Das Volk ist gespalten, das Regime geschwächt und zerstritten, die „Grüne Bewegung“ wächst ohne effektive Führung, der Status Quo droht das Land noch tiefer in die Krise zu stürzen
von Birgit Cerha
Mit einem „Faustschlag in den Mund“ drohte Irans „Geistlicher Führer“ Khamenei all jenen einen Schock zu versetzen, die es wagen sollten, am Revolutionstag, dem 11. Februar, ihre Stimmen gegen das von ihm geführte Regime zu erheben. Die für diesen Tag erwartete Kraftprobe zwischen Khamenei und dessen Schützling-Präsidenten Ahmadinedschad auf der einen und der stetig anwachsenden „Grünen (Demokratie-)Bewegung“ auf der anderen Seite versetzte den Iran wochenlang in steigende Nervosität. Die Verhaftungswelle rollte, mindestens 75 Journalisten wurden unter Hunderten anderen Bürgern hinter Gitter gesetzt, zwei Todesurteile an jungen Oppositionellen vollstreckt und weitere angekündigt. Die Atmosphäre von Terror, Angst und Unsicherheit, die das Regime unter oppositionellen Aktivisten und deren Sympathisanten zu verbreiten sucht, ist Tagesgespräch.
Doch die drei symbolischen Führer der „Grünen Bewegung“ – Mussawi, Karrubi und Khatami - bleiben entschlossen, Einschüchterungen zu trotzen. Khameneis Hoffnung, am 11. Februar, dank massiver Brutalitäten den Sieg über die endgültig zerschlagene Demokratie-Strömung zu feiern, hat sich nicht erfüllt. So wagte sogar der stets so vorsichtige Ex-Präsident Khatami ungewöhnlich mutig, das Ende der Rolle Khameneis als höchsten, über allen Gruppierungen stehenden Führer festzustellen. Diese Position sei nur dann haltbar, wenn die Person, die sie einnähme, sich als Führer aller Iraner und nicht nur einer Fraktion im Establishment erweise. Diese Erklärung verdient auch deshalb besondere Beachtung, da Khatami und seine beiden Mitstreiter sich bisher jeglicher direkten Kritik an Khamenei enthalten hatten, in der Hoffnung, mit dem „Geistlichen Führer“ eine Kompromisslösung zu finden, die den Iran aus seiner katastrophalen Krise reißen könnte.
In diesem Versöhnungsplan hatte das iranische Atomprogramm eine wichtige Rolle gespielt. Offenbar sollte sich Mussawi zur Fortsetzung und Verteidigung dieses Programmes verpflichten und dafür die Freilassung aller Gefangenen, sowie politische Reformen einhandeln. Doch die wiederholten Rufe der Demonstranten – „Gib die Urananreicherung auf, tu etwas für die Armen“ – zwingt diesen Mann, der sich, wie viele andere iranische Nationalisten, voll zum souveränen Recht auf eine eigenständige atomare Entwicklung für friedliche Zwecke bekannte, in dieser Frage nun zum Schweigen. Welche Position er einnehmen würde, sollte er eines Tages die Macht erringen, läßt sich nicht absehen.
Die massiven Einschüchterungen durch das Regime haben Mussawi am 2. Februar aber zu seiner bisher schärfsten Kritik gezwungen. Die islamische Revolution sei gescheitert, analysierte dieser Treue Jünger Revolutionsführer Khomeinis, der dem Regime in den 80er Jahren acht Jahre lang während der brutalsten Repressionen als Premierminister treu gedient hatte. Und dennoch kommt Mussawi nun zu dem Schluss, dass „die Wurzeln von Tyrannei und Diktatur aus der Zeit der Monarchie immer noch existieren“. Diktatur im Namen der Religion sei „überhaupt das Schlimmste“.
