mit der totalitären Wirtschaftspolitik“ Saddam Husseins brechen. Doch das „für einen reibungslosen Übergang“ zu einer freien Marktwirtschaft nötige Klima würde bis heute nicht geschaffen.
Ob eine aus den Parlamentswahlen am 7. März hervorgegangene neue Regierung das Land aus seiner politischen Lähmung zu reißen vermag, wird sich als schicksalhaft für die Zukunft des Iraks erweisen.
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Iraks Ölschätze
Der Boden des Zweistromlandes birgt nach Expertenschätzungen mindestens doppelt so viel Öl wie die bisher nachgewiesenen 115 Mrd. Barrel. Der Irak würde damit vom viertgrößten Ölstaat nach Iran, Kanada und Saudi-Arabien auf den ersten Platz rücken.
Zehn internationale Konzerne hatten in zwei einzigartigen Auktionen im Juni und im Dezember 2009 harte irakische Bedingungen akzeptiert und Aufträge zur Entwicklung riesiger Ölfelder errungen. Royal Dutch Shell und die staatliche Petronas aus Malaysia zählten zu den Hauptgewinnern und werden gemeinsam die Förderung aus dem riesigen Majnoon-Feld mit seinen nachgewiesenen 12,5 Mrd. Barrel von derzeit 46.000 auf 1,8 Mio. Barrel im Tag steigern. Die russische Lukoil und die norwegische Statoil erhielten Zuschläge für das ebenso große West-Qurna-2-Feld und Gazrpom (Russland) China National Petroleum, Sonangol (Angola) sowie Total (Frankreich) kamen ebenso mit Bagdad groß ins Geschäft. Nur zwei US-Ölkonzerne, Exxon Mobil und Occidental Petroeum gewannen Förderaufträge im neuen Irak. Im Öl-Service-Sektor, der in den kommenden zwei bis drei Jahren riesige Aufträge erhalten wird, stehen amerikanische Firmen allerdings an vorderster Front.
Die Ölkonzerne werden lediglich einen fixen Prozentsatz für jedes geförderte Fass, und nicht einen Prozentsatz des Verkaufsertrages erhalten. Premier Maliki bekräftigte eben, dass keine neuen Verträge mit ausländischen Ölkonzernen mehr geschlossen werden.
Armut inmitten des „schwarzen Goldes“
Nach einer Studie der Universität Basel leben zehn Millionen Iraker – etwa 30 Prozent der Gesamtbevölkerung – heute in absoluter Armut. Sie müssen mit weniger als zwei Dollar im Tag auskommen. Die Mehrheit dieser sozial Schwachen sind junge Menschen unter 30. Die Rate der „extrem Armen“ liegt bei fünf Prozent. Der Krieg gegen Saddam Hussein und die darauffolgende Gewalt haben eine durch 13-jährige internationale Sanktionen extrem geschwächte Gesellschaft in die Katastrophe gerissen. Misswirtschaft, Nepotismus und Korruption der neuen Herrscher haben die Kluft zwischen Arm und Reich dramatisch geöffnet. Die Arbeitslosigkeit liegt inoffiziell bei 50 Prozent. Seit 2003 fehlen jegliche soziale Einrichtungen. Der Zusammenbruch des Bildungssystems hat die Analphabetenrate dramatisch gesteigert.Verlässliche Zahlen gibt es vorerst nicht.
Immer noch liegt die Zahl internen und externen Flüchtlinge bei etwa vier Millionen. Nach einer Studie der „Disabled Peoples’ International“ in Zusammenarbeit mit den irakischen Ministerien für Arbeit und Gesundheit ist heute einer von 25 Irakern körperbehindert.
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Dienstag, 23. Februar 2010
IRAN: Teheran setzt auf Provokation
Noch im März Baubeginn für zwei neue Atomanlagen – Drohende Sanktionen könnten das intern schwer bedrängte Regime stärken
von Birgit Cerha
Wenn das iranische Regime Entscheidungen in seiner Atompolitik verkündet, dann tut es dies spätestens seit Beginn der Turbulenzen über die manipulierten Präsidentschaftswahlen im Juni primär mit Blick auf die interne Situation. So gab der schwer angeschlagene Präsident Ahmadinedschad am 11. Februar, dem Jahrestag der Revolution, stolz bekannt es sei gelungen Uran zu 20 Prozent anzureichen. Die Ablenkung der Weltöffentlichkeit von den massiven Repressionen der oppositionellen „Grünen Bewegung“ gelang beispielhaft. Und nun findet das Spiel seine Fortsetzung.
„Inshallah (so Gott will) könnten wir“im März den Bau von zwei Uran-Anreicherungsanlagen starten“, erklärte Ali Akbar Salehi, Chef der Atombehörde,Montag. Zugleich erhebt ein Sprecher des Außenministerium drohend den Finger gegenüber dem „Westen“: „Damit die Internationale Atombehörde (IAEA) ihr Prestige wahrt, erwarten wir, dass sie gewissen Ländern nicht gestattet, der internationalen Gemeinschaft durch politische Schritte ihren Willen aufzuzwingen“ und er meint damit die Bemühungen der Amerikaner und Europäer um eine UN-Resolution zur Verschärfung der internationalen Sanktionen gegen den Iran.
Wo hier taktisches Manöver zu politischen Zwecken – Verbesserung der Ausgangsposition für eventuelle Verhandlungen über das Atomprogramm, Aufstachelung nationaler Gefühle im Inneren – aufhört und reale Umsetzung bekundeter Absichten beginnt, ist seit Wochen Gegenstand von Diskussionen unter internationalen Experten. Fest steht, dass die IAEA die Anreicherung einer kleinen Menge Urans auf 20 Prozent in der Anlage von Natanz bestätigt. Doch darüber hinaus bleiben beträchtliche Zweifel angebracht. Nicht einmal Natanz, die vorerst einzige Anlage, in der Uran angereichert werden kann, funktioniert bisher technisch reibungslos. Auch bei der angelaufenen Anreicherung des Urans auf bis zu 20 Prozent, das für den Teheraner Medizinreaktor benötigt wird, wie es offiziell heißt, gibt es Unstimmigkeiten. Der Iran verfügt nicht über die technischen Möglichkeiten, die Brennstäbe herzustellen, die Entwicklung der Brennelemente würde Jahre in Anspruch nehmen.
Teheran hat zugesichert, den Prozeß von der IAEA überwachen zu lassen. Unter ihren Augen ließe sich unbemerkt kein Uran auf 90 Prozent anreichern. Irans „Geistlicher Führer“ hat erneut bekräftigt, dass der „Gottesstaat“ auch aus religiösen Gründen keinen Bau von Atomwaffen anstrebe.
Selbst wenn Teheran nun tatsächlich zwei weitere Anlagen baut und schließlich über genügend 90-prozentiges Uran für eine Nuklearwaffe verfügen würde, sind Experten davon überzeugt, dass der Iran nicht vor 2013 nukleares Material waffenfähig machen könnte – und dies schon gar nicht unter den Augen der IAEA, mit der die Iraner auch weiterhin kooperieren wollen.
So manches deutet darauf hin, dass die verbale Eskalation des Atomprogramms primär internen Gründen entspringt. Das Regime hat sich durch seine ungeuerlichen Brutalitäten gegen die demokratische Opposition in eine fatale Sackgasse manövriert, verschärft durch die gescheiterte Wirtschaftspolitik Ahmadinedschads, die mehr und mehr auch die sozial schwachen Massen – seine Hausmacht – trifft. Schon kommt es immer wieder zu Streiks in diversen Wirtschaftssektoren und Khamenei hat nicht vergessen, dass es vor allem die Gewerkschaften gewesen waren, die durch ihren Generalstreik zur Unterstützung der Revolution 1979 dem Schah das Genick gebrochen hatten.
Eine Verschärfung der internationalen Sanktionen böte dem Regime die Gelegenheit, die Schuld für die wachsende Misere der Bevölkerung vom Präsidenten abzulenken und den Iran als Opfer westlicher Aggressionspolitik zu präsentieren. Selbst gezielt auf die für das Atomprogramm, wie für die Repressionen verantwortlichen Revolutionsgarden gerichtete Sanktionen würden nur die Bevölkerung treffen, denn die auch die Wirtschaft des Landes dominierenden Garden sind längst für derartige Strafmaßnahmen gerüstet bereit. Zudem böten verschärfte Sanktionen dem Regime zusätzliche Möglichkeiten, Oppositionelle unter dem Vorwand der „Kollaboration mit dem Feind“ in brutal zu verfolgen. Die „Grüne Bewegung“, langfristig eine tödliche Gefahr für Khamenei und seine Häscher, würde rasch angesichts verschärften Drucks von außen zerbröckeln. Die Friedensnobepreisträgern Shirin Ebadi weiß wovon sie spricht, wenn sie an den Westen appelliert, das iranische Regime politisch und diplomatisch zu strafen, doch ja nicht ökonomisch.
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von Birgit Cerha
Wenn das iranische Regime Entscheidungen in seiner Atompolitik verkündet, dann tut es dies spätestens seit Beginn der Turbulenzen über die manipulierten Präsidentschaftswahlen im Juni primär mit Blick auf die interne Situation. So gab der schwer angeschlagene Präsident Ahmadinedschad am 11. Februar, dem Jahrestag der Revolution, stolz bekannt es sei gelungen Uran zu 20 Prozent anzureichen. Die Ablenkung der Weltöffentlichkeit von den massiven Repressionen der oppositionellen „Grünen Bewegung“ gelang beispielhaft. Und nun findet das Spiel seine Fortsetzung.
„Inshallah (so Gott will) könnten wir“im März den Bau von zwei Uran-Anreicherungsanlagen starten“, erklärte Ali Akbar Salehi, Chef der Atombehörde,Montag. Zugleich erhebt ein Sprecher des Außenministerium drohend den Finger gegenüber dem „Westen“: „Damit die Internationale Atombehörde (IAEA) ihr Prestige wahrt, erwarten wir, dass sie gewissen Ländern nicht gestattet, der internationalen Gemeinschaft durch politische Schritte ihren Willen aufzuzwingen“ und er meint damit die Bemühungen der Amerikaner und Europäer um eine UN-Resolution zur Verschärfung der internationalen Sanktionen gegen den Iran.
Wo hier taktisches Manöver zu politischen Zwecken – Verbesserung der Ausgangsposition für eventuelle Verhandlungen über das Atomprogramm, Aufstachelung nationaler Gefühle im Inneren – aufhört und reale Umsetzung bekundeter Absichten beginnt, ist seit Wochen Gegenstand von Diskussionen unter internationalen Experten. Fest steht, dass die IAEA die Anreicherung einer kleinen Menge Urans auf 20 Prozent in der Anlage von Natanz bestätigt. Doch darüber hinaus bleiben beträchtliche Zweifel angebracht. Nicht einmal Natanz, die vorerst einzige Anlage, in der Uran angereichert werden kann, funktioniert bisher technisch reibungslos. Auch bei der angelaufenen Anreicherung des Urans auf bis zu 20 Prozent, das für den Teheraner Medizinreaktor benötigt wird, wie es offiziell heißt, gibt es Unstimmigkeiten. Der Iran verfügt nicht über die technischen Möglichkeiten, die Brennstäbe herzustellen, die Entwicklung der Brennelemente würde Jahre in Anspruch nehmen.
Teheran hat zugesichert, den Prozeß von der IAEA überwachen zu lassen. Unter ihren Augen ließe sich unbemerkt kein Uran auf 90 Prozent anreichern. Irans „Geistlicher Führer“ hat erneut bekräftigt, dass der „Gottesstaat“ auch aus religiösen Gründen keinen Bau von Atomwaffen anstrebe.
Selbst wenn Teheran nun tatsächlich zwei weitere Anlagen baut und schließlich über genügend 90-prozentiges Uran für eine Nuklearwaffe verfügen würde, sind Experten davon überzeugt, dass der Iran nicht vor 2013 nukleares Material waffenfähig machen könnte – und dies schon gar nicht unter den Augen der IAEA, mit der die Iraner auch weiterhin kooperieren wollen.
So manches deutet darauf hin, dass die verbale Eskalation des Atomprogramms primär internen Gründen entspringt. Das Regime hat sich durch seine ungeuerlichen Brutalitäten gegen die demokratische Opposition in eine fatale Sackgasse manövriert, verschärft durch die gescheiterte Wirtschaftspolitik Ahmadinedschads, die mehr und mehr auch die sozial schwachen Massen – seine Hausmacht – trifft. Schon kommt es immer wieder zu Streiks in diversen Wirtschaftssektoren und Khamenei hat nicht vergessen, dass es vor allem die Gewerkschaften gewesen waren, die durch ihren Generalstreik zur Unterstützung der Revolution 1979 dem Schah das Genick gebrochen hatten.
Eine Verschärfung der internationalen Sanktionen böte dem Regime die Gelegenheit, die Schuld für die wachsende Misere der Bevölkerung vom Präsidenten abzulenken und den Iran als Opfer westlicher Aggressionspolitik zu präsentieren. Selbst gezielt auf die für das Atomprogramm, wie für die Repressionen verantwortlichen Revolutionsgarden gerichtete Sanktionen würden nur die Bevölkerung treffen, denn die auch die Wirtschaft des Landes dominierenden Garden sind längst für derartige Strafmaßnahmen gerüstet bereit. Zudem böten verschärfte Sanktionen dem Regime zusätzliche Möglichkeiten, Oppositionelle unter dem Vorwand der „Kollaboration mit dem Feind“ in brutal zu verfolgen. Die „Grüne Bewegung“, langfristig eine tödliche Gefahr für Khamenei und seine Häscher, würde rasch angesichts verschärften Drucks von außen zerbröckeln. Die Friedensnobepreisträgern Shirin Ebadi weiß wovon sie spricht, wenn sie an den Westen appelliert, das iranische Regime politisch und diplomatisch zu strafen, doch ja nicht ökonomisch.
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Wem dient die Gefangenahme des Mullah Baradar?
Postionsgefechte unter den Geheimdiensten CIA und ISI
von Dr. Arnold Hottinger
Die widersprüchlichen Meldungen und Kommentare, welche die Gefangennahme in Karachi des hochstehenden Kommandanten der afghanischen Taleban, Mullah Abdul Ghani Baradar, ausgelöst hat, lassen erkennen, dass sich die Verhaftung vor dem Hintergrund eines Kräfteringens zwischen der amerikanischen CIA und dem pakistanischen ISI abspielt. Beide Geheimagenturen stehen offenbar in einem Spannungsverhältnis, ausgelöst durch die Frage, wer die Kontakte mit den afghanischen Taleban steuern soll, die im Hintergrund offensichtlich bereits begonnen haben.
Verhandlungen mit den Taleban stehen auf dem politischen Programm der Amerikaner. Sie möchten solche führen mit dem Ziel möglichst viele der Taleban Kämpfer abzuspalten und auf ihre Seite, d.h. auf die der Karzai Regierung, zu bringen. Doch die offizielle Politik ist: die gegenwärtige Offensive in Helmand und vielleicht noch andere künftige Militäraktionen sollen zuerst das bestehende Macht-Gleichgewicht zu Gunsten der Amerikaner, der Nato Truppen und der Karzai Regierung verschieben, damit diese dann mit den Taleban aus einer Position der Stärke verhandeln können.
Trotzdem haben schon jetzt Versuche begonnen, mit Taleban Untergruppen zu sprechen, um ihre Kämpfer zum Übergehen zu veranlassen, und gleichzeitig fanden Kontaktversuche auf höherer Ebene in Saudi Arabien statt, die darauf abzielten, Gespräche mit der Führung der Taleban über Vermittler aufzunehmen, die frühere Mitkämpfer der Taleban waren, aber heute eher auf Seiten der Karzai Regierung stehen. Der bekannteste von ihnen ist Abdul Salam Zaeef, der einstige Botschafter der Taleban in Islamabad, der vier Jahre in Guatanamo verbachte, ein Buch über seine Erfahrungen dort und ein zweites über sein „Leben mit den Taleban“ verfasst hat und seit 2005 in Kabul lebt.
Die Taleban haben dementiert, dass sie solche Verhandlungen geführt hätten. Doch jedenfalls haben Annhäherungsversuche stattgefunden. Andere Stränge scheinen über Dubai zu laufen.
ISI, der enflussreiche Geheimdienst der pakistanischen Armee hat seinerseits offen die Forderung gestellt, Pakistan – das heisst ISI selbst – solle die Gespräche mit den Taleban führen. Man könnte nicht behaupten, sagte „ein hochgestellter Pakistanischer Geheimdienstoffizier“ , „dass wir wichtige Verbündete sind, wenn man gleichzeitig mit den Leuten verhandelt, die wir jagen und uns dabei ausschliesst.“ Der Offizier habe hinzugefügt: „Wir sind hinter Mullah Baradar her. Wir glauben fest, dass die USA mit ihm Kontakt halten oder mit Leuten, die ihm nahe stehen“.
Nach Lyse Doucet, Pakistan’s Push for a New Role in Afghanistan, BBC News: http://news.bbc.co.uk/go/pr/fr/-/2/hi/south_asia/8521823. Über die Überläufer vgl. When Taleban Fighters change sides, http://news.bbc.co.uk/go/pr/fr/-/2/hi/programmes/from_our_own_correspondent/8520754.stm
Published: 2010/02/18 15:51:34 GMT
ISI und die afghanischen Taleban sind alte Partner und die meisten Beobachter glauben, dass die alten Verbindungen bis heute nicht abgebrochen sind. ISI hatte einst in den 90er Jahren die Taleban ins Leben gerufen und ihren Einsatz in Afghanistan stark unterstützt wenn nicht gar geleitet. Dies war mit dem Ziel geschehen, Pakistan in seinem nödlichen Nachbarland Einfluss zu verschaffen und den Einfluss der Rivalenmacht, Indien, zurückzudrängen. Seither sah ISI die Taleban immer als ein mögliches Werkzeug an, um in Afghanistan (und möglichereise sogar in Kashmir) die pakistanischen Interessen zu fördern.
Als die Amerikaner 2002 die Taleban in Afghanistan besiegten und zur Flucht nach dem Norden zwangen, sorgte ISI dafür, dass viele der führenden afghanischen Taleban in Pakistan, die meisten in Quetta, Zuflucht für sich und ihre Familien fanden. Dies geschah wohl im Hinblick auf eine Zukunft, in welcher die Amerikaner und Nato aus Afghanistan abziehen würden, Pakistan jedoch ein unverrückbarer Nachbar Afghanistans bleibt.
Heute wirft ISI Karzai vor, er erlaube Indien in seinem Land Einfluss zu gewinnen, und es besteht auch einiger Verdacht, dass die Amerikaner ebenfalls heimlich „auf der Seite Indiens“ stünden. Pakistan sieht immernoch Indien als seinen Hauptfeind an, und neigt dazu, die Lage nach dem Grundsatz zu beurteilen: der Freund meines Feindes kann nicht mein Freund sein. Ein weiterer Reibungspunkt zwischen den Verbündeten, Pakistan und USA, sind die Drohnen- und Raketenangriffe auf Ziele in der pakistanischen Grenzzone, die sich gegen Taleban Kämpfer richten (pakistanische und afghanische Taleban) aber immer auch zivile Opfer fordern. Wobei auch in diesem Bereich ein ambivalentes Verhältnis besteht. Die Pakistani protestieren gegen die Angriffe „auf pakistanisches Territorium“, doch glauben viele Beobachter, dass manche der Drohnen von pakistanischen Flugplätzen aus starten.
Die Gefangennahme von Baradar in Karachi und kurz darauf von zwei „Schatten-Provinzgouverneuren“ der afghanischen Taleban in Belutschistan, Mullah Abdul Salam und Mullah Mir Muhammed, begleitet von der Aussage des pakistanischen Innenminsters, diese Gefangenen würden nicht an die Amerikaner ausgeliefert werden, lässt vermuten, dass die pakistanischen Geheimdienste zu den Verhaftungen schritten, weil sie wussten oder vermuteten, die Amerikaner hätten Kontakt aufgenommen oder suchten Kontakt mit den Taleban Chefs, um ihre Vorverhandlungs-Kontakte weiter auszubauen. Um nicht übergangen zu werden, versicherten sie sich der Person des wichtigsten der möglichen Unterhändler oder Kontaktleute.
Die Amerikaner wie viele andere Beobachter glauben, dass ISI sehr wohl weiss, wo sich die obersten Leiter der afghanischen Taleban befinden, die in Pakistan Asyl geniessen, Mullah Omar, ihr oberster Chef, nicht ausgeschlossen. Dies dürfte auch für seinen „zweiten Mann“, Baradar, der Fall gewesen sein.
Präsident Karzai in Kabul sucht seinerseits, die Verhandlungen mit den Taleban unter seine Aufsicht zu nehmen, und es besteht ein offensichtlicher Antagonismus zwischen seinen Geheimdiensten, dem Directorate of National Security, und dem pakistanischen ISI. Doch Kabul dürfte gezwungen sein, mit der CIA zusammenzuarbeiten, was schwerlich etwas anderes bedeuten kann als dass diese, sehr viel gewichtigere und mächtigere Agentur, weitgehend die Schritte Kabuls bestimmt.
Eine gute Übersicht über die Andeutungen und Vermutungen von Beteiligten und Beobachtern bietet:Gareth Porter, IPS News „Jailed Taleban Leader still a Pakistani Asset“ http://news.bbc.co.uk/go/pr/fr/-/2/hi/south_asia/8521823 . Vgl. auch: New York Review of Books Vol.57 No 3 vom 25.Febr. 2010, Ahmed Rashid: A Deal with the Taleban? http://www.nybooks.com/contents/20100225?utm_medium=email&utm_source=Emailmarketingsoftware&utm_content
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von Dr. Arnold Hottinger
Die widersprüchlichen Meldungen und Kommentare, welche die Gefangennahme in Karachi des hochstehenden Kommandanten der afghanischen Taleban, Mullah Abdul Ghani Baradar, ausgelöst hat, lassen erkennen, dass sich die Verhaftung vor dem Hintergrund eines Kräfteringens zwischen der amerikanischen CIA und dem pakistanischen ISI abspielt. Beide Geheimagenturen stehen offenbar in einem Spannungsverhältnis, ausgelöst durch die Frage, wer die Kontakte mit den afghanischen Taleban steuern soll, die im Hintergrund offensichtlich bereits begonnen haben.
Verhandlungen mit den Taleban stehen auf dem politischen Programm der Amerikaner. Sie möchten solche führen mit dem Ziel möglichst viele der Taleban Kämpfer abzuspalten und auf ihre Seite, d.h. auf die der Karzai Regierung, zu bringen. Doch die offizielle Politik ist: die gegenwärtige Offensive in Helmand und vielleicht noch andere künftige Militäraktionen sollen zuerst das bestehende Macht-Gleichgewicht zu Gunsten der Amerikaner, der Nato Truppen und der Karzai Regierung verschieben, damit diese dann mit den Taleban aus einer Position der Stärke verhandeln können.
Trotzdem haben schon jetzt Versuche begonnen, mit Taleban Untergruppen zu sprechen, um ihre Kämpfer zum Übergehen zu veranlassen, und gleichzeitig fanden Kontaktversuche auf höherer Ebene in Saudi Arabien statt, die darauf abzielten, Gespräche mit der Führung der Taleban über Vermittler aufzunehmen, die frühere Mitkämpfer der Taleban waren, aber heute eher auf Seiten der Karzai Regierung stehen. Der bekannteste von ihnen ist Abdul Salam Zaeef, der einstige Botschafter der Taleban in Islamabad, der vier Jahre in Guatanamo verbachte, ein Buch über seine Erfahrungen dort und ein zweites über sein „Leben mit den Taleban“ verfasst hat und seit 2005 in Kabul lebt.
Die Taleban haben dementiert, dass sie solche Verhandlungen geführt hätten. Doch jedenfalls haben Annhäherungsversuche stattgefunden. Andere Stränge scheinen über Dubai zu laufen.
ISI, der enflussreiche Geheimdienst der pakistanischen Armee hat seinerseits offen die Forderung gestellt, Pakistan – das heisst ISI selbst – solle die Gespräche mit den Taleban führen. Man könnte nicht behaupten, sagte „ein hochgestellter Pakistanischer Geheimdienstoffizier“ , „dass wir wichtige Verbündete sind, wenn man gleichzeitig mit den Leuten verhandelt, die wir jagen und uns dabei ausschliesst.“ Der Offizier habe hinzugefügt: „Wir sind hinter Mullah Baradar her. Wir glauben fest, dass die USA mit ihm Kontakt halten oder mit Leuten, die ihm nahe stehen“.
Nach Lyse Doucet, Pakistan’s Push for a New Role in Afghanistan, BBC News: http://news.bbc.co.uk/go/pr/fr/-/2/hi/south_asia/8521823. Über die Überläufer vgl. When Taleban Fighters change sides, http://news.bbc.co.uk/go/pr/fr/-/2/hi/programmes/from_our_own_correspondent/8520754.stm
Published: 2010/02/18 15:51:34 GMT
ISI und die afghanischen Taleban sind alte Partner und die meisten Beobachter glauben, dass die alten Verbindungen bis heute nicht abgebrochen sind. ISI hatte einst in den 90er Jahren die Taleban ins Leben gerufen und ihren Einsatz in Afghanistan stark unterstützt wenn nicht gar geleitet. Dies war mit dem Ziel geschehen, Pakistan in seinem nödlichen Nachbarland Einfluss zu verschaffen und den Einfluss der Rivalenmacht, Indien, zurückzudrängen. Seither sah ISI die Taleban immer als ein mögliches Werkzeug an, um in Afghanistan (und möglichereise sogar in Kashmir) die pakistanischen Interessen zu fördern.
Als die Amerikaner 2002 die Taleban in Afghanistan besiegten und zur Flucht nach dem Norden zwangen, sorgte ISI dafür, dass viele der führenden afghanischen Taleban in Pakistan, die meisten in Quetta, Zuflucht für sich und ihre Familien fanden. Dies geschah wohl im Hinblick auf eine Zukunft, in welcher die Amerikaner und Nato aus Afghanistan abziehen würden, Pakistan jedoch ein unverrückbarer Nachbar Afghanistans bleibt.
Heute wirft ISI Karzai vor, er erlaube Indien in seinem Land Einfluss zu gewinnen, und es besteht auch einiger Verdacht, dass die Amerikaner ebenfalls heimlich „auf der Seite Indiens“ stünden. Pakistan sieht immernoch Indien als seinen Hauptfeind an, und neigt dazu, die Lage nach dem Grundsatz zu beurteilen: der Freund meines Feindes kann nicht mein Freund sein. Ein weiterer Reibungspunkt zwischen den Verbündeten, Pakistan und USA, sind die Drohnen- und Raketenangriffe auf Ziele in der pakistanischen Grenzzone, die sich gegen Taleban Kämpfer richten (pakistanische und afghanische Taleban) aber immer auch zivile Opfer fordern. Wobei auch in diesem Bereich ein ambivalentes Verhältnis besteht. Die Pakistani protestieren gegen die Angriffe „auf pakistanisches Territorium“, doch glauben viele Beobachter, dass manche der Drohnen von pakistanischen Flugplätzen aus starten.
Die Gefangennahme von Baradar in Karachi und kurz darauf von zwei „Schatten-Provinzgouverneuren“ der afghanischen Taleban in Belutschistan, Mullah Abdul Salam und Mullah Mir Muhammed, begleitet von der Aussage des pakistanischen Innenminsters, diese Gefangenen würden nicht an die Amerikaner ausgeliefert werden, lässt vermuten, dass die pakistanischen Geheimdienste zu den Verhaftungen schritten, weil sie wussten oder vermuteten, die Amerikaner hätten Kontakt aufgenommen oder suchten Kontakt mit den Taleban Chefs, um ihre Vorverhandlungs-Kontakte weiter auszubauen. Um nicht übergangen zu werden, versicherten sie sich der Person des wichtigsten der möglichen Unterhändler oder Kontaktleute.
