von Dr. Arnold Hottinger
In Afghanistan hat die lange im Voraus angekündigte Offensive im Helmandtal am 12. Febraur begonnen. Sie wird gemeinsam von total 15 000 amerikanischen, britischen und afghanischen Soldaten vorgetragen. Sie ist weitaus die grösste Offensive, die in Helmand je stattfand. Die Vorausankündigungen waren beabsichtigt. Sie gelten als ein Teil der neuen Strategie, die nun zur Anwendung kommen soll. Mit der Bekanntgabe, schon Wochen voraus, sollte bewirkt werden, dass möglichst wenige Zivilisten Opfer der Kämpfe werden und auch, dass möglicherweise Gruppen der Talebankämpfer sich entschlössen, auf die Seite der Amerikaner und der Regierung Karzai überzugehen.
Natürlich wurde damit auch in Kauf genommen, dass die Taleban die Möglichkeit erhielten, einerseits ihre Hauptmacht aus dem Kampfgebiet abzuziehen und andrerseits das Gelände vorzubereiten, indem sie es mit Minen und und Fallstricken spikten. Dies nahmen die Aliierten in Kauf, weil sie ihr Hauptziel in einer Besetzung des Helmandgebietes erblicken, das nach der Eroberung besetzt gehalten und abgesichert werden soll, zuerst wohl vornehmlich durch die fremden Kampftruppen, aber allmählich, so hofft man gewiss, durch wachsende Zahlen afghanischer Soldaten und Polizisten.
Dies ist ebenfalls Teil der „neuen Straegie“, bisher war es so, dass Helmand von Nato, von britischen und kanadischen Truppen schon mehrmals besetzt und „gereinigt“ worden war, die vertriebenen Taleban aber auswichen und nach Abzug der Invasionstruppen zurückkehrten. Genügend Truppen, um Helmand permanent besetzt zu halten, fehlten damals. Dies soll nun anders werden. Auf die „Eroberung“ und „Besetzung“ soll eine Befriedungs- und Aufbauphase folgen. Genügend Truppen sollen bleiben, um eine Rückkehr der Taleban zu verhindern. Wenn dies gelingt, kann man von einem Erfolg und von einer ersten erfolgreichen Phase der neuen Strategie sprechen.
Helmand war bisher für die Taleban wichtig. Es ist das ertragreichste und wichtigste Gebiet von Mohnfeldern, die dem Opium- und Heroingeschäft der Taleban dienen. Dieses ist ein wichtiger, wohl gar der wichtigste, Zweig ihrer Finanzierung. Das Tal ist relativ dicht bewohnt. Das erste Hauptziel der angreifenden Truppen ist die Stadt Marjah mit etwa 80 000 Bewohnern und mit Heroinlaboratorien, die bisher soetwas wie eine Hauptstadt der afghanischen Taleban war. Das ganze untere Helmandtal dürfte etwa 125 000 Bewohner, meist Bewässerungsbauern, aufweisen.
Nach den ersten Meldungen ist die Offensive anfänglich glatt verlaufen. Haupthinderniss waren die Minen und Explosivfallen, welche die Taleban vorbereitet hatten. Einge davon forderten Opfer. Zu heftigen Kämpfen gegen Bodentruppen scheint es nicht gekommen zu sein, obgleich die Angreifer nun schon nah bei Marjah stehen, oder sogar nach anderen Meldungen (AIP Afghan Islamic Press) bereits in die Stadt eingedrungen sind. Dies dürfte anzeigen, dass die Taleban ihrer bisher bewährten Taktik nachkommen, welche natürlich die klassische Guerilla Taktik ist, nämlich vor übermächtigen Angreifern zurückzuweichen, sich zu zerstreuen und zu verzetteln, um dann nach dem Abzug oder der Ausdünnung der Angriffsspitzen wieder zurückzukehren.
Diese Taktik hatte ihnen bisher Erfolge gebracht. Doch das soll nun anders werden. Es könnte auch anders werden, wenn den verbündeten regulären Truppen Phase zwei und drei ihres Programmes gelingen, nämlich Befriedung und Entwicklung der Helmandregion, soweit, dass sie in die Lage geräte, mit Hilfe der Truppen und Polizisten der afghanischen Regierung, Versuche der Rückkehr der Taleban abzuwehren.
Dieses Programm berechtigt die Vorankündgungen der Offensive: sie sollten bewirken und scheinen es auch erreicht zu haben, dass keine blutigen und zerstörerischen Kämpfe im Helmandtal stattfanden, unter denen die Zivilbevölkerung unvermeidlich am schwersten gelitten hätte und die dadurch die Bereitschaft der Bevölkerung, mit den Invasionstruppen zusammenzuarbeiten stark, wohl sogar entscheidend, vermindert hätten.
Doch auch ohne grosse Zerstörungen steht den ausländischen und afghanischen Truppen nach der Besetzung ihrer Zielregionen eine Bewährungsprobe bevor. Die Bevölkerung hat früher schon mehrmals erlebt, dass die fremden Truppen einzogen, „siegten“ und sich wieder entfernten. So die Nato Truppen von Mai bis Juni 2006; dann Nato und Afghanische Truppen im März 2007; schliesslich im Juli 2009 4000 amerikanische Soldaten. Die Taleban kehrten zurück und rächten sich an allen Jenen, die sich für eine Zusammenarbeit mit den Ausländern zur Verfügung gestellt hatten. Blosse Versicherungen, dass es diesmal anders werde, dürften schwerlich genügen, um das Misstrauen der Bevölkerung abzubauen. Die Zivilbevölkerung muss über eine längere Periode hinweg die Gewissheit erhalten, dass sie diesmal verteidigt wird und die Taleban nicht zurückkehren werden, bevor sie sich voll auf eine enge Zusammenarbeit mit den neuen Machthabern einlässt. Die Herrschaft welche die neuen Machthaber ausüben, muss sich auch deutlich genug im positiven Sinne (und in den Augen der afghanischen Bevökerung selbst) von jener unterscheiden, welche die Taleban geführt hatten, um die Bevölkerung zu veranlassen, das Risiko einer Zusammenarbeit und eines Engagements auf Seiten der neuen Mächte auf sich zu nehmen. Die Reputation der afghanischen Polizei ist bisher eine solche gewesen, dass diese Veraussetzung nicht unbedingt als selbstverständlich erfüllt gelten kann.
Der Erfolg der gegenwärtigen Offensive und mit ihr die erste Probe der neuen Strategie kann folglich erst als gesichert gelten, wenn nicht nur die anfängliche Phase der militärischen Eroberung und Besetzung erfolgreich verläuft, sondern auch die entscheidenden weiteren Phasen der Gewinnung der Zustimmung der Bevölkerung, der Absicherung ihrer Zukunft und des Aufbaus von überlebensfähigen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Strukturen gelingt. Diese Voraussetzungen waren in allen bisherigen militärischen und Kampf- und Aufbaumaneuvern der Aliierten Truppen nicht in genügendem Masse erfüllt, um das Überleben der Karzai Regierung unter dem Ansturm der Taleban sicher zu stellen. Daran, ob es diesmal in Helmand gelingt und in welcher Frist, müssen der wahren Erfolgschancen der Offensive und mit ihr jene der neuen Strategie Obamas beurteilt werden.
Sonntag, 14. Februar 2010
AFGHANISTAN: Die Helmandoffensive in Afghanistan
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