Weitere Rückschläge für Irans Präsidenten, während der „Geistliche Führer“ ein Gefängnis schließen läßt
Irans umstrittener Präsident Ahmadinedschad erlitt Dienstag einen erneuten Rückschlag aus Kreisen seiner radikalen Verbündeten. Während die konservativen Medien verstärkt Zweifel an der Fähigkeit des Präsidenten äußern, in seiner zweiten Amtsperiode effizient zu regieren und das Land aus der politischen Krise zu führen, befand ein Berufungsgericht Industrieminister Ali Akbar Mehrabian, einen engen Vertrauten Ahmadinedschads, des Betrugs für schuldig, weil er nach Ansicht der Justiz Patentrechte missbraucht hätte. Damit dürfte nach dem Geheimdienstminister noch ein Kabinettsmitglied aus dem Team des Präsidenten ausscheiden. Zugleich verstummt in Kreisen der Hardliner die Kritik am Präsidenten nicht, nachdem er erst nach einer Woche dem Wunsch des „Geistlichen Führers“ Khamenei gefolgt und die Ernennung von Esfandjar Rahim Maschaie zum ersten Vizepräsidenten und seinem Stellvertreter rückgängig gemacht, zugleich jedoch den Schwiegervater seines Sohnes zum Chef seines Büros ernannt hatte. Auch die Ernennung ausgerechnet Ali Kordans für die heikle Aufgabe der Überwachung der Ministerien und der Regierung, stößt auf heftige Kritik. Kordan war im Juli 2008 nach nur 90 Tagen als Innenminister vom Parlament seines Amtes enthoben worden, weil er fälschlicherweise vorgegeben hatte, ein Doktorat von der Oxford Universität zu besitzen.
Zugleich könnten so manche Anzeichen auf erste vorsichtige Versuche schließen lassen, dass Khamenei zumindest ein wenig der Oppositionsbewegung entgegenkommt. So zitiert das staatliche Fernsehen nicht nur Aufrufe des „Führers“ zur Mäßigung, sondern auch Ex-Präsident Rafsandschani, der am 17. Juli beim Freitagsgebet in Teheran durch seine offene Kritik an den Präsidentschaftswahlen und den darauf folgenden Massenverhaftungen scharfe Reaktionen aus erzkonservativen Kreisen ausgelöst hatte. „Meine Hoffnung ist der Führer, der aufgrund seiner Erfahrung und Ansichten einen Ausweg aus der Krise findet. Meine Position für eine kurzfristige Beilegung des Problems ist jene, die ich beim Freitagsgebet erläutert habe.“ Diese Meldung überrascht, denn Rafsandschani hatte sich ausdrücklich dem Wunsch Khameneis widersetzt und zu einer offenen Debatte über den umstrittenen Wahlausgang aufgerufen.
Beobachter werten die unkommentierte Wiedergabe dieser Aussage Rafsandschanis als Stärkung der Oppositionskräfte und weitere Schwächung Ahmadinedschads. Ebenfalls als Entgegenkommen gegenüber der Opposition und als Reaktion auf Berichte über die brutalen Haftbedingungen im Iran wird Khameneis Entscheidung gewertet, ein nicht näher genanntes Gefängnis mit 300 inhaftierten Demonstranten zu schließen. Laut staatlichem Sender befahl Khamenei ausdrücklich, dass es keine „Ungerechtigkeit“ gegen Oppositionelle geben dürfe. Die Regierung hatte bisher die Zahl der Gefangenen mit lediglich 150 angegeben. Menschenrechtsgruppen sprechen jedoch von mehreren Tausend. Am Wochenende wurde bekannt, dass der Sohn eines engen Beraters von Präsidentschaftskandidat Resaei im Evin-Gefängnis ums Leben kam. Unterdessen richtete das Parlament eine Sonderkommission ein, die die Lage der Festgenommenen untersuchen soll. Täglich demonstrieren Hunderte Menschen vor dem Evin-Gefängnis, um Informationen über ihre vermissten Angehörigen zu erhalten.
Die Tochter des bei einem Attentat im Jahr 2000 schwer verwundeten Vertrauten des damaligen Reformpräsidenten Khatami, Said Hadscharian richtete einen verzweifelten Appell an die Öffentlichkeit: „Laßt nicht zu, dass mein Vater getötet wird.“ Der Intellektuelle, der durch eine schwere Kopfverletzung weitgehend an den Rollstuhl gebunden ist und steter medizinischer Betreuung bedarf, war, gemeinsam mit zahlreichen anderen Reformern nach den Wahlen am 12. Juni festgenommen worden und seht nun nach Aussagen seiner Tochter Zeinab unter massivem psychologischen und physischem Druck, vor laufender Videokamera ein „Geständnis“ abzugeben, dass er sich von ausländischen Agenten für eine „samtene Revolution“ einsetzen ließ. Ihr Vater sei sehr blaß und sehr schwach. „Sie zwingen ihn täglich stundenlang bei 40 bis 42 Grad in der Sonne zu sitzen. Dann bringen sie ihn wieder ins Gebäude und überschütten ihn mit Eis.“ Sein Doktor befürchte, diese Methode werde einen Gehirnschlag auslösen, der umso eher eintreten dürfte, als eine der Venen durch das Attentat schwer beschädigt worden war. Auch werde ihm die nötige Medizin verweigert. Sie wollten ihm entweder ein „Geständnis“ erpressen, oder ihn töten, meint Zeinab. „Mein Vater ist bereits einmal gestorben. Er wird niemals ein Geständnis ablegen.“
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Dienstag, 28. Juli 2009
Birgit Cerha: Die „Retter“ kommen aus dem Morgenland
Arabische Investoren schauen sich verstärkt nach Zielen in Deutschland um – Beginn eines neuen globalen Kräftespiels
Sie alle bewundern Porsche oder Mercedes, die ihre Parks glitzernder Luxuslimousinen krönen. Sie vertrauen der krisengeschüttelten deutschen Wirtschaft immer noch uneingeschränkt. Und ihre Staatskassen sind prall gefüllt. Nach mehrmonatiger Zurückhaltung als Folge der internationalen Finanzkrise begeben sich die Ölmilliardäre aus der Wüste auf Schatzsuche. Europa, und da vor allem Deutschland, sind ihre Hauptziele, denn Qualität ist gefragt, Verlässlichkeit, hohe Technologie, gutes Management und klingende Namen. Und das begehrte Kapital aus der Persischen Golfregion öffnet den Wüstensöhnen bei lange skeptischen deutschen Unternehmern die Tore. Das Schreckgespenst der Staatsfonds, die sich in die deutsche Wirtschaft einkaufen wollen, hat sich zum ersehnten Retter aus dem Morgenland gemausert.
Die fünf größten Staatsfonds des Mittleren Ostens haben derzeit etwa 16 Mrd. Euro in europäische Unternehmen investiert. Großbritannien steht mit 57 Prozent an der Spitze, gefolgt von Deutschland mit 19 und der Schweiz mit 18 Prozent. Abu Dhabi hat im März mit dem Erwerb von 9,1 Prozent der Anteile an Daimler für 1,95 Mrd. Euro den Stuttgarter Hersteller nicht nur stabilisiert, sondern auch den Startschuß für die neue Einkaufstour der Ölscheichs gegeben. Kuwait ist bereits seit 30 Jahren Großaktionär bei Daimler und hat sich als äußerst zuverlässiger und unkomplizierter Partner erwiesen, der dem Management nicht hineinzureden pflegt. Nun stehen Verhandlungen zwischen Katar und Volkswagen zur Übernahme von zunächst 17 Prozent der Anteile dieses zweitgrößten Fahrzeugherstellers der Welt für fünf Milliarden Euro an dem Autogiganten fast vor dem Abschluß. Andere Projekte werden von den Öl- und Gasgroßmächten bereits aufs Korn genommen. Die Araber entdecken zunehmend auch den deutschen Mittelstand, suchen auch Kontakt zu kleineren und mittleren Unternehmen. Nachgefragte Branchen sind Infrastruktur, Maschinenbau und Metallverarbeitung, erneuerbare Energien, Gesundheit und Bildung, mit dem Ziel, am Golf Produktionsanlagen zu schaffen.
Die Staatsfonds aus dem arabischen Raum sind Teil des neuen globalen Kräftespiels um Einflusszonen und Ressourcen. Dennoch: So groß der Geldsegen, so klein ist die Zahl der „Retter“ aus der Wüste, wo sie einen derzeit schier unerschöpflichen Geldregen kontrollieren.
Chadim al Kubaissi reist gern und oft nach Deutschland. Er ist fasziniert von Daimler Autos, von der deutschen Autoindustrie insgesamt und von Deutschlands „guten Unternehmen, der guten Technik und der guten Manager“. Reich, kauffreudig und verschwiegen, sieht er sich in Deutschland nach neuen Investitionen um, nachdem er für Abu Dhabis Investmentfirma Aabar die Verhandlungen mit Daimler geleitet hatte. Kubaissi ist ein junger Mann mit einer Mission. „Wir brauchen deutsche Technologie, um uns zukunftsfähig zu machen“, lautet das Motto des Aabar-Chefs, der zugleich auch Vorsitzender der „International Petroleum Investment Company“ (IPIC) des Emirats ist. Deshalb kaufte IPIC für etwa 500 Mio. Dollar auch 70 Prozent von MAN Ferrostaal und vielleicht im kommenden Jahr auch noch den Rest. Gemeinsam will man am Golf für etwa 60 Mrd. Dollar einen der größten Petrochemiekomplexe der Welt bauen.
Mit Daimler ist die gemeinsame Entwicklung von Elektroautos und Verbundwerkstoffen als allmählichen Ersatz für den heute verbauten schweren Stahl geplant. Und junge Leute sollen in Abu Dhabi in einer eigenen Fachakademie im Automobilbau ausgebildet werden. Aktiv im Management der Partner mitmischen, heißt die neue Devise der Ölscheichs.