Die Amerikaner wie viele andere Beobachter glauben, dass ISI sehr wohl weiss, wo sich die obersten Leiter der afghanischen Taleban befinden, die in Pakistan Asyl geniessen, Mullah Omar, ihr oberster Chef, nicht ausgeschlossen. Dies dürfte auch für seinen „zweiten Mann“, Baradar, der Fall gewesen sein.
Präsident Karzai in Kabul sucht seinerseits, die Verhandlungen mit den Taleban unter seine Aufsicht zu nehmen, und es besteht ein offensichtlicher Antagonismus zwischen seinen Geheimdiensten, dem Directorate of National Security, und dem pakistanischen ISI. Doch Kabul dürfte gezwungen sein, mit der CIA zusammenzuarbeiten, was schwerlich etwas anderes bedeuten kann als dass diese, sehr viel gewichtigere und mächtigere Agentur, weitgehend die Schritte Kabuls bestimmt.
Eine gute Übersicht über die Andeutungen und Vermutungen von Beteiligten und Beobachtern bietet:Gareth Porter, IPS News „Jailed Taleban Leader still a Pakistani Asset“ http://news.bbc.co.uk/go/pr/fr/-/2/hi/south_asia/8521823 . Vgl. auch: New York Review of Books Vol.57 No 3 vom 25.Febr. 2010, Ahmed Rashid: A Deal with the Taleban? http://www.nybooks.com/contents/20100225?utm_medium=email&utm_source=Emailmarketingsoftware&utm_content
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Samstag, 20. Februar 2010
IRAN: Arabische Ratlosigkeit angesichts iranischer Bedrohung
Warum amerikanische Versuche zum Aufbau einer Front gegen Teheran immer wieder scheitern – Doch am Golf fehlt eine gemeinsame Strategie.
von Birgit Cerha
„Wann immer ein amerikanischer Außenminister in den Nahen Osten reiste, um irgendwelche komplexe Allianzen gegen den Iran zu schmieden, wurde (der Region) die Bedeutung der Phrase ‚Mangel an Glaubwürdigkeit’ neu bewusst“, schreibt der prominente Kommentator Rami Khouri im libanesischen „Daily Star“. Die jüngsten derartigen Versuche Hillary Clintons in Katar und Saudi-Arabien beschäftigen seit Tagen arabische Medien, während die Spannungen über das iranische Atomprogramm täglich steigen. Der jüngste Bericht der Internationalen Atomenergiebehörde, der zwar grundsätzlich nichts Neues enthält, doch in schärferem Ton als bisher auf die Möglichkeit verweist, dass der Iran an einem Nuklearsprengstoff arbeiten könnte, heizt die Atmosphäre zusätzlich auf und lenkt erneut – ganz im Sinne Teherans – von den unfassbaren Menschenrechtsverletzungen im „Gottesstaat“ ab.
Schon zuvor hatte Clinton Irans „Geistlichem Führer“ Khamenei dazu neue Gelegenheit geboten, als sie drohend feststellte, der Iran befände sich am Weg zu einer Militärdiktatur. Khamenei bezichtigte sie „der Lüge“ und der „Kriegstreiberei“. Der „Krieg der Worte“ eskaliert, während Washington seine Bemühungen um eine Verschärfung der internationalen Sanktionen gegen den Iran intensiviert. Sanktionen freilich bieten Präsident Ahmadinedschad die willkommene Chance, patriotische Gefühle aufzustacheln, seine internen Gegner zu isolieren, die Schuld an der hausgemachten Wirtschaftskrise dem Druck von außen zuzuschieben und die Opposition unter dem Vorwand der Kooperation mit dem Westen noch brutaler zu verfolgen.
Es sind aber nicht derartige Erwägungen, die Clintons Suche nach arabischen Verbündeten für eine Anti-Iran-Front – vorerst – scheitern ließen. Es ist vielmehr eine Mischung aus erneut wachsendem Misstrauen gegenüber der Supermacht, die – wie stets – Israel in seiner Palästinenserpolitik gewähren läßt. Es ist vielmehr eine Mischung aus Sicherheitsängsten, die Hauptlast eines Krieges (zwischen den USA/Israel und dem Iran) tragen zu müssen und totale Uneinigkeit selbst angesichts einer derart ihre Existenz bedrohenden Frage, der die Herrscher am Golf zu Zurückhaltung gegenüber amerikanischem Werben bewog.
Zwar hat der Iran insbesondere seit den verschärften Repressionen nach den manipulierten Präsidentschaftswahlen im Juni unter der Bevölkerung der arabischen Welt viel an Sympathie eingebüßt, was den Golfmonarchen eine härtere Politik unter US-Führung erleichtern würde. Anderseits aber entgeht auch den Menschen in der Region nicht was als fatale Doppelzüngigkeit der Supermacht empfunden werden muss: Clintons Argument, weil der Iran auf dem Weg zu einer Militärdiktatur voranschreite, müsse ihm durch Sanktionen Einhalt geboten werden. So spricht Rami Khoury weitverbreitete Gefühle an, wenn er darauf hinweist, dass die traditionellen Verbündeten der USA im Mittleren Osten, vor allem am Golf, Militär- und Polizeistaaten seien, die Menschenrechte mit Füßen träten.
Ängste und Orientierungslosigkeit der Herrscher am Golf traten in den vergangenen Wochen deutlich zutage. Einerseits drängten die Monarchen die Supermacht, ihre Raketenabwehrsysteme zu Land und See wesentlich zu verbessern, was in Teheran mit Verärgerung quittiert wurde. Zugleich lehnte Saudi-Arabiens Außenminister Saud al Faisal Sanktionen gegen den Iran als „unzureichend“ – da nur langfristig wirksam – ab und deutet damit an, dass eine rasche und effektive Aktion der USA wünschenswert wäre. Anderseits ist man am Golf spätestens seit der Krise im Irak überzeugt, dass Washington im Kriegsfall die Ölpotentaten nicht retten würde oder könnte. Doch zu einer eigenen, gemeinsamen politischen Strategie kann man sich nicht durchringen.
Das kleine, doch politisch starke Katar setzt allerdings mehr als die Brüder am Golf auf Dialog mit dem mächtigen Nachbarn, bewies dies gerade in den vergangenen Tagen wieder, als der Emir zunächst Clinton empfing und tags darauf den Oberbefehlshaber seiner Streitkräfte eine zu Besuch eingetroffene iranische Fregatte betreten ließ, um mit den Kollegen des Nachbarstaates über verstärkte militärische Kooperation zu beraten. Katar, wohlgemerkt, beherbergt den größten US-Militärstützpunkt in der Region. Im Falle eines amerikanischen oder israelischen Schlags gegen Irans Atomanlagen wäre der Ministaat der erste der Golfstaaten, den Gegenattacken treffen würden.
Ahmadinedschads jüngste Drohungen steigern die Panik am Golf. Ein Krieg werde im Frühling oder spätestens im Sommer ausbrechen, prophezeit der iranische Präsident und in diesem Fall würden „der Widerstand (gemeint sind die Verbündeten, die libanesische Hisbollah und palästinensische Hamas) und regionale Staaten“ Israel „erledigen“. „Wann immer Israel den Iran (verbal) bedroht, reagiert Teheran mit Drohungen gegen die Golfstaaten“, bemerkt die arabische „Asharq al Awsat“. Nun drohe der Iran Israel und dem Westen im Namen der Regionalstaaten. Doch es wäre „nicht unser“ Krieg. Alle hätten zu verlieren. Ratlosigkeit, fehlende Vision und fehlender Mut könnten angesichts dieser Krise könnten sich tatsächlich sich als fatal erweisen.
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von Birgit Cerha
„Wann immer ein amerikanischer Außenminister in den Nahen Osten reiste, um irgendwelche komplexe Allianzen gegen den Iran zu schmieden, wurde (der Region) die Bedeutung der Phrase ‚Mangel an Glaubwürdigkeit’ neu bewusst“, schreibt der prominente Kommentator Rami Khouri im libanesischen „Daily Star“. Die jüngsten derartigen Versuche Hillary Clintons in Katar und Saudi-Arabien beschäftigen seit Tagen arabische Medien, während die Spannungen über das iranische Atomprogramm täglich steigen. Der jüngste Bericht der Internationalen Atomenergiebehörde, der zwar grundsätzlich nichts Neues enthält, doch in schärferem Ton als bisher auf die Möglichkeit verweist, dass der Iran an einem Nuklearsprengstoff arbeiten könnte, heizt die Atmosphäre zusätzlich auf und lenkt erneut – ganz im Sinne Teherans – von den unfassbaren Menschenrechtsverletzungen im „Gottesstaat“ ab.
Schon zuvor hatte Clinton Irans „Geistlichem Führer“ Khamenei dazu neue Gelegenheit geboten, als sie drohend feststellte, der Iran befände sich am Weg zu einer Militärdiktatur. Khamenei bezichtigte sie „der Lüge“ und der „Kriegstreiberei“. Der „Krieg der Worte“ eskaliert, während Washington seine Bemühungen um eine Verschärfung der internationalen Sanktionen gegen den Iran intensiviert. Sanktionen freilich bieten Präsident Ahmadinedschad die willkommene Chance, patriotische Gefühle aufzustacheln, seine internen Gegner zu isolieren, die Schuld an der hausgemachten Wirtschaftskrise dem Druck von außen zuzuschieben und die Opposition unter dem Vorwand der Kooperation mit dem Westen noch brutaler zu verfolgen.
Es sind aber nicht derartige Erwägungen, die Clintons Suche nach arabischen Verbündeten für eine Anti-Iran-Front – vorerst – scheitern ließen. Es ist vielmehr eine Mischung aus erneut wachsendem Misstrauen gegenüber der Supermacht, die – wie stets – Israel in seiner Palästinenserpolitik gewähren läßt. Es ist vielmehr eine Mischung aus Sicherheitsängsten, die Hauptlast eines Krieges (zwischen den USA/Israel und dem Iran) tragen zu müssen und totale Uneinigkeit selbst angesichts einer derart ihre Existenz bedrohenden Frage, der die Herrscher am Golf zu Zurückhaltung gegenüber amerikanischem Werben bewog.
Zwar hat der Iran insbesondere seit den verschärften Repressionen nach den manipulierten Präsidentschaftswahlen im Juni unter der Bevölkerung der arabischen Welt viel an Sympathie eingebüßt, was den Golfmonarchen eine härtere Politik unter US-Führung erleichtern würde. Anderseits aber entgeht auch den Menschen in der Region nicht was als fatale Doppelzüngigkeit der Supermacht empfunden werden muss: Clintons Argument, weil der Iran auf dem Weg zu einer Militärdiktatur voranschreite, müsse ihm durch Sanktionen Einhalt geboten werden. So spricht Rami Khoury weitverbreitete Gefühle an, wenn er darauf hinweist, dass die traditionellen Verbündeten der USA im Mittleren Osten, vor allem am Golf, Militär- und Polizeistaaten seien, die Menschenrechte mit Füßen träten.
Ängste und Orientierungslosigkeit der Herrscher am Golf traten in den vergangenen Wochen deutlich zutage. Einerseits drängten die Monarchen die Supermacht, ihre Raketenabwehrsysteme zu Land und See wesentlich zu verbessern, was in Teheran mit Verärgerung quittiert wurde. Zugleich lehnte Saudi-Arabiens Außenminister Saud al Faisal Sanktionen gegen den Iran als „unzureichend“ – da nur langfristig wirksam – ab und deutet damit an, dass eine rasche und effektive Aktion der USA wünschenswert wäre. Anderseits ist man am Golf spätestens seit der Krise im Irak überzeugt, dass Washington im Kriegsfall die Ölpotentaten nicht retten würde oder könnte. Doch zu einer eigenen, gemeinsamen politischen Strategie kann man sich nicht durchringen.
Das kleine, doch politisch starke Katar setzt allerdings mehr als die Brüder am Golf auf Dialog mit dem mächtigen Nachbarn, bewies dies gerade in den vergangenen Tagen wieder, als der Emir zunächst Clinton empfing und tags darauf den Oberbefehlshaber seiner Streitkräfte eine zu Besuch eingetroffene iranische Fregatte betreten ließ, um mit den Kollegen des Nachbarstaates über verstärkte militärische Kooperation zu beraten. Katar, wohlgemerkt, beherbergt den größten US-Militärstützpunkt in der Region. Im Falle eines amerikanischen oder israelischen Schlags gegen Irans Atomanlagen wäre der Ministaat der erste der Golfstaaten, den Gegenattacken treffen würden.
Ahmadinedschads jüngste Drohungen steigern die Panik am Golf. Ein Krieg werde im Frühling oder spätestens im Sommer ausbrechen, prophezeit der iranische Präsident und in diesem Fall würden „der Widerstand (gemeint sind die Verbündeten, die libanesische Hisbollah und palästinensische Hamas) und regionale Staaten“ Israel „erledigen“. „Wann immer Israel den Iran (verbal) bedroht, reagiert Teheran mit Drohungen gegen die Golfstaaten“, bemerkt die arabische „Asharq al Awsat“. Nun drohe der Iran Israel und dem Westen im Namen der Regionalstaaten. Doch es wäre „nicht unser“ Krieg. Alle hätten zu verlieren. Ratlosigkeit, fehlende Vision und fehlender Mut könnten angesichts dieser Krise könnten sich tatsächlich sich als fatal erweisen.
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Mittwoch, 17. Februar 2010
Syrien: Assads Ausbruch aus der Isolation
Wie Syriens Präsident aus schwächster Position in den Mittelpunkt der amerikanischer Nahostpolitik rückte
von Birgit Cerha
Der Triumph ist fast voll. Noch vor sechs Jahren verglichen führende amerikanische Politiker das syrische Regime unter Bashar el Assad mit einer „reifen Frucht“, die rasch abfallen und den Kreis westlichen Einflusses in der Region schließen würde. Der Mord an dem libanesischen Ex-Premier Hariri 2005, für den weithin das Regime in Damaskus verantwortlich gemacht wurde, schien Assads Untergang noch zu beschleunigen. Mit dem demütigenden Truppenrückzug aus dem Nachbarstaat verlor der Syrer eine wichtige strategische Karte. Die von dem damaligen US-Präsidenten Bush betriebene internationale Isolation sollte dieses Glied der „Achse des Bösen“, in die Bush Syrien mit einschloss, endgültig unschädlich machen.
Dass Bushs Strategie gescheitert ist, hat sein Nachfolger Obama bald erkannt und durch die Entscheidung, nach fünf Jahren wieder einen US-Botschafter nach Damaskus zu entsenden, eine neue Phase des Dialogs eingeleitet, in der Erkenntnis, dass dies US-Interessen mehr nützen würde als Isolation. Der US-Nahostbeauftragte Mitchell anerkannte denn auch Syriens „ausschlaggebende Rolle“ bei der Suche nach Frieden und Stabilität im Mittleren Osten - und dies, wie man in Damaskus stolz betont, ganz ohne dass Assad von seiner prinzipientreuen Politik abgerückt wäre. Zudem ist eine internationale Isolation an europäischem Widerstand gescheitert und Syriens Wirtschaft hat sich unterdessen kräftig erholt.
Doch die Wiedereröffnung der Botschafter-Residenz ist nur ein erster Schritt. Gravierende Meinungsverschiedenheiten und tiefes Misstrauen stehen einer neuen Freundschaft mit der Supermacht im Wege. In Damaskus weist man skeptisch darauf hin, dass Obama nicht nur Syrien nicht von der Liste der Terrorstaaten gestrichen, sondern im Vorjahr harte von Bush verhängte Sanktionen erneuert hat.
Wie stets für seinen Vater, gilt auch für Bashar die volle Wiedererlangung der von Israel 1967 besetzten Golanhöhen als höchste Priorität. Washington dürfte einem Friedensprozess zwischen Israel und Syrien große Bedeutung beimessen, in der Hoffnung, dass damit vielleicht auch der Konflikt mit den Palästinenser aus der Sackgasse geführt werden könnte. Doch seit der Wahl Netanyahus zum israelischen Premier im Vorjahr stehen die Zeichen eher auf Sturm, regionale Kommentatoren sprechen immer häufiger von drohender Kriegsgefahr zwischen der schiitischen Hisbollah, Syriens engstem Verbündeten, und Israel im Libanon. Netanyahu hatte im Wahlkampf bekräftigt, Israel werde niemals den Golan räumen und fordert unterdessen direkte Verhandlungen mit Syrien ohne Vorbedingung. Assad hingegen zieht eine Wiederaufnahme der indirekten Gespräche über die Türkei vor, die als Folge des Gaza-Feldzuges der Israelis 2008 abgebrochen worden waren. Doch die Israelis halten Ankara nun für all zu pro-arabisch. Direkte Verhandlungen kämen erst in Frage, wenn Israel „die volle Rückgabe von Land und (syrischen) Rechten“ garantiere. Die Hoffnung, dass Obama die Regierung in Jerusalem zu einem Kompromiss drängen könnte, schwand in Damaskus, nachdem der US-Präsident seine Forderung nach einem totalen jüdischen Siedlungsstopp in Palästinensergebieten aufgrund massiven israelischen Widerstandes aufgegeben hatte.
Doch Assad hält heute wieder alle verloren geglaubten strategischen Karten fest in seiner Hand. In der arabischen Welt ist er nach der Aussöhnung mit dem saudischen Rivalen um die Kontrolle des Libanons im Vorjahr wieder voll rehabilitiert und geachtet. Die Umarmung mit König Abdullah ebnete den Weg zum Besuch Saad Hariris, des pro-westlichen, von Riad unterstützten Sohns des ermordeten Ex-Premiers in Damaskus, wo der unterdessen selbst zum libanesischen Premier Gekürte mit Assad enge Kontakte einleitete. Hariri, wie fast alle libanesischen Politiker anerkennen nun die große Bedeutung der Freundschaft mit Syrien, das sich durch das Vetorecht seiner Verbündeten, insbesondere Hariris Koalitionspartner Hisbollah, wieder dominierenden politischen Einfluss im Nachbarstaat sicherte.
Obama dürfte nun aber, im Gegensatz zu Bush, nicht mehr auf einen Bruch Assads mit Hisbollah oder der palästinensischen Hamas drängen, sondern vielmehr auf einen mäßigenden Einflusses durch den neuen syrischen Freund setzen. Vor allem geht es den Amerikanern aber auch um eine konstruktive Rolle Syriens bei der Stabilisierung des Iraks, wo Anfang März kritische Parlamentswahlen abgehalten werden. Vor einem Jahr hatte Syrien durch scharfe Kontrolle der langen, porösen Grenze für Ruhe in den von arabischen Sunniten bewohnten Nachbarregionen gesorgt und damit für eine hohe Beteiligung bei wichtigen Regionalwahlen.
Dass weder Peitsche, noch Zuckerbrot Syrien aber aus der engen strategischen Umarmung mit dem Iran reißen kann – ein Ziel, das die nun verschärfte Sanktionen gegen Teheran erstrebenden Amerikaner verfolgen – hat die jüngere Geschichte bewiesen. „Man darf doch nicht vergessen“, meint dazu ein libanesischer Politologe, „der Iran war lange das einzige Land, das treu zu Syrien gestanden ist“. Und die Allianz mit dem „Gottesstaat“ sichert Assad eine unverzichtbare Karte im heißen diplomatischen Spiel.
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von Birgit Cerha
Der Triumph ist fast voll. Noch vor sechs Jahren verglichen führende amerikanische Politiker das syrische Regime unter Bashar el Assad mit einer „reifen Frucht“, die rasch abfallen und den Kreis westlichen Einflusses in der Region schließen würde. Der Mord an dem libanesischen Ex-Premier Hariri 2005, für den weithin das Regime in Damaskus verantwortlich gemacht wurde, schien Assads Untergang noch zu beschleunigen. Mit dem demütigenden Truppenrückzug aus dem Nachbarstaat verlor der Syrer eine wichtige strategische Karte. Die von dem damaligen US-Präsidenten Bush betriebene internationale Isolation sollte dieses Glied der „Achse des Bösen“, in die Bush Syrien mit einschloss, endgültig unschädlich machen.
Dass Bushs Strategie gescheitert ist, hat sein Nachfolger Obama bald erkannt und durch die Entscheidung, nach fünf Jahren wieder einen US-Botschafter nach Damaskus zu entsenden, eine neue Phase des Dialogs eingeleitet, in der Erkenntnis, dass dies US-Interessen mehr nützen würde als Isolation. Der US-Nahostbeauftragte Mitchell anerkannte denn auch Syriens „ausschlaggebende Rolle“ bei der Suche nach Frieden und Stabilität im Mittleren Osten - und dies, wie man in Damaskus stolz betont, ganz ohne dass Assad von seiner prinzipientreuen Politik abgerückt wäre. Zudem ist eine internationale Isolation an europäischem Widerstand gescheitert und Syriens Wirtschaft hat sich unterdessen kräftig erholt.
Doch die Wiedereröffnung der Botschafter-Residenz ist nur ein erster Schritt. Gravierende Meinungsverschiedenheiten und tiefes Misstrauen stehen einer neuen Freundschaft mit der Supermacht im Wege. In Damaskus weist man skeptisch darauf hin, dass Obama nicht nur Syrien nicht von der Liste der Terrorstaaten gestrichen, sondern im Vorjahr harte von Bush verhängte Sanktionen erneuert hat.
Wie stets für seinen Vater, gilt auch für Bashar die volle Wiedererlangung der von Israel 1967 besetzten Golanhöhen als höchste Priorität. Washington dürfte einem Friedensprozess zwischen Israel und Syrien große Bedeutung beimessen, in der Hoffnung, dass damit vielleicht auch der Konflikt mit den Palästinenser aus der Sackgasse geführt werden könnte. Doch seit der Wahl Netanyahus zum israelischen Premier im Vorjahr stehen die Zeichen eher auf Sturm, regionale Kommentatoren sprechen immer häufiger von drohender Kriegsgefahr zwischen der schiitischen Hisbollah, Syriens engstem Verbündeten, und Israel im Libanon. Netanyahu hatte im Wahlkampf bekräftigt, Israel werde niemals den Golan räumen und fordert unterdessen direkte Verhandlungen mit Syrien ohne Vorbedingung. Assad hingegen zieht eine Wiederaufnahme der indirekten Gespräche über die Türkei vor, die als Folge des Gaza-Feldzuges der Israelis 2008 abgebrochen worden waren. Doch die Israelis halten Ankara nun für all zu pro-arabisch. Direkte Verhandlungen kämen erst in Frage, wenn Israel „die volle Rückgabe von Land und (syrischen) Rechten“ garantiere. Die Hoffnung, dass Obama die Regierung in Jerusalem zu einem Kompromiss drängen könnte, schwand in Damaskus, nachdem der US-Präsident seine Forderung nach einem totalen jüdischen Siedlungsstopp in Palästinensergebieten aufgrund massiven israelischen Widerstandes aufgegeben hatte.
Doch Assad hält heute wieder alle verloren geglaubten strategischen Karten fest in seiner Hand. In der arabischen Welt ist er nach der Aussöhnung mit dem saudischen Rivalen um die Kontrolle des Libanons im Vorjahr wieder voll rehabilitiert und geachtet. Die Umarmung mit König Abdullah ebnete den Weg zum Besuch Saad Hariris, des pro-westlichen, von Riad unterstützten Sohns des ermordeten Ex-Premiers in Damaskus, wo der unterdessen selbst zum libanesischen Premier Gekürte mit Assad enge Kontakte einleitete. Hariri, wie fast alle libanesischen Politiker anerkennen nun die große Bedeutung der Freundschaft mit Syrien, das sich durch das Vetorecht seiner Verbündeten, insbesondere Hariris Koalitionspartner Hisbollah, wieder dominierenden politischen Einfluss im Nachbarstaat sicherte.
Obama dürfte nun aber, im Gegensatz zu Bush, nicht mehr auf einen Bruch Assads mit Hisbollah oder der palästinensischen Hamas drängen, sondern vielmehr auf einen mäßigenden Einflusses durch den neuen syrischen Freund setzen. Vor allem geht es den Amerikanern aber auch um eine konstruktive Rolle Syriens bei der Stabilisierung des Iraks, wo Anfang März kritische Parlamentswahlen abgehalten werden. Vor einem Jahr hatte Syrien durch scharfe Kontrolle der langen, porösen Grenze für Ruhe in den von arabischen Sunniten bewohnten Nachbarregionen gesorgt und damit für eine hohe Beteiligung bei wichtigen Regionalwahlen.
Dass weder Peitsche, noch Zuckerbrot Syrien aber aus der engen strategischen Umarmung mit dem Iran reißen kann – ein Ziel, das die nun verschärfte Sanktionen gegen Teheran erstrebenden Amerikaner verfolgen – hat die jüngere Geschichte bewiesen. „Man darf doch nicht vergessen“, meint dazu ein libanesischer Politologe, „der Iran war lange das einzige Land, das treu zu Syrien gestanden ist“. Und die Allianz mit dem „Gottesstaat“ sichert Assad eine unverzichtbare Karte im heißen diplomatischen Spiel.
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Dienstag, 16. Februar 2010
IRAK: Der Iraq vor entscheidenden Wahlen
von Dr. Arnold Hottinger
Im Iraq hat die Wahlkampagne für die nun auf den 7. März angesetzten Parlamentswahlen begonnen. Dies geschah, obgleich noch nicht alle Kandidaten feststehen. Ein Streit dauert an über die Streichung von Wahlkandidaten aus den Listen, denen zu enge Verbindungen zu der einstigen Staatspartei Saddams, der Baathpartei, vorgeworfen werden. Eine Reinigungskommission, welche die „de-Baathierung“ der irakischen Politik betreibt, hatte anfänglich 500 Kandidaten von rund 6000 von den Listen getrichen. Dann hatte ein Gericht die Wiedereinsetzung dieser 500 befohlen. Doch die gegenwärtige Regierung unter Nuri al-Maleki hatte den Gerichtsentscheid zurückgewiesen, unter anderen mit dem Argument, es handle sich um politische Massnahmen, die dem Parlament unterstünden, nicht den Gerichten.
Eine Sondersitzung des Parlaments war einberufen worden, gleichzeitig hatten viele der betroffenen Rekurs beim Obergericht eingelegt. Die Wahlvorbereitungen waren eingestellt worden, und der Wahltermin wurde zum zweiten Mal verschoben. Ursprünglich war der 7. Januar festgelegt worden, später der 7. Februar und nun der 7. März. Von den 500 Ausgeschlossenen blieben 145 Kandidaturen definitiv ausgeschlossen. Die Rekurse von Anderen sind noch fällig.
Unter den ausgeschlossenen Kandidaten befinden sich Schiiten und Sunniten. Doch die grösste Zahl und die bekanntesten Kandidaten unter den Ausgeschlossenen sind Sunniten. Die Diskussionen über die Ausschliessungen wühlten heftige Leidenschaften auf. Sunnitische Politiker beklagten sich über Diskrimination und erblickten in den Reinigungsschritten einen Versuch, das gegenwärtige Machtgleichgewicht im Iraq, das zu Gunsten der Schiiten besteht, festzuschreiben, indem wichtige sunnitische Politiker ausgeschlossen würden.In den Wahlen von 2005 hatten die Schiiten einen leichten Sieg davongetragen, weil die Sunniten die Wahlen weitgehend boykottierten. Seither regieren sie in Bagdad. Die Sunniten bilden nur eine kleine Minderheit im Parlament, und die Regierungen unterstanden immer Schiiten.
Doch in den südlichen Landesteilen mit starken schiitischen Bevölkerungsmehrheiten kam es gleichzeitig zu Demonstrationen der ehemaligen Opfer der Baath Partei, die deutlich machten, dass bis heute viele Schiiten den Baathisten unversöhnt gegenüberstehen. Dies ist sowohl auf die Massaker von Schiiten in der Saddam Periode zurückzuführen wie auch auf die heutigen Bombenanschläge, die sich oft gegen Schiiten richten und von denen angenommen wird, sie würden von radikalen Islamisten verübt („al-Qa’eda“ sagen die Amerikaner), die mit den abgesetzten Baathisten, besonders aus den ehemaligen Geheimdiensten Saddams, zusammenarbeiten. Beobachter in Basra glauben, dass die beiden in den Wahlen konkurrierenden mehrheitlich schiitischen Parteiallianzen einander in ihrer Wahlpropaganda mit Hinweisen darauf überbieten, dass die Gefahr einer „Rückkehr der Baatpartei“ abgewendet werden müsse.