Auch acht Monate nachdem sich die Protestbewegung als Folge der manipulierten Präsidentschaftswahlen spontan gebildet hatte und seither eine breite Strömung aus allen Schichten und Altersgruppen mit sich reißt, ist wenig über ihre interne Dynamik bekannt. Der vollends isolierte Mussawi gesteht offen ein, dass er die „Grüne Bewegung“ nicht zu führen vermag und er hält, wie auch seine beiden Mitstreiter, eisern an den Grundsätzen der „Islamischen Republik“ fest, erstrebt höchstens Korrekturen in der Verfassung und ein Ende der Verfassungsbrüche, wie der Repressionen, während die „grünen“ Massen immer lauter nach Systemwechsel rufen.
Mit dem Beispiel Khomeinis vor Augen, der sich in den 60er Jahren als unbequemer Kritiker des Schah-Regimes erwiesen hatte, 1964 ins Exil geschickt wurde und erst dort seine revolutionären Ideen entwickelte und schließlich – sogar noch ohne Internet und Satellitenfernsehen – in der Heimat verbreiten konnte, entschied sich Khamenei seine Herausforderer lieber daheim zu isolieren und zu schikanieren , sie aber ja nicht durch Verhaftung oder gar Mord - in einen Märtyrerstatus zu erheben. Seiner engsten Vertrauten, die alle im Gefängnis sitzen, beraubt und kontinuierlich eingeschüchtert, kann es Mussawi nicht wagen, die Islamische Republik selbst in Zweifel zu ziehen. Ob er allerdings politisch so gereift ist, um ein Ende des Systems zu erstreben, ist ohnedies höchst fraglich. Fest steht jedoch, dass Mussawi, wie wohl die große Mehrheit der Iraner, die Ansicht des dissidenten islamischen Revolutionärs Ezatollah Sahabi teilen, der vor wenigen Tagen betonte: „Eine Revolution im heutigen Iran ist weder möglich, noch ist sie wünschenswert.“
Doch entscheidet sich Khamenei nicht zu einer radikalen Abkehr seiner Strategie des Terrors gegen seine Herausforderer, dann ist die „Islamische Republik“, die auch in den Augen ihres „Geistlichen Führers“ ein einzigartiges Beispiel für die gesamte islamische Welt setzen will, dem Untergang geweiht. Eine entscheidende Rolle dabei spielt Irans hohe Geistlichkeit. Wendet sie sich offen von Khamenei ab, dann verliert dieser vollends die religiöse Basis und sein Ansehen nicht nur im Iran, sondern in der gesamten Welt der Schiiten. Zahlreiche Ayatollahs, die schon in der Vergangenheit Khameneis theologische Befähigung für dieses höchste Amt angezweifelt, doch geschwiegen hatten, distanzieren sich nun aus Gewissensgründen offen vom Regime, das im Namen des Islams ungeheuerliche Menschenrechtsverletzungen begeht. Die politisch tödliche Gefahr, die ihm aus diesem Kreisen droht, ist Khamenei voll bewusst. Das beweisen seine Gegenmaßnahmen. Schon sitzt Ayatollah Mohammed Taqi Khalaji, ein enger Vertrauter des im Dezember verstorbenen liberalen Großayatollah Montazeri in Isolationshaft im Evin-Gefängnis von Teheran. Andere hohe Geistliche, die Kritik an den Brutalitäten wagen, werden verbal und physisch attackiert und eingeschüchtert. Die heilige Stadt Qom, Zentrum schiitischer Lehre, gleicht nach Aussagen Ayatollah Khalajis Sohn Mehdi einem „militärischen Stützpunkt, Tausende Bewaffnete kontrollieren die Stadt. Niemand wagt mehr seine Stimme zu erheben, regimekritische Geistliche stehen unter ständiger Bewachung“, selbst durch Videokameras.
Der Iran, so meint ein Intellektueller, der seinen Namen lieber nicht preisgeben will, „steckt in einer Phase, in der die Geschichte zögert, welcher Weg einzuschlagen ist. Fest steht nur, dass der Status quo unhaltbar geworden ist.“
Erschienen am 11.02.2010 im "Rheinischer Merkur"
Dienstag, 9. Februar 2010
IRAN: Iran am Scheideweg
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