An Geld fehlt es nicht in diesem kleinen Emirat von 2,5 Millionen Einwohnern (davon etwa 1,6 Mio.Gastarbeiter), das auf zehn Prozent der Weltölreserven sitzt. Aabar und IPIC sind Teile eines umfangreichen Geflechts von Investitionsfirmen, mit der „Abu Dhabi Investment Authority“ (ADIA) an der Spitze. Ein Schleier des Geheimnisvollen liegt über ADIA. Schätzungen ihres Anlagekapitals reichen von 330 Mrd. bis 875 Mrd. Dollar. Zahlen, Namen oder gar Unternehmensaufstellungen veröffentlicht ADIA keine. Diskretion ist höchstes Gebot dieser Behörde, die seit rund drei Jahrzehnten ihr Geld in viele Länder der Welt strömen läßt. Das Investmentgeschäft, so wird geschätzt, wachse derzeit mit rund 30 Mrd. Dollar im Jahr.
Diversifizierung der Wirtschaft für die Zeit nach dem Öl ist das Hauptziel der Investitionen, bei denen Scheich Mohammed Bin Zayed Al-Nahyan, drittältester von 19 Söhnen des Gründervaters der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und heute Kronprinz, das letzte Wort hat. Der 48-jährige Scheich, begeisterter Falkenjäger, gilt als die zentrale Figur des Aufstiegs von Abu Dhabi, als phantasievoller Manager mit ausgeprägten analytischen Fähigkeiten. Er ist es auch der den Grundstein für Masdar-City legte, die erste klimafreundliche Stadt der Welt, deren Industrie- und Wohngebiete bis 2016 bis zu 90.000 Menschen aufnehmen soll. Ein gigantisches Projekt mit Solarstrom und Elektromobilen für insgesamt geschätzte 22 Mrd. Dollar.
Scheich Mohammed ist der aufsteigende Stern am Himmel Abu Dhabis. An der berühmten britischen Militärakademie von Sandhurst ausgebildet, ist er General und Stellvertretender Oberster Befehlshaber der Streitkräfte und ein Mann mit Vision. „Kultur statt Gewalt“, lautet sein Motto, Erziehung, Bildung als Rezept gegen den die gesamte ölreiche Region bedrohenden engstirnigen Fanatismus. Deshalb schloß er auch mit der Guggenheimstiftung in New York einen Millionen-Vertrag ab. Auch in Abu Dhabi soll bis 2012 ein Louvre entstehen und eine Schwesteruniversität der Pariser Sorbonne.
Auch Katar setzt massiv auf Bildung. Der Zwergstaat bietet dank der drittgrößten Gasreserven der Welt seinen nur 150.000 Untertanen mit durchschnittlich 100.000 Dollar pro Kopf das höchste Einkommen der Welt. Katar ist seit Jahren eine der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften. Die Gazbonanza spült alljährlich gigantische Beträge in die Schatulle des Emirs, der gar nicht weiß, wohin mit diesen Schätzen. Emir Hamad Bin Khalifa al Thani hat seinen dynamischen Cousin Scheich Hamad bin Dschassim Dschabir al Thani nicht nur zum Premierminister, sondern zum Hauptverantwortlichen für die Investitionen ernannt. Weltweit hat der Staatsfonds „Qatar Investment Authority“ (QIA) nach Schätzungen an die 60 Mrd.Dollar angelegt und jedes Jahr stehen aus diesem Fonds weitere 20 Mrd. zur Verfügung. Als primäres Investitionsvehikel vor allem für strategische Projekte steht Scheich Hamad bin Dschassim die „Qatar Holding LLC“ zur Verfügung, die nun bei Volkswagen einsteigen dürfte. Seit Beginn der Finanzkrise erwarb QIA etwa 16 Prozent an der britischen Barclays-Bank oder zehn Prozent an Credit Suisse. Kaum ein Staatsfonds im Mittleren Osten arbeitet so hermethisch abgeschlossen wie QIA. Nur wenige Informationen dringen an die Öffentlichkeit.
Hamads lukrativstes heimisches Projekt ist Ras Laffan. Wenn diese neue Flüssiggasanlage fertiggestellt ist, wird sie nach Schätzungen des Internationalen Währungsfonds 77 Mio. Tonnen pro Jahr produzieren und Katar damit über fünf Jahre Exporteinkommen von etwa 292 Mrd, sichern – eine enorme Herausforderung für Hamad, der die Hauptverantwortung für Investitionen trägt und sich zum wichtigsten Mittler zwischen dem Westen und seiner kleinen Heimat aufbaut.
Hamad verfügt über außergewöhnliche ökonomische, aber auch politisch-diplomatische Talente. Als Premier und zugleich Außenminister hebt er, gemeinsam mit seinem Cousin und Herrscher, das winzige Gasreich auch mehr und mehr zu einem politischen Führer in der Region. Entscheidungsfreudig und brillant brachen die beiden mit uralten Traditionen in ihrer Heimat, aber auch gegenüber der Außenwelt und sind heute wohl eine der geschicktesten, pragmatischen Reformpolitiker im arabischen Raum. Gemeinsam mit dem Emir versucht Hamad mit eindrucksvollem Erfolg eine Balance zu finden zwischen dem traditionellen Konservativismus der Kataren und seinen Visionen eines technologisch modernen und kulturell vielfältigen Staates.Viele halten den 49-jährigen Hamad, der als zweitreichster Mann des Landes selbst an einigen der größten Unternehmen beteiligt ist, für den „heimlichen Herrscher“ Katars, der aus dem verschlafenen Emirat einen attraktiven Investitions- und Forschungsstandort machen will. Eine entscheidende Rolle dabei, wie auch beim geplanten Einstig bei Volkswagen spielt Scheichin Mozah Bint Nasser Al-Misnad, Soziologin, zweite Frau des Emirs, Erziehungsministerin und Autoliebhaberin. Durch ihr öffentliches Wirken nimmt sie eine Sonderrolle unter den First Ladies in diesem Teil der Welt ein. Sie leitet die „Qatar Foundation“, die das Land zu einem Hochschul- und Forschungszentrum entwickeln soll. Ihrem Mann, dem Emir, dient die Mutter von sieben Kindern als eine der wichtigsten BeraterInnen und den Frauen als Rollenvorbild. Sechs amerikanischen Spitzenuniversitäten hat Mozah bereits nach Katar geholt. Auch deutsche Wissenschaftler versucht sie anzulocken, denn: „Öl und Gas werden irgendwann zu Ende gehen. Das Wissen bleibt.“
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Sie alle bewundern Porsche oder Mercedes, die ihre Parks glitzernder Luxuslimousinen krönen. Sie vertrauen der krisengeschüttelten deutschen Wirtschaft immer noch uneingeschränkt. Und ihre Staatskassen sind prall gefüllt. Nach mehrmonatiger Zurückhaltung als Folge der internationalen Finanzkrise begeben sich die Ölmilliardäre aus der Wüste auf Schatzsuche. Europa, und da vor allem Deutschland, sind ihre Hauptziele, denn Qualität ist gefragt, Verlässlichkeit, hohe Technologie, gutes Management und klingende Namen. Und das begehrte Kapital aus der Persischen Golfregion öffnet den Wüstensöhnen bei lange skeptischen deutschen Unternehmern die Tore. Das Schreckgespenst der Staatsfonds, die sich in die deutsche Wirtschaft einkaufen wollen, hat sich zum ersehnten Retter aus dem Morgenland gemausert.
Die fünf größten Staatsfonds des Mittleren Ostens haben derzeit etwa 16 Mrd. Euro in europäische Unternehmen investiert. Großbritannien steht mit 57 Prozent an der Spitze, gefolgt von Deutschland mit 19 und der Schweiz mit 18 Prozent. Abu Dhabi hat im März mit dem Erwerb von 9,1 Prozent der Anteile an Daimler für 1,95 Mrd. Euro den Stuttgarter Hersteller nicht nur stabilisiert, sondern auch den Startschuß für die neue Einkaufstour der Ölscheichs gegeben. Kuwait ist bereits seit 30 Jahren Großaktionär bei Daimler und hat sich als äußerst zuverlässiger und unkomplizierter Partner erwiesen, der dem Management nicht hineinzureden pflegt. Nun stehen Verhandlungen zwischen Katar und Volkswagen zur Übernahme von zunächst 17 Prozent der Anteile dieses zweitgrößten Fahrzeugherstellers der Welt für fünf Milliarden Euro an dem Autogiganten fast vor dem Abschluß. Andere Projekte werden von den Öl- und Gasgroßmächten bereits aufs Korn genommen. Die Araber entdecken zunehmend auch den deutschen Mittelstand, suchen auch Kontakt zu kleineren und mittleren Unternehmen. Nachgefragte Branchen sind Infrastruktur, Maschinenbau und Metallverarbeitung, erneuerbare Energien, Gesundheit und Bildung, mit dem Ziel, am Golf Produktionsanlagen zu schaffen.
Die Staatsfonds aus dem arabischen Raum sind Teil des neuen globalen Kräftespiels um Einflusszonen und Ressourcen. Dennoch: So groß der Geldsegen, so klein ist die Zahl der „Retter“ aus der Wüste, wo sie einen derzeit schier unerschöpflichen Geldregen kontrollieren.
Chadim al Kubaissi reist gern und oft nach Deutschland. Er ist fasziniert von Daimler Autos, von der deutschen Autoindustrie insgesamt und von Deutschlands „guten Unternehmen, der guten Technik und der guten Manager“. Reich, kauffreudig und verschwiegen, sieht er sich in Deutschland nach neuen Investitionen um, nachdem er für Abu Dhabis Investmentfirma Aabar die Verhandlungen mit Daimler geleitet hatte. Kubaissi ist ein junger Mann mit einer Mission. „Wir brauchen deutsche Technologie, um uns zukunftsfähig zu machen“, lautet das Motto des Aabar-Chefs, der zugleich auch Vorsitzender der „International Petroleum Investment Company“ (IPIC) des Emirats ist. Deshalb kaufte IPIC für etwa 500 Mio. Dollar auch 70 Prozent von MAN Ferrostaal und vielleicht im kommenden Jahr auch noch den Rest. Gemeinsam will man am Golf für etwa 60 Mrd. Dollar einen der größten Petrochemiekomplexe der Welt bauen.