Die amerikanischen Militärs und Diplomaten, die immernoch einen bedeutenden Machtfaktor im Iraq darstellen, treten dafür ein, dass die Sunniten so weit möglich zu den Wahlen zugelassen werden, damit eine ausgewogenere Volksvertretung als bisher zustande komme. Wenn die Sunniten sich weiter als ausgeschlossen ansehen, steigert dies die Gefahr, dass der gegenwärtige Terror fortdauert oder gar wieder anwächst. Wenn die Sunniten in das politische Spiel miteinbezogen werden, kann man hoffen, dass der „Widerstand“ der Bombenleger abklingen könnte.
Die amerikanischen Pläne sehen vor, dass im August dieses Jahres der Abzug der Kampftruppen beginnen soll. Im August 2011 sollen nur noch Ausbildungstruppen im Iraq bleiben. Die bevorstehenden Wahlen jedoch wollen die Amerikaner mit all ihren Truppen absichern, bevor sie den Rückzug antreten.
Die Interessen der irakischen Regierung unter Maleki sind etwas anders gelagert. Ihr geht es heute primär darum, die Wahlen zu gewinnen und sich ein weiteres Mandat sicher zu stellen. Maleki hat sich entschlossen, diesmal nicht wie 2005 im grossen Verband aller schiitischen Parteien in die Wahlen zu ziehen. Er hat eine Koalition aufgestellt, die sich „Rechtsstaat“ (State of Law) nennt. Neben seiner eigenen schiitisch religiösen Partei „ad-Da’wa“ umfasst sie mehrere Gruppen von sunnitischen Politikern. Ihr gemeinsames Anliegen ist, den irakischen Staat ungeteilt zu bewahren.
Zwei grosse Schiitenparteien haben eine Gegenallianz gebildet, die „Nationale Irakische Koalition“ heisst. Sie versteht sich in erster Linie als Vertreterin der Interessen der schiitischen Bevölkerung des Südens, und sie gilt als immernoch eng mit Iran verbunden. Die Bildung eines schiitischen Gliedstaates im irakischen Süden, parallel zur bereits bestehenden kurdischen Autonomie, wird von manchen der Gruppierungen der schiitischen Allianz befürwortet. Alle Mitglieder der Allianz streben einen Staat an, in dem die schiitische Version des Islams eine führende Rolle zu spielen hätte.
Im Gegensatz zu 2005 als ihre Allianz alle schiitischen Gruppen umfasste, ziehen die Schiiten diesmal getrennt in zwei rivalisierenden Gruppierungen in die Wahlen. Der Regierungschef hatte schon im Januar 2009 mit seiner eigenen Formation die Lokalwahlen bestritten und war dabei erfolgreich gewesen. Er rechnet sich daher Erfolgschancen in den Parlamentswahlen aus. Die Möglichkeit, nach den Wahlen mit seinen schiitischen Konkurrenten eventuell eine Koalition zu bilden, dürfte er sich für den Fall, dass er keine absolute Mehrheit erhält, offen halten.
Als alternativer Koalitionspartner stünden ihm möglicherweise auch die Kurden zur Verfügung.
Der laizistisch orientierte schitische Politiker Iyad Allawi, den die Amerikaner zum ersten Provisorischen Regierungschef des Iraq ernannt hatten, und der gegenwärtig einen kleinen Block von 15 Abgeordneten im Parlament anführt, hat seinerseits auch eine Wahlallianz aus Sunniten und Schiiten sekulärer oder gemässigt religiöser Ausrichtung gebildet. Er vertritt die Vision eines sekulären Regimes für ganz Irak ohne starke Autonomie-Aufteilungen. Damit stellt seine Formation, die sich Irakische Nationale Bewegung nennt, eine sekuläre Alternative auch pan-irakischer nationaler Ausrichtung zur pan-irakisch nationalen aber eher im Schiismus verankerten Tendenz des Regierungschefs dar.
Manche Beobachter glauben, dass Allawi mit seinen Verbündeten eventuell eine Chance haben könnte, eine relative Mehrheit von Abgeordneten zu erhalten, nämlich dann, wenn die Schiiten sich aufteilen zwischen den beiden rivalisierenden Blöcken und falls Allawi relativ viele Stimmen von regierungskritischen Schiiten und Sunniten auf seine Liste vereinigen könnte.
Unter den Schiiten hat Maleki sich die einstigen Anhänger von Muqtada as-Sadr zu Feinden gemacht, welche die grossen schiitischen Armenviertel von Bagdad bevölkern, weil er ihre Macht mit Gewalt gebrochen hat und viele ihrer Anführer einkerkern liess. Unter den Sunniten hat sich der wichtigste Sprecher für die Sunniten im nun abtretenden Parlament, Saleh Mutlaq, der Allianz Allawis angeschlossen., sowie der als Sprachrohr der Muslim Brüder geltende stark sunnitisch orientierte Tariq Hashemi, ebenfalls ein bisheriger Abgeordneter. Doch Mutalq und der zweite Mann der Formation Hashemis, al-Ani, gehören zu den wegen Baathismus nun anscheinend endgültig ausgeschlossenen Kandidaten.
Weitere Gegener al-Malekis unter den Sunniten dürften die in grossen Zahlen immernoch nicht von der Regierung eingestellten sogenannten „Erwachungskämpfer“ (Sahwa) sein. Dies sind sunnitische Stämme mit ihren Führern und Kämpfern, die seit 2008 den Widertand verliessen und in den Dienst der Amerikaner traten, sich von ihnen bewaffnen und bezahlen liessen, um den Kampf gegen die Islamistischen Fanatiker („al-Qa’eda“ für die Amerikaner) aufzunehmen. Es dürfte sich um fast 100 000 Mann handeln, mit ihren Angehörigen und Verwandten leicht eine Halbe Million Personen. Die Amerikaner hatten ihnen die Aufnahme in die irakischen Streitkräfte und Polizei versprochen. Doch Maleki sträubte sich dagegen. Offenbar weil er eine „Sunnitisierung“ der heute weitgehend schiitischen Sicherheits- und Ordnungskräfte befürchtet. Dies ist vor dem Hintergrund zahlloser Staaatsstreiche zu verstehen, die in der Vergangenheit, seit der Unabhängigkeit von 1932, sunnitische Offiziere der damals meist sunnitschen Offizieren untrstehenden irakischen Armee durchgeführt hatten, um die Macht zu ergreifen.
Die relativ wenigen Sahwa–Leute, die von der Regierung eingestellt wurden, erhielten nicht mehr als kleine Beamtenstellen. Viele nichteinmal dies. Sie sind deshalb mit der Regierung unzufrieden.
Ob die Allawi Allianz wirklich die Möglichkeit gehabt hätte, den Regierungschef und seine Gruppierung zu schlagen, ist sehr ungewiss. Doch viele Iraker scheinen zu glauben, dass die Ausschliessungen mit dem Zweck durchgeführt wurden, Allawis Chancen zu reduzieren. Da Maleki sich vehement für die Ausschliessungen eingesetzt hat und seine Anhänger gerne vor einem Wiederaufleben der Baathpartei warnen, um ihre Wahlchancen zu steigern, gewinnen solche Vermutungen zusätzliches Gewicht.
Maleki und Allawi sprechen beide jene Wähler an, die einen zentral regierten „vereinigten Iraq“ anstreben. Maleki als gemässigter Schiite mit guten Beziehungen zu Iran, Allawi als säkular ausgerichteter Politiker. Die grosse Masse der Sunniten wird von beiden umworben. Eine Schwächung der Allianz Allawis liegt deshalb durchaus im Interesse des Regierungschefs.
Die Kommission, welche über die Ausschliessung der Baathisten befand und dabei gegen wichtige Mitglieder der Allianz Allawis einschritt, steht unter dem Vorsitz von Ahmed Chalabi. Dieser ist seit der Vorkiegszeit ein bitterer Rivale von Allawi. Er arbeitete für Informationsdienste Vizepräsident Cheneys und Rumsfelds und stand den „Neocoms“ nahe, während Allawi der „Mann der CIA“ im Iraq war. Chalabi hoffte 2003 von den Amerikanern zum ersten Regierungsvorsitzenden des Iraqs ernannt zu werden, doch das Amt fiel im letzten Augenblick seinem Rivalen Allawi zu. Auch diese Rivalität, die allen Irakern wohlbekannt ist, trägt dazu bei, hinter den Aussschliessungen politische Absichten und Intriguen zu erblicken.
Die bevorstehenden Wahlen sind für die Zukunft des Iraks von entscheidendem Gewicht. Die heute geltende Verfassung ist nicht endgültig und sollte von dem zu wählenden Parlament revidiert werden. Dabei geht es vor allem um die Frage der Zentralgewalt oder der Autonomie von verschiedenen Landesteilen. Maleki tritt als ein Mann der Zentrale auf. Den Kurden ist Autonomie zugesagt, doch die genauen Grenzen dieser Autonomie müssen noch festgelegt werden, sowohl in Bezug auf die Abgrenzung des kurdischen Autonomiegebietes (Kirkuk als die brennendste Frage), wie auch in Bezug auf die Autonomiekompetenzen (wer bestimmt über die Erdölförderung in „Iraqi Kurdistan“?).
Unter den Schiiten des Südens gibt es auch Autonomiebestrebungen. Sie dürften umso deutlicher hervortreten je weiter die Kurden ihre Autonomie auszudehnen vermögen. Die Lage der sunnitischen Bevölkerungsteile ist ebenfalls ungewiss und ungelöst. Aufstandsbewegungen unter sunnitischen Irakern sind immernoch präsent sowohl in der Form von Terrorbomben, deren Zweck sein dürfte, die Stabilität der bestehenden Demokratie zu untergraben, wie auch in der von bewaffneten Auseinandersetzungen in Nordirak, vor allem in Mosul und Umgebung, wo Kurden und sunnitische Araber einander bewaffnet gegenüberstehen, sowie auch in einigen der gemischten Provinzen des Zentrums, wo das Ringen zwischen Schiiten und Sunniten, das seinen Höhepunkt in Bagdad im Jahre 2007 erreichte, noch immer nachklingt.
In Bagdad hat dieses Ringen zum Vorteil der Schiiten geendet. Die Hauptstadt, einst gleichmässig zwischen beiden Konfessionen geteilt, ist nun eine überwiegend schiitische Stadt geworden. Ganze Quartiere von Sunniten wurden „ethnisch gesäubert“, ihre Bewohner, soweit sie ihr Leben retteten, wurden Flüchtlinge im Ausland oder „displaced persons“ im Inland. In ihre Häuser zogen Schiiten ein, die aus den gemischten Quartieren hatten weichen müssen. Natürlich dauern die Ressentiments unter den betroffenen Familien und Gruppierungen an.
Die amerikanischen Besetzungstruppen werden alles daran setzen, dass trotz diesen Spannungen die vorgesehenen Wahlen ruhig verlaufen. Man hat zu erwarten, dass sie am Wahltag alle Städte und Stadtquartiere abriegeln und so gut wie allen privaten Autoverkehr stillegen werden, um Selbstmordbomben zu vermeiden. Doch ist heute schon klar, dass nach den Wahlen der Rückzug der amerikanischen Truppen mit Nachdruck vorangetrieben werden soll. Wie schnell dies geschehen kann, dürfte natürlich von der Sicherheitslage abhängen. Die Hoffnung ist, dass die irakischen Truppen und Polizisten möglichst selbstständig die Sicherheitsverantwortung übernehmen können.
Es gibt auch eine schattenhafte irakische Sondertruppe, die von amerikanischen Sondertruppenoffizieren nach dem Vorbild der eigenen Einheiten (Iraq Special Operational Forces, ISOF) ausgebildet wurde.Die Uebergabe dieser Spezialtrupen von der amerikanischen an die irakische Autorität soll vollzogen sein. Doch hat sie noch immer amerikanische Ausbilder. Oft sind dies Offiziere der Spezialeinheiten, die früher in Südamerika wirkten. Diese Spezialtruppe gilt als ebenso schlagkräftig wie brutal. Bisher hat sie in erster Linie der Niederhaltung der „Sadr Armee“ in den grossen Slums von Bagdad gedient. Dunkle Gerüchte gehen um, nach denen sie auch politische Feinde des Ministerpräsidenten „ausgeschaltet habe“. Es gibt eine „graue Zone“, welche sunnitische Politiker umfasst, die „dem Widerstand“ nahe stehen. Diese Sondertruppen unterstehen nicht den regulären irakischen Ministerien sondern einem eigenen Büro, das seine Anordnungen direkt vom Regierungschef, zur Zeit Nuri al-Maleki, entgegennimmt. (Vgl. The Nation, June 22, 2009, ausführlicher Bericht von Shane Bauer)
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Im Iraq hat die Wahlkampagne für die nun auf den 7. März angesetzten Parlamentswahlen begonnen. Dies geschah, obgleich noch nicht alle Kandidaten feststehen. Ein Streit dauert an über die Streichung von Wahlkandidaten aus den Listen, denen zu enge Verbindungen zu der einstigen Staatspartei Saddams, der Baathpartei, vorgeworfen werden. Eine Reinigungskommission, welche die „de-Baathierung“ der irakischen Politik betreibt, hatte anfänglich 500 Kandidaten von rund 6000 von den Listen getrichen. Dann hatte ein Gericht die Wiedereinsetzung dieser 500 befohlen. Doch die gegenwärtige Regierung unter Nuri al-Maleki hatte den Gerichtsentscheid zurückgewiesen, unter anderen mit dem Argument, es handle sich um politische Massnahmen, die dem Parlament unterstünden, nicht den Gerichten.
Eine Sondersitzung des Parlaments war einberufen worden, gleichzeitig hatten viele der betroffenen Rekurs beim Obergericht eingelegt. Die Wahlvorbereitungen waren eingestellt worden, und der Wahltermin wurde zum zweiten Mal verschoben. Ursprünglich war der 7. Januar festgelegt worden, später der 7. Februar und nun der 7. März. Von den 500 Ausgeschlossenen blieben 145 Kandidaturen definitiv ausgeschlossen. Die Rekurse von Anderen sind noch fällig.
Unter den ausgeschlossenen Kandidaten befinden sich Schiiten und Sunniten. Doch die grösste Zahl und die bekanntesten Kandidaten unter den Ausgeschlossenen sind Sunniten. Die Diskussionen über die Ausschliessungen wühlten heftige Leidenschaften auf. Sunnitische Politiker beklagten sich über Diskrimination und erblickten in den Reinigungsschritten einen Versuch, das gegenwärtige Machtgleichgewicht im Iraq, das zu Gunsten der Schiiten besteht, festzuschreiben, indem wichtige sunnitische Politiker ausgeschlossen würden.In den Wahlen von 2005 hatten die Schiiten einen leichten Sieg davongetragen, weil die Sunniten die Wahlen weitgehend boykottierten. Seither regieren sie in Bagdad. Die Sunniten bilden nur eine kleine Minderheit im Parlament, und die Regierungen unterstanden immer Schiiten.
Doch in den südlichen Landesteilen mit starken schiitischen Bevölkerungsmehrheiten kam es gleichzeitig zu Demonstrationen der ehemaligen Opfer der Baath Partei, die deutlich machten, dass bis heute viele Schiiten den Baathisten unversöhnt gegenüberstehen. Dies ist sowohl auf die Massaker von Schiiten in der Saddam Periode zurückzuführen wie auch auf die heutigen Bombenanschläge, die sich oft gegen Schiiten richten und von denen angenommen wird, sie würden von radikalen Islamisten verübt („al-Qa’eda“ sagen die Amerikaner), die mit den abgesetzten Baathisten, besonders aus den ehemaligen Geheimdiensten Saddams, zusammenarbeiten. Beobachter in Basra glauben, dass die beiden in den Wahlen konkurrierenden mehrheitlich schiitischen Parteiallianzen einander in ihrer Wahlpropaganda mit Hinweisen darauf überbieten, dass die Gefahr einer „Rückkehr der Baatpartei“ abgewendet werden müsse.
Die amerikanischen Militärs und Diplomaten, die immernoch einen bedeutenden Machtfaktor im Iraq darstellen, treten dafür ein, dass die Sunniten so weit möglich zu den Wahlen zugelassen werden, damit eine ausgewogenere Volksvertretung als bisher zustande komme. Wenn die Sunniten sich weiter als ausgeschlossen ansehen, steigert dies die Gefahr, dass der gegenwärtige Terror fortdauert oder gar wieder anwächst. Wenn die Sunniten in das politische Spiel miteinbezogen werden, kann man hoffen, dass der „Widerstand“ der Bombenleger abklingen könnte.
Die amerikanischen Pläne sehen vor, dass im August dieses Jahres der Abzug der Kampftruppen beginnen soll. Im August 2011 sollen nur noch Ausbildungstruppen im Iraq bleiben. Die bevorstehenden Wahlen jedoch wollen die Amerikaner mit all ihren Truppen absichern, bevor sie den Rückzug antreten.
Die Interessen der irakischen Regierung unter Maleki sind etwas anders gelagert. Ihr geht es heute primär darum, die Wahlen zu gewinnen und sich ein weiteres Mandat sicher zu stellen. Maleki hat sich entschlossen, diesmal nicht wie 2005 im grossen Verband aller schiitischen Parteien in die Wahlen zu ziehen. Er hat eine Koalition aufgestellt, die sich „Rechtsstaat“ (State of Law) nennt. Neben seiner eigenen schiitisch religiösen Partei „ad-Da’wa“ umfasst sie mehrere Gruppen von sunnitischen Politikern. Ihr gemeinsames Anliegen ist, den irakischen Staat ungeteilt zu bewahren.
Zwei grosse Schiitenparteien haben eine Gegenallianz gebildet, die „Nationale Irakische Koalition“ heisst. Sie versteht sich in erster Linie als Vertreterin der Interessen der schiitischen Bevölkerung des Südens, und sie gilt als immernoch eng mit Iran verbunden. Die Bildung eines schiitischen Gliedstaates im irakischen Süden, parallel zur bereits bestehenden kurdischen Autonomie, wird von manchen der Gruppierungen der schiitischen Allianz befürwortet. Alle Mitglieder der Allianz streben einen Staat an, in dem die schiitische Version des Islams eine führende Rolle zu spielen hätte.
Im Gegensatz zu 2005 als ihre Allianz alle schiitischen Gruppen umfasste, ziehen die Schiiten diesmal getrennt in zwei rivalisierenden Gruppierungen in die Wahlen. Der Regierungschef hatte schon im Januar 2009 mit seiner eigenen Formation die Lokalwahlen bestritten und war dabei erfolgreich gewesen. Er rechnet sich daher Erfolgschancen in den Parlamentswahlen aus. Die Möglichkeit, nach den Wahlen mit seinen schiitischen Konkurrenten eventuell eine Koalition zu bilden, dürfte er sich für den Fall, dass er keine absolute Mehrheit erhält, offen halten.
Als alternativer Koalitionspartner stünden ihm möglicherweise auch die Kurden zur Verfügung.
Der laizistisch orientierte schitische Politiker Iyad Allawi, den die Amerikaner zum ersten Provisorischen Regierungschef des Iraq ernannt hatten, und der gegenwärtig einen kleinen Block von 15 Abgeordneten im Parlament anführt, hat seinerseits auch eine Wahlallianz aus Sunniten und Schiiten sekulärer oder gemässigt religiöser Ausrichtung gebildet. Er vertritt die Vision eines sekulären Regimes für ganz Irak ohne starke Autonomie-Aufteilungen. Damit stellt seine Formation, die sich Irakische Nationale Bewegung nennt, eine sekuläre Alternative auch pan-irakischer nationaler Ausrichtung zur pan-irakisch nationalen aber eher im Schiismus verankerten Tendenz des Regierungschefs dar.
Manche Beobachter glauben, dass Allawi mit seinen Verbündeten eventuell eine Chance haben könnte, eine relative Mehrheit von Abgeordneten zu erhalten, nämlich dann, wenn die Schiiten sich aufteilen zwischen den beiden rivalisierenden Blöcken und falls Allawi relativ viele Stimmen von regierungskritischen Schiiten und Sunniten auf seine Liste vereinigen könnte.
Unter den Schiiten hat Maleki sich die einstigen Anhänger von Muqtada as-Sadr zu Feinden gemacht, welche die grossen schiitischen Armenviertel von Bagdad bevölkern, weil er ihre Macht mit Gewalt gebrochen hat und viele ihrer Anführer einkerkern liess. Unter den Sunniten hat sich der wichtigste Sprecher für die Sunniten im nun abtretenden Parlament, Saleh Mutlaq, der Allianz Allawis angeschlossen., sowie der als Sprachrohr der Muslim Brüder geltende stark sunnitisch orientierte Tariq Hashemi, ebenfalls ein bisheriger Abgeordneter. Doch Mutalq und der zweite Mann der Formation Hashemis, al-Ani, gehören zu den wegen Baathismus nun anscheinend endgültig ausgeschlossenen Kandidaten.
Weitere Gegener al-Malekis unter den Sunniten dürften die in grossen Zahlen immernoch nicht von der Regierung eingestellten sogenannten „Erwachungskämpfer“ (Sahwa) sein. Dies sind sunnitische Stämme mit ihren Führern und Kämpfern, die seit 2008 den Widertand verliessen und in den Dienst der Amerikaner traten, sich von ihnen bewaffnen und bezahlen liessen, um den Kampf gegen die Islamistischen Fanatiker („al-Qa’eda“ für die Amerikaner) aufzunehmen. Es dürfte sich um fast 100 000 Mann handeln, mit ihren Angehörigen und Verwandten leicht eine Halbe Million Personen. Die Amerikaner hatten ihnen die Aufnahme in die irakischen Streitkräfte und Polizei versprochen. Doch Maleki sträubte sich dagegen. Offenbar weil er eine „Sunnitisierung“ der heute weitgehend schiitischen Sicherheits- und Ordnungskräfte befürchtet. Dies ist vor dem Hintergrund zahlloser Staaatsstreiche zu verstehen, die in der Vergangenheit, seit der Unabhängigkeit von 1932, sunnitische Offiziere der damals meist sunnitschen Offizieren untrstehenden irakischen Armee durchgeführt hatten, um die Macht zu ergreifen.
Die relativ wenigen Sahwa–Leute, die von der Regierung eingestellt wurden, erhielten nicht mehr als kleine Beamtenstellen. Viele nichteinmal dies. Sie sind deshalb mit der Regierung unzufrieden.
Ob die Allawi Allianz wirklich die Möglichkeit gehabt hätte, den Regierungschef und seine Gruppierung zu schlagen, ist sehr ungewiss. Doch viele Iraker scheinen zu glauben, dass die Ausschliessungen mit dem Zweck durchgeführt wurden, Allawis Chancen zu reduzieren. Da Maleki sich vehement für die Ausschliessungen eingesetzt hat und seine Anhänger gerne vor einem Wiederaufleben der Baathpartei warnen, um ihre Wahlchancen zu steigern, gewinnen solche Vermutungen zusätzliches Gewicht.
Maleki und Allawi sprechen beide jene Wähler an, die einen zentral regierten „vereinigten Iraq“ anstreben. Maleki als gemässigter Schiite mit guten Beziehungen zu Iran, Allawi als säkular ausgerichteter Politiker. Die grosse Masse der Sunniten wird von beiden umworben. Eine Schwächung der Allianz Allawis liegt deshalb durchaus im Interesse des Regierungschefs.
Die Kommission, welche über die Ausschliessung der Baathisten befand und dabei gegen wichtige Mitglieder der Allianz Allawis einschritt, steht unter dem Vorsitz von Ahmed Chalabi. Dieser ist seit der Vorkiegszeit ein bitterer Rivale von Allawi. Er arbeitete für Informationsdienste Vizepräsident Cheneys und Rumsfelds und stand den „Neocoms“ nahe, während Allawi der „Mann der CIA“ im Iraq war. Chalabi hoffte 2003 von den Amerikanern zum ersten Regierungsvorsitzenden des Iraqs ernannt zu werden, doch das Amt fiel im letzten Augenblick seinem Rivalen Allawi zu. Auch diese Rivalität, die allen Irakern wohlbekannt ist, trägt dazu bei, hinter den Aussschliessungen politische Absichten und Intriguen zu erblicken.
Die bevorstehenden Wahlen sind für die Zukunft des Iraks von entscheidendem Gewicht. Die heute geltende Verfassung ist nicht endgültig und sollte von dem zu wählenden Parlament revidiert werden. Dabei geht es vor allem um die Frage der Zentralgewalt oder der Autonomie von verschiedenen Landesteilen. Maleki tritt als ein Mann der Zentrale auf. Den Kurden ist Autonomie zugesagt, doch die genauen Grenzen dieser Autonomie müssen noch festgelegt werden, sowohl in Bezug auf die Abgrenzung des kurdischen Autonomiegebietes (Kirkuk als die brennendste Frage), wie auch in Bezug auf die Autonomiekompetenzen (wer bestimmt über die Erdölförderung in „Iraqi Kurdistan“?).
Unter den Schiiten des Südens gibt es auch Autonomiebestrebungen. Sie dürften umso deutlicher hervortreten je weiter die Kurden ihre Autonomie auszudehnen vermögen. Die Lage der sunnitischen Bevölkerungsteile ist ebenfalls ungewiss und ungelöst. Aufstandsbewegungen unter sunnitischen Irakern sind immernoch präsent sowohl in der Form von Terrorbomben, deren Zweck sein dürfte, die Stabilität der bestehenden Demokratie zu untergraben, wie auch in der von bewaffneten Auseinandersetzungen in Nordirak, vor allem in Mosul und Umgebung, wo Kurden und sunnitische Araber einander bewaffnet gegenüberstehen, sowie auch in einigen der gemischten Provinzen des Zentrums, wo das Ringen zwischen Schiiten und Sunniten, das seinen Höhepunkt in Bagdad im Jahre 2007 erreichte, noch immer nachklingt.
In Bagdad hat dieses Ringen zum Vorteil der Schiiten geendet. Die Hauptstadt, einst gleichmässig zwischen beiden Konfessionen geteilt, ist nun eine überwiegend schiitische Stadt geworden. Ganze Quartiere von Sunniten wurden „ethnisch gesäubert“, ihre Bewohner, soweit sie ihr Leben retteten, wurden Flüchtlinge im Ausland oder „displaced persons“ im Inland. In ihre Häuser zogen Schiiten ein, die aus den gemischten Quartieren hatten weichen müssen. Natürlich dauern die Ressentiments unter den betroffenen Familien und Gruppierungen an.
Die amerikanischen Besetzungstruppen werden alles daran setzen, dass trotz diesen Spannungen die vorgesehenen Wahlen ruhig verlaufen. Man hat zu erwarten, dass sie am Wahltag alle Städte und Stadtquartiere abriegeln und so gut wie allen privaten Autoverkehr stillegen werden, um Selbstmordbomben zu vermeiden. Doch ist heute schon klar, dass nach den Wahlen der Rückzug der amerikanischen Truppen mit Nachdruck vorangetrieben werden soll. Wie schnell dies geschehen kann, dürfte natürlich von der Sicherheitslage abhängen. Die Hoffnung ist, dass die irakischen Truppen und Polizisten möglichst selbstständig die Sicherheitsverantwortung übernehmen können.
Es gibt auch eine schattenhafte irakische Sondertruppe, die von amerikanischen Sondertruppenoffizieren nach dem Vorbild der eigenen Einheiten (Iraq Special Operational Forces, ISOF) ausgebildet wurde.Die Uebergabe dieser Spezialtrupen von der amerikanischen an die irakische Autorität soll vollzogen sein. Doch hat sie noch immer amerikanische Ausbilder. Oft sind dies Offiziere der Spezialeinheiten, die früher in Südamerika wirkten. Diese Spezialtruppe gilt als ebenso schlagkräftig wie brutal. Bisher hat sie in erster Linie der Niederhaltung der „Sadr Armee“ in den grossen Slums von Bagdad gedient. Dunkle Gerüchte gehen um, nach denen sie auch politische Feinde des Ministerpräsidenten „ausgeschaltet habe“. Es gibt eine „graue Zone“, welche sunnitische Politiker umfasst, die „dem Widerstand“ nahe stehen. Diese Sondertruppen unterstehen nicht den regulären irakischen Ministerien sondern einem eigenen Büro, das seine Anordnungen direkt vom Regierungschef, zur Zeit Nuri al-Maleki, entgegennimmt. (Vgl. The Nation, June 22, 2009, ausführlicher Bericht von Shane Bauer)
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Sonntag, 14. Februar 2010
AFGHANISTAN: Die Helmandoffensive in Afghanistan
von Dr. Arnold Hottinger
In Afghanistan hat die lange im Voraus angekündigte Offensive im Helmandtal am 12. Febraur begonnen. Sie wird gemeinsam von total 15 000 amerikanischen, britischen und afghanischen Soldaten vorgetragen. Sie ist weitaus die grösste Offensive, die in Helmand je stattfand. Die Vorausankündigungen waren beabsichtigt. Sie gelten als ein Teil der neuen Strategie, die nun zur Anwendung kommen soll. Mit der Bekanntgabe, schon Wochen voraus, sollte bewirkt werden, dass möglichst wenige Zivilisten Opfer der Kämpfe werden und auch, dass möglicherweise Gruppen der Talebankämpfer sich entschlössen, auf die Seite der Amerikaner und der Regierung Karzai überzugehen.
Natürlich wurde damit auch in Kauf genommen, dass die Taleban die Möglichkeit erhielten, einerseits ihre Hauptmacht aus dem Kampfgebiet abzuziehen und andrerseits das Gelände vorzubereiten, indem sie es mit Minen und und Fallstricken spikten. Dies nahmen die Aliierten in Kauf, weil sie ihr Hauptziel in einer Besetzung des Helmandgebietes erblicken, das nach der Eroberung besetzt gehalten und abgesichert werden soll, zuerst wohl vornehmlich durch die fremden Kampftruppen, aber allmählich, so hofft man gewiss, durch wachsende Zahlen afghanischer Soldaten und Polizisten.
Dies ist ebenfalls Teil der „neuen Straegie“, bisher war es so, dass Helmand von Nato, von britischen und kanadischen Truppen schon mehrmals besetzt und „gereinigt“ worden war, die vertriebenen Taleban aber auswichen und nach Abzug der Invasionstruppen zurückkehrten. Genügend Truppen, um Helmand permanent besetzt zu halten, fehlten damals. Dies soll nun anders werden. Auf die „Eroberung“ und „Besetzung“ soll eine Befriedungs- und Aufbauphase folgen. Genügend Truppen sollen bleiben, um eine Rückkehr der Taleban zu verhindern. Wenn dies gelingt, kann man von einem Erfolg und von einer ersten erfolgreichen Phase der neuen Strategie sprechen.
Helmand war bisher für die Taleban wichtig. Es ist das ertragreichste und wichtigste Gebiet von Mohnfeldern, die dem Opium- und Heroingeschäft der Taleban dienen. Dieses ist ein wichtiger, wohl gar der wichtigste, Zweig ihrer Finanzierung. Das Tal ist relativ dicht bewohnt. Das erste Hauptziel der angreifenden Truppen ist die Stadt Marjah mit etwa 80 000 Bewohnern und mit Heroinlaboratorien, die bisher soetwas wie eine Hauptstadt der afghanischen Taleban war. Das ganze untere Helmandtal dürfte etwa 125 000 Bewohner, meist Bewässerungsbauern, aufweisen.
Nach den ersten Meldungen ist die Offensive anfänglich glatt verlaufen. Haupthinderniss waren die Minen und Explosivfallen, welche die Taleban vorbereitet hatten. Einge davon forderten Opfer. Zu heftigen Kämpfen gegen Bodentruppen scheint es nicht gekommen zu sein, obgleich die Angreifer nun schon nah bei Marjah stehen, oder sogar nach anderen Meldungen (AIP Afghan Islamic Press) bereits in die Stadt eingedrungen sind. Dies dürfte anzeigen, dass die Taleban ihrer bisher bewährten Taktik nachkommen, welche natürlich die klassische Guerilla Taktik ist, nämlich vor übermächtigen Angreifern zurückzuweichen, sich zu zerstreuen und zu verzetteln, um dann nach dem Abzug oder der Ausdünnung der Angriffsspitzen wieder zurückzukehren.
Diese Taktik hatte ihnen bisher Erfolge gebracht. Doch das soll nun anders werden. Es könnte auch anders werden, wenn den verbündeten regulären Truppen Phase zwei und drei ihres Programmes gelingen, nämlich Befriedung und Entwicklung der Helmandregion, soweit, dass sie in die Lage geräte, mit Hilfe der Truppen und Polizisten der afghanischen Regierung, Versuche der Rückkehr der Taleban abzuwehren.
Dieses Programm berechtigt die Vorankündgungen der Offensive: sie sollten bewirken und scheinen es auch erreicht zu haben, dass keine blutigen und zerstörerischen Kämpfe im Helmandtal stattfanden, unter denen die Zivilbevölkerung unvermeidlich am schwersten gelitten hätte und die dadurch die Bereitschaft der Bevölkerung, mit den Invasionstruppen zusammenzuarbeiten stark, wohl sogar entscheidend, vermindert hätten.
Doch auch ohne grosse Zerstörungen steht den ausländischen und afghanischen Truppen nach der Besetzung ihrer Zielregionen eine Bewährungsprobe bevor. Die Bevölkerung hat früher schon mehrmals erlebt, dass die fremden Truppen einzogen, „siegten“ und sich wieder entfernten. So die Nato Truppen von Mai bis Juni 2006; dann Nato und Afghanische Truppen im März 2007; schliesslich im Juli 2009 4000 amerikanische Soldaten. Die Taleban kehrten zurück und rächten sich an allen Jenen, die sich für eine Zusammenarbeit mit den Ausländern zur Verfügung gestellt hatten. Blosse Versicherungen, dass es diesmal anders werde, dürften schwerlich genügen, um das Misstrauen der Bevölkerung abzubauen. Die Zivilbevölkerung muss über eine längere Periode hinweg die Gewissheit erhalten, dass sie diesmal verteidigt wird und die Taleban nicht zurückkehren werden, bevor sie sich voll auf eine enge Zusammenarbeit mit den neuen Machthabern einlässt. Die Herrschaft welche die neuen Machthaber ausüben, muss sich auch deutlich genug im positiven Sinne (und in den Augen der afghanischen Bevökerung selbst) von jener unterscheiden, welche die Taleban geführt hatten, um die Bevölkerung zu veranlassen, das Risiko einer Zusammenarbeit und eines Engagements auf Seiten der neuen Mächte auf sich zu nehmen. Die Reputation der afghanischen Polizei ist bisher eine solche gewesen, dass diese Veraussetzung nicht unbedingt als selbstverständlich erfüllt gelten kann.
Der Erfolg der gegenwärtigen Offensive und mit ihr die erste Probe der neuen Strategie kann folglich erst als gesichert gelten, wenn nicht nur die anfängliche Phase der militärischen Eroberung und Besetzung erfolgreich verläuft, sondern auch die entscheidenden weiteren Phasen der Gewinnung der Zustimmung der Bevölkerung, der Absicherung ihrer Zukunft und des Aufbaus von überlebensfähigen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Strukturen gelingt. Diese Voraussetzungen waren in allen bisherigen militärischen und Kampf- und Aufbaumaneuvern der Aliierten Truppen nicht in genügendem Masse erfüllt, um das Überleben der Karzai Regierung unter dem Ansturm der Taleban sicher zu stellen. Daran, ob es diesmal in Helmand gelingt und in welcher Frist, müssen der wahren Erfolgschancen der Offensive und mit ihr jene der neuen Strategie Obamas beurteilt werden.
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In Afghanistan hat die lange im Voraus angekündigte Offensive im Helmandtal am 12. Febraur begonnen. Sie wird gemeinsam von total 15 000 amerikanischen, britischen und afghanischen Soldaten vorgetragen. Sie ist weitaus die grösste Offensive, die in Helmand je stattfand. Die Vorausankündigungen waren beabsichtigt. Sie gelten als ein Teil der neuen Strategie, die nun zur Anwendung kommen soll. Mit der Bekanntgabe, schon Wochen voraus, sollte bewirkt werden, dass möglichst wenige Zivilisten Opfer der Kämpfe werden und auch, dass möglicherweise Gruppen der Talebankämpfer sich entschlössen, auf die Seite der Amerikaner und der Regierung Karzai überzugehen.
Natürlich wurde damit auch in Kauf genommen, dass die Taleban die Möglichkeit erhielten, einerseits ihre Hauptmacht aus dem Kampfgebiet abzuziehen und andrerseits das Gelände vorzubereiten, indem sie es mit Minen und und Fallstricken spikten. Dies nahmen die Aliierten in Kauf, weil sie ihr Hauptziel in einer Besetzung des Helmandgebietes erblicken, das nach der Eroberung besetzt gehalten und abgesichert werden soll, zuerst wohl vornehmlich durch die fremden Kampftruppen, aber allmählich, so hofft man gewiss, durch wachsende Zahlen afghanischer Soldaten und Polizisten.
Dies ist ebenfalls Teil der „neuen Straegie“, bisher war es so, dass Helmand von Nato, von britischen und kanadischen Truppen schon mehrmals besetzt und „gereinigt“ worden war, die vertriebenen Taleban aber auswichen und nach Abzug der Invasionstruppen zurückkehrten. Genügend Truppen, um Helmand permanent besetzt zu halten, fehlten damals. Dies soll nun anders werden. Auf die „Eroberung“ und „Besetzung“ soll eine Befriedungs- und Aufbauphase folgen. Genügend Truppen sollen bleiben, um eine Rückkehr der Taleban zu verhindern. Wenn dies gelingt, kann man von einem Erfolg und von einer ersten erfolgreichen Phase der neuen Strategie sprechen.
Helmand war bisher für die Taleban wichtig. Es ist das ertragreichste und wichtigste Gebiet von Mohnfeldern, die dem Opium- und Heroingeschäft der Taleban dienen. Dieses ist ein wichtiger, wohl gar der wichtigste, Zweig ihrer Finanzierung. Das Tal ist relativ dicht bewohnt. Das erste Hauptziel der angreifenden Truppen ist die Stadt Marjah mit etwa 80 000 Bewohnern und mit Heroinlaboratorien, die bisher soetwas wie eine Hauptstadt der afghanischen Taleban war. Das ganze untere Helmandtal dürfte etwa 125 000 Bewohner, meist Bewässerungsbauern, aufweisen.
Nach den ersten Meldungen ist die Offensive anfänglich glatt verlaufen. Haupthinderniss waren die Minen und Explosivfallen, welche die Taleban vorbereitet hatten. Einge davon forderten Opfer. Zu heftigen Kämpfen gegen Bodentruppen scheint es nicht gekommen zu sein, obgleich die Angreifer nun schon nah bei Marjah stehen, oder sogar nach anderen Meldungen (AIP Afghan Islamic Press) bereits in die Stadt eingedrungen sind. Dies dürfte anzeigen, dass die Taleban ihrer bisher bewährten Taktik nachkommen, welche natürlich die klassische Guerilla Taktik ist, nämlich vor übermächtigen Angreifern zurückzuweichen, sich zu zerstreuen und zu verzetteln, um dann nach dem Abzug oder der Ausdünnung der Angriffsspitzen wieder zurückzukehren.
Diese Taktik hatte ihnen bisher Erfolge gebracht. Doch das soll nun anders werden. Es könnte auch anders werden, wenn den verbündeten regulären Truppen Phase zwei und drei ihres Programmes gelingen, nämlich Befriedung und Entwicklung der Helmandregion, soweit, dass sie in die Lage geräte, mit Hilfe der Truppen und Polizisten der afghanischen Regierung, Versuche der Rückkehr der Taleban abzuwehren.
Dieses Programm berechtigt die Vorankündgungen der Offensive: sie sollten bewirken und scheinen es auch erreicht zu haben, dass keine blutigen und zerstörerischen Kämpfe im Helmandtal stattfanden, unter denen die Zivilbevölkerung unvermeidlich am schwersten gelitten hätte und die dadurch die Bereitschaft der Bevölkerung, mit den Invasionstruppen zusammenzuarbeiten stark, wohl sogar entscheidend, vermindert hätten.
Doch auch ohne grosse Zerstörungen steht den ausländischen und afghanischen Truppen nach der Besetzung ihrer Zielregionen eine Bewährungsprobe bevor. Die Bevölkerung hat früher schon mehrmals erlebt, dass die fremden Truppen einzogen, „siegten“ und sich wieder entfernten. So die Nato Truppen von Mai bis Juni 2006; dann Nato und Afghanische Truppen im März 2007; schliesslich im Juli 2009 4000 amerikanische Soldaten. Die Taleban kehrten zurück und rächten sich an allen Jenen, die sich für eine Zusammenarbeit mit den Ausländern zur Verfügung gestellt hatten. Blosse Versicherungen, dass es diesmal anders werde, dürften schwerlich genügen, um das Misstrauen der Bevölkerung abzubauen. Die Zivilbevölkerung muss über eine längere Periode hinweg die Gewissheit erhalten, dass sie diesmal verteidigt wird und die Taleban nicht zurückkehren werden, bevor sie sich voll auf eine enge Zusammenarbeit mit den neuen Machthabern einlässt. Die Herrschaft welche die neuen Machthaber ausüben, muss sich auch deutlich genug im positiven Sinne (und in den Augen der afghanischen Bevökerung selbst) von jener unterscheiden, welche die Taleban geführt hatten, um die Bevölkerung zu veranlassen, das Risiko einer Zusammenarbeit und eines Engagements auf Seiten der neuen Mächte auf sich zu nehmen. Die Reputation der afghanischen Polizei ist bisher eine solche gewesen, dass diese Veraussetzung nicht unbedingt als selbstverständlich erfüllt gelten kann.
Der Erfolg der gegenwärtigen Offensive und mit ihr die erste Probe der neuen Strategie kann folglich erst als gesichert gelten, wenn nicht nur die anfängliche Phase der militärischen Eroberung und Besetzung erfolgreich verläuft, sondern auch die entscheidenden weiteren Phasen der Gewinnung der Zustimmung der Bevölkerung, der Absicherung ihrer Zukunft und des Aufbaus von überlebensfähigen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Strukturen gelingt. Diese Voraussetzungen waren in allen bisherigen militärischen und Kampf- und Aufbaumaneuvern der Aliierten Truppen nicht in genügendem Masse erfüllt, um das Überleben der Karzai Regierung unter dem Ansturm der Taleban sicher zu stellen. Daran, ob es diesmal in Helmand gelingt und in welcher Frist, müssen der wahren Erfolgschancen der Offensive und mit ihr jene der neuen Strategie Obamas beurteilt werden.
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Donnerstag, 11. Februar 2010
IRAN: Die Selbstzerfleischung der Islamischen Republik
Der „Geistliche Führer“ findet keinen Ausweg aus seinem Dilemma – Für die Opposition gibt es kein Zurück mehr
von Birgit Cerha
Ob sich der 31. Jahrestag des größten Triumphes der „Islamischen Revolution“ als Schicksalstag für ihren Untergang erweist, wird erst die Zukunft zeigen. So manches deutet darauf hin. Noch nie war das Jubiläum der Republikgründung mit derartiger Hochspannung und Nervosität erwartet worden, wie diesmal. Noch nie hatten die Herrscher des „Gottesstaates“ ein derart gigantisches Aufgebot an Sicherheitskräften eingesetzt und noch nie zählten zu ihren Opfern so viele Revolutionäre der ersten Stunde, deren Kinder oder Enkel.
Alle, selbst die brutalsten Versuche (etwa Exekutionen) der sich vollends zu Despoten gewandelten Theokraten, das sich nach Freiheit sehnende Volk so einzuschüchtern, dass es sich nicht mehr und vor allem nicht an diesem historischen 22. Bahman des persischen Kalenders (dem 11. Februar) zu Protesten in die Straßen wagt, sind gescheitert. Eine grobe Schätzung der Zahl der Demonstranten, der von den Sicherheitskräften Verletzten und der Festgenommenen wird noch auf sich warten lassen. Fest steht jedoch, dass es dem Regime nicht gelungen ist, an diesem großen Revolutionstag, wie erhofft, den Sieg über seine internen Herausforderer zu feiern. Die Kraftprobe ist nicht entschieden, sie wird sich fortsetzen und die „Islamische Republik“ politisch immer stärker lähmen. Und dies gerade in einer Phase eskalierender Spannungen mit der Weltgemeinschaft wegen des umstrittenen iranischen Atomprogramms.
Was sich vor acht Monaten als Folge der manipulierten Präsidentschaftswahlen spontan mit dem Ruf „Wo ist meine Stimme?“ gebildet hatte, entwickelte sich seither zur größten Bürgerrechtsbewegung in der jüngeren Geschichte des Irans, die – im Grunde führerlos – alle sozialen Schichten und Altersgruppen, apolitische Religiöse ebenso mit einschließt, wie Demokraten, Kommunisten, Monarchisten, Anhänger eines islamischen Systems, wie Laizisten. Und sie hat Gewaltlosigkeit zu ihrer unantastbaren Strategie erhoben, nicht zuletzt auch, um dem repressiven Regime jeden Vorwand für Repressionen zu verwehren. Ging es anfänglich nur um eine Wiederholung der Wahlen, so erschallen nun – angesichts unzähliger Morde in den Straßen und Gefängnissen durch die Sicherheitskräfte, Verhaftungen, Verurteilungen, Exekutionen und massiven Einschüchterungen - die Rufe nach Systemveränderung immer lauter.
Die „Grüne (Demokratie-)Bewegung“ hat in den vergangenen acht Monaten eine erstaunliche Widerstands- und Überlebenskraft bewiesen. Sie hat damit den „Geistlichen Führer“ Khamenei in ein schier auswegloses Dilemma gestürzt. Durch seinen seit zwei Jahrzehnten praktizierten Stil der vollen Autoritätsausübung ohne zugleich klare Entscheidungen zu treffen (mit Ausnahme jener der Wahlmanipulation und des Paktes mit Ahmadinedschad), sowie Verantwortung für Entwicklungen zu übernehmen, trägt er daran die Hauptschuld. Fest davon überzeugt, dass die anfängliche Kompromissbereitschaft gegenüber Demonstranten dem Schah 1979 schließlich den Thron gekostet hatte, zieht Khamenei entschlossen aus der Geschichte seine Lehre – und er vergrämt – fast – alle. Immer größer wird die Zahl selbst der regimetreuen Konservativen, darunter so prominente Persönlichkeiten wie der Parlamentspräsident Laridschani, der Teheraner Bürgermeister Qalibaf oder ehemals führende und immer noch einflussreiche Ex-Kommandanten der Revolutionsgarden, die Khamenei zu Kompromissen gegenüber den „Grünen“ drängen. Vor allem droht der „Führer“ vollend den Rückhalt der hohen Geistlichkeit zu verlieren, die – von kleinen Ausnahmen abgesehen – Diktatur und Brutalität im Namen des Islams aus Gewissensgründen nicht mehr dulden können. Damit wird der Ruf eines einzigartigen islamisch-politischen Modells für die gesamte Welt der Muslime, das die iranischen Gottesmänner drei Jahrzehnte lang mit Stolz erfüllt hatte, vollends ruiniert.
Doch Khamenei – von Eingeweihten seit langem als paranoid charakterisiert – erscheint davon überzeugt, dass auch ein Kompromiss mit der Opposition, der nach Meinung vieler die „Islamische Republik“ zumindest kurzfristig ein wenig vom Rand des Abgrund zerren könnte, seine politischen Rivalen (etwa Rafsandschani) stärken und damit seinen eigenen Untergang besiegeln könnte. Immerhin hatte der einstige „Königmacher“ Rafsandschani, dem Khamenei seine Position verdankt, im Vorjahr intensiv, bisher vergeblich, versucht einen Weg zur Absetzung dieses umstrittenen „Führers“ zu ebnen.
Khamenei schöpft seine Kraft aus dem Bund mit Ahmadinedschad und den allmächtigen Revolutionsgarden. Dass die Regierung nun die an die Garden angegliederte Bassidsch-Miliz, aeifrig für Geld friedliche Demonstranten und deren Familien terrorisiert und auch einige ermordet hat, entscheidend aufwertet, ihr eine ökonomische, vor allem auch eine politische Rolle und viel mehr Geld verspricht, verheißt den freiheitshungrigen Iranern nichts Gutes. Der Kampf zwischen Despotie und Demokratie geht in die nächste Runde.
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IRAN: Ahmadinedschad feiert Irans Aufstieg zur Atommacht
Regime versucht mit brutaler Gewalt am Revolutionstag seine Stärke zu demonstrieren und gewinnt die Medienschlacht – Doch die Opposition gibt nicht auf
von Birgit Cerha
Teheran glich Donnerstag, dem seit vielen Wochen vom islamischen Regime so gefürchteten Jahrestag der Gründung der „Islamischen Republik“ vor 31 Jahren , einer Metropole unter Kriegsrecht. Aus dem ganzen Land wurden Sicherheitskräfte und paramilitärische Bassidsch angekarrt, um mit aller Gewalt eine durch die Opposition ungestörte Revolutionsfeier zu garantieren. Präsident Ahmadinedschad hatte mit großem Erfolg in den vergangenen Tagen den Tenor für dieses Fest bereitet: Atompolitik und Feindschaft gegenüber dem Westen. Diese Themen dominierten denn auch seine eineinhalbstündige Rede vor Zehntausenden Menschen, die sich auf dem riesigen Azadi-Platz in Teheran versammelt hatten. Sie wurden aus allen Landesteilen nach Teheran gebracht, viele Schüler waren darunter, staatliche Angestellte und Tausende vom Staat abhängige oder bezahlte Menschen. Ihnen allen, vor allem aber der internationalen Gemeinschaft verkündete der heftig umstrittene Präsident frohlockend, dass der Iran nun zwei Tage nach Beginn des Prozesses Uran auf 20 Prozent angereichert hätte und deshalb nun effektiv zu einer Atommacht aufgestiegen sei. Zugleich fanden auch Attacken auf den „teuflischen Westen“, allen voran die USA breiten Raum. Die das System in seinen Grundfesten erschütternden internen Probleme erwähnte Ahmadinedschad mit keinem Wort, in der Hoffnung, der Westen werde sich nur auf die Frage der angeblich neu errungen militärischen Stärke des Iran konzentrieren.
Unterdessen steht fest, dass das Regime eine in vollem Einsatz geführte Medienschlacht gewonnen hat. Ausländische Journalisten, die man nach längerem Einreiseverbot zu diesem Fest geladen hatte, durften nur den Azadi-Platz besuchen und erhielten den strengen Auftrag, über keinerlei oppositionelle Aktivitäten zu berichten. An dieses Schema halten sich auch die offiziellen iranischen Medien.
Ein Bild über das wahre Geschehen an diesem kritischen Tag, zu dem die Führer der „Grünen (Demokratie-)Bewegung, Mussawi, Karrubi und Khatami ihre breite Anhängerschicht zu – friedlichen – Protestkundgebungen aufgerufen hatten, wird sich erst allmählich durch verifizierte Berichte, die Iraner über ihr soziales Netzwerk ins Ausland senden, erkennen lassen. Fest steht jedoch, dass ein gigantisches Aufgebot an Sicherheitskräften im Zentrum Teherans Protestierende gewaltsam vom Vormarsch zum Azadi-Platz abhielt, ebenso zum Evin-Gefängnis, in dem Hunderte friedliche Demonstranten schmachten, sowie zum staatlichen Rundfunk- und Fernsehgebäude. An die hundert Bassidschis stürmten zu Karrubis Auto, als sich dieser den Demonstranten anschließen wollten und fügten ihm leichte Verletzungen zu. Kurzfristig wurde sein Sohn, ebenso wie der Bruder Khatamis und dessen Frau, die Enkelin von Revolutionsführer Khomeini, festgenommen. Auch Khatamis Auto wurde attackiert, ebenso die Frau Mussawis. Karrubi stellte anschließend fest, dass die Brutalitäten der Bassidsch an diesem Tag einen Höhepunkt erreicht hatten.
Bemerkenswerter Weise hatte sich auch Ex-Präsident Rafsandschani Demonstrierenden angeschlossen, was eine gravierende Entfremdung zwischen diesem immer noch sehr einflussreichen Politiker und Khamenei erkennen lässt.
Auch in anderen Städten des Landes, in Schiraz und Isfahan u.a. kam es zu Zusammenstößen. In Maschhad schlossen sich, wie schon bei ähnlichen Demonstrationen, zahlreiche Geistliche den Protesten an. In Tabriz rief die Menge: „Das ist der Monat des Blutes, Khamenei wird gestürzt.“ Zahlreiche Demonstranten brüllten „Tod Russland“, „Verräter-Führer, du hast die iranische Jugend getötet“ und „Panzer, Bomben und Bassidsch erzielen keine Wirkung“. Laut ertönte auch die Forderung nach Freilassung aller Gewissensgefangenen. Mussawis „Grüne Bewegung“ hatte für diesen Tag den Slogan ausgegeben: „Tod für niemandem. Lange leben alle.“
Nach Berichten aus Oppositionskreisen hat der iranische Geheimdienst in den vergangenen Tagen Organisatoren der „Grünen Bewegung“ die Nachricht übermittelt, dass der 11. Februar der letzte Tag ihrer Demonstrationen sei, zugleich halten sich Gerüchte, Mussawi und Karrubi würden in den kommenden Tagen festgenommen.
Das Regime versuchte nach Kräften Internetkontakte mit der Außenwelt zu blockieren, um den Anschein einer „glorreichen Kundgebung“ zu sichern. Im Laufe des Donnerstag zirkulierten Berichte, dass mindestens zwei Personen in Teheran und eine in Shiraz vermutlich von Bassidsch getötet worden seien.
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von Birgit Cerha
Teheran glich Donnerstag, dem seit vielen Wochen vom islamischen Regime so gefürchteten Jahrestag der Gründung der „Islamischen Republik“ vor 31 Jahren , einer Metropole unter Kriegsrecht. Aus dem ganzen Land wurden Sicherheitskräfte und paramilitärische Bassidsch angekarrt, um mit aller Gewalt eine durch die Opposition ungestörte Revolutionsfeier zu garantieren. Präsident Ahmadinedschad hatte mit großem Erfolg in den vergangenen Tagen den Tenor für dieses Fest bereitet: Atompolitik und Feindschaft gegenüber dem Westen. Diese Themen dominierten denn auch seine eineinhalbstündige Rede vor Zehntausenden Menschen, die sich auf dem riesigen Azadi-Platz in Teheran versammelt hatten. Sie wurden aus allen Landesteilen nach Teheran gebracht, viele Schüler waren darunter, staatliche Angestellte und Tausende vom Staat abhängige oder bezahlte Menschen. Ihnen allen, vor allem aber der internationalen Gemeinschaft verkündete der heftig umstrittene Präsident frohlockend, dass der Iran nun zwei Tage nach Beginn des Prozesses Uran auf 20 Prozent angereichert hätte und deshalb nun effektiv zu einer Atommacht aufgestiegen sei. Zugleich fanden auch Attacken auf den „teuflischen Westen“, allen voran die USA breiten Raum. Die das System in seinen Grundfesten erschütternden internen Probleme erwähnte Ahmadinedschad mit keinem Wort, in der Hoffnung, der Westen werde sich nur auf die Frage der angeblich neu errungen militärischen Stärke des Iran konzentrieren.