Mit Daimler ist die gemeinsame Entwicklung von Elektroautos und Verbundwerkstoffen als allmählichen Ersatz für den heute verbauten schweren Stahl geplant. Und junge Leute sollen in Abu Dhabi in einer eigenen Fachakademie im Automobilbau ausgebildet werden. Aktiv im Management der Partner mitmischen, heißt die neue Devise der Ölscheichs.
An Geld fehlt es nicht in diesem kleinen Emirat von 2,5 Millionen Einwohnern (davon etwa 1,6 Mio.Gastarbeiter), das auf zehn Prozent der Weltölreserven sitzt. Aabar und IPIC sind Teile eines umfangreichen Geflechts von Investitionsfirmen, mit der „Abu Dhabi Investment Authority“ (ADIA) an der Spitze. Ein Schleier des Geheimnisvollen liegt über ADIA. Schätzungen ihres Anlagekapitals reichen von 330 Mrd. bis 875 Mrd. Dollar. Zahlen, Namen oder gar Unternehmensaufstellungen veröffentlicht ADIA keine. Diskretion ist höchstes Gebot dieser Behörde, die seit rund drei Jahrzehnten ihr Geld in viele Länder der Welt strömen läßt. Das Investmentgeschäft, so wird geschätzt, wachse derzeit mit rund 30 Mrd. Dollar im Jahr.
Diversifizierung der Wirtschaft für die Zeit nach dem Öl ist das Hauptziel der Investitionen, bei denen Scheich Mohammed Bin Zayed Al-Nahyan, drittältester von 19 Söhnen des Gründervaters der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und heute Kronprinz, das letzte Wort hat. Der 48-jährige Scheich, begeisterter Falkenjäger, gilt als die zentrale Figur des Aufstiegs von Abu Dhabi, als phantasievoller Manager mit ausgeprägten analytischen Fähigkeiten. Er ist es auch der den Grundstein für Masdar-City legte, die erste klimafreundliche Stadt der Welt, deren Industrie- und Wohngebiete bis 2016 bis zu 90.000 Menschen aufnehmen soll. Ein gigantisches Projekt mit Solarstrom und Elektromobilen für insgesamt geschätzte 22 Mrd. Dollar.
Scheich Mohammed ist der aufsteigende Stern am Himmel Abu Dhabis. An der berühmten britischen Militärakademie von Sandhurst ausgebildet, ist er General und Stellvertretender Oberster Befehlshaber der Streitkräfte und ein Mann mit Vision. „Kultur statt Gewalt“, lautet sein Motto, Erziehung, Bildung als Rezept gegen den die gesamte ölreiche Region bedrohenden engstirnigen Fanatismus. Deshalb schloß er auch mit der Guggenheimstiftung in New York einen Millionen-Vertrag ab. Auch in Abu Dhabi soll bis 2012 ein Louvre entstehen und eine Schwesteruniversität der Pariser Sorbonne.
Auch Katar setzt massiv auf Bildung. Der Zwergstaat bietet dank der drittgrößten Gasreserven der Welt seinen nur 150.000 Untertanen mit durchschnittlich 100.000 Dollar pro Kopf das höchste Einkommen der Welt. Katar ist seit Jahren eine der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften. Die Gazbonanza spült alljährlich gigantische Beträge in die Schatulle des Emirs, der gar nicht weiß, wohin mit diesen Schätzen. Emir Hamad Bin Khalifa al Thani hat seinen dynamischen Cousin Scheich Hamad bin Dschassim Dschabir al Thani nicht nur zum Premierminister, sondern zum Hauptverantwortlichen für die Investitionen ernannt. Weltweit hat der Staatsfonds „Qatar Investment Authority“ (QIA) nach Schätzungen an die 60 Mrd.Dollar angelegt und jedes Jahr stehen aus diesem Fonds weitere 20 Mrd. zur Verfügung. Als primäres Investitionsvehikel vor allem für strategische Projekte steht Scheich Hamad bin Dschassim die „Qatar Holding LLC“ zur Verfügung, die nun bei Volkswagen einsteigen dürfte. Seit Beginn der Finanzkrise erwarb QIA etwa 16 Prozent an der britischen Barclays-Bank oder zehn Prozent an Credit Suisse. Kaum ein Staatsfonds im Mittleren Osten arbeitet so hermethisch abgeschlossen wie QIA. Nur wenige Informationen dringen an die Öffentlichkeit.
Hamads lukrativstes heimisches Projekt ist Ras Laffan. Wenn diese neue Flüssiggasanlage fertiggestellt ist, wird sie nach Schätzungen des Internationalen Währungsfonds 77 Mio. Tonnen pro Jahr produzieren und Katar damit über fünf Jahre Exporteinkommen von etwa 292 Mrd, sichern – eine enorme Herausforderung für Hamad, der die Hauptverantwortung für Investitionen trägt und sich zum wichtigsten Mittler zwischen dem Westen und seiner kleinen Heimat aufbaut.
Hamad verfügt über außergewöhnliche ökonomische, aber auch politisch-diplomatische Talente. Als Premier und zugleich Außenminister hebt er, gemeinsam mit seinem Cousin und Herrscher, das winzige Gasreich auch mehr und mehr zu einem politischen Führer in der Region. Entscheidungsfreudig und brillant brachen die beiden mit uralten Traditionen in ihrer Heimat, aber auch gegenüber der Außenwelt und sind heute wohl eine der geschicktesten, pragmatischen Reformpolitiker im arabischen Raum. Gemeinsam mit dem Emir versucht Hamad mit eindrucksvollem Erfolg eine Balance zu finden zwischen dem traditionellen Konservativismus der Kataren und seinen Visionen eines technologisch modernen und kulturell vielfältigen Staates.Viele halten den 49-jährigen Hamad, der als zweitreichster Mann des Landes selbst an einigen der größten Unternehmen beteiligt ist, für den „heimlichen Herrscher“ Katars, der aus dem verschlafenen Emirat einen attraktiven Investitions- und Forschungsstandort machen will. Eine entscheidende Rolle dabei, wie auch beim geplanten Einstig bei Volkswagen spielt Scheichin Mozah Bint Nasser Al-Misnad, Soziologin, zweite Frau des Emirs, Erziehungsministerin und Autoliebhaberin. Durch ihr öffentliches Wirken nimmt sie eine Sonderrolle unter den First Ladies in diesem Teil der Welt ein. Sie leitet die „Qatar Foundation“, die das Land zu einem Hochschul- und Forschungszentrum entwickeln soll. Ihrem Mann, dem Emir, dient die Mutter von sieben Kindern als eine der wichtigsten BeraterInnen und den Frauen als Rollenvorbild. Sechs amerikanischen Spitzenuniversitäten hat Mozah bereits nach Katar geholt. Auch deutsche Wissenschaftler versucht sie anzulocken, denn: „Öl und Gas werden irgendwann zu Ende gehen. Das Wissen bleibt.“
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Montag, 27. Juli 2009
Birgit Cerha: Ahmadinedschad gerät unter Druck von allen Seiten
Auch nach dem erzwungenen Rücktritt des umstrittenen ersten Vizepräsidenten, hält die Kritik am Präsidenten aus erzkonservativen Kreisen an
Die Kluft in Irans Machtstrukturen öffnet sich immer weiter. Das Machtgerangel hinter den Kulissen des „Gottesstaates“ gibt stetig mehr Rätsel aufzulösen. Fest steht jedoch, dass die politische Krise im Iran längst über eine schwere Auseinandersetzung zwischen dem „Geistlichen Führer“ Khamenei und dessen Schützling, Präsident Ahmadinedschad, auf der einen und der vom mächtigen Ex-Präsidenten Rafsandschani unterstützten Oppositionsbewegung unter Führung Mussawis und Karrubis auf der anderen Seite hinausreicht. Zunehmend gerät Ahmadinedschad gerade auch aus jenen Kreisen – den erzkonservativen „Prinzipientreuen“ – unter Druck, die ihn mit aller Kraft und gegen den Willen iranischer Massen an der Macht zu halten suchten. Der Konflikt um Esfandiar Rahim Mashaie, dem – relativ liberalen – Schwiegervater von Ahmadinedschads Sohn, fügt nicht nur dem durch Wahlmanipulation und Massenproteste geschwächten Präsidenten, sondern auch dem „Geistlichen Führer“ Khamenei weiteren Schaden zu. Denn nun tragt auch das Lager der „Prinzipientreuen“ in der Öffentlichkeit gravierende Konflikte aus. Khameneis jüngster eindringlicher Appell zur Einheit, verhallte ungehört.
Um sich auf seine zweite Amtsperiode, die am 5. August durch seine Angelobung beginnen soll, vorzubereiten, hatte Ahmadinedschad begonnen, sich mit engsten Freunden zu umgeben. Einer davon ist Mashaie, der als „erster“ von etwa einem Dutzend Vizepräsidenten Ahmadinedschads Stellvertreter und im Falle eines Ausscheidends des Präsidenten, dessen Nachfolger sein sollte. Die Wahl Mashaies für eine derart wichtige Position aber trieb Irans Erzkonservative auf die Barrikaden, haftet ihm doch in den Augen dieser Kreise der schwere Makel an, Israel 2007 als „Freund“ der Iraner qualifiziert zu haben. Zudem ignorierte er auch in der Öffentlichkeit strikte islamische Traditionen und zeigte gar Sympathie für eine gewisse Form des religiösen Pluralismus.
Doch es dauerte eine Woche und bedurfte unverhohlener Drohungen hoher radikaler Geistlicher, bis sich Ahmadinedschad Freitag abend dem deklarierten Willen Khameneis beugte und die Ernennung Mashaies rückgängig machte, den Umstrittenen jedoch als engen Berater an seiner Seite hält. Damit ist aber die Kritik aus dem Lager der „Prinzipientreuen“ nicht verstummt. Er wolle ganz bewusst die Spannungen im Land verschärfen, empört sich der Abgeordnete Ali Motahari über die Widerspenstigkeit des Präsidenten, der das Unerhörte gewagt und sich eine Woche lang dem Willen des – in den Augen Erzkonservativer „von Gott erwählten“ „Führers“ widersetzt und demonstrativ seine unerschütterliche Loyalität gegenüber Mashaie, „diesem großen, ehrlichen und frommen Mann“ bekundet hatte. Die Führung des Landes werde angesichts „solchen Benehmens extrem schwierig. Es ist die schlechtest mögliche Reaktion auf das Vertrauen, das 24,5 Millionen Wähler ihm geschenkt haben“, wettert der prominente Abgeordnete Ahmad Tavakoli.
Nach Einschätzung politischer Beobachter wollte Ahmadinedschad durch die Ernennung Mashaies drei für ihn wichtige Signale setzen. Er wollte den ihm so kritisch eingestellten Bevölkerungsschichten beweisen, dass er, ungeachtet aller Unterstützung keine Marionette der „Prinzipientreuen“ oder Khameneis sei; dass er auch den Liberaleren im Iran ein gewisses Maß an Toleranz entgegenbringe. Damit dürfte er versucht haben, der Reformströmung wenigstens ein wenig entgegen zu kommen. Und was Israel betrifft, so das Signal, sei er nicht der verbissene Exzentriker, für den ihn Mussawi und viele andere hielten. Überzeugen freilich konnte er die Opposition mit solchen Gesten nicht. Und in den Augen der Erzkonservativen hat er durch den einzigartigen offenen Widerstand gegen Khamenei, dessen ohnedies schon schwer angeschlagener Position weiteren Schaden zugefügt, auch wenn der „Führer“ nun doch seinen Willen durchzusetzen vermochte.
Die Entlassung des Geheimdienstministers Gholam Hossein Mohseni Ejeie, der sich offen gegen Mashaie ausgesprochen hatte, wird in Teheran als Versuch Ahmadinedschads gewertet dem erzwungenen Rückzug etwas an demütigender Schärfe zu nehmen. Im Iran gärt es weiter.
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Die Kluft in Irans Machtstrukturen öffnet sich immer weiter. Das Machtgerangel hinter den Kulissen des „Gottesstaates“ gibt stetig mehr Rätsel aufzulösen. Fest steht jedoch, dass die politische Krise im Iran längst über eine schwere Auseinandersetzung zwischen dem „Geistlichen Führer“ Khamenei und dessen Schützling, Präsident Ahmadinedschad, auf der einen und der vom mächtigen Ex-Präsidenten Rafsandschani unterstützten Oppositionsbewegung unter Führung Mussawis und Karrubis auf der anderen Seite hinausreicht. Zunehmend gerät Ahmadinedschad gerade auch aus jenen Kreisen – den erzkonservativen „Prinzipientreuen“ – unter Druck, die ihn mit aller Kraft und gegen den Willen iranischer Massen an der Macht zu halten suchten. Der Konflikt um Esfandiar Rahim Mashaie, dem – relativ liberalen – Schwiegervater von Ahmadinedschads Sohn, fügt nicht nur dem durch Wahlmanipulation und Massenproteste geschwächten Präsidenten, sondern auch dem „Geistlichen Führer“ Khamenei weiteren Schaden zu. Denn nun tragt auch das Lager der „Prinzipientreuen“ in der Öffentlichkeit gravierende Konflikte aus. Khameneis jüngster eindringlicher Appell zur Einheit, verhallte ungehört.
Um sich auf seine zweite Amtsperiode, die am 5. August durch seine Angelobung beginnen soll, vorzubereiten, hatte Ahmadinedschad begonnen, sich mit engsten Freunden zu umgeben. Einer davon ist Mashaie, der als „erster“ von etwa einem Dutzend Vizepräsidenten Ahmadinedschads Stellvertreter und im Falle eines Ausscheidends des Präsidenten, dessen Nachfolger sein sollte. Die Wahl Mashaies für eine derart wichtige Position aber trieb Irans Erzkonservative auf die Barrikaden, haftet ihm doch in den Augen dieser Kreise der schwere Makel an, Israel 2007 als „Freund“ der Iraner qualifiziert zu haben. Zudem ignorierte er auch in der Öffentlichkeit strikte islamische Traditionen und zeigte gar Sympathie für eine gewisse Form des religiösen Pluralismus.
Doch es dauerte eine Woche und bedurfte unverhohlener Drohungen hoher radikaler Geistlicher, bis sich Ahmadinedschad Freitag abend dem deklarierten Willen Khameneis beugte und die Ernennung Mashaies rückgängig machte, den Umstrittenen jedoch als engen Berater an seiner Seite hält. Damit ist aber die Kritik aus dem Lager der „Prinzipientreuen“ nicht verstummt. Er wolle ganz bewusst die Spannungen im Land verschärfen, empört sich der Abgeordnete Ali Motahari über die Widerspenstigkeit des Präsidenten, der das Unerhörte gewagt und sich eine Woche lang dem Willen des – in den Augen Erzkonservativer „von Gott erwählten“ „Führers“ widersetzt und demonstrativ seine unerschütterliche Loyalität gegenüber Mashaie, „diesem großen, ehrlichen und frommen Mann“ bekundet hatte. Die Führung des Landes werde angesichts „solchen Benehmens extrem schwierig. Es ist die schlechtest mögliche Reaktion auf das Vertrauen, das 24,5 Millionen Wähler ihm geschenkt haben“, wettert der prominente Abgeordnete Ahmad Tavakoli.
Nach Einschätzung politischer Beobachter wollte Ahmadinedschad durch die Ernennung Mashaies drei für ihn wichtige Signale setzen. Er wollte den ihm so kritisch eingestellten Bevölkerungsschichten beweisen, dass er, ungeachtet aller Unterstützung keine Marionette der „Prinzipientreuen“ oder Khameneis sei; dass er auch den Liberaleren im Iran ein gewisses Maß an Toleranz entgegenbringe. Damit dürfte er versucht haben, der Reformströmung wenigstens ein wenig entgegen zu kommen. Und was Israel betrifft, so das Signal, sei er nicht der verbissene Exzentriker, für den ihn Mussawi und viele andere hielten. Überzeugen freilich konnte er die Opposition mit solchen Gesten nicht. Und in den Augen der Erzkonservativen hat er durch den einzigartigen offenen Widerstand gegen Khamenei, dessen ohnedies schon schwer angeschlagener Position weiteren Schaden zugefügt, auch wenn der „Führer“ nun doch seinen Willen durchzusetzen vermochte.
Die Entlassung des Geheimdienstministers Gholam Hossein Mohseni Ejeie, der sich offen gegen Mashaie ausgesprochen hatte, wird in Teheran als Versuch Ahmadinedschads gewertet dem erzwungenen Rückzug etwas an demütigender Schärfe zu nehmen. Im Iran gärt es weiter.
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Freitag, 24. Juli 2009
Birgit Cerha: Verschärfte Konflikte in Irans konservativer Elite
Ahmadinedschad widersetzt sich dem „Geistlichen Führer“ und verärgert seine Verbündeten, um sich mit engsten Freunden zu umgeben
Niemand dürfe sich dem „Geistlichen Führer“ Ali Khamenei widersetzen, warnte der radikal-konservative Ayatollah Ahmad Khatami beim Freitagsgebet in Teheran nicht etwa Mir Hussein Mussawi, der sich bei den Präsidentschaftswahlen am 12. Juni um seinen Wahlsieg betrogen fühlt, sondern Mahmoud Ahmadinedschad, für dessen zweite Amtsperiode als Präsident Khamenei die Stabilität des islamischen Systems riskiert. Die Legitimität der Regierung, so mahnt Khatami, werde ernsthaft untergraben, wenn Ahmadinedschad sich weiterhin dem Aufruf widersetze, die Ernennung von Esfandiar Rahim Mashaie zu seinem ersten Vizepräsidenten rückgängig zu machen. Die halbamtliche Nachrichtenagentur Fars hatte Mittwoch über einen Befehl Khameneis berichtet, die Ernennung Mashais zu annullieren. Dies sei eine „strategische Entscheidung“ der herrschenden Geistlichen, der umgehend gefolgt werden müsse, bemerkte dazu der stellvertretende Parlamentssprecher Aboutorabi-Fard.
Ahmadinedschads Beschluß Mashai zu seinem Stellvertreter zu erheben, der auch Parlamentssitzungen vorsitzen kann und die Macht im Falle von Unpässlichkeiten oder des Ausscheidens des Präsidenten übernimmt, empört das erzkonservative Establishment, ebenso wie die überwältigende Mehrheit des Parlaments, die in derartigen Fragen zu Rate gezogen werden will. Dass Ahmadinedschad aber jenem Mann zu trotzen wagt, der ihm nicht nur unerschütterlich und mit dramatischen Konsequenzen für das Land, Massenprotesten und Massenverhaftungen, die Stange hält, sondern auch noch nach Ansicht der Erzkonservativen im System „von Gott“ in dieses höchste Amt eingesetzt wurde, überrascht viele. Kaum wurde Khameneis Order bekannt, bekräftigte Ahmadinedschad seine unerschütterliche Hochachtung für Mashai, den Schwiegervater seines Sohnes: „Eines der wunderbaren Geschenke, mit denen mich Gott in meinem Leben begnadete, ist die Bekanntschaft mit diesem großen, ehrlichen und frommen Mann.“ Es gäbe „Tausende Gründe“, Mashai zu unterstützen und keinen einzigen überzeugenden für die Attacken gegen ihn.
Mashaie hatte sich den Zorn der Radikalen zugezogen, als er im Vorjahr die Iraner als „Freunde aller Völker dieser Welt – selbst der Israelis“ bezeichnet und 2007 in der Türkei an einer Feier teilgenommen, bei der Frauen traditionelle Tänze vorgeführt hatten. In der Öffentlichkeit tanzende Frauen sind unter den erzkonservativen Geistlichen verpönt.
Die Auseinandersetzung entlarvt die tiefe Kluft, die nun selbst unter den erzkonservativen „Prinzipientreuen“ im „Gottesstaat“ klafft. Ein Teil des innersten Kreises dieser Konservativen hält Ahmadinedschad für die schwere Krise verantwortlich, mit der die „Islamische Republik“ nun zu kämpfen hat und die die Legitimität des Präsidenten ernsthaft infrage stellt. Genau hier aber dürfte das Hauptmotiv für Ahamdinedschads Festhalten am Schwiegervater seines Sohnes zu suchen sein. Mehr als in seiner ersten Amtszeit versucht der durch die massiven Wahlproteste emfpindlich geschwächte Präsident, sich mit engsten Freunden zu umgeben und führte bereits zahlreiche Ernennungen nach diesem Motto durch. So führte er auch den Posten des „ranghöchsten Beraters“ ein, in den er Hashemi Samareh einsetzte, einen Mann, der als sein engster Vertrauter gilt. Für die Schar dieser Berater und Vizepräsidenten ist die Zustimmung des Parlaments nicht nötig.