Unterdessen steht fest, dass das Regime eine in vollem Einsatz geführte Medienschlacht gewonnen hat. Ausländische Journalisten, die man nach längerem Einreiseverbot zu diesem Fest geladen hatte, durften nur den Azadi-Platz besuchen und erhielten den strengen Auftrag, über keinerlei oppositionelle Aktivitäten zu berichten. An dieses Schema halten sich auch die offiziellen iranischen Medien.
Ein Bild über das wahre Geschehen an diesem kritischen Tag, zu dem die Führer der „Grünen (Demokratie-)Bewegung, Mussawi, Karrubi und Khatami ihre breite Anhängerschicht zu – friedlichen – Protestkundgebungen aufgerufen hatten, wird sich erst allmählich durch verifizierte Berichte, die Iraner über ihr soziales Netzwerk ins Ausland senden, erkennen lassen. Fest steht jedoch, dass ein gigantisches Aufgebot an Sicherheitskräften im Zentrum Teherans Protestierende gewaltsam vom Vormarsch zum Azadi-Platz abhielt, ebenso zum Evin-Gefängnis, in dem Hunderte friedliche Demonstranten schmachten, sowie zum staatlichen Rundfunk- und Fernsehgebäude. An die hundert Bassidschis stürmten zu Karrubis Auto, als sich dieser den Demonstranten anschließen wollten und fügten ihm leichte Verletzungen zu. Kurzfristig wurde sein Sohn, ebenso wie der Bruder Khatamis und dessen Frau, die Enkelin von Revolutionsführer Khomeini, festgenommen. Auch Khatamis Auto wurde attackiert, ebenso die Frau Mussawis. Karrubi stellte anschließend fest, dass die Brutalitäten der Bassidsch an diesem Tag einen Höhepunkt erreicht hatten.
Bemerkenswerter Weise hatte sich auch Ex-Präsident Rafsandschani Demonstrierenden angeschlossen, was eine gravierende Entfremdung zwischen diesem immer noch sehr einflussreichen Politiker und Khamenei erkennen lässt.
Auch in anderen Städten des Landes, in Schiraz und Isfahan u.a. kam es zu Zusammenstößen. In Maschhad schlossen sich, wie schon bei ähnlichen Demonstrationen, zahlreiche Geistliche den Protesten an. In Tabriz rief die Menge: „Das ist der Monat des Blutes, Khamenei wird gestürzt.“ Zahlreiche Demonstranten brüllten „Tod Russland“, „Verräter-Führer, du hast die iranische Jugend getötet“ und „Panzer, Bomben und Bassidsch erzielen keine Wirkung“. Laut ertönte auch die Forderung nach Freilassung aller Gewissensgefangenen. Mussawis „Grüne Bewegung“ hatte für diesen Tag den Slogan ausgegeben: „Tod für niemandem. Lange leben alle.“
Nach Berichten aus Oppositionskreisen hat der iranische Geheimdienst in den vergangenen Tagen Organisatoren der „Grünen Bewegung“ die Nachricht übermittelt, dass der 11. Februar der letzte Tag ihrer Demonstrationen sei, zugleich halten sich Gerüchte, Mussawi und Karrubi würden in den kommenden Tagen festgenommen.
Das Regime versuchte nach Kräften Internetkontakte mit der Außenwelt zu blockieren, um den Anschein einer „glorreichen Kundgebung“ zu sichern. Im Laufe des Donnerstag zirkulierten Berichte, dass mindestens zwei Personen in Teheran und eine in Shiraz vermutlich von Bassidsch getötet worden seien.
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IRAN: Die Fronten sind abgesteckt
Der 31. Jahrestag der Islamischen Revolution kann sich als Wendepunkt in der Geschichte des Landes erweisen
von Birgit Cerha
Der 22. Tag des persischen Kalendermonats Bahman, der 11. Februar, ist ein Schicksalstag im Iran. Vor 31 Jahren hatte Revolutionsführer Khomeini an diesem Tag die Gründung der Islamischen Republik verkündet. Seither treiben die islamischen Führer das Volk in patriotischem Eifer in die Straßen, um die Errungenschaften dieses weltweit einzigartigen Staatssystems zu feiern und seine Stärke zu demonstrieren. Diesmal aber steht den Herrschern des „Gottesstaates“ eine Kraftprobe bevor, die sich als Wendepunkt in der Geschichte des Landes erweisen könnte. Denn die oppositionelle „Grüne Bewegung“, die sich im Juni spontan in Protesten gegen die gefälschte Wiederwahl Präsident Ahmadinedschads gebildet hatte, ist entschlossen, zu diesem patriotischen Anlass auch ihre Stärke zu zeigen.
Die Fronten sind abgesteckt. Ein Großaufgebot an Sicherheitskräften, darunter 12.000 mit Gummiknüppeln bewaffnete Bassidsch-Milizionäre, sind an den Kundgebungsorten in Teheran stationiert. Zehntausende Anhänger Ahmadinedschads und des „Geistlichen Führers“ Khamenei werden aus dem ganzen Land in Bussen nach Teheran gekarrt. An den Straßen, durch die die Menschenmassen ziehen sollen, hat das Regime große Zahlen von Lautsprechern angebracht, um mit regimetreuen Slogans jene der „Grünen Bewegung“ zu übertönen. Beide Seiten sind entschlossen, die jeweils andere durch ihre Zahlen und ihre Slogans zu übertrumpfen. Während das Regime der eigenen Bevölkerung seine Stärke beweisen und die Welt davon überzeugen will, dass die Iraner immer noch vereint hinter ihm stehen, hofft die Demokratie-Bewegung durch ein Massenaufgebot ihrer Anhänger endlich ihre Forderungen nach einem Ende der massiven Repressionen, der Freilassung aller politischen Gefangenen und demokratischer Reformen durchzusetzen.
Seit Wochen haben sich beide Seiten für diese kritische Machtprobe gerüstet. Durch ungeheuerliche Brutalitäten, die ersten Exekutionen von zwei wegen angeblicher Verwicklung in die „grünen“ Proteste zum Tode verurteilten Männer, neun weitere Todesurteile, die Drohung weiterer Exekutionen, Massenverhaftungen politischer Aktivisten, Studenten und vor allem Journalisten (etwa 65 Medienvertreter sitzen derzeit in iranischen Gefängnissen ein) und kontinuierliche Verbaldrohungen versucht das Regime die Bevölkerung und die Oppositionsbewegung so einzuschüchtern, dass sie sich nicht erneut auf die Straße wagen. Vergeblich, wie es scheint. Am Vorabend des Jahrestages richtete Khamenei eine scharfe Warnung an all jene, die die Wiederwahl Ahmadinedschads weiterhin verurteilen. Sie seien Agenten der gestürzten Monarchie. Eine Gruppe radikaler Parlamentarier warnt die beiden Führer der „Grünen Bewegung“, Mussawi und Karrubi, der 11. Februar wie „ihre letzte Chance“ ungenannten Konsequenzen zu entgehen. Gerüchte halten die Runde, die beiden würden danach verhaftet.
Unterdessen rufen Mussawi, Karrubi, gemeinsam mit Ex-Präsident Khatami, unerschüttert ihre Anhänger auf, in großen Zahlen in die Straßen zu ziehen, sich jedoch unter allen Umständen der Gewalt zu enthalten, ja nicht provozieren zu lassen. Khatami appelliert an seine Anhänger, ihre Unterstützung der Revolution und der Rechte des Volks kundzutun. „Jene, die grundlos Demonstranten der Subversion beschuldigen, lenken – bewusst oder unbewusst – die Revolution von ihrem korrekten Weg ab und verletzen ihre Prinzipien.“ Die „Front der Reformer“ gab den Slogan aus: „Ja zur Islamischen Republik! Niemals eine autoritäre Herrschaft!“
Ali Akbar Rafsandschani, eine der Schlüsselfiguren des Regimes gab unterdessen seine monatelange Zurückhaltung auf und forderte nach der iranischen Website „Rah-e-Sabz“ Khamenei „ultimativ“ auf , den Ungerechtigkeiten und Menschenrechtsverletzungen durch die Regierung und die Sicherheitskräfte Einhalt zu gebieten. Offenbar als Folge von Rafsandschanis Vorsprache beim „Führer“ wurde Mussawis engster Vertrauter Alireza Beheschti nach langem Gefängnisaufenthalt freigelassen.
Nach Berichten aus Teheran hat sich die politische Atmosphäre gegenüber jener vor den jüngsten blutigen Massenkundgebungen am 27. Dezember entscheidend verändert. Damals hatten Mussawi und Karrubi nicht zu Demonstrationen aufgerufen und im Anschluß an die Proteste hatten konservative Politiker wie Parlamentspräsident Ali Laridschani die „gewalttätige“ und von „Ausländern unterstützte“ Grüne Bewegung scharf kritisiert. Diesmal konzentriert Laridschani seine Attacken auf Ahmadinedschad und soll, gemeinsam mit dem ebenfalls konservativen Bürgermeister von Teheran, Ghalibaf, Khamenei drängen die Sicherheitskräfte zu zügeln. Das selbe Ziel versuchen ehemalige führende Kommandanten der Revolutionsgarden zu erreichen.
Zugleich aber klagt Karrubi über eine Verhärtung der Fronten, jegliches Gespräch zwischen oppositionellen Führern und Khamenei, sowie dessen Anhängern sei vollends abgebrochen. Ein Blutbad am Revolutionstag, das Irans Krise noch weiter dramatisch verschärfen könnte, erscheint deshalb nicht ausgeschlossen.
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Dienstag, 9. Februar 2010
IRAN: Iran am Scheideweg
Das Volk ist gespalten, das Regime geschwächt und zerstritten, die „Grüne Bewegung“ wächst ohne effektive Führung, der Status Quo droht das Land noch tiefer in die Krise zu stürzen
von Birgit Cerha
Mit einem „Faustschlag in den Mund“ drohte Irans „Geistlicher Führer“ Khamenei all jenen einen Schock zu versetzen, die es wagen sollten, am Revolutionstag, dem 11. Februar, ihre Stimmen gegen das von ihm geführte Regime zu erheben. Die für diesen Tag erwartete Kraftprobe zwischen Khamenei und dessen Schützling-Präsidenten Ahmadinedschad auf der einen und der stetig anwachsenden „Grünen (Demokratie-)Bewegung“ auf der anderen Seite versetzte den Iran wochenlang in steigende Nervosität. Die Verhaftungswelle rollte, mindestens 75 Journalisten wurden unter Hunderten anderen Bürgern hinter Gitter gesetzt, zwei Todesurteile an jungen Oppositionellen vollstreckt und weitere angekündigt. Die Atmosphäre von Terror, Angst und Unsicherheit, die das Regime unter oppositionellen Aktivisten und deren Sympathisanten zu verbreiten sucht, ist Tagesgespräch.
Doch die drei symbolischen Führer der „Grünen Bewegung“ – Mussawi, Karrubi und Khatami - bleiben entschlossen, Einschüchterungen zu trotzen. Khameneis Hoffnung, am 11. Februar, dank massiver Brutalitäten den Sieg über die endgültig zerschlagene Demokratie-Strömung zu feiern, hat sich nicht erfüllt. So wagte sogar der stets so vorsichtige Ex-Präsident Khatami ungewöhnlich mutig, das Ende der Rolle Khameneis als höchsten, über allen Gruppierungen stehenden Führer festzustellen. Diese Position sei nur dann haltbar, wenn die Person, die sie einnähme, sich als Führer aller Iraner und nicht nur einer Fraktion im Establishment erweise. Diese Erklärung verdient auch deshalb besondere Beachtung, da Khatami und seine beiden Mitstreiter sich bisher jeglicher direkten Kritik an Khamenei enthalten hatten, in der Hoffnung, mit dem „Geistlichen Führer“ eine Kompromisslösung zu finden, die den Iran aus seiner katastrophalen Krise reißen könnte.
In diesem Versöhnungsplan hatte das iranische Atomprogramm eine wichtige Rolle gespielt. Offenbar sollte sich Mussawi zur Fortsetzung und Verteidigung dieses Programmes verpflichten und dafür die Freilassung aller Gefangenen, sowie politische Reformen einhandeln. Doch die wiederholten Rufe der Demonstranten – „Gib die Urananreicherung auf, tu etwas für die Armen“ – zwingt diesen Mann, der sich, wie viele andere iranische Nationalisten, voll zum souveränen Recht auf eine eigenständige atomare Entwicklung für friedliche Zwecke bekannte, in dieser Frage nun zum Schweigen. Welche Position er einnehmen würde, sollte er eines Tages die Macht erringen, läßt sich nicht absehen.
Die massiven Einschüchterungen durch das Regime haben Mussawi am 2. Februar aber zu seiner bisher schärfsten Kritik gezwungen. Die islamische Revolution sei gescheitert, analysierte dieser Treue Jünger Revolutionsführer Khomeinis, der dem Regime in den 80er Jahren acht Jahre lang während der brutalsten Repressionen als Premierminister treu gedient hatte. Und dennoch kommt Mussawi nun zu dem Schluss, dass „die Wurzeln von Tyrannei und Diktatur aus der Zeit der Monarchie immer noch existieren“. Diktatur im Namen der Religion sei „überhaupt das Schlimmste“.
Auch acht Monate nachdem sich die Protestbewegung als Folge der manipulierten Präsidentschaftswahlen spontan gebildet hatte und seither eine breite Strömung aus allen Schichten und Altersgruppen mit sich reißt, ist wenig über ihre interne Dynamik bekannt. Der vollends isolierte Mussawi gesteht offen ein, dass er die „Grüne Bewegung“ nicht zu führen vermag und er hält, wie auch seine beiden Mitstreiter, eisern an den Grundsätzen der „Islamischen Republik“ fest, erstrebt höchstens Korrekturen in der Verfassung und ein Ende der Verfassungsbrüche, wie der Repressionen, während die „grünen“ Massen immer lauter nach Systemwechsel rufen.
Mit dem Beispiel Khomeinis vor Augen, der sich in den 60er Jahren als unbequemer Kritiker des Schah-Regimes erwiesen hatte, 1964 ins Exil geschickt wurde und erst dort seine revolutionären Ideen entwickelte und schließlich – sogar noch ohne Internet und Satellitenfernsehen – in der Heimat verbreiten konnte, entschied sich Khamenei seine Herausforderer lieber daheim zu isolieren und zu schikanieren , sie aber ja nicht durch Verhaftung oder gar Mord - in einen Märtyrerstatus zu erheben. Seiner engsten Vertrauten, die alle im Gefängnis sitzen, beraubt und kontinuierlich eingeschüchtert, kann es Mussawi nicht wagen, die Islamische Republik selbst in Zweifel zu ziehen. Ob er allerdings politisch so gereift ist, um ein Ende des Systems zu erstreben, ist ohnedies höchst fraglich. Fest steht jedoch, dass Mussawi, wie wohl die große Mehrheit der Iraner, die Ansicht des dissidenten islamischen Revolutionärs Ezatollah Sahabi teilen, der vor wenigen Tagen betonte: „Eine Revolution im heutigen Iran ist weder möglich, noch ist sie wünschenswert.“
Doch entscheidet sich Khamenei nicht zu einer radikalen Abkehr seiner Strategie des Terrors gegen seine Herausforderer, dann ist die „Islamische Republik“, die auch in den Augen ihres „Geistlichen Führers“ ein einzigartiges Beispiel für die gesamte islamische Welt setzen will, dem Untergang geweiht. Eine entscheidende Rolle dabei spielt Irans hohe Geistlichkeit. Wendet sie sich offen von Khamenei ab, dann verliert dieser vollends die religiöse Basis und sein Ansehen nicht nur im Iran, sondern in der gesamten Welt der Schiiten. Zahlreiche Ayatollahs, die schon in der Vergangenheit Khameneis theologische Befähigung für dieses höchste Amt angezweifelt, doch geschwiegen hatten, distanzieren sich nun aus Gewissensgründen offen vom Regime, das im Namen des Islams ungeheuerliche Menschenrechtsverletzungen begeht. Die politisch tödliche Gefahr, die ihm aus diesem Kreisen droht, ist Khamenei voll bewusst. Das beweisen seine Gegenmaßnahmen. Schon sitzt Ayatollah Mohammed Taqi Khalaji, ein enger Vertrauter des im Dezember verstorbenen liberalen Großayatollah Montazeri in Isolationshaft im Evin-Gefängnis von Teheran. Andere hohe Geistliche, die Kritik an den Brutalitäten wagen, werden verbal und physisch attackiert und eingeschüchtert. Die heilige Stadt Qom, Zentrum schiitischer Lehre, gleicht nach Aussagen Ayatollah Khalajis Sohn Mehdi einem „militärischen Stützpunkt, Tausende Bewaffnete kontrollieren die Stadt. Niemand wagt mehr seine Stimme zu erheben, regimekritische Geistliche stehen unter ständiger Bewachung“, selbst durch Videokameras.
Der Iran, so meint ein Intellektueller, der seinen Namen lieber nicht preisgeben will, „steckt in einer Phase, in der die Geschichte zögert, welcher Weg einzuschlagen ist. Fest steht nur, dass der Status quo unhaltbar geworden ist.“
Erschienen am 11.02.2010 im "Rheinischer Merkur"
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von Birgit Cerha
Mit einem „Faustschlag in den Mund“ drohte Irans „Geistlicher Führer“ Khamenei all jenen einen Schock zu versetzen, die es wagen sollten, am Revolutionstag, dem 11. Februar, ihre Stimmen gegen das von ihm geführte Regime zu erheben. Die für diesen Tag erwartete Kraftprobe zwischen Khamenei und dessen Schützling-Präsidenten Ahmadinedschad auf der einen und der stetig anwachsenden „Grünen (Demokratie-)Bewegung“ auf der anderen Seite versetzte den Iran wochenlang in steigende Nervosität. Die Verhaftungswelle rollte, mindestens 75 Journalisten wurden unter Hunderten anderen Bürgern hinter Gitter gesetzt, zwei Todesurteile an jungen Oppositionellen vollstreckt und weitere angekündigt. Die Atmosphäre von Terror, Angst und Unsicherheit, die das Regime unter oppositionellen Aktivisten und deren Sympathisanten zu verbreiten sucht, ist Tagesgespräch.
Doch die drei symbolischen Führer der „Grünen Bewegung“ – Mussawi, Karrubi und Khatami - bleiben entschlossen, Einschüchterungen zu trotzen. Khameneis Hoffnung, am 11. Februar, dank massiver Brutalitäten den Sieg über die endgültig zerschlagene Demokratie-Strömung zu feiern, hat sich nicht erfüllt. So wagte sogar der stets so vorsichtige Ex-Präsident Khatami ungewöhnlich mutig, das Ende der Rolle Khameneis als höchsten, über allen Gruppierungen stehenden Führer festzustellen. Diese Position sei nur dann haltbar, wenn die Person, die sie einnähme, sich als Führer aller Iraner und nicht nur einer Fraktion im Establishment erweise. Diese Erklärung verdient auch deshalb besondere Beachtung, da Khatami und seine beiden Mitstreiter sich bisher jeglicher direkten Kritik an Khamenei enthalten hatten, in der Hoffnung, mit dem „Geistlichen Führer“ eine Kompromisslösung zu finden, die den Iran aus seiner katastrophalen Krise reißen könnte.
In diesem Versöhnungsplan hatte das iranische Atomprogramm eine wichtige Rolle gespielt. Offenbar sollte sich Mussawi zur Fortsetzung und Verteidigung dieses Programmes verpflichten und dafür die Freilassung aller Gefangenen, sowie politische Reformen einhandeln. Doch die wiederholten Rufe der Demonstranten – „Gib die Urananreicherung auf, tu etwas für die Armen“ – zwingt diesen Mann, der sich, wie viele andere iranische Nationalisten, voll zum souveränen Recht auf eine eigenständige atomare Entwicklung für friedliche Zwecke bekannte, in dieser Frage nun zum Schweigen. Welche Position er einnehmen würde, sollte er eines Tages die Macht erringen, läßt sich nicht absehen.
Die massiven Einschüchterungen durch das Regime haben Mussawi am 2. Februar aber zu seiner bisher schärfsten Kritik gezwungen. Die islamische Revolution sei gescheitert, analysierte dieser Treue Jünger Revolutionsführer Khomeinis, der dem Regime in den 80er Jahren acht Jahre lang während der brutalsten Repressionen als Premierminister treu gedient hatte. Und dennoch kommt Mussawi nun zu dem Schluss, dass „die Wurzeln von Tyrannei und Diktatur aus der Zeit der Monarchie immer noch existieren“. Diktatur im Namen der Religion sei „überhaupt das Schlimmste“.
Auch acht Monate nachdem sich die Protestbewegung als Folge der manipulierten Präsidentschaftswahlen spontan gebildet hatte und seither eine breite Strömung aus allen Schichten und Altersgruppen mit sich reißt, ist wenig über ihre interne Dynamik bekannt. Der vollends isolierte Mussawi gesteht offen ein, dass er die „Grüne Bewegung“ nicht zu führen vermag und er hält, wie auch seine beiden Mitstreiter, eisern an den Grundsätzen der „Islamischen Republik“ fest, erstrebt höchstens Korrekturen in der Verfassung und ein Ende der Verfassungsbrüche, wie der Repressionen, während die „grünen“ Massen immer lauter nach Systemwechsel rufen.
Mit dem Beispiel Khomeinis vor Augen, der sich in den 60er Jahren als unbequemer Kritiker des Schah-Regimes erwiesen hatte, 1964 ins Exil geschickt wurde und erst dort seine revolutionären Ideen entwickelte und schließlich – sogar noch ohne Internet und Satellitenfernsehen – in der Heimat verbreiten konnte, entschied sich Khamenei seine Herausforderer lieber daheim zu isolieren und zu schikanieren , sie aber ja nicht durch Verhaftung oder gar Mord - in einen Märtyrerstatus zu erheben. Seiner engsten Vertrauten, die alle im Gefängnis sitzen, beraubt und kontinuierlich eingeschüchtert, kann es Mussawi nicht wagen, die Islamische Republik selbst in Zweifel zu ziehen. Ob er allerdings politisch so gereift ist, um ein Ende des Systems zu erstreben, ist ohnedies höchst fraglich. Fest steht jedoch, dass Mussawi, wie wohl die große Mehrheit der Iraner, die Ansicht des dissidenten islamischen Revolutionärs Ezatollah Sahabi teilen, der vor wenigen Tagen betonte: „Eine Revolution im heutigen Iran ist weder möglich, noch ist sie wünschenswert.“
Doch entscheidet sich Khamenei nicht zu einer radikalen Abkehr seiner Strategie des Terrors gegen seine Herausforderer, dann ist die „Islamische Republik“, die auch in den Augen ihres „Geistlichen Führers“ ein einzigartiges Beispiel für die gesamte islamische Welt setzen will, dem Untergang geweiht. Eine entscheidende Rolle dabei spielt Irans hohe Geistlichkeit. Wendet sie sich offen von Khamenei ab, dann verliert dieser vollends die religiöse Basis und sein Ansehen nicht nur im Iran, sondern in der gesamten Welt der Schiiten. Zahlreiche Ayatollahs, die schon in der Vergangenheit Khameneis theologische Befähigung für dieses höchste Amt angezweifelt, doch geschwiegen hatten, distanzieren sich nun aus Gewissensgründen offen vom Regime, das im Namen des Islams ungeheuerliche Menschenrechtsverletzungen begeht. Die politisch tödliche Gefahr, die ihm aus diesem Kreisen droht, ist Khamenei voll bewusst. Das beweisen seine Gegenmaßnahmen. Schon sitzt Ayatollah Mohammed Taqi Khalaji, ein enger Vertrauter des im Dezember verstorbenen liberalen Großayatollah Montazeri in Isolationshaft im Evin-Gefängnis von Teheran. Andere hohe Geistliche, die Kritik an den Brutalitäten wagen, werden verbal und physisch attackiert und eingeschüchtert. Die heilige Stadt Qom, Zentrum schiitischer Lehre, gleicht nach Aussagen Ayatollah Khalajis Sohn Mehdi einem „militärischen Stützpunkt, Tausende Bewaffnete kontrollieren die Stadt. Niemand wagt mehr seine Stimme zu erheben, regimekritische Geistliche stehen unter ständiger Bewachung“, selbst durch Videokameras.
Der Iran, so meint ein Intellektueller, der seinen Namen lieber nicht preisgeben will, „steckt in einer Phase, in der die Geschichte zögert, welcher Weg einzuschlagen ist. Fest steht nur, dass der Status quo unhaltbar geworden ist.“
Erschienen am 11.02.2010 im "Rheinischer Merkur"
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Montag, 8. Februar 2010
IRAN – DAS GESICHT DER ZUKUNFT
Vortrag im „Institut für Kurdologie – Wien“ am 6. Februar 2010.
Von Birgit Cerha
Bei einer meiner Reisen in den Iran vor etwa zehn Jahren hatte ich ein Erlebnis, das mich damals sehr beeindruckte. Es erschien mir schon damals als Fingerzeig für eine Entwicklung, die der „Islamischen Republik“ eines Tages zum Verhängnis werden dürfte. Heute gewinnt diese Vorahnung zunehmende Bedeutung.
Ich besuchte das Mausoleum der 72 Märtyrer, jener führenden Männer der Revolution, die 1981 durch einen Bombenanschlag ums Leben gekommen waren. Als ich in die riesige Halle trat, unter deren Boden die Toten ruhen, tobten dort Zehnjährige einer Teheraner Schulklasse mit ihrem Fußball über den Gräbern. Fast wäre der Ball mitten in ein Porträtbild des Prominentesten unter den Toten, Ayatollah Beheschtis geprallt, das an einer der Wände ganz vorne prangte. Und: Über einem der Grabsteine dieser Revolutionäre, die dem „Großen Satan“ USA ewige Feindschaft geschworen hatten, hing lässig die kleine Kappe eines der Schüler. Nike stand darauf, der Inbegriff des verhaßten amerikanischen Imperialismus.
Die Szene erscheint mir heute symbolhaft für die Macht dieses größten Problems der herrschenden Gottesmänner: Irans Jugend.
Irans Jugend, die Studenten waren die Vorhut der Revolution 1979. Sie besitzt traditionell eine enorme politische Kraft und dies heute mehr denn je, sind doch 70 Prozent der Bevölkerung unter 30, dank eines von Khomeini angetriebenen Baby-Booms, der eine „neue islamische Generation“ hervorbringen sollte. Dieses Ziel hatte sich auch eine umfassende Kulturrevolution gesetzt.
Doch die neue Generation, im Schatten Khomeinis herangewachsen, mauserte sich zur gefährlichsten Geißel des Regimes. Die Gehirnwäsche der Ayatollahs verfehlte unter einem beträchtlichen Teilen der Jugend nicht nur ihre Wirkung, sondern erreichte das Gegenteil: totale Ablehnung des Systems, das ihr nicht nur keine Perspektive bietet, sondern auch jede Lebensfreude raubt. Die heutigen Führer der islamischen Republik gestehen diesen dramatischen Fehlschlag sogar indirekt ein, wenn sie nun zu einer raschen Bildungsreform drängen. Die Opposition spricht von einer zweiten Kulturrevolution, die Präsident Ahmadinedschad seit seiner Amtsübernahme 2005 eingeleitet hatte, für die er nun – angesichts der demonstrierenden Jugend – allerhöchste Eile geboten sieht, um die für das Regime so gefährliche teuflische „Kulturabweichung“ zu vermeiden. Dabei verfolgt er die Vision einer neuen Generation, die niemals über die engen Grenzen einer höchst restriktiven islamistischen Ideologie hinausblickt. So wir eine schärfere Indoktrinierung in den Schulen eingeleitet, Geschlechtertrennung, die Vermittlung anti-westlicher und anti-säkularer Werte. Ein zentraler Teil der Reformen ist die Stationierung von Angehörigen der paramilitärischen Bassidsch so quasi als ideologische Einpeitscher in den Schulen. Mädchen sollen künftig ausschließlich mit Blick auf die Ausübung der traditionellen Rolle der Frau in dieser patriarchalischen Gesellschaft ausgebildet werden. Durch Quotenregelung soll der Anteil der Studentinnen an den Universitäten radikal reduziert werden. Damit hofft das Regime wohl, die seit der Revolution 1919 überdurchschnittlich gut ausgebildeten Frauen – sie stellen heute mehr als 60 Prozent der Universitätsstudenten – wieder in an Heim und Herd zurückzudrängen, denn die Iranerinnen erweisen sich seit langem als die unbequemste Herausforderung des Regimes und sie spielen – bemerkenswerter Weise – auch in der nun so gefährlichen „Grünen Bewegung“ eine führende Rolle.
Auf Befehl des „Geistlichen Führers“ Khamenei werden Schulbücher und Lehrmethoden radikalen Veränderungen unterzogen, um der jungen Generation die islamischen Werte, wie sie das Regime versteht, in die Herzen einzupflanzen. Die vom tödlichen Reformvirus infizierten Geistes- und Sozialwissenschaften sollen nach dem Willen des „Geistlichen Führers“ Khamenei am besten ganz aus den Universitäten und dem Iran insgesamt verbannt werden. Mit der Säuberung liberaler Professoren, die fast drei Jahrzehnte nach der ersten Kulturrevolution wieder an den Universitäten lehrten, wurde bereits begonnen.
Einer der Aktivisten der Studentenbewegung, Abed Tavancheh, erklärte in einem Interview mit „Der Spiegel“ am 14. September 2009 : „Was wir jetzt erleben, ist nur die letzte Stufe dieser iranischen Kulturrevolution. Schon jetzt stellen die Revolutionsmilizen einen Teil der Lehrenden. Unter den Studenten sorgen sogenannte Ordnungskomitees dafür, dass Studienverbote wie Herbstlaub auf die Studenten fallen.“. Und er fügt hinzu: „Manche (Studenten) haben sich an die Führung verkauft, die anderen aber stehen hinter uns. Etliche Professoren mussten schon für ihre Haltung büßen. Sie wurden vorzeitig in den Ruhestand geschickt.“
Der Soziologieprofessor Said Paivandi, der an der Pariser Universität lehrt, ist davon überzeugt, dass zwar ein Teil der Jugend die Indoktrination in sich aufnehmen wird. Doch er weist auf Erfahrungen aus der Vergangenheit hin, die zeigten, dass sie dies nur auf eine kleine Minderheit beschränken werde. Der Rest, das heißt die große Mehrheit, wird eine offenere Gesellschaft erstreben, Freiheit und eine moderne Lebensweise, das heißt genau die gegenteiligen Ziele, die das Regime setzt. Dies kann nur die Entfremdung zwischen der heranwachsenden Generation und schließlich fast der gesamten Gesellschaft auf der einen und dem Regime auf der anderen Seite dramatisch verstärken.
Soviel als einleitende Erklärung über den Nährboden aus dem eine Befreiungs- und Demokratie-bewegung im Iran kurz – mittel-, vor allem aber auch langfristig ihre Kraft schöpfen wird. Das neue Gesicht des Iran läßt sich bereits erahnen. Die Despotie der Theokraten hat keine Chance mehr.
Das bedeutet jedoch nicht, dass das System unter Führung Khameneis in den nächsten Wochen zusammenbricht. Es ist alles offen und kaum ein anderes Land entzieht sich derart jeglichen Prophezeiungen, wie der Iran. Das hat die jüngere Geschichte immer und immer wieder gelehrt.
Und dennoch müssen wir in Hochspannung auf den elften Februar blicken. Könnte sich dieser Tag, an dem vor 31 Jahren die „Islamische Republik“ gegründet wurde, erneut als schicksalhaft für den Iran erweisen? Die erste Exekution von zwei wegen der Organisation der im Juni begonnenen Proteste gegen die manipulierten Präsidentschaftswahlen verurteilten Männer in der Vorwoche haben als dramatischen Einschüchterungsversuch gegen all jene zu gelten, die sich durch die bisherigen massiven Repressionen nicht davon abhalten ließen, immer wieder in den Straßen gegen das Regime zu demonstrieren.
Der 37-jährige Reza Ali Zamani und der 19-jährige Arash Rahmanipour waren schon vor den Wahlen im Juni verhaftet worden, Rahmanipour sogar bereits im April und nach der glaubwürdigen Aussage ihrer Anwältin waren sie zu einem falschen „Geständnis“ vor Gericht gezwungen worden und wegen „Mohareb“, sowie Mitgliedschaft in einer bewaffneten monarchistischen Oppositionsgruppe zum Tode verurteilt worden. Mohareb bedeutet „im Krieg gegen Gott“, worauf nach iranischem Strafrecht die Todesstrafe steht. Es war einst Khomeini gewesen, der diesen Begriff für politische Gegner eingeführt hatte und damit die Basis für die Exekution Tausender Oppositioneller in den ersten Jahren nach dem Sieg der Islamischen Revolution geschaffen hatte. Auch nun rufen radikale Geistliche und Politiker immer lauter dazu auf, Organisatoren, ja die Führer der „grünen Bewegung“ wegen Mohareb zu exekutieren. Bereits elf Personen wurden deshalb zum Tode verurteilt. Das Regime versucht damit eine Atmosphäre von Angst und Terror zu erzeugen. Zugleich wurden auch neue Gesetze erlassen, die die Verwendung sozialer Netzwerke und die Verbreitung von Protest-Informationen per SMS streng bestrafen.
Zugleich begannen nun Prozesse gegen Dutzende an Ashura festgenommene Demonstranten. In zahlreichen Fällen beantragte der Staatsanwalt die Todesstrafe. In einem – wohl ganz gezielt im staatlichen Fernsehen angekündigten Prozeß – ist der Angeklagte der Sohn eines im Krieg gegen den Irak gefallenen „Märtyrers“. Auch hier ist die Botschaft klar: Niemand ist von härtester Strafe ausgenommen, so auch nicht Ali Reza Beheshti, einer der engsten Vertrauten des symbolischen Führers der „Grünen Bewegung“ Mir Hussein Mussawi. Er ist kein Geringerer als der Sohn des bereits zu Beginn erwähnten Ayatollah Beheshti, des Mitbegründers der Islamischen Republik.
Der 11. Februar ist traditionell ein Tag der Massenkundgebungen, die das Regime in Erinnerung an den höchsten Triumph der Islamischen Revolution als Demonstration seiner Stärke organisiert. Da die Regierung aus Angst vor Massenprotesten seit vielen Monaten keine Kundgebungen mehr genehmigt, versucht die Opposition offizielle Gedenktage, an denen es keine Demonstrationsverbot gibt, zu ihren Protestaktionen umzufunktionieren, so geschehen etwa am „Jerusalem“-Tag im September, am Jahrestag der Besetzung der US-Botschaft am 4. November oder vor allem am höchsten schiitischen Trauertag, Ashura, an dem die Gläubigen des Märtyrertodes von Hussein, des Enkels von Mohammed und fast aller seiner männlichen Verwandten in der Schlacht um Kerbala im Jahr 680 gedenken. Das selbe sollte nun am 11. Februar geschehen. Über ihre Websites und Facebooks rufen die Führer der „Grünen Bewegung“ ihre Anhänger auf die Straßen, ermahnen sie zugleich, Ruhe zu bewahren, während das Regime äußerste Härte gegen Demonstranten androht.
Mit allen nur erdenklichen Methoden versuchen Khamenei und Ahmadinedschad ein Blutbad, eine unabsehbare Katastrophe am 11. Februar zu verhindern. Es ist für die Sicherheitskräfte schier unmöglich unter den zu erwartenden demonstrierenden Massen die Anhänger und Gegner zu identifizieren, auf die sie dann in voller Brutalität einschlagen würden, wie insbesondere in den ersten Wochen nach den Wahlen. Die Strategie des Regimes zur Verhinderung des Schlimmsten ist Zuckerbrot und Peitsche, Angst und Terror, wie eben beschrieben, bei gleichzeitigen Manövern, die Opposition zu spalten und zu schwächen und dem Zuckerbrot plötzlicher Freiheiten. So ertönt plötzlich in Teheraner Restaurants und Kafees die vor allem unter Ahmadinedschad wieder so verpönte westliche Musik, Frauen werden nicht mehr wegen schlechten „Hedschabs“ (dem etwas nach hinten verrutschten Kopftuch) belästigt, und Irans Künstlerwelt erlebt eine kleine Revolution mit der unerwarteten Entscheidung des Kulturministeriums, öffentliche Ausstellungen in Gallerien ganz ohne Genehmigung zu veranstalten. Die Botschaft an die Masse der Dissidenten ist klar: Wir könnten euch das Leben erleichtern, solange ihr uns nur an der Macht läßt.
Bisher zeigt sich die Oppositionsbewegung erstaunlich unerschrocken. Ihre Pläne für künftige Aktionen bleiben weitgehend unklar. Sie erhält sich damit das Überraschungselement.
Was und wen repräsentiert die „Grüne Bewegung“? Wie stark ist sie? Was sind ihre Ziele und ihre Methoden. Und wie lassen sich ihre Erfolgschancen überhaupt einschätzen??
Zunächst ein Wort zur Farbe Grün. Es war eine äußerst kluge Wahl, die Mussawi getroffen hatte. Er sagt selbst, er habe sich für Grün entschieden, weil dies die Farbe des Propheten Mohammed und dessen Familie ist und das Symbol eines Islam der Verbundenheit und Liebe. Damit bekräftigt er seine Treue zur Religion und zieht auch breite konservative, wie nichtpolitisch religiöse Schichten an.
Es besteht kein Zweifel, dass Irans „Grüne Bewegung“ die größte und effektivste, zugleich auch die mutigste Bürgerrechtsbewegung ist, die sich im 21. Jahrhundert weltweit formiert hat. Allein aus diesem Grund verdient sie ganz besondere Aufmerksamkeit. Es ist auch die erste Oppositionsbewegung, die in einer harten Diktatur von den neuen elektronischen Medien profitiert und es mit enormem Geschick versteht, sich auf diese Weise zu organisieren und die Mauern zu durchstoßen, die das Regime zwischen ihr und der Außenwelt errichtet hat. Wie Mussawi sagt: „In der Grünen Bewegung ein Werbeträger“.
Ein ganz kleiner Rückblick zur Erinnerung: Die durch das Scheitern des Reformpräsidenten Khatami seit der Wahl Ahmadinedschads zum Präsidenten in politische Lethargie versunkenen Iraner, insbesondere die junge Generation und ein großer Teil der Frauen, schöpften in der Kampagne um die Präsidentschaftswahlen im Juni plötzlich neue Hoffnung, als Mussawi, einst treuer Jünger Khomeinis und Premier in der harten Kriegszeit der 80er Jahre seine Gegenkandidatur anmeldete und politische Reformen, wiewohl zaghafte, verhieß. Allerdings spaltete er durch seine Kandidatur das Lager der Reformer, da auch der ehemalige Parlamentspräsident, der sich seit Jahren für ein gewisses Maß an Demokratisierung einsetzte, Mehdi Karrubi, kandidierte. Noch bevor die Stimmen am Wahlabend überhaupt ausgezählt werden konnte, verkündete Khamenei den überwältigenden Sieg Ahmadinedschads. Der Wahlbetrug war offensichtlich. Doch die neumotivierten Anhänger Mussawis, wie jene Karrubis wollten eine derart massive Manipulation nicht hinnehmen und gingen mit den Rufen „Wo ist meine Stimme?“ auf die Straßen. Damit begann eine Serie von Massendemonstrationen, die durch Verhaftungen und Schauprozesse insbesondere gegen die Führer der Reformbewegung vorübergehend zu erlahmen schien, doch durch unglaubliche Brutalitäten des Regimes und dessen Sicherheitskräften, Massenverhaftungen, Einschüchterungen, Folter, Vergewaltigungen und Morde in Gefängnissen, zu neuer Kraft erstarkte.
Eines der bestialischstenen Verbrechen möchte ich hier besonders erwähnen, nämlich jenes an dem 26-jährigen Ramin Pourandarjani, einem gerade frisch promovierten Arzt, der bei den Revolutionsgarden seine Wehrpflicht erfüllte und im Kahrizak-Gefängnis bei Teheran eingesetzt wurde. In dieser Haftanstalt waren Hunderte oppositionelle Demonstranten festgehalten und gefoltert worden waren, mindestens drei, darunter der Sohn eines prominenten Konservativen, Mohsen Ruholamini, kamen dabei zu Tode und Khamenei musste das Gefängnis nach heftigen Protesten schließen lassen. Nach Aussagen der Opposition versuchten Vertreter der Justiz Pourandarjani zu zwingen, bei einer parlamentarischen Anhörung auszusagen Ruholamini sei an Meningitis gestorben. Der Arzt aber bezeugte, der Gefangene sei den Folterqualen erlegen. Daraufhin erhielt er nach Aussagen seiner Angehörigen Todesdrohungen und starb wenig später. Offiziell hieß es einmal, er sei bei einem Autounfall ums Leben gekommen, dann durch einen Herzinfarkt und schließlich durch Selbstmord. In Wahrheit besteht unterdessen kein Zweifel, dass er vergiftet wurde.
Der Umgang des Regimes mit dem Skandal von Kahrizak ist symptomatisch für das Fehlen einer klaren Strategie im Kampf gegen diese an den Grundfesten der Islamischen Republik rüttelnden Krise, wie auch für die Uneinigkeit der heute im Iran herrschenden Despoten.
Einerseits setzte Parlamentspräsident Ali Laridschani, ein Rivale Ahmadinedschads, eine Untersuchungskommission ein, die im Jänner zu dem ersten öffentlichen Eingeständnis von Misshandlungen führte. Die Kommission stellte fest, dass die Tode in Kahrizak nicht durch Meningitis, sondern durch die katastrophalen Bedingungen verursacht worden waren, die im Gefängnis herrschten, wo 147 Demonstranten vier Tage lang in einem 70 m2 großen Raum ohne entsprechender Belüftung, in der Hitze des Sommers bei unzureichender Nahrung und physischer Misshandlung festgehalten worden seien. Als Hauptschuldiger für die Mi´stände wurde der frühere Chefankläger Teherans, Said Mortazavi identifiziert und zum Chef der Anti-Schmuggel-Behörde degradiert. Doch es gibt keine Anzeichen, dass er, geschweige denn der stellvertretende Teheraner Polizeichef Ahmad Reza Radan, der die Foltersitzungen in Kahrizak geleitet hatte, für ihre Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden.
Die Entwicklung zeigt, dass das Regime einerseits bemüht ist, gerade auch mit Blick auf den 11. Februar die aufgebrachten Gemüter in der Bevölkerung zu beruhigen, anderseits aber den Missbräuchen kein Ende setzen will. Radikale Kreise innerhalb der herrschenden Schicht treten für volle Härte ein und lehnen strafrechtliche Verfolgung von Folterern und Mördern im Staatsdienst ab, weil damit andere, die mit der Niederschlagung der Demonstrationen betraut sind, Mut und Sicherheitsgefühle verlieren könnten.
Irans „Grüne Bewegung“ ist nach Ansicht iranischer Intellektueller ein völlig neues, ein post-modernes Phänomen, denn sie hat keine Führer. Mussawi, Karrubi und noch mehr der weit ängstlichere Khatami sind in Wahrheit jene, die von dieser einzigartigen Bürgerrechtsbewegung geführt, getrieben werden. Zögernd passt sich Mussawi einem Teil der Forderungen an, Karrubi tritt weit entschlossener und mutiger auf, Khatami verfolgt seine eigene, schon kläglich gescheiterte Strategie. Diese drei Männer waren stets treue Diener des Systems, von diesem hervorgebrachte Jünger Khomeinis. Niemals wollten sie an den Grundfesten der Islamischen Republik rütteln, sie wollen ihr nur ein etwas menschlicheres Gesicht geben. Sie schwiegen lange konsterniert, als sich der Zorn der Massen über die Brutalitäten der theokratischen Despoten bis zum Bruch der heiligsten Tabus steigerte: der Unantastbarkeit des „Geistlichen Führers“. Der Ruf „Tod Khamenei“ gehört inzwischen zum Alltagsprogramm der Demonstranten. Bis heute aber achten alle drei symbolischen Führer sorgfältig auf die Unantastbarkeit Khameneis, in der Hoffnung wohl, doch noch einen Kompromiß, eine Einigung zu finden, die die islamische Republik retten und dem Iran eine blutige Revolution ersparen könnte.
Längst ist damit klar, dass es – wie auch die Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi betont – das Volk ist und nicht eine einzelne Persönlichkeit, das die „Grüne Bewegung“ führt. Und längst hat diese Strömung alle Schichten, alle Altersgruppen, Liberale, Laizisten, Gläubige ebenso erfasst wie die Mittelschicht und die große Masse der Armen, die Ahmadinedschad durch seine nicht gehaltenen sozialen Versprechen bitter enttäuschte und deren Los sich nun durch die jüngste Entscheidung der Regierung, staatliche Subventionen drastisch zu kürzen, noch wesentlich verschimmern wird. Frustration, Perspektivlosigkeit, Verzweiflung und Zorn kennt keine sozialen Grenzen mehr. Das bedeutet allerdings keineswegs, dass nicht noch Millionen Iraner hinter dem Regime stehen, denn auch die Schichte der Profiteure des Regimes, auch jener, bei denen die jahrzehntelange Gehirnwäsche Erfolg hatte, die durch einen Sturz der Theokratie Privilegien und Vorteile verlieren würden, geht in die Millionen. Dennoch zeigt sich aber, dass es Khamenei und seinen Getreuen nicht mehr gelingt, unübersehbare Massen zu seiner Unterstützung zu mobilisieren. Der 11. Februar wird dafür ein Test sein.
Viele, vor allem führende Intellektuelle in Irans Grüner Bewegung sind davon überzeugt, dass ihr nur dann dauerhafter Erfolg beschieden sein kann, wenn sie ihre Ziele gewaltlos verfolgt. Bei den Ashura-Demonstrationen schwappten die Emotionen über und erstmals verübten Demonstranten auch Gewaltakte gegen Polizeistationen etwa. Auch hier wird der 11. Februar zeigen, ob es sich hier nur um unglückliche Einzelfälle gehandelt hatte.
Die Methoden des gewaltlosen Widerstandes, des zivilen Ungehorsams sind phantasiereich und schmerzlich für das Regime. Sie verheißen aber keinen raschen Erfolg. Dessen ist man sich weithin auch bewusst und man spricht von einer „langsamen Revolution“, die Monate, ja vielleicht ein, zwei Jahre dauern kann. In die Lehre gehen die Iraner dabei bei dem pensionierten Harvard-Professor Gene Sharp, der zahlreiche Anleitungen des gewaltlosen Widerstandes verfasste und Oppositionsbewegungen in der Tschechoslowakei ebenso inspirierte wie Aktivisten gegen die Militärdiktatur in Burma. Das islamische Regime fürchtet Sharp und das Schreckgespenst der „Samtenen Revolution“ schon lange, studierte seine Bücher und versucht sich in paranoider Panik gegen eine gewaltlose Unterminierung seiner Macht durch immer brutalere Methoden zu schützen, treibt damit einen Teufelskreis an, der ihm, soweit lasst sich eine Prognose doch auch seriös wagen, früher oder später zum Verhängnis werden muß.
Die Methoden sind eindrucksvoll. Eine wichtige Rolle bei der Anleitung des Widerstandes spielen Exiliraner, allen voran der einstige Mitstreiter Khomeinis Mohsen Sazegara. Mitbegründer der Revolutionsgarden, geriet er schon in den 80er Jahren in Konflikt mit den autoritären Zügen des Systems und lebt nun in den USA. Fests davon überzeugt, dass das islamisch-demokratische Experiment gescheitert ist, versucht er nun die „Grüne Bewegung“ mit Hilfe von täglich zehnminütigen über das Internet verbreiteten Videoaufnahmen in Methoden des zivilen Ungehorsams auf der Basis der eigener Erfahrungen aus der islamischen Revolution zu instruieren.
Eine empfohlene Methode ist das Gespräch mit Angehörigen der Revolutionsgarden aus der Nachbarschaft, die öffentliche Darstellung der Repressionen auf Plakaten, um die Sicherheitskräfte zu demoralisieren. Ein Effekt lässt sich bereits erkennen: Nicht Protestierende verhüllen ihre Gesichter, sondern die auf sie einschlagenden paramilitärischen Bassidsch und Revolutionsgarden.Sazegaras Ratschläge sollen täglich an die 500.000 Iraner hören und sehen.
So erfährt man, dass Demonstranten etwa die sie attackierenden Bassidsch, die für ihre bezahlten gewalttätigen Einsätze speziell vom Regime angeheuert werden, so lange in Diskussionen verwickeln, ihre Motivationen infrage stellen, bis immer wieder beschämte Schläger mit ihren Brutalitäten einhalten und einfach abziehen.
Höchstens eine kleine extreme Randgruppe träumt heute von einem raschen, gewaltsamen Umsturz. Nach Revolutionswirren und achtjährigem äußerst verlustreichen Krieg gegen den Irak ist das Letzte, was die Iraner wollen, eine neue Revolution. Sie bauen auf die langsame Zermürbung von Innen. Und tatsächlich lassen sich Anzeichen dafür erkennen. Khamenei, von Eingeweihten als extrem paranoid charakterisiert, hat durch seine bedingungslose Allianz mit Ahmadinedschad seine Rolle als über den Parteien stehender Velayat-e Fagih (Oberster Rechtsgelehrter) preisgegeben, damit den sozialen Pakt, der seit der Revolution zwischen zumindest einem Teil des Volkes und der politischen Führung besteht, zerstört und so drastisch an politischen Spielraum verloren. Er hat sich in die totale Abhängigkeit der wahren neuen Machthabern begeben, den Revolutionsgarden, die heute als katastrophale Berater dominierenden Einfluß auf ihn ausüben.
Seit Juni hat Khamenei Fehler um Fehler begangen. Er weigerte sich unerschütterlich der Opposition auch nur einen kleinen Schritt entgegen zu kommen, auf den Ruf der „Grünen Bewegung“ nach Neuwahlen, nach Freilassung der Gefangenen oder objektiverer Berichterstattung des staatlichen Fernsehens einzugehen. Ein Schritt in dieser Richtung hätten die Spannungen ein wenig entschärft und die die Opposition zu spalten begonnen. Mit seiner Unnachgebigkeit und Härte aber erreichte er das Gegenteil. Warum? Darauf findet die unabhängige iranische Politologin Farideh Farhi eine schlüssige Antwort: Nach einer im Iran weit verbreiteten Überzeugung, hatte der Schah zu Beginn der Massendemonstrationen gegen ihn 1978 durch wichtige Zugeständnisse die Revolutionäre derart ermutigt, dass sie damit letztlich den Sieg errangen. Khamenei, selbst einer dieser Revolutionäre, habe die Lehre aus der Geschichte gezogen. Unnachgiebigkeit, Härte und Mobilisierung eigener Anhänger zählten deshalb zu den Rezepten, die einen erneuten Umsturz verhindern sollten, auch um den Preis eines Bürgerkrieges. Mit dieser Strategie hat Khamenei den Zorn der Massen von Ahmadinedschad auf sich gelenkt. Noch im Sommer vorigen Jahres wäre der Ruf „Tod Khamenei“, der heute allabendlich von Häuserdächern Teherans erschallt, völlig undenkbar.
Immer mehr treue Diener des Systems springen ab. In Norwegen suchte ein iranischer Diplomat um Asyl an, was nur die Spitze eines Eisberges tiefen Unbehagens über die Brutalitäten des Regimes sein dürfte. Besondere Beachtung verdient aber die Stimmung in der hohen iranischen Geistlichkeit Auch hier wächst mit zunehmender Repression gegen friedlich Demonstrierende der Wunsch, sich von Khamenei und dem Regime zu distanzieren. Ein Teil der führenden Geistlichkeit in der heiligen Stadt Qom hatte ohnedies stets Zweifel an der religiösen Qualifikation Khameneis für das höchste Amt im Gottesstaat gehegt. Der im Dezember verstorbene, hochangesehene Großayatollah Montazeri hatte dies als nahezu einziger auch offen ausgesprochen und dafür mit seiner ganzen Familie Freiheit eingebüßt und bittere Schikanen erlitten. Die Mehrheit der Ayatollahs hüllte sich aber in Schweigen, weil Khamenei sie vor allem auch in finanzielle Abhängigkeit gezwungen hatte. Die gravierenden Verletzungen der Menschenrechte zwingen nun aber immer mehr hohe Geistliche, ihr Schweigen aus Gewissensgründen zu brechen. Ein Beispiel ist symptomatisch für eine Entwicklung, die Khameneis Schicksal besiegeln könnte. Ayatollah Mohammad Taghi Khalaji, einst Gefangener des Schah, dann engagierter Anhänger Khomeinis, wurde am 12. Jänner in seinem Haus in Qom verhaftet und schmachtet nun in Isolationshaft im berüchtigten Evin-Gefängnis in Teheran, ohne Anwalt, ohne Kontakt zur Familie. Sein „Verbrechen“ geht auf den Tod der zur Ikone der Bürgerrechtsbewegung erhobenen 27-jährigen Neda Agha-Soltan zurück, die am 20. Juni bei einer friedlichen Demonstration von einem Bassidschi erschossen wurde. Diese ungeheuerliche Tat erschütterte den hohen Geistlichen bis ins tiefste Mark. Sein Sohn, Mehdi Khalaji, Iran-Experte des amerikanischen Think-Tanks „The Washington Institute for Near East Policy“, schildert in einem Artikel die Laufbahn und die Gedankengänge seines Vaters, mit dem er bis kurz vor dessen Verhaftung ausführliche Telefongespräche geführt hatte. Er könne nachts nicht mehr schlafen, klagte der Ayatollah im Juni mit dem Bild der schönen Neda stets vor Augen. Er habe sich nicht gegen den Schah erhoben, um einem Regime an die Macht zu verhelfen, das friedliche Demonstranten niederschlägt und unschuldige Menschen erschießt. So entschloß er sich schließlich, seine politische Abstinenz, die er – wie viele seiner geistlichen Kollegen – jahrelang eingehalten hatte – aufzugeben und sprach in einer Predigt in Nord-Teheran den Wunsch aus, dass die Islamische Republik überleben möge. Doch iranische Führer, wenn sie dem Beispiel des Islam, seines Propheten und seiner Imame folgen wollten, könnten nur mit dem Willen des Volkes herrschen. Seinem Sohn sagte er später, dass er sich vor Gott für die Revolution verantwortlich fühle und daher nicht schweigen könne, wenn die Menschenrechte im Namen des Islam mit Füßen getreten würden.
Insbesondere seit dem Tod Montazeris werden zunehmend Ayatollahs, die ihre Stimme gegen die Repressionen erheben bedroht, schikaniert und sogar physisch attackiert. Ayatollah Taghi Khaljis Schicksal läßt noch Schlimmeres befürchten.
Es herrsche kein Zweifel, meint Mehdi Khalaji, durch die Brutalitäten gegen friedliche Demonstranten und Repressionen gegen die erste Generation der Islamischen Republik habe das Regime sowohl seine islamische, wie auch seine revolutionäre Legitimität diskreditiert. Es setze damit sein Überleben aufs Spiel.
Was bedeuten all diese Entwicklungen für Irans Minderheiten? Am 28. Dezember erschien in der New York Times ein Artikel, in dem der Autor die Ansicht vertrat, die größte Gefahr drohe dem islamischen System nicht von der demokratischen Oppositionsbewegung, sondern von den zunehmend unruhigen (in der Zeitung hieß es aggressiven separatistischen) Kurden, Belutschen, Azeris und Arabern, die gemeinsam etwa 44 Prozent der von Persern dominierten Bevölkerung des Irans stellen. Nun, was separatistische Ziele betrifft, übertreibt der Autor maßlos. Irans ethnische Minderheiten werden in diesem zentralistisch regierten Staat traditionell um ihre Bürgerrechte beraubt und wenn sie sich regen, so geht es primär einmal darum und nicht um die Loslösung vom iranischen Staat.
Ich möchte mich jetzt aber aus gegebenem Anlaß kurz auf die Kurden konzentrieren. Ich hatte 1978/79, damals noch nicht als Korrespondentin im Orient, sondern außenpolitische Redakteurin der SN, intensiv die islamische Revolution verfolgt und hatte enge Kontakte zu Kurden, vor allem aus dem Irak allerdings, die in Österreich lebten. Ich sah ihre Begeisterung als der Schah stürzte und mit einem Schlag der Traum von Freiheit, von dem stets so brutal verwehrten Recht auf Selbstbestimmung in Erfüllung zu gehen schien, in einem von einem kaiserlichen Despoten befreiten Land. In seinem Pariser Exil hatte Khomeini den Kurden und anderen Minderheiten noch vage Versprechungen gemacht. Doch nachdem das Volk die Ayatollahs unter Führung Khomeinis an die Spitze des Staates hievte, da sah alles plötzlich ganz anders aus. Die Kurden präsentierten ihre Forderungen von Autonomie und wagten sich damit – wie sich bald herausstellte – viel zu weit vor. Khomeini antwortete mit Jihad, einem „Heiligen Krieg“, der Tausenden kurdischen Zivilisten das Leben kostete. Dieser Jihad tobt heute im iranischen Kurdistan immer noch – von der Welt ignoriert. Ein kurze Phase kultureller Lockerungen – mit Publikationen von kurdischen Zeitungen, Zeitschriften und Büchern – in der Ära Mohammed Khatamis (zwischen 1997 und 2005) fand ein abruptes und äußerst brutales Ende, als Ahmadinedschad Khatamis Nachfolge antrat. Seither nimmt die Repression immer brutalere Formen an – und dies, obwohl verschiedene kurdische Bewegungen im Iran – ausgenommen die im Nord-Irak stationierte Pjak – längst jeglicher Gewalt abgeschworen haben und nicht mehr als Autonomie in einer iranischen Republik erstreben. Seit Jahren werden kurdische Intellektuelle massiv verfolgt und in jüngster Zeit auch in zunehmenden Zahlen hingerichtet. Seit den Wahlen im Juni verschärfte sich die Repression nicht nur in Kurdistan, auch in Belutschistan und dem von Arabern bewohnt Khusistan, offensichtlich mit dem Ziel, Irans ethnische Minderheiten noch massiver einzuschüchtern und damit zu verhindern, dass sie sich der „Grünen Bewegung“ anschließen. Bisher erzielten sie damit Erfolg. Die Kurden – abgesehen davon, dass sie, wie auch anderswo, nicht einig sind, halten sich zurück, warten ab, auch aus Angst vor neuer Enttäuschung. Denn wer weiß, ob aus der gegenwärtigen Oppositionsbewegung nicht iranische Nationalisten hervorgehen, die eine Fortsetzung der zentralistischen Herrschaft Teherans erstreben. Immerhin hat sich über die Jahre der Herrschaft der Ayatollahs der Nationalismus im „Gottesstaat“ kräftig neu belebt – Nationalismus freilich aber keineswegs in einem radikalen Sinn, nur mit zu wenig Verständnis für die Sehnsüchte ethnischer Minderheiten.
Dennoch birgt die „Grüne Bewegung“ für die nicht-persischen Völker des Irans, wie für die gesamte Bevölkerung nach meiner Einschätzung durchaus eine neue Chance – nämlich im Rahmen einer demokratischen Entwicklung.
Noch ein kurzes Wort zu den Zielen der Grünen Bewegung. Wie bereits erläutert, handelt es sich um eine sehr breitgefächerte, eine – ich zitiere jetzt Abdel Karim Soroush, den islamischen Philosophen, den ich auch mehrmals in Teheran interviewen durfte. Soroush war durch seine Abhandlungen über Reform des Islams in schweren Konflikt mit dem Regime geraten und lehrt seit einiger Zeit an einer amerikanischen Universität. Er steht Mussawi nahe und charakterisiert die „Grünen“ als eine „pluralistische Bewegung“ der sich Gläubige und Nicht-Gläubige, Sozialisten und Liberale“, Kommunisten der Tudeh, wie Monarchisten – nicht aber bemerkenswerter Weise ethnische Minderheiten - angeschlossen haben. Die Bewegung hat längst ihre Eigengesetzlichkeit, wächst nicht durch Werbung, sondern durch spontanen Anschluß all jener, die sich plötzlich in ihrem Zorn, in ihren Sorgen und Nöten zusammenfinden. Mussawi als symbolischer Führer hatte all dies nicht geplant und nicht einmal geahnt, wohl auch gar nicht gewollt, da ein Sieg der Grünen wahrscheinlich den politischen Untergang dieses Mannes besiegeln wird, der doch nichts anderes als ein paar magere Reformen wollte.
Vielleicht aber ist Mussawi doch ein wenig in seine Rolle hineingewachsen und wenn er jetzt ein Ende der Folterqualen, der Exekutionen und des Schreckens durch ein tödlich bedrängtes Regime spricht, dann spricht er zweifellos den Massen aus dem Herzen. Doch seine politischen Forderungen, die er erst nach langem Schweigen aufstellte, sind relativ mild:, Dienstag aber übte Mussawi die bisher schärfste Kritik an den Zuständen im Iran. Er bezeichnete die islamische Revolution als gescheitert, „weil die Wurzeln von Tyrannei und Diktatur aus der Zeit der Monarchie immer noch existierten. Der Iran stehe heute da „wie jedes andere tyrannische Regime der Welt“. Eine Diktatur im Namen der Religion, „das ist überhaupt das Schlimmste.“ Der klarste Beleg dafür sei der Missbrauch von parlament und Justiz. Und offenbar rückte Mussawi nun auch von der Forderung nach Einhaltung der Verfassung ab, die er reformiert sehen will.
Weil er sich so lange Zeit läßt, seine eigenen Vorstellungen zu formulieren und ohnedies vollends isoliert, jeden Kontakt selbst mit seinen engsten – unterdessen alle verhafteten – Beratern verlor, haben sich fünf führende iranisch-islamische Intellektuelle, die seit kurzem im Ausland leben zu einem Forderungsmanifest zusammengefunden. Es sind Soroush , der dissidente Geistliche Mohsen Kadivar, der ehemalige Kulturminister unter Khatami Ataollah Mohajerani und der Journalist Akbar Gandji, der wegen seiner Aufdeckung der Verbrechen des Regimes unter Rafsandschani in den 80er und 90er Jahren lang im Gefängnis saß und dort fast gestorben wäre. Die Fünf fühlten sich nach Aussagen Soroushs Mussawi nahe genug, um seine Ideen zu kennen und zugleich auch einen gemeinsamen Nenner für jene der verschiedenen sozialen Strömungen zu finden.
Das Manifest der Fünf enthält zehn Punkte:
1. Rücktritt Ahmadinedschads und Neuwahlen;
2. Freilassung aller politischen Gefangenen.
3. Abschaffung der Zensur und der Filterungen im Internet:
4. Anerkennung aller rechtmäßig zustande gekommen Bewegungen.
5. Unabhängigkeit der Universitäten
6. Strafrechtliche Verfolgung aller die Unschuldige gefoltert, ermordet und derartige Verbrechen in den vergangenen sieben Monaten angeordnet haben
7. Unabhängigkeit der Justiz und Abschaffung der Sondergerichtshöfe etwa für Geistliche, die hinter verschlossenen Türen urteilen
8. Verbot der Einmischung der Polizei, des Militärs und der Sicherheitskräfte in Politik, Wirtschaft und Kultur
9. Wirtschaftliche und politische Unabhängigkeit der islamischen Seminare und Maßnahmen die die Politisierung der Geistlichen verhindern
10. Wahl aller hohen Beamten, die sich der Kritik stellen müssen und deren Amtszeit zeitlich begrenzt ist.
Das Manifest freilich läßt viele Fragen offen. Soroush betonte, es sei keineswegs beabsichtigt, die Verfassung abzuändern. Dies hieße, man wolle an der Institution des Obersten Rechtsgelehrten – derzeit von Khamenei besetzt – nicht rütteln. Der Widerspruch ist offensichtlich, denn das Manifest hebt hervor, dass eine Politisierung der Geistlichen verhindert werden soll. Mussawi hält Forderungen nach Verfassungsreform „extremistisch“ und „schädlicher“ für seine Bewegung als der „Extremismus der autoritären“ Regierung und gibt sich überzeugt, dass die Mehrheit der Iraner eine totale Verfassungsänderung ablehnt. So manches deutet auch darauf hin, dass Mussawi, Karrubi und vor allem Khatami einen Deal mit Khamenei suchen, um die Situation zu entspannen und die Islamische Republik zu retten, einen internen Versöhnungsprozeß einzuleiten und die Schar der konservativen Gegner Ahmadinedschads auf ihre Seite zu ziehen. Systemwechsel Nein, wiewohl Personenwechsel. Karrubi erklärte jüngst gegenüber der Financial Times, er glaube nicht, dass Ahmadinedschad seine Amtsperiode beenden könne.
Kein Zweifel besteht aber daran, dass eine wachsende Zahl der hohen Geistlichen eine Trennung von Politik und Moschee wünschen, weil die Religion mit dieser Verquickung in den vergangenen drei Jahrzehnten im Iran enormen Schaden erlitten hat.
Besondere Aufmerksamkeit gebührt in diesem Zusammenhang der Haltung Großayatollah Ali Sistanis. Dieser im irakischen Nadschaf lebende Iraner gilt heute als die höchste Instanz der schiitischen Geistlichkeit. Er gehört der Richtung der Quietisten an, die den Griff der Geistlichen nach politischer Macht entschieden ablehnt. Da Geistliche fehlbar sind, können sie den Gläubigen nur als Ratgeber, nicht als Herrscher den Weg weisen, lautet seine Sicht. Dass Sistani die Demokratie für den besten Weg hält, bewies er durch seine Position im Irak, wo er den Amerikanern nach dem Sturz Saddam Husseins die ersten freien Wahlen abtrotzte. Bisher hat Sistani zu den Verbrechen, die in seiner Heimat im Namen des Islams geschehen geschwiegen. Er wird es nicht mehr lange können, macht das Regime die Drohungen von weiteren Exekutionen und Brutalitäten wahr. Eine offene Kritik an Khamenei durch Sistani würde Irans geistlichen Führer vollends auch in den Augen der gesamten schiitischen Welt diskreditieren.
Steht dem Iran eine neue blutige Revolution bevor? Eine Antwort muß offen bleiben. Noch ist das Regime keineswegs am Ende. Noch kann Khamenei die Justiz kontrollieren, Hunderttausende Bassidsch als Schlägertrupps kommandieren und noch steht er im engsten Bund mit den Revolutionsgarden, die – so meinen manche – in Wahrheit herrschen. Die Grüne Bewegung will Geduld zeigen, die Garden durch stete kluge Nadelstiche demoralisieren, wie Sazegara sagt: „Wir spielen Schach mit den Garden, die nur eine Methode kennen: Unterdrückung, Haft und Folter. Das Volk aber hat viele Optionen.“ Doch ob es sich angesichts der wachsenden Brutalitäten auch weiterhin nicht zu Gewalt provozieren läßt, erscheint immer fraglicher. So tauchen uralte Ängste auf, dass Gewalt neue Gewalt gebäre. Der vom Schah verübten Gewalt folgte blutige Rache durch das islamische System und eine neue Diktatur. Wird sich die Geschichte wiederholen und den Iran von einer Despotie in die nächste reißen?
Und dennoch gibt es Hoffnung. Vor drei Jahrzehnten beherrschte die revolutionäre islamische Ideologie den Diskurs. Heute dominieren die Abscheu vor Despotie, Ideen von Freiheit, Demokratie, Menschenrechten, Toleranz und friedlicher Koexistenz mit dem Rest der Welt, insbesondere auch mit dem Westen die Diskussionen unter den unterschiedlichsten politischen und sozialen Gruppen. Die Grüne Bewegung ist auf dem besten Weg ein Beispiel an politischer Reife, Humanismus und Toleranz zu setzen, das auf die gesamte von Diktatoren beherrschte Region aufrütteln wird. Sie ist bereit, dafür ihr höchstes Gut, das Leben, zu opfern. Ihr gebührt Bewunderung, Hochachtung.
Vortrag im „Institut für Kurdologie – Wien“ am 6. Februar 2010
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Von Birgit Cerha
Bei einer meiner Reisen in den Iran vor etwa zehn Jahren hatte ich ein Erlebnis, das mich damals sehr beeindruckte. Es erschien mir schon damals als Fingerzeig für eine Entwicklung, die der „Islamischen Republik“ eines Tages zum Verhängnis werden dürfte. Heute gewinnt diese Vorahnung zunehmende Bedeutung.
Ich besuchte das Mausoleum der 72 Märtyrer, jener führenden Männer der Revolution, die 1981 durch einen Bombenanschlag ums Leben gekommen waren. Als ich in die riesige Halle trat, unter deren Boden die Toten ruhen, tobten dort Zehnjährige einer Teheraner Schulklasse mit ihrem Fußball über den Gräbern. Fast wäre der Ball mitten in ein Porträtbild des Prominentesten unter den Toten, Ayatollah Beheschtis geprallt, das an einer der Wände ganz vorne prangte. Und: Über einem der Grabsteine dieser Revolutionäre, die dem „Großen Satan“ USA ewige Feindschaft geschworen hatten, hing lässig die kleine Kappe eines der Schüler. Nike stand darauf, der Inbegriff des verhaßten amerikanischen Imperialismus.
Die Szene erscheint mir heute symbolhaft für die Macht dieses größten Problems der herrschenden Gottesmänner: Irans Jugend.
Irans Jugend, die Studenten waren die Vorhut der Revolution 1979. Sie besitzt traditionell eine enorme politische Kraft und dies heute mehr denn je, sind doch 70 Prozent der Bevölkerung unter 30, dank eines von Khomeini angetriebenen Baby-Booms, der eine „neue islamische Generation“ hervorbringen sollte. Dieses Ziel hatte sich auch eine umfassende Kulturrevolution gesetzt.
Doch die neue Generation, im Schatten Khomeinis herangewachsen, mauserte sich zur gefährlichsten Geißel des Regimes. Die Gehirnwäsche der Ayatollahs verfehlte unter einem beträchtlichen Teilen der Jugend nicht nur ihre Wirkung, sondern erreichte das Gegenteil: totale Ablehnung des Systems, das ihr nicht nur keine Perspektive bietet, sondern auch jede Lebensfreude raubt. Die heutigen Führer der islamischen Republik gestehen diesen dramatischen Fehlschlag sogar indirekt ein, wenn sie nun zu einer raschen Bildungsreform drängen. Die Opposition spricht von einer zweiten Kulturrevolution, die Präsident Ahmadinedschad seit seiner Amtsübernahme 2005 eingeleitet hatte, für die er nun – angesichts der demonstrierenden Jugend – allerhöchste Eile geboten sieht, um die für das Regime so gefährliche teuflische „Kulturabweichung“ zu vermeiden. Dabei verfolgt er die Vision einer neuen Generation, die niemals über die engen Grenzen einer höchst restriktiven islamistischen Ideologie hinausblickt. So wir eine schärfere Indoktrinierung in den Schulen eingeleitet, Geschlechtertrennung, die Vermittlung anti-westlicher und anti-säkularer Werte. Ein zentraler Teil der Reformen ist die Stationierung von Angehörigen der paramilitärischen Bassidsch so quasi als ideologische Einpeitscher in den Schulen. Mädchen sollen künftig ausschließlich mit Blick auf die Ausübung der traditionellen Rolle der Frau in dieser patriarchalischen Gesellschaft ausgebildet werden. Durch Quotenregelung soll der Anteil der Studentinnen an den Universitäten radikal reduziert werden. Damit hofft das Regime wohl, die seit der Revolution 1919 überdurchschnittlich gut ausgebildeten Frauen – sie stellen heute mehr als 60 Prozent der Universitätsstudenten – wieder in an Heim und Herd zurückzudrängen, denn die Iranerinnen erweisen sich seit langem als die unbequemste Herausforderung des Regimes und sie spielen – bemerkenswerter Weise – auch in der nun so gefährlichen „Grünen Bewegung“ eine führende Rolle.
Auf Befehl des „Geistlichen Führers“ Khamenei werden Schulbücher und Lehrmethoden radikalen Veränderungen unterzogen, um der jungen Generation die islamischen Werte, wie sie das Regime versteht, in die Herzen einzupflanzen. Die vom tödlichen Reformvirus infizierten Geistes- und Sozialwissenschaften sollen nach dem Willen des „Geistlichen Führers“ Khamenei am besten ganz aus den Universitäten und dem Iran insgesamt verbannt werden. Mit der Säuberung liberaler Professoren, die fast drei Jahrzehnte nach der ersten Kulturrevolution wieder an den Universitäten lehrten, wurde bereits begonnen.
Einer der Aktivisten der Studentenbewegung, Abed Tavancheh, erklärte in einem Interview mit „Der Spiegel“ am 14. September 2009 : „Was wir jetzt erleben, ist nur die letzte Stufe dieser iranischen Kulturrevolution. Schon jetzt stellen die Revolutionsmilizen einen Teil der Lehrenden. Unter den Studenten sorgen sogenannte Ordnungskomitees dafür, dass Studienverbote wie Herbstlaub auf die Studenten fallen.“. Und er fügt hinzu: „Manche (Studenten) haben sich an die Führung verkauft, die anderen aber stehen hinter uns. Etliche Professoren mussten schon für ihre Haltung büßen. Sie wurden vorzeitig in den Ruhestand geschickt.“
Der Soziologieprofessor Said Paivandi, der an der Pariser Universität lehrt, ist davon überzeugt, dass zwar ein Teil der Jugend die Indoktrination in sich aufnehmen wird. Doch er weist auf Erfahrungen aus der Vergangenheit hin, die zeigten, dass sie dies nur auf eine kleine Minderheit beschränken werde. Der Rest, das heißt die große Mehrheit, wird eine offenere Gesellschaft erstreben, Freiheit und eine moderne Lebensweise, das heißt genau die gegenteiligen Ziele, die das Regime setzt. Dies kann nur die Entfremdung zwischen der heranwachsenden Generation und schließlich fast der gesamten Gesellschaft auf der einen und dem Regime auf der anderen Seite dramatisch verstärken.
Soviel als einleitende Erklärung über den Nährboden aus dem eine Befreiungs- und Demokratie-bewegung im Iran kurz – mittel-, vor allem aber auch langfristig ihre Kraft schöpfen wird. Das neue Gesicht des Iran läßt sich bereits erahnen. Die Despotie der Theokraten hat keine Chance mehr.
Das bedeutet jedoch nicht, dass das System unter Führung Khameneis in den nächsten Wochen zusammenbricht. Es ist alles offen und kaum ein anderes Land entzieht sich derart jeglichen Prophezeiungen, wie der Iran. Das hat die jüngere Geschichte immer und immer wieder gelehrt.
Und dennoch müssen wir in Hochspannung auf den elften Februar blicken. Könnte sich dieser Tag, an dem vor 31 Jahren die „Islamische Republik“ gegründet wurde, erneut als schicksalhaft für den Iran erweisen? Die erste Exekution von zwei wegen der Organisation der im Juni begonnenen Proteste gegen die manipulierten Präsidentschaftswahlen verurteilten Männer in der Vorwoche haben als dramatischen Einschüchterungsversuch gegen all jene zu gelten, die sich durch die bisherigen massiven Repressionen nicht davon abhalten ließen, immer wieder in den Straßen gegen das Regime zu demonstrieren.
Der 37-jährige Reza Ali Zamani und der 19-jährige Arash Rahmanipour waren schon vor den Wahlen im Juni verhaftet worden, Rahmanipour sogar bereits im April und nach der glaubwürdigen Aussage ihrer Anwältin waren sie zu einem falschen „Geständnis“ vor Gericht gezwungen worden und wegen „Mohareb“, sowie Mitgliedschaft in einer bewaffneten monarchistischen Oppositionsgruppe zum Tode verurteilt worden. Mohareb bedeutet „im Krieg gegen Gott“, worauf nach iranischem Strafrecht die Todesstrafe steht. Es war einst Khomeini gewesen, der diesen Begriff für politische Gegner eingeführt hatte und damit die Basis für die Exekution Tausender Oppositioneller in den ersten Jahren nach dem Sieg der Islamischen Revolution geschaffen hatte. Auch nun rufen radikale Geistliche und Politiker immer lauter dazu auf, Organisatoren, ja die Führer der „grünen Bewegung“ wegen Mohareb zu exekutieren. Bereits elf Personen wurden deshalb zum Tode verurteilt. Das Regime versucht damit eine Atmosphäre von Angst und Terror zu erzeugen. Zugleich wurden auch neue Gesetze erlassen, die die Verwendung sozialer Netzwerke und die Verbreitung von Protest-Informationen per SMS streng bestrafen.
Zugleich begannen nun Prozesse gegen Dutzende an Ashura festgenommene Demonstranten. In zahlreichen Fällen beantragte der Staatsanwalt die Todesstrafe. In einem – wohl ganz gezielt im staatlichen Fernsehen angekündigten Prozeß – ist der Angeklagte der Sohn eines im Krieg gegen den Irak gefallenen „Märtyrers“. Auch hier ist die Botschaft klar: Niemand ist von härtester Strafe ausgenommen, so auch nicht Ali Reza Beheshti, einer der engsten Vertrauten des symbolischen Führers der „Grünen Bewegung“ Mir Hussein Mussawi. Er ist kein Geringerer als der Sohn des bereits zu Beginn erwähnten Ayatollah Beheshti, des Mitbegründers der Islamischen Republik.
Der 11. Februar ist traditionell ein Tag der Massenkundgebungen, die das Regime in Erinnerung an den höchsten Triumph der Islamischen Revolution als Demonstration seiner Stärke organisiert. Da die Regierung aus Angst vor Massenprotesten seit vielen Monaten keine Kundgebungen mehr genehmigt, versucht die Opposition offizielle Gedenktage, an denen es keine Demonstrationsverbot gibt, zu ihren Protestaktionen umzufunktionieren, so geschehen etwa am „Jerusalem“-Tag im September, am Jahrestag der Besetzung der US-Botschaft am 4. November oder vor allem am höchsten schiitischen Trauertag, Ashura, an dem die Gläubigen des Märtyrertodes von Hussein, des Enkels von Mohammed und fast aller seiner männlichen Verwandten in der Schlacht um Kerbala im Jahr 680 gedenken. Das selbe sollte nun am 11. Februar geschehen. Über ihre Websites und Facebooks rufen die Führer der „Grünen Bewegung“ ihre Anhänger auf die Straßen, ermahnen sie zugleich, Ruhe zu bewahren, während das Regime äußerste Härte gegen Demonstranten androht.
Mit allen nur erdenklichen Methoden versuchen Khamenei und Ahmadinedschad ein Blutbad, eine unabsehbare Katastrophe am 11. Februar zu verhindern. Es ist für die Sicherheitskräfte schier unmöglich unter den zu erwartenden demonstrierenden Massen die Anhänger und Gegner zu identifizieren, auf die sie dann in voller Brutalität einschlagen würden, wie insbesondere in den ersten Wochen nach den Wahlen. Die Strategie des Regimes zur Verhinderung des Schlimmsten ist Zuckerbrot und Peitsche, Angst und Terror, wie eben beschrieben, bei gleichzeitigen Manövern, die Opposition zu spalten und zu schwächen und dem Zuckerbrot plötzlicher Freiheiten. So ertönt plötzlich in Teheraner Restaurants und Kafees die vor allem unter Ahmadinedschad wieder so verpönte westliche Musik, Frauen werden nicht mehr wegen schlechten „Hedschabs“ (dem etwas nach hinten verrutschten Kopftuch) belästigt, und Irans Künstlerwelt erlebt eine kleine Revolution mit der unerwarteten Entscheidung des Kulturministeriums, öffentliche Ausstellungen in Gallerien ganz ohne Genehmigung zu veranstalten. Die Botschaft an die Masse der Dissidenten ist klar: Wir könnten euch das Leben erleichtern, solange ihr uns nur an der Macht läßt.
Bisher zeigt sich die Oppositionsbewegung erstaunlich unerschrocken. Ihre Pläne für künftige Aktionen bleiben weitgehend unklar. Sie erhält sich damit das Überraschungselement.
Was und wen repräsentiert die „Grüne Bewegung“? Wie stark ist sie? Was sind ihre Ziele und ihre Methoden. Und wie lassen sich ihre Erfolgschancen überhaupt einschätzen??
Zunächst ein Wort zur Farbe Grün. Es war eine äußerst kluge Wahl, die Mussawi getroffen hatte. Er sagt selbst, er habe sich für Grün entschieden, weil dies die Farbe des Propheten Mohammed und dessen Familie ist und das Symbol eines Islam der Verbundenheit und Liebe. Damit bekräftigt er seine Treue zur Religion und zieht auch breite konservative, wie nichtpolitisch religiöse Schichten an.
Es besteht kein Zweifel, dass Irans „Grüne Bewegung“ die größte und effektivste, zugleich auch die mutigste Bürgerrechtsbewegung ist, die sich im 21. Jahrhundert weltweit formiert hat. Allein aus diesem Grund verdient sie ganz besondere Aufmerksamkeit. Es ist auch die erste Oppositionsbewegung, die in einer harten Diktatur von den neuen elektronischen Medien profitiert und es mit enormem Geschick versteht, sich auf diese Weise zu organisieren und die Mauern zu durchstoßen, die das Regime zwischen ihr und der Außenwelt errichtet hat. Wie Mussawi sagt: „In der Grünen Bewegung ein Werbeträger“.
Ein ganz kleiner Rückblick zur Erinnerung: Die durch das Scheitern des Reformpräsidenten Khatami seit der Wahl Ahmadinedschads zum Präsidenten in politische Lethargie versunkenen Iraner, insbesondere die junge Generation und ein großer Teil der Frauen, schöpften in der Kampagne um die Präsidentschaftswahlen im Juni plötzlich neue Hoffnung, als Mussawi, einst treuer Jünger Khomeinis und Premier in der harten Kriegszeit der 80er Jahre seine Gegenkandidatur anmeldete und politische Reformen, wiewohl zaghafte, verhieß. Allerdings spaltete er durch seine Kandidatur das Lager der Reformer, da auch der ehemalige Parlamentspräsident, der sich seit Jahren für ein gewisses Maß an Demokratisierung einsetzte, Mehdi Karrubi, kandidierte. Noch bevor die Stimmen am Wahlabend überhaupt ausgezählt werden konnte, verkündete Khamenei den überwältigenden Sieg Ahmadinedschads. Der Wahlbetrug war offensichtlich. Doch die neumotivierten Anhänger Mussawis, wie jene Karrubis wollten eine derart massive Manipulation nicht hinnehmen und gingen mit den Rufen „Wo ist meine Stimme?“ auf die Straßen. Damit begann eine Serie von Massendemonstrationen, die durch Verhaftungen und Schauprozesse insbesondere gegen die Führer der Reformbewegung vorübergehend zu erlahmen schien, doch durch unglaubliche Brutalitäten des Regimes und dessen Sicherheitskräften, Massenverhaftungen, Einschüchterungen, Folter, Vergewaltigungen und Morde in Gefängnissen, zu neuer Kraft erstarkte.
Eines der bestialischstenen Verbrechen möchte ich hier besonders erwähnen, nämlich jenes an dem 26-jährigen Ramin Pourandarjani, einem gerade frisch promovierten Arzt, der bei den Revolutionsgarden seine Wehrpflicht erfüllte und im Kahrizak-Gefängnis bei Teheran eingesetzt wurde. In dieser Haftanstalt waren Hunderte oppositionelle Demonstranten festgehalten und gefoltert worden waren, mindestens drei, darunter der Sohn eines prominenten Konservativen, Mohsen Ruholamini, kamen dabei zu Tode und Khamenei musste das Gefängnis nach heftigen Protesten schließen lassen. Nach Aussagen der Opposition versuchten Vertreter der Justiz Pourandarjani zu zwingen, bei einer parlamentarischen Anhörung auszusagen Ruholamini sei an Meningitis gestorben. Der Arzt aber bezeugte, der Gefangene sei den Folterqualen erlegen. Daraufhin erhielt er nach Aussagen seiner Angehörigen Todesdrohungen und starb wenig später. Offiziell hieß es einmal, er sei bei einem Autounfall ums Leben gekommen, dann durch einen Herzinfarkt und schließlich durch Selbstmord. In Wahrheit besteht unterdessen kein Zweifel, dass er vergiftet wurde.
Der Umgang des Regimes mit dem Skandal von Kahrizak ist symptomatisch für das Fehlen einer klaren Strategie im Kampf gegen diese an den Grundfesten der Islamischen Republik rüttelnden Krise, wie auch für die Uneinigkeit der heute im Iran herrschenden Despoten.
Einerseits setzte Parlamentspräsident Ali Laridschani, ein Rivale Ahmadinedschads, eine Untersuchungskommission ein, die im Jänner zu dem ersten öffentlichen Eingeständnis von Misshandlungen führte. Die Kommission stellte fest, dass die Tode in Kahrizak nicht durch Meningitis, sondern durch die katastrophalen Bedingungen verursacht worden waren, die im Gefängnis herrschten, wo 147 Demonstranten vier Tage lang in einem 70 m2 großen Raum ohne entsprechender Belüftung, in der Hitze des Sommers bei unzureichender Nahrung und physischer Misshandlung festgehalten worden seien. Als Hauptschuldiger für die Mi´stände wurde der frühere Chefankläger Teherans, Said Mortazavi identifiziert und zum Chef der Anti-Schmuggel-Behörde degradiert. Doch es gibt keine Anzeichen, dass er, geschweige denn der stellvertretende Teheraner Polizeichef Ahmad Reza Radan, der die Foltersitzungen in Kahrizak geleitet hatte, für ihre Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden.
Die Entwicklung zeigt, dass das Regime einerseits bemüht ist, gerade auch mit Blick auf den 11. Februar die aufgebrachten Gemüter in der Bevölkerung zu beruhigen, anderseits aber den Missbräuchen kein Ende setzen will. Radikale Kreise innerhalb der herrschenden Schicht treten für volle Härte ein und lehnen strafrechtliche Verfolgung von Folterern und Mördern im Staatsdienst ab, weil damit andere, die mit der Niederschlagung der Demonstrationen betraut sind, Mut und Sicherheitsgefühle verlieren könnten.
Irans „Grüne Bewegung“ ist nach Ansicht iranischer Intellektueller ein völlig neues, ein post-modernes Phänomen, denn sie hat keine Führer. Mussawi, Karrubi und noch mehr der weit ängstlichere Khatami sind in Wahrheit jene, die von dieser einzigartigen Bürgerrechtsbewegung geführt, getrieben werden. Zögernd passt sich Mussawi einem Teil der Forderungen an, Karrubi tritt weit entschlossener und mutiger auf, Khatami verfolgt seine eigene, schon kläglich gescheiterte Strategie. Diese drei Männer waren stets treue Diener des Systems, von diesem hervorgebrachte Jünger Khomeinis. Niemals wollten sie an den Grundfesten der Islamischen Republik rütteln, sie wollen ihr nur ein etwas menschlicheres Gesicht geben. Sie schwiegen lange konsterniert, als sich der Zorn der Massen über die Brutalitäten der theokratischen Despoten bis zum Bruch der heiligsten Tabus steigerte: der Unantastbarkeit des „Geistlichen Führers“. Der Ruf „Tod Khamenei“ gehört inzwischen zum Alltagsprogramm der Demonstranten. Bis heute aber achten alle drei symbolischen Führer sorgfältig auf die Unantastbarkeit Khameneis, in der Hoffnung wohl, doch noch einen Kompromiß, eine Einigung zu finden, die die islamische Republik retten und dem Iran eine blutige Revolution ersparen könnte.
Längst ist damit klar, dass es – wie auch die Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi betont – das Volk ist und nicht eine einzelne Persönlichkeit, das die „Grüne Bewegung“ führt. Und längst hat diese Strömung alle Schichten, alle Altersgruppen, Liberale, Laizisten, Gläubige ebenso erfasst wie die Mittelschicht und die große Masse der Armen, die Ahmadinedschad durch seine nicht gehaltenen sozialen Versprechen bitter enttäuschte und deren Los sich nun durch die jüngste Entscheidung der Regierung, staatliche Subventionen drastisch zu kürzen, noch wesentlich verschimmern wird. Frustration, Perspektivlosigkeit, Verzweiflung und Zorn kennt keine sozialen Grenzen mehr. Das bedeutet allerdings keineswegs, dass nicht noch Millionen Iraner hinter dem Regime stehen, denn auch die Schichte der Profiteure des Regimes, auch jener, bei denen die jahrzehntelange Gehirnwäsche Erfolg hatte, die durch einen Sturz der Theokratie Privilegien und Vorteile verlieren würden, geht in die Millionen. Dennoch zeigt sich aber, dass es Khamenei und seinen Getreuen nicht mehr gelingt, unübersehbare Massen zu seiner Unterstützung zu mobilisieren. Der 11. Februar wird dafür ein Test sein.
Viele, vor allem führende Intellektuelle in Irans Grüner Bewegung sind davon überzeugt, dass ihr nur dann dauerhafter Erfolg beschieden sein kann, wenn sie ihre Ziele gewaltlos verfolgt. Bei den Ashura-Demonstrationen schwappten die Emotionen über und erstmals verübten Demonstranten auch Gewaltakte gegen Polizeistationen etwa. Auch hier wird der 11. Februar zeigen, ob es sich hier nur um unglückliche Einzelfälle gehandelt hatte.
Die Methoden des gewaltlosen Widerstandes, des zivilen Ungehorsams sind phantasiereich und schmerzlich für das Regime. Sie verheißen aber keinen raschen Erfolg. Dessen ist man sich weithin auch bewusst und man spricht von einer „langsamen Revolution“, die Monate, ja vielleicht ein, zwei Jahre dauern kann. In die Lehre gehen die Iraner dabei bei dem pensionierten Harvard-Professor Gene Sharp, der zahlreiche Anleitungen des gewaltlosen Widerstandes verfasste und Oppositionsbewegungen in der Tschechoslowakei ebenso inspirierte wie Aktivisten gegen die Militärdiktatur in Burma. Das islamische Regime fürchtet Sharp und das Schreckgespenst der „Samtenen Revolution“ schon lange, studierte seine Bücher und versucht sich in paranoider Panik gegen eine gewaltlose Unterminierung seiner Macht durch immer brutalere Methoden zu schützen, treibt damit einen Teufelskreis an, der ihm, soweit lasst sich eine Prognose doch auch seriös wagen, früher oder später zum Verhängnis werden muß.
Die Methoden sind eindrucksvoll. Eine wichtige Rolle bei der Anleitung des Widerstandes spielen Exiliraner, allen voran der einstige Mitstreiter Khomeinis Mohsen Sazegara. Mitbegründer der Revolutionsgarden, geriet er schon in den 80er Jahren in Konflikt mit den autoritären Zügen des Systems und lebt nun in den USA. Fests davon überzeugt, dass das islamisch-demokratische Experiment gescheitert ist, versucht er nun die „Grüne Bewegung“ mit Hilfe von täglich zehnminütigen über das Internet verbreiteten Videoaufnahmen in Methoden des zivilen Ungehorsams auf der Basis der eigener Erfahrungen aus der islamischen Revolution zu instruieren.
Eine empfohlene Methode ist das Gespräch mit Angehörigen der Revolutionsgarden aus der Nachbarschaft, die öffentliche Darstellung der Repressionen auf Plakaten, um die Sicherheitskräfte zu demoralisieren. Ein Effekt lässt sich bereits erkennen: Nicht Protestierende verhüllen ihre Gesichter, sondern die auf sie einschlagenden paramilitärischen Bassidsch und Revolutionsgarden.Sazegaras Ratschläge sollen täglich an die 500.000 Iraner hören und sehen.
So erfährt man, dass Demonstranten etwa die sie attackierenden Bassidsch, die für ihre bezahlten gewalttätigen Einsätze speziell vom Regime angeheuert werden, so lange in Diskussionen verwickeln, ihre Motivationen infrage stellen, bis immer wieder beschämte Schläger mit ihren Brutalitäten einhalten und einfach abziehen.
Höchstens eine kleine extreme Randgruppe träumt heute von einem raschen, gewaltsamen Umsturz. Nach Revolutionswirren und achtjährigem äußerst verlustreichen Krieg gegen den Irak ist das Letzte, was die Iraner wollen, eine neue Revolution. Sie bauen auf die langsame Zermürbung von Innen. Und tatsächlich lassen sich Anzeichen dafür erkennen. Khamenei, von Eingeweihten als extrem paranoid charakterisiert, hat durch seine bedingungslose Allianz mit Ahmadinedschad seine Rolle als über den Parteien stehender Velayat-e Fagih (Oberster Rechtsgelehrter) preisgegeben, damit den sozialen Pakt, der seit der Revolution zwischen zumindest einem Teil des Volkes und der politischen Führung besteht, zerstört und so drastisch an politischen Spielraum verloren. Er hat sich in die totale Abhängigkeit der wahren neuen Machthabern begeben, den Revolutionsgarden, die heute als katastrophale Berater dominierenden Einfluß auf ihn ausüben.
Seit Juni hat Khamenei Fehler um Fehler begangen. Er weigerte sich unerschütterlich der Opposition auch nur einen kleinen Schritt entgegen zu kommen, auf den Ruf der „Grünen Bewegung“ nach Neuwahlen, nach Freilassung der Gefangenen oder objektiverer Berichterstattung des staatlichen Fernsehens einzugehen. Ein Schritt in dieser Richtung hätten die Spannungen ein wenig entschärft und die die Opposition zu spalten begonnen. Mit seiner Unnachgebigkeit und Härte aber erreichte er das Gegenteil. Warum? Darauf findet die unabhängige iranische Politologin Farideh Farhi eine schlüssige Antwort: Nach einer im Iran weit verbreiteten Überzeugung, hatte der Schah zu Beginn der Massendemonstrationen gegen ihn 1978 durch wichtige Zugeständnisse die Revolutionäre derart ermutigt, dass sie damit letztlich den Sieg errangen. Khamenei, selbst einer dieser Revolutionäre, habe die Lehre aus der Geschichte gezogen. Unnachgiebigkeit, Härte und Mobilisierung eigener Anhänger zählten deshalb zu den Rezepten, die einen erneuten Umsturz verhindern sollten, auch um den Preis eines Bürgerkrieges. Mit dieser Strategie hat Khamenei den Zorn der Massen von Ahmadinedschad auf sich gelenkt. Noch im Sommer vorigen Jahres wäre der Ruf „Tod Khamenei“, der heute allabendlich von Häuserdächern Teherans erschallt, völlig undenkbar.
Immer mehr treue Diener des Systems springen ab. In Norwegen suchte ein iranischer Diplomat um Asyl an, was nur die Spitze eines Eisberges tiefen Unbehagens über die Brutalitäten des Regimes sein dürfte. Besondere Beachtung verdient aber die Stimmung in der hohen iranischen Geistlichkeit Auch hier wächst mit zunehmender Repression gegen friedlich Demonstrierende der Wunsch, sich von Khamenei und dem Regime zu distanzieren. Ein Teil der führenden Geistlichkeit in der heiligen Stadt Qom hatte ohnedies stets Zweifel an der religiösen Qualifikation Khameneis für das höchste Amt im Gottesstaat gehegt. Der im Dezember verstorbene, hochangesehene Großayatollah Montazeri hatte dies als nahezu einziger auch offen ausgesprochen und dafür mit seiner ganzen Familie Freiheit eingebüßt und bittere Schikanen erlitten. Die Mehrheit der Ayatollahs hüllte sich aber in Schweigen, weil Khamenei sie vor allem auch in finanzielle Abhängigkeit gezwungen hatte. Die gravierenden Verletzungen der Menschenrechte zwingen nun aber immer mehr hohe Geistliche, ihr Schweigen aus Gewissensgründen zu brechen. Ein Beispiel ist symptomatisch für eine Entwicklung, die Khameneis Schicksal besiegeln könnte. Ayatollah Mohammad Taghi Khalaji, einst Gefangener des Schah, dann engagierter Anhänger Khomeinis, wurde am 12. Jänner in seinem Haus in Qom verhaftet und schmachtet nun in Isolationshaft im berüchtigten Evin-Gefängnis in Teheran, ohne Anwalt, ohne Kontakt zur Familie. Sein „Verbrechen“ geht auf den Tod der zur Ikone der Bürgerrechtsbewegung erhobenen 27-jährigen Neda Agha-Soltan zurück, die am 20. Juni bei einer friedlichen Demonstration von einem Bassidschi erschossen wurde. Diese ungeheuerliche Tat erschütterte den hohen Geistlichen bis ins tiefste Mark. Sein Sohn, Mehdi Khalaji, Iran-Experte des amerikanischen Think-Tanks „The Washington Institute for Near East Policy“, schildert in einem Artikel die Laufbahn und die Gedankengänge seines Vaters, mit dem er bis kurz vor dessen Verhaftung ausführliche Telefongespräche geführt hatte. Er könne nachts nicht mehr schlafen, klagte der Ayatollah im Juni mit dem Bild der schönen Neda stets vor Augen. Er habe sich nicht gegen den Schah erhoben, um einem Regime an die Macht zu verhelfen, das friedliche Demonstranten niederschlägt und unschuldige Menschen erschießt. So entschloß er sich schließlich, seine politische Abstinenz, die er – wie viele seiner geistlichen Kollegen – jahrelang eingehalten hatte – aufzugeben und sprach in einer Predigt in Nord-Teheran den Wunsch aus, dass die Islamische Republik überleben möge. Doch iranische Führer, wenn sie dem Beispiel des Islam, seines Propheten und seiner Imame folgen wollten, könnten nur mit dem Willen des Volkes herrschen. Seinem Sohn sagte er später, dass er sich vor Gott für die Revolution verantwortlich fühle und daher nicht schweigen könne, wenn die Menschenrechte im Namen des Islam mit Füßen getreten würden.
Insbesondere seit dem Tod Montazeris werden zunehmend Ayatollahs, die ihre Stimme gegen die Repressionen erheben bedroht, schikaniert und sogar physisch attackiert. Ayatollah Taghi Khaljis Schicksal läßt noch Schlimmeres befürchten.
Es herrsche kein Zweifel, meint Mehdi Khalaji, durch die Brutalitäten gegen friedliche Demonstranten und Repressionen gegen die erste Generation der Islamischen Republik habe das Regime sowohl seine islamische, wie auch seine revolutionäre Legitimität diskreditiert. Es setze damit sein Überleben aufs Spiel.
Was bedeuten all diese Entwicklungen für Irans Minderheiten? Am 28. Dezember erschien in der New York Times ein Artikel, in dem der Autor die Ansicht vertrat, die größte Gefahr drohe dem islamischen System nicht von der demokratischen Oppositionsbewegung, sondern von den zunehmend unruhigen (in der Zeitung hieß es aggressiven separatistischen) Kurden, Belutschen, Azeris und Arabern, die gemeinsam etwa 44 Prozent der von Persern dominierten Bevölkerung des Irans stellen. Nun, was separatistische Ziele betrifft, übertreibt der Autor maßlos. Irans ethnische Minderheiten werden in diesem zentralistisch regierten Staat traditionell um ihre Bürgerrechte beraubt und wenn sie sich regen, so geht es primär einmal darum und nicht um die Loslösung vom iranischen Staat.
Ich möchte mich jetzt aber aus gegebenem Anlaß kurz auf die Kurden konzentrieren. Ich hatte 1978/79, damals noch nicht als Korrespondentin im Orient, sondern außenpolitische Redakteurin der SN, intensiv die islamische Revolution verfolgt und hatte enge Kontakte zu Kurden, vor allem aus dem Irak allerdings, die in Österreich lebten. Ich sah ihre Begeisterung als der Schah stürzte und mit einem Schlag der Traum von Freiheit, von dem stets so brutal verwehrten Recht auf Selbstbestimmung in Erfüllung zu gehen schien, in einem von einem kaiserlichen Despoten befreiten Land. In seinem Pariser Exil hatte Khomeini den Kurden und anderen Minderheiten noch vage Versprechungen gemacht. Doch nachdem das Volk die Ayatollahs unter Führung Khomeinis an die Spitze des Staates hievte, da sah alles plötzlich ganz anders aus. Die Kurden präsentierten ihre Forderungen von Autonomie und wagten sich damit – wie sich bald herausstellte – viel zu weit vor. Khomeini antwortete mit Jihad, einem „Heiligen Krieg“, der Tausenden kurdischen Zivilisten das Leben kostete. Dieser Jihad tobt heute im iranischen Kurdistan immer noch – von der Welt ignoriert. Ein kurze Phase kultureller Lockerungen – mit Publikationen von kurdischen Zeitungen, Zeitschriften und Büchern – in der Ära Mohammed Khatamis (zwischen 1997 und 2005) fand ein abruptes und äußerst brutales Ende, als Ahmadinedschad Khatamis Nachfolge antrat. Seither nimmt die Repression immer brutalere Formen an – und dies, obwohl verschiedene kurdische Bewegungen im Iran – ausgenommen die im Nord-Irak stationierte Pjak – längst jeglicher Gewalt abgeschworen haben und nicht mehr als Autonomie in einer iranischen Republik erstreben. Seit Jahren werden kurdische Intellektuelle massiv verfolgt und in jüngster Zeit auch in zunehmenden Zahlen hingerichtet. Seit den Wahlen im Juni verschärfte sich die Repression nicht nur in Kurdistan, auch in Belutschistan und dem von Arabern bewohnt Khusistan, offensichtlich mit dem Ziel, Irans ethnische Minderheiten noch massiver einzuschüchtern und damit zu verhindern, dass sie sich der „Grünen Bewegung“ anschließen. Bisher erzielten sie damit Erfolg. Die Kurden – abgesehen davon, dass sie, wie auch anderswo, nicht einig sind, halten sich zurück, warten ab, auch aus Angst vor neuer Enttäuschung. Denn wer weiß, ob aus der gegenwärtigen Oppositionsbewegung nicht iranische Nationalisten hervorgehen, die eine Fortsetzung der zentralistischen Herrschaft Teherans erstreben. Immerhin hat sich über die Jahre der Herrschaft der Ayatollahs der Nationalismus im „Gottesstaat“ kräftig neu belebt – Nationalismus freilich aber keineswegs in einem radikalen Sinn, nur mit zu wenig Verständnis für die Sehnsüchte ethnischer Minderheiten.
Dennoch birgt die „Grüne Bewegung“ für die nicht-persischen Völker des Irans, wie für die gesamte Bevölkerung nach meiner Einschätzung durchaus eine neue Chance – nämlich im Rahmen einer demokratischen Entwicklung.
Noch ein kurzes Wort zu den Zielen der Grünen Bewegung. Wie bereits erläutert, handelt es sich um eine sehr breitgefächerte, eine – ich zitiere jetzt Abdel Karim Soroush, den islamischen Philosophen, den ich auch mehrmals in Teheran interviewen durfte. Soroush war durch seine Abhandlungen über Reform des Islams in schweren Konflikt mit dem Regime geraten und lehrt seit einiger Zeit an einer amerikanischen Universität. Er steht Mussawi nahe und charakterisiert die „Grünen“ als eine „pluralistische Bewegung“ der sich Gläubige und Nicht-Gläubige, Sozialisten und Liberale“, Kommunisten der Tudeh, wie Monarchisten – nicht aber bemerkenswerter Weise ethnische Minderheiten - angeschlossen haben. Die Bewegung hat längst ihre Eigengesetzlichkeit, wächst nicht durch Werbung, sondern durch spontanen Anschluß all jener, die sich plötzlich in ihrem Zorn, in ihren Sorgen und Nöten zusammenfinden. Mussawi als symbolischer Führer hatte all dies nicht geplant und nicht einmal geahnt, wohl auch gar nicht gewollt, da ein Sieg der Grünen wahrscheinlich den politischen Untergang dieses Mannes besiegeln wird, der doch nichts anderes als ein paar magere Reformen wollte.
Vielleicht aber ist Mussawi doch ein wenig in seine Rolle hineingewachsen und wenn er jetzt ein Ende der Folterqualen, der Exekutionen und des Schreckens durch ein tödlich bedrängtes Regime spricht, dann spricht er zweifellos den Massen aus dem Herzen. Doch seine politischen Forderungen, die er erst nach langem Schweigen aufstellte, sind relativ mild:, Dienstag aber übte Mussawi die bisher schärfste Kritik an den Zuständen im Iran. Er bezeichnete die islamische Revolution als gescheitert, „weil die Wurzeln von Tyrannei und Diktatur aus der Zeit der Monarchie immer noch existierten. Der Iran stehe heute da „wie jedes andere tyrannische Regime der Welt“. Eine Diktatur im Namen der Religion, „das ist überhaupt das Schlimmste.“ Der klarste Beleg dafür sei der Missbrauch von parlament und Justiz. Und offenbar rückte Mussawi nun auch von der Forderung nach Einhaltung der Verfassung ab, die er reformiert sehen will.
Weil er sich so lange Zeit läßt, seine eigenen Vorstellungen zu formulieren und ohnedies vollends isoliert, jeden Kontakt selbst mit seinen engsten – unterdessen alle verhafteten – Beratern verlor, haben sich fünf führende iranisch-islamische Intellektuelle, die seit kurzem im Ausland leben zu einem Forderungsmanifest zusammengefunden. Es sind Soroush , der dissidente Geistliche Mohsen Kadivar, der ehemalige Kulturminister unter Khatami Ataollah Mohajerani und der Journalist Akbar Gandji, der wegen seiner Aufdeckung der Verbrechen des Regimes unter Rafsandschani in den 80er und 90er Jahren lang im Gefängnis saß und dort fast gestorben wäre. Die Fünf fühlten sich nach Aussagen Soroushs Mussawi nahe genug, um seine Ideen zu kennen und zugleich auch einen gemeinsamen Nenner für jene der verschiedenen sozialen Strömungen zu finden.
Das Manifest der Fünf enthält zehn Punkte:
1. Rücktritt Ahmadinedschads und Neuwahlen;
2. Freilassung aller politischen Gefangenen.
3. Abschaffung der Zensur und der Filterungen im Internet:
4. Anerkennung aller rechtmäßig zustande gekommen Bewegungen.
5. Unabhängigkeit der Universitäten
6. Strafrechtliche Verfolgung aller die Unschuldige gefoltert, ermordet und derartige Verbrechen in den vergangenen sieben Monaten angeordnet haben
7. Unabhängigkeit der Justiz und Abschaffung der Sondergerichtshöfe etwa für Geistliche, die hinter verschlossenen Türen urteilen
8. Verbot der Einmischung der Polizei, des Militärs und der Sicherheitskräfte in Politik, Wirtschaft und Kultur
9. Wirtschaftliche und politische Unabhängigkeit der islamischen Seminare und Maßnahmen die die Politisierung der Geistlichen verhindern
10. Wahl aller hohen Beamten, die sich der Kritik stellen müssen und deren Amtszeit zeitlich begrenzt ist.
Das Manifest freilich läßt viele Fragen offen. Soroush betonte, es sei keineswegs beabsichtigt, die Verfassung abzuändern. Dies hieße, man wolle an der Institution des Obersten Rechtsgelehrten – derzeit von Khamenei besetzt – nicht rütteln. Der Widerspruch ist offensichtlich, denn das Manifest hebt hervor, dass eine Politisierung der Geistlichen verhindert werden soll. Mussawi hält Forderungen nach Verfassungsreform „extremistisch“ und „schädlicher“ für seine Bewegung als der „Extremismus der autoritären“ Regierung und gibt sich überzeugt, dass die Mehrheit der Iraner eine totale Verfassungsänderung ablehnt. So manches deutet auch darauf hin, dass Mussawi, Karrubi und vor allem Khatami einen Deal mit Khamenei suchen, um die Situation zu entspannen und die Islamische Republik zu retten, einen internen Versöhnungsprozeß einzuleiten und die Schar der konservativen Gegner Ahmadinedschads auf ihre Seite zu ziehen. Systemwechsel Nein, wiewohl Personenwechsel. Karrubi erklärte jüngst gegenüber der Financial Times, er glaube nicht, dass Ahmadinedschad seine Amtsperiode beenden könne.
Kein Zweifel besteht aber daran, dass eine wachsende Zahl der hohen Geistlichen eine Trennung von Politik und Moschee wünschen, weil die Religion mit dieser Verquickung in den vergangenen drei Jahrzehnten im Iran enormen Schaden erlitten hat.
Besondere Aufmerksamkeit gebührt in diesem Zusammenhang der Haltung Großayatollah Ali Sistanis. Dieser im irakischen Nadschaf lebende Iraner gilt heute als die höchste Instanz der schiitischen Geistlichkeit. Er gehört der Richtung der Quietisten an, die den Griff der Geistlichen nach politischer Macht entschieden ablehnt. Da Geistliche fehlbar sind, können sie den Gläubigen nur als Ratgeber, nicht als Herrscher den Weg weisen, lautet seine Sicht. Dass Sistani die Demokratie für den besten Weg hält, bewies er durch seine Position im Irak, wo er den Amerikanern nach dem Sturz Saddam Husseins die ersten freien Wahlen abtrotzte. Bisher hat Sistani zu den Verbrechen, die in seiner Heimat im Namen des Islams geschehen geschwiegen. Er wird es nicht mehr lange können, macht das Regime die Drohungen von weiteren Exekutionen und Brutalitäten wahr. Eine offene Kritik an Khamenei durch Sistani würde Irans geistlichen Führer vollends auch in den Augen der gesamten schiitischen Welt diskreditieren.
Steht dem Iran eine neue blutige Revolution bevor? Eine Antwort muß offen bleiben. Noch ist das Regime keineswegs am Ende. Noch kann Khamenei die Justiz kontrollieren, Hunderttausende Bassidsch als Schlägertrupps kommandieren und noch steht er im engsten Bund mit den Revolutionsgarden, die – so meinen manche – in Wahrheit herrschen. Die Grüne Bewegung will Geduld zeigen, die Garden durch stete kluge Nadelstiche demoralisieren, wie Sazegara sagt: „Wir spielen Schach mit den Garden, die nur eine Methode kennen: Unterdrückung, Haft und Folter. Das Volk aber hat viele Optionen.“ Doch ob es sich angesichts der wachsenden Brutalitäten auch weiterhin nicht zu Gewalt provozieren läßt, erscheint immer fraglicher. So tauchen uralte Ängste auf, dass Gewalt neue Gewalt gebäre. Der vom Schah verübten Gewalt folgte blutige Rache durch das islamische System und eine neue Diktatur. Wird sich die Geschichte wiederholen und den Iran von einer Despotie in die nächste reißen?
Und dennoch gibt es Hoffnung. Vor drei Jahrzehnten beherrschte die revolutionäre islamische Ideologie den Diskurs. Heute dominieren die Abscheu vor Despotie, Ideen von Freiheit, Demokratie, Menschenrechten, Toleranz und friedlicher Koexistenz mit dem Rest der Welt, insbesondere auch mit dem Westen die Diskussionen unter den unterschiedlichsten politischen und sozialen Gruppen. Die Grüne Bewegung ist auf dem besten Weg ein Beispiel an politischer Reife, Humanismus und Toleranz zu setzen, das auf die gesamte von Diktatoren beherrschte Region aufrütteln wird. Sie ist bereit, dafür ihr höchstes Gut, das Leben, zu opfern. Ihr gebührt Bewunderung, Hochachtung.
Vortrag im „Institut für Kurdologie – Wien“ am 6. Februar 2010
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