Der Konflikt um Mashaie zeigt die Schwäche Ahmadinedschads, wie Khameneis. Noch vor seiner Inauguration im August will der Präsident offenbar klarmachen, dass er sich bei der Zusammenstellung der nächsten Regierung und seiner engsten Mitarbeiter nicht dem Diktat der Hardliner, denen er seine Macht verdankt, zu beugen gedenkt. Khamenei hingegen brach wieder mit einer Tradition. Als „Geistlicher Führer steht es ihm nicht zu, in die Tagespolitik einzugreifen oder sich in Personalentscheidungen des Präsidenten zu mischen, wiewohl er dies in der Vergangenheit Hinter den Kulissen getan haben mag. Dass er nun von dieser altbewährten Praxis abwich, läßt sich als Versuch interpretieren, angesichts der Herausforderungen durch die Reformer seine unangefochtene Position als „Führer“ zu stärken und vor allem die „Prinzipientreuen“ voll hinter sich zu scharen. Verbale Feindschaft gegen Israel dient dabei stets als effizientes Mittel.
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Niemand dürfe sich dem „Geistlichen Führer“ Ali Khamenei widersetzen, warnte der radikal-konservative Ayatollah Ahmad Khatami beim Freitagsgebet in Teheran nicht etwa Mir Hussein Mussawi, der sich bei den Präsidentschaftswahlen am 12. Juni um seinen Wahlsieg betrogen fühlt, sondern Mahmoud Ahmadinedschad, für dessen zweite Amtsperiode als Präsident Khamenei die Stabilität des islamischen Systems riskiert. Die Legitimität der Regierung, so mahnt Khatami, werde ernsthaft untergraben, wenn Ahmadinedschad sich weiterhin dem Aufruf widersetze, die Ernennung von Esfandiar Rahim Mashaie zu seinem ersten Vizepräsidenten rückgängig zu machen. Die halbamtliche Nachrichtenagentur Fars hatte Mittwoch über einen Befehl Khameneis berichtet, die Ernennung Mashais zu annullieren. Dies sei eine „strategische Entscheidung“ der herrschenden Geistlichen, der umgehend gefolgt werden müsse, bemerkte dazu der stellvertretende Parlamentssprecher Aboutorabi-Fard.
Ahmadinedschads Beschluß Mashai zu seinem Stellvertreter zu erheben, der auch Parlamentssitzungen vorsitzen kann und die Macht im Falle von Unpässlichkeiten oder des Ausscheidens des Präsidenten übernimmt, empört das erzkonservative Establishment, ebenso wie die überwältigende Mehrheit des Parlaments, die in derartigen Fragen zu Rate gezogen werden will. Dass Ahmadinedschad aber jenem Mann zu trotzen wagt, der ihm nicht nur unerschütterlich und mit dramatischen Konsequenzen für das Land, Massenprotesten und Massenverhaftungen, die Stange hält, sondern auch noch nach Ansicht der Erzkonservativen im System „von Gott“ in dieses höchste Amt eingesetzt wurde, überrascht viele. Kaum wurde Khameneis Order bekannt, bekräftigte Ahmadinedschad seine unerschütterliche Hochachtung für Mashai, den Schwiegervater seines Sohnes: „Eines der wunderbaren Geschenke, mit denen mich Gott in meinem Leben begnadete, ist die Bekanntschaft mit diesem großen, ehrlichen und frommen Mann.“ Es gäbe „Tausende Gründe“, Mashai zu unterstützen und keinen einzigen überzeugenden für die Attacken gegen ihn.
Mashaie hatte sich den Zorn der Radikalen zugezogen, als er im Vorjahr die Iraner als „Freunde aller Völker dieser Welt – selbst der Israelis“ bezeichnet und 2007 in der Türkei an einer Feier teilgenommen, bei der Frauen traditionelle Tänze vorgeführt hatten. In der Öffentlichkeit tanzende Frauen sind unter den erzkonservativen Geistlichen verpönt.
Die Auseinandersetzung entlarvt die tiefe Kluft, die nun selbst unter den erzkonservativen „Prinzipientreuen“ im „Gottesstaat“ klafft. Ein Teil des innersten Kreises dieser Konservativen hält Ahmadinedschad für die schwere Krise verantwortlich, mit der die „Islamische Republik“ nun zu kämpfen hat und die die Legitimität des Präsidenten ernsthaft infrage stellt. Genau hier aber dürfte das Hauptmotiv für Ahamdinedschads Festhalten am Schwiegervater seines Sohnes zu suchen sein. Mehr als in seiner ersten Amtszeit versucht der durch die massiven Wahlproteste emfpindlich geschwächte Präsident, sich mit engsten Freunden zu umgeben und führte bereits zahlreiche Ernennungen nach diesem Motto durch. So führte er auch den Posten des „ranghöchsten Beraters“ ein, in den er Hashemi Samareh einsetzte, einen Mann, der als sein engster Vertrauter gilt. Für die Schar dieser Berater und Vizepräsidenten ist die Zustimmung des Parlaments nicht nötig.
Der Konflikt um Mashaie zeigt die Schwäche Ahmadinedschads, wie Khameneis. Noch vor seiner Inauguration im August will der Präsident offenbar klarmachen, dass er sich bei der Zusammenstellung der nächsten Regierung und seiner engsten Mitarbeiter nicht dem Diktat der Hardliner, denen er seine Macht verdankt, zu beugen gedenkt. Khamenei hingegen brach wieder mit einer Tradition. Als „Geistlicher Führer steht es ihm nicht zu, in die Tagespolitik einzugreifen oder sich in Personalentscheidungen des Präsidenten zu mischen, wiewohl er dies in der Vergangenheit Hinter den Kulissen getan haben mag. Dass er nun von dieser altbewährten Praxis abwich, läßt sich als Versuch interpretieren, angesichts der Herausforderungen durch die Reformer seine unangefochtene Position als „Führer“ zu stärken und vor allem die „Prinzipientreuen“ voll hinter sich zu scharen. Verbale Feindschaft gegen Israel dient dabei stets als effizientes Mittel.
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Birgit Cerha: Kurden sehnen sich nach Veränderung
Vor dem Hintergrund wachsender Spannungen über ungelöste Konflikte mit Bagdad wählen Iraks Kurden ihre politischen Vertretungen
Laut und klar brüllten Tausende Menschen, die sich in einer der letzten Wahlveranstaltungen in der Kurdenstadt Suleymaniya versammelt hatten: „Veränderung. Veränderung. Mit unserem Herzen werden wir für Veränderung stimmen.“ Wenn 2,5 Millionen Wahlberechtigte im autonomen Kurdistan des Nord-Iraks heute, Samstag, ein Parlament und ihren Präsidenten wählen, dann setzen sie einen wichtigen Schritt zur Demokratie, wie sie US-Präsident Bush durch seinen Krieg gegen Iraks Diktator Saddam Hussein 2003 als Vorbild für die gesamte Region zu gründen hoffte. Es sind zwar die dritten Wahlen, die Kurdistan erlebt, seit sich die Region dank amerikanisch-britischen Militärschutzes gegen die Schächer Saddams seit 1991 de facto selbst verwaltet. Doch noch nie sahen sich die Führer der beiden die kurdische Gesellschaft seit Jahrzehnten dominierenden Bewegungen – Massoud Barzani von der „Kurdischen Demokratischen Partei“ (KDP) und derzeitiger Präsident Kurdistans, sowie Jalal Talabani (derzeit – noch – irakischer Präsident) der Patriotischen Union Kurdistans“ (PUK) - derart demokratisch herausgefordert.
Nicht nur müssen sie sich gegen 24 politische Bewegungen behaupten, eine davon besitzt durchaus eine Chance, zumindest mittelfristig ihr Machtmonopol zu brechen: „Goran“ (Veränderung) ist das neue Zauberwort, das große Teile Kurdistans heute in seinen Bann schlägt.
Nicht dass die in den drei Kurdenprovinzen Suleymania, Erbil und Dohuk lebenden Menschen in den vergangenen 18 Jahren nicht schon einschneidende und durchaus positive Veränderungen erlebt hätten. Ein großes Maß an Stabilität in dem ansonsten so blutig turbulenten Irak ermöglichte den Menschen endlich ein Dasein ohne steter panischer Angst vor Verfolgung und Mord, den Aufbau einer Infrastruktur, zumindest in wichtigen Teilen, und einen kleinen Wirtschaftsboom (ebenfalls allerdings nur für Teile der Bevölkerung). Doch mit zunehmender Ruhe wuchs auch die Sehnsucht nach echten demokratischen, administrativen und sozialen Reformen, die Sehnsucht nach neuen Gesichtern, nach einem Ende der Vettern- und Freunderlwirtschaft und der Korruption, nach echter Sorge um die große Schar der sozial Schwachen, der Hauptopfer saddam’scher Vernichtungspolitik.
Bei den letzten Wahlen 2005 eroberten KPD und PUK fast unangefochten alle außer sieben der 111 Parlamentssitze. Diesmal besitzt der einstige PUK-Mitbegründer Nawshirwan Mustafa mit seiner „Goran“-Partei die Chance, das Machtmonopol der beiden Großen, die sich zu einer Wahlallianz zusammengeschlossen haben, anzuzapfen. Seine Kampagne vor allem gegen Korruption, für demokratische Reformen und bessere Dienstleistungen spricht eine wachsende Schar von Kurden an.
Massoud Barzani muss seine Position als Präsident gegen vier Gegenkandidaten behaupten. Dass ihm dies gelingt, bezweifelt allerdings niemand. Dennoch tut die Wahlkampagne der bei weitem nicht makellosen kurdischen Demokratie einen wichtigen Dienst.
So heftig die interne Diskussion auch sein mag, in der Frage ihrer nationalen Rechte vor allem gegenüber der Zentralregierung in Bagdad sind sich die Kurden weitgehend einig. Und die große Mehrheit unterstützt Barzani, wenn er immer wieder energisch betont, dass es in der Frage der – mit Bagdad – „umstrittenen Gebiete“, die sich über Tausende Quadratkilometer südlich der 1991 von den Amerikanern zum Schutz der Kurden gezogenen „grünen Linie“ erstrecken, „keine Kompromisse“ geben könne, dass nur der in der irakischen Verfassung von 2005 vorgesehene „Normalisierungsprozeß“ (weitgehende Wiederherstellung der Bevölkerungsstruktur wie sie vor der massiven Arabisierungs- und Vertreibungskampagne von Kurden durch Saddam bestanden hatte) und anschließendes Referendum über den Status der Gebiete, einschließlich des heißumstrittenen Ölzentrums Kirkuk, eine Lösung des explosiven Konflikts bieten könne.
Doch Bagdad unter Führung Premier Malikis will davon nichts mehr wissen. Gestärkt durch die Verbesserung der Sicherheitssituation im Lande und eben mit dem Versprechen eines strategischen Bundes mit der Supermacht von einem Treffen mit Präsident Obama in Washington heimgekehrt, zeigt sich auch Maliki nicht kompromissbereit, präsentiert sich vielmehr als neuer, „starker“ irakischer Nationalist, der durch seine harte Position gegenüber den Kurden nicht nur schiitische, sondern vor allem auch die durch den Sturz Saddams vergrämten sunnitischen Araber des Landes hinter sich zu vereinen hofft. Mehrmals wäre es in den „umstrittenen Gebieten“ beinahe zu blutigen Zusammenstößen zwischen der irakischen Armee und kurdischen Peshmerga-Milizionären gekommen. Seit sich die US-Truppen Ende Juni aus den irakischen Städten zurückzogen, schwinden auch ihre Möglichkeiten, beide Seiten auseinander zu halten. Ein kleiner Zwischenfall könnte bereits einen Flächenbrand auslösen. Davor warnt auch der Premier Kurdistans, Nechirvan Barzani. „Wenn die Probleme nicht gelöst werden, wir uns nicht zu Gesprächen zusammensetzen, steigt gefährlich das Risiko einer militärischen Konfrontation.“ Ein Jahr lang sprachen Maliki und Massoud Barzani nicht miteinander. Traumatisiert von den genozidartigen Verbrechen Saddams fürchten die Kurden, ohne US-Schutz könnte sich sehr bald die Geschichte grausig wiederholen.
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Laut und klar brüllten Tausende Menschen, die sich in einer der letzten Wahlveranstaltungen in der Kurdenstadt Suleymaniya versammelt hatten: „Veränderung. Veränderung. Mit unserem Herzen werden wir für Veränderung stimmen.“ Wenn 2,5 Millionen Wahlberechtigte im autonomen Kurdistan des Nord-Iraks heute, Samstag, ein Parlament und ihren Präsidenten wählen, dann setzen sie einen wichtigen Schritt zur Demokratie, wie sie US-Präsident Bush durch seinen Krieg gegen Iraks Diktator Saddam Hussein 2003 als Vorbild für die gesamte Region zu gründen hoffte. Es sind zwar die dritten Wahlen, die Kurdistan erlebt, seit sich die Region dank amerikanisch-britischen Militärschutzes gegen die Schächer Saddams seit 1991 de facto selbst verwaltet. Doch noch nie sahen sich die Führer der beiden die kurdische Gesellschaft seit Jahrzehnten dominierenden Bewegungen – Massoud Barzani von der „Kurdischen Demokratischen Partei“ (KDP) und derzeitiger Präsident Kurdistans, sowie Jalal Talabani (derzeit – noch – irakischer Präsident) der Patriotischen Union Kurdistans“ (PUK) - derart demokratisch herausgefordert.
Nicht nur müssen sie sich gegen 24 politische Bewegungen behaupten, eine davon besitzt durchaus eine Chance, zumindest mittelfristig ihr Machtmonopol zu brechen: „Goran“ (Veränderung) ist das neue Zauberwort, das große Teile Kurdistans heute in seinen Bann schlägt.
Nicht dass die in den drei Kurdenprovinzen Suleymania, Erbil und Dohuk lebenden Menschen in den vergangenen 18 Jahren nicht schon einschneidende und durchaus positive Veränderungen erlebt hätten. Ein großes Maß an Stabilität in dem ansonsten so blutig turbulenten Irak ermöglichte den Menschen endlich ein Dasein ohne steter panischer Angst vor Verfolgung und Mord, den Aufbau einer Infrastruktur, zumindest in wichtigen Teilen, und einen kleinen Wirtschaftsboom (ebenfalls allerdings nur für Teile der Bevölkerung). Doch mit zunehmender Ruhe wuchs auch die Sehnsucht nach echten demokratischen, administrativen und sozialen Reformen, die Sehnsucht nach neuen Gesichtern, nach einem Ende der Vettern- und Freunderlwirtschaft und der Korruption, nach echter Sorge um die große Schar der sozial Schwachen, der Hauptopfer saddam’scher Vernichtungspolitik.
Bei den letzten Wahlen 2005 eroberten KPD und PUK fast unangefochten alle außer sieben der 111 Parlamentssitze. Diesmal besitzt der einstige PUK-Mitbegründer Nawshirwan Mustafa mit seiner „Goran“-Partei die Chance, das Machtmonopol der beiden Großen, die sich zu einer Wahlallianz zusammengeschlossen haben, anzuzapfen. Seine Kampagne vor allem gegen Korruption, für demokratische Reformen und bessere Dienstleistungen spricht eine wachsende Schar von Kurden an.
Massoud Barzani muss seine Position als Präsident gegen vier Gegenkandidaten behaupten. Dass ihm dies gelingt, bezweifelt allerdings niemand. Dennoch tut die Wahlkampagne der bei weitem nicht makellosen kurdischen Demokratie einen wichtigen Dienst.
So heftig die interne Diskussion auch sein mag, in der Frage ihrer nationalen Rechte vor allem gegenüber der Zentralregierung in Bagdad sind sich die Kurden weitgehend einig. Und die große Mehrheit unterstützt Barzani, wenn er immer wieder energisch betont, dass es in der Frage der – mit Bagdad – „umstrittenen Gebiete“, die sich über Tausende Quadratkilometer südlich der 1991 von den Amerikanern zum Schutz der Kurden gezogenen „grünen Linie“ erstrecken, „keine Kompromisse“ geben könne, dass nur der in der irakischen Verfassung von 2005 vorgesehene „Normalisierungsprozeß“ (weitgehende Wiederherstellung der Bevölkerungsstruktur wie sie vor der massiven Arabisierungs- und Vertreibungskampagne von Kurden durch Saddam bestanden hatte) und anschließendes Referendum über den Status der Gebiete, einschließlich des heißumstrittenen Ölzentrums Kirkuk, eine Lösung des explosiven Konflikts bieten könne.
Doch Bagdad unter Führung Premier Malikis will davon nichts mehr wissen. Gestärkt durch die Verbesserung der Sicherheitssituation im Lande und eben mit dem Versprechen eines strategischen Bundes mit der Supermacht von einem Treffen mit Präsident Obama in Washington heimgekehrt, zeigt sich auch Maliki nicht kompromissbereit, präsentiert sich vielmehr als neuer, „starker“ irakischer Nationalist, der durch seine harte Position gegenüber den Kurden nicht nur schiitische, sondern vor allem auch die durch den Sturz Saddams vergrämten sunnitischen Araber des Landes hinter sich zu vereinen hofft. Mehrmals wäre es in den „umstrittenen Gebieten“ beinahe zu blutigen Zusammenstößen zwischen der irakischen Armee und kurdischen Peshmerga-Milizionären gekommen. Seit sich die US-Truppen Ende Juni aus den irakischen Städten zurückzogen, schwinden auch ihre Möglichkeiten, beide Seiten auseinander zu halten. Ein kleiner Zwischenfall könnte bereits einen Flächenbrand auslösen. Davor warnt auch der Premier Kurdistans, Nechirvan Barzani. „Wenn die Probleme nicht gelöst werden, wir uns nicht zu Gesprächen zusammensetzen, steigt gefährlich das Risiko einer militärischen Konfrontation.“ Ein Jahr lang sprachen Maliki und Massoud Barzani nicht miteinander. Traumatisiert von den genozidartigen Verbrechen Saddams fürchten die Kurden, ohne US-Schutz könnte sich sehr bald die Geschichte grausig wiederholen.
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Donnerstag, 23. Juli 2009
Birgit Cerha: „Öffne deine Augen Sohrab, deine Mutter starrt dich an“
Die Odyssee einer Iranerin symbolisiert die Pein unzähliger Familien, deren Angehörige verschwanden, in Gefängnissen gefoltert werden – Eine Repression nie gekannten Ausmaßes
„Sie blättert durch Stöße von Fotos. Noch nie hat sie so viele tote Körper gesehen. Kalte tote Körper. Ohne Namen, ohne Identität. Nie hat sie Leichen angestarrt. Und nun ist sie dazu gezwungen. Gesichter mit geschlossenen Augen. So junge Gesichter. So verwundet, geschlagen, zerkratzt. Wieviele Gesichter zogen so an ihren Augen vorbei. Ein Dutzend, noch viel mehr… Bis sie sein Gesicht fand. Seine hübsche Nase und seinen dünnen Schnurrbart über den ausdrucksvollen Lippen, die nun schweigen…… Öffne deine Augen, Sohrab!“
Mit diesen Worten leitet die „International Campaign for Human Rights in Iran“ den erschütternden Bericht über eine 25-tägige Odyssee Parvin Fahimis ein, der iranischen Mutter auf der Suche nach ihrem 19-jährigen Sohn Sohrab Araabi. Ihre Erfahrung teilen so viele Mütter im heutigen Iran.
Es war der 12. Juni, an jenem Abend als die Massenproteste gegen die Manipulation der Präsidentschaftswahlen im Iran begann. Die Familie Araabi schloß sich der Menge in den Straßen an. Sohrab lief vor zum Azadi Platz, dem Zentrum der Demonstrationen und verschwand in der Menge. Er kehrte nicht mehr heim. Es gab Schießereien, Verwundete, Tote, Verhaftungen, Verschleppungen. Sohrabs Mobiltelefon ist abgeschaltet. Parvin ruft Teherans Spitäler an, eines nach dem anderen. „Fayaz“ hat ein Leichenschauhaus. Auch dort ist der Junge nicht. Nun wendet sie sich Parvin an die Polizei, eine Station nach der anderen. „Geh und komme morgen wieder, wir wissen nicht, wo er ist“. Immer die selbe Antwort. Sie schleppt sich ins städtische Informationszentrum. 25 Familien warten dort, ebenfalls auf der Suche nach Verschollenen. Nur fünf kehren heim mit einer konkreten Auskunft.
„Geh zu Evin (dem berüchtigten Gefängnis für politische Fälle)“, rät ein Polizist, ein anderer schickt Parvin zum „Revolutionsgericht“. Sohrabs Name scheint auch dort nicht auf. Nirgends. Vor dem Evin-Gefängnis hocken verzweifelte Mütter mit dem selben Schicksal. „Beruhig dich, deinem Sohn geht es gut. Er ist in Evin und wird verhört. Geh nach Hause.“ Parvin folgt dem Rat eines Richters. Am nächsten Tag erfährt sie in einem Revolutionsgericht, Sohrab sei doch nicht in Evin. Die Suche geht weiter, von einer Stelle zur nächsten….zum Untersuchungsrichter. Man drückt ihr Fotos von Toten in die Hand, geordnet nach Altersgruppen. Diesmal ist das Album viel dicker. Und Sohrab ist darunter. Eine Kugel im Herzen.
Geschichten wie diese, gemeinsam mit Berichten über Bilder von Hunderten von Toten im zentralen Leichenschauhaus, versetzen die Menschen in Angst und Schrecken. „Was seit dem 12 Juni geschieht, ist beispiellos“, sagt Mashallah Shamsolvaezin, prominenter Journalist und einst Mitstreiter von Revolutionsführer Khomeini. Shamsolvaezin weiß, wovon er spricht, war er doch selbst in den 90er Jahren mehrmals inhaftiert.
Die Verhaftungswelle rollt weiter. Niemand weiß genau, wie viele friedlich für Freiheit und gegen die manipulierte Wahl Ahmadinedschads demonstrierende Menschen von Sicherheitskräften, Bassidsch-Milizionären getötet, verschleppt, in Gefängnisse gezerrt wurden. 4000 könnten es sein, meinen manche Exil-Iraner. Offiziell spricht man von 500. Viele Reformpolitiker sind unter ihnen. Für den bei einem Attentat im Jahr 2000 durch Schusswunden in den Kopf schwer verletzten Berater des damaligen Präsidenten Khatami, Said Hadscharian etwa, besteht höchste Lebensgefahr, weil er ständiger ärztlicher Betreuung bedarf, die ihm nun wohl verwehrt wird. Andere, wie der Oppositionspolitiker Ibrahim Yazdi sind fast 80.
Das Evin-Gefängnis, so berichten freigelassene Häftlinge, sei so überfüllt, dass die unzähligen Neuankömmlinge, mit Handschellen, auf den Korridoren schlafen müssen. Eine besonders verhaßte Kategorie von Gefangenen sind die Journalisten, Reporter, Fotografen, Filmproduzenten, die es gewagt hatten, Berichte und Bilder über die friedlichen Proteste zu verbreiten. Sie vor allem meint Ahmadinedschad, wenn er von „einigen Brocken von Schmutz und Staub“ spricht, die nun unschädlich gemacht werden müssten. Zu ihnen zählt auch der Publizist, Ökonom und Konsulent Bijan Khajehpour Khoei, der sich zur Förderung von Wirtschaftskontakten mit England in London aufgehalten hatte. Bei seiner Ankunft in Teheran wurde er am 27. Juni festgenommen. Seither fehlt von ihm jede Spur.
Die Angehörigen von Verschwundenen und Gefangenen werden massiv bedroht, ja nicht über ihre Not zu sprechen, da sie sonst das Leben der Opfer gefährdeten. Kontakte mit Gefangenen, Besuche von Anwälten werden verhindert. An eine Mauer nahe des Evin-Gefängnisse haben Angehörige die Namen von 200 bei Massenprotesten am 9. Juli Festgenommenen angeheftet. Im Gefängnis selbst wurde nach Aussage eines Ex-Häftlings ein kleines Studio mit versteckter Kamera für die radikale Presse eingerichtet. Hier sollen nach Folter erzwungene „Geständnisse“ – vorzugsweise von Prominenten – aufgenommen werden, die „zugeben“, sie hätten im Auftrag ausländischer Regierungen versucht, eine „samtene Revolution“ anzuzetteln. Ali Abtahi, Vizepräsident unter Khatami und Wahlkampfmanager des Reformkandidaten Karrubi, soll – so behaupten radikale Meiden – bereits „gestanden“ haben.
Journalisten, die wie Shamsolvaezin noch in Freiheit sind, stehen unter ständiger Beobachtung und massivstem Druck, entweder zu schweigen, oder Ahmadinedschads Theorie der „ausländischen Verschwörung“ zu unterstützen. „Es ist eine himmelschreiende Schande“, klagt der prominente Journalist Massoud Behnoud in „rooz-online“, „dass zu einer Zeit, da eine Generation von Iranern nach „Freiheit“ schreit, jene, die diesen Ruf in die Welt tragen sollten, selbst im Gefängnis sind.“
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„Sie blättert durch Stöße von Fotos. Noch nie hat sie so viele tote Körper gesehen. Kalte tote Körper. Ohne Namen, ohne Identität. Nie hat sie Leichen angestarrt. Und nun ist sie dazu gezwungen. Gesichter mit geschlossenen Augen. So junge Gesichter. So verwundet, geschlagen, zerkratzt. Wieviele Gesichter zogen so an ihren Augen vorbei. Ein Dutzend, noch viel mehr… Bis sie sein Gesicht fand. Seine hübsche Nase und seinen dünnen Schnurrbart über den ausdrucksvollen Lippen, die nun schweigen…… Öffne deine Augen, Sohrab!“
Mit diesen Worten leitet die „International Campaign for Human Rights in Iran“ den erschütternden Bericht über eine 25-tägige Odyssee Parvin Fahimis ein, der iranischen Mutter auf der Suche nach ihrem 19-jährigen Sohn Sohrab Araabi. Ihre Erfahrung teilen so viele Mütter im heutigen Iran.
Es war der 12. Juni, an jenem Abend als die Massenproteste gegen die Manipulation der Präsidentschaftswahlen im Iran begann. Die Familie Araabi schloß sich der Menge in den Straßen an. Sohrab lief vor zum Azadi Platz, dem Zentrum der Demonstrationen und verschwand in der Menge. Er kehrte nicht mehr heim. Es gab Schießereien, Verwundete, Tote, Verhaftungen, Verschleppungen. Sohrabs Mobiltelefon ist abgeschaltet. Parvin ruft Teherans Spitäler an, eines nach dem anderen. „Fayaz“ hat ein Leichenschauhaus. Auch dort ist der Junge nicht. Nun wendet sie sich Parvin an die Polizei, eine Station nach der anderen. „Geh und komme morgen wieder, wir wissen nicht, wo er ist“. Immer die selbe Antwort. Sie schleppt sich ins städtische Informationszentrum. 25 Familien warten dort, ebenfalls auf der Suche nach Verschollenen. Nur fünf kehren heim mit einer konkreten Auskunft.
„Geh zu Evin (dem berüchtigten Gefängnis für politische Fälle)“, rät ein Polizist, ein anderer schickt Parvin zum „Revolutionsgericht“. Sohrabs Name scheint auch dort nicht auf. Nirgends. Vor dem Evin-Gefängnis hocken verzweifelte Mütter mit dem selben Schicksal. „Beruhig dich, deinem Sohn geht es gut. Er ist in Evin und wird verhört. Geh nach Hause.“ Parvin folgt dem Rat eines Richters. Am nächsten Tag erfährt sie in einem Revolutionsgericht, Sohrab sei doch nicht in Evin. Die Suche geht weiter, von einer Stelle zur nächsten….zum Untersuchungsrichter. Man drückt ihr Fotos von Toten in die Hand, geordnet nach Altersgruppen. Diesmal ist das Album viel dicker. Und Sohrab ist darunter. Eine Kugel im Herzen.
Geschichten wie diese, gemeinsam mit Berichten über Bilder von Hunderten von Toten im zentralen Leichenschauhaus, versetzen die Menschen in Angst und Schrecken. „Was seit dem 12 Juni geschieht, ist beispiellos“, sagt Mashallah Shamsolvaezin, prominenter Journalist und einst Mitstreiter von Revolutionsführer Khomeini. Shamsolvaezin weiß, wovon er spricht, war er doch selbst in den 90er Jahren mehrmals inhaftiert.
Die Verhaftungswelle rollt weiter. Niemand weiß genau, wie viele friedlich für Freiheit und gegen die manipulierte Wahl Ahmadinedschads demonstrierende Menschen von Sicherheitskräften, Bassidsch-Milizionären getötet, verschleppt, in Gefängnisse gezerrt wurden. 4000 könnten es sein, meinen manche Exil-Iraner. Offiziell spricht man von 500. Viele Reformpolitiker sind unter ihnen. Für den bei einem Attentat im Jahr 2000 durch Schusswunden in den Kopf schwer verletzten Berater des damaligen Präsidenten Khatami, Said Hadscharian etwa, besteht höchste Lebensgefahr, weil er ständiger ärztlicher Betreuung bedarf, die ihm nun wohl verwehrt wird. Andere, wie der Oppositionspolitiker Ibrahim Yazdi sind fast 80.
Das Evin-Gefängnis, so berichten freigelassene Häftlinge, sei so überfüllt, dass die unzähligen Neuankömmlinge, mit Handschellen, auf den Korridoren schlafen müssen. Eine besonders verhaßte Kategorie von Gefangenen sind die Journalisten, Reporter, Fotografen, Filmproduzenten, die es gewagt hatten, Berichte und Bilder über die friedlichen Proteste zu verbreiten. Sie vor allem meint Ahmadinedschad, wenn er von „einigen Brocken von Schmutz und Staub“ spricht, die nun unschädlich gemacht werden müssten. Zu ihnen zählt auch der Publizist, Ökonom und Konsulent Bijan Khajehpour Khoei, der sich zur Förderung von Wirtschaftskontakten mit England in London aufgehalten hatte. Bei seiner Ankunft in Teheran wurde er am 27. Juni festgenommen. Seither fehlt von ihm jede Spur.
Die Angehörigen von Verschwundenen und Gefangenen werden massiv bedroht, ja nicht über ihre Not zu sprechen, da sie sonst das Leben der Opfer gefährdeten. Kontakte mit Gefangenen, Besuche von Anwälten werden verhindert. An eine Mauer nahe des Evin-Gefängnisse haben Angehörige die Namen von 200 bei Massenprotesten am 9. Juli Festgenommenen angeheftet. Im Gefängnis selbst wurde nach Aussage eines Ex-Häftlings ein kleines Studio mit versteckter Kamera für die radikale Presse eingerichtet. Hier sollen nach Folter erzwungene „Geständnisse“ – vorzugsweise von Prominenten – aufgenommen werden, die „zugeben“, sie hätten im Auftrag ausländischer Regierungen versucht, eine „samtene Revolution“ anzuzetteln. Ali Abtahi, Vizepräsident unter Khatami und Wahlkampfmanager des Reformkandidaten Karrubi, soll – so behaupten radikale Meiden – bereits „gestanden“ haben.
Journalisten, die wie Shamsolvaezin noch in Freiheit sind, stehen unter ständiger Beobachtung und massivstem Druck, entweder zu schweigen, oder Ahmadinedschads Theorie der „ausländischen Verschwörung“ zu unterstützen. „Es ist eine himmelschreiende Schande“, klagt der prominente Journalist Massoud Behnoud in „rooz-online“, „dass zu einer Zeit, da eine Generation von Iranern nach „Freiheit“ schreit, jene, die diesen Ruf in die Welt tragen sollten, selbst im Gefängnis sind.“
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Montag, 20. Juli 2009
Birgit Cerha:Iraks neues Pulverfass
Während die Kurden durch Wahlen intern „Veränderung“ suchen, droht die grausige Geschichte sie wieder einzuholen
Kurdistan, seit dem Sturz von Diktator Saddam Hussein 2003 eine Oase der Ruhe im blutig umkämpften Irak, schüttelt das Wahlfieber. „Goran“ (Veränderung) liegt in der Luft. Eine zunehmend mutige Zivilgesellschaft wagt erstmals die offene Herausforderung der beiden Großparteien, der „Kurdischen Demokratischen Partei“ (KDP) unter Massoud Barzani und der „Patriotischen Union Kurdistans“ (PUK), die seit 1991 die drei autonomen Kurdenprovinzen im Nord-Irak dominieren. „Goran“ nennt der PUK-Mitbegründer und heutige Rebell Nawshirwan Mustafa seine neugegründete Bewegung, die mehr Demokratie, mehr Transparenz, weniger Korruption und Nepotismus verspricht. Sie ist eine von 24 Parteien, die sich um Parlamentssitze bewirbt. Wiewohl zufrieden über die stabile Sicherheitslage Kurdistans im sonst so turbulenten Irak, doch verbittert über Vetternwirtschaft, Korruption und administrative Ineffizienz, strömen immer mehr Menschen zu „Goran“, je mehr der 25. Juli, Tag der Parlaments- und Präsidentschaftswahlen, herannaht. Irritiert haben sich die bitteren Rivalen KDP und PUK nicht nur zu einem Wahl-Bündnis zusammengeschlossen, sondern auch sie versprechen „Veränderung“, verbesserte Dienstleistungen und größere Sorge um sozial Benachteiligte. Kein Zweifel, Kurdistan rückt in diesen Julitagen der heißersehnten demokratischen Vorbildrolle in der von Autokraten dominierten Region ein Stück näher.
„Goran“ besitzt große Chance, die überwältigende Mehrheit der beiden Großparteien, die im scheidenden Regional-Parlament 104 der 111 Sitze innehatten, zu brechen. Und im Gegensatz zu anderen Ländern des Mittleren Ostens, ist die Opposition in Kurdistan gemäßigt, weitgehend säkular, liberal. Der Präsident Kurdistans, Massoud Barzani, muss sich zur selben Zeit auch mit vier Gegenkandidaten zur Wiederwahl stellen – ebenfalls ein Zeichen demokratischer Öffnung, wiewohl sein erneuter Sieg kaum infrage steht.
Ein Thema allerdings beherrscht diesen Wahlkampf nicht: Separation. Dennoch ist es gerade dieses den Kurden als größtes Volk der Welt ohne Staat historisch verwehrte Recht, das heute trotz des gemeinsamen Kampfes gegen die Terrorherrschaft Saddam Husseins und um einen neuen, demokratischen Irak die Beziehungen der arabischen Mehrheit mit den Kurden gefährlich belastet. Noch nie seit dem von den USA geführten Krieg gegen Saddam Hussein 2003, fürchten Experten, sei das Risiko eines blutigen Konflikts zwischen der Zentralregierung unter Premier Maliki und den Kurden so groß gewesen wie heute.
„Alles ist eingefroren, nichts bewegt sich“, klagt der Premierminister der Region Kurdistan, Nechirvan Barzani. „Wenn die Probleme nicht gelöst werden, wir uns nicht zu Gesprächen zusammensetzen, steigt das Risiko einer militärischen Konfrontation.“ Beide Seiten beschuldigen den anderen der Provokation. Tatsächlich haben in den vergangenen Monaten, insbesondere seit dem Abzug der US-Truppen aus den Städten am 30. Juni, Terrorakte und die Spannungen insbesondere zwischen kurdischen Peschmerga-Milizen und Regierungstruppen drastisch verschärft.
Uneinigkeit über die Verteilung der Öl- und Gasschätze, territoriale Dispute und die ausgebliebene nationale Versöhnung nennt Massoud Barzanis Website die wichtigsten ungelösten Konflikte mit Bagdad. US-Geheimdienste halten die „Grenzziehung“ zwischen der Kurdenregion und dem Rest des Iraks für den „wahrscheinlich explosivsten politischen Konflikt“, der die Stabilität des Iraks in den kommenden Jahren bedrohe. Doch die Suche nach einer Lösung stagniert. Tiefes Misstrauen zwischen der Regierung Maliki und ihrem kurdischen Koalitionspartner vergiftet zunehmend die Atmosphäre. Seit einem Jahr haben sich Barzani und Maliki nicht mehr getroffen. Araber in Bagdad werfen den Kurden „Landraub“ vor und empören sich über einen neuen Verfassungsentwurf für die Region Kurdistan, der die „umstrittenen Gebiete“ südlich der drei autonomen Provinzen Dohuk, Erbil und Suleymania als „historischen“ Teil Kurdistans bezeichnet, damit vor allem auch Kirkuk meint, das von den Kurden als „ihre Hauptstadt“ beanspruchte Ölzentrum, das etwa 20 Prozent der irakischen Schätze an „schwarzem Gold“ birgt. Premier Maliki wittert einen entscheidenden Schritt zu kurdischer Separation. US-Vizepräsident Biden, von seinem Chef Obama mit der Irak-Agenda beauftragt, eilte nach Bagdad und zwang die Kurden, ein auch für den 25. Juli geplantes Verfassungsreferendum aufzuschieben. Doch die Kurdenführer wollen dies nur bis September vertagen.
In den sechs Jahren seit dem Sturz Saddams haben es die Iraker nicht geschafft, mit der Bewältigung ihrer blutigen Vergangenheit, mit nationaler Versöhnung auch nur zu beginnen.
Die Folge sind wachsendes Misstrauen, wiederbelebte Existenzängste insbesondere der Kurden, die genozidartige Verbrechen erlitten und immer noch auf die Bestrafung der Täter, vor allem aber auf Kompensation Hunderttausender Opfer warten.
Kernproblem sind die „umstrittenen Gebiete“, die sich über Tausende Quadratkilometer südlich der 1991 von den Amerikanern zum Schutz der von Saddam verfolgten Kurden von der Grenze zu Syrien, bis zum Iran gezogenen „grünen Linie“ erstrecken. Es sind jene ölreichen Regionen, in denen der Diktator seine Arabisierungswelle, die Vertreibung von mehr als 250.000 Kurden, besonders intensiv betrieben hatte, die Araber in Bagdad nicht als Teil einer autonomen Kurdenregion anerkennen wollen. Das Problem scheint schier unlösbar, weil für beide Seiten Existenzfragen auf dem Spiel stehen. Kurdenführer lassen die Möglichkeit der Abspaltung offen, sollte man sich nicht nach einem in der Verfassung vorgesehenen Normalisierungsprozeß und auf Basis eines Referendums über den künftigen Status dieser Gebiete einigen. Bleibt die Einigung aus, befürchten die Kurden eine Wiederholung ihrer blutigen Geschichte.
Eine UNO-Kommission hat alte Landkarten, Dokumente und Bevölkerungszahlen studiert und Kompromissvarianten angeboten, die keine der Seiten bisher akzeptierte. Doch eine Entscheidung kann nicht länger aufgeschoben werden. Die Kräfteverhältnisse beginnen sich zu verschieben. Maliki gewinnt zunehmend an Autorität und lässt seine Muskeln gegenüber den Kurden spielen, nicht zuletzt auch, um sich damit gegenüber den arabischen Sunniten, die er als neuen starken Partner zu gewinnen hofft, als nationaler Champion aufzuspielen. Die neu aufgebaute irakische Armee gewinnt an Selbstbewusstsein und der Premier ist entschlossen, die kurdischen Peschmerga-Milizen, die auf Wunsch Bagdads und der Amerikaner in den „umstrittenen Gebieten“ seit fast sechs Jahren für Sicherheit sorgen, wieder zu verjagen. Er halte sich zurück, bis die Amerikaner vollends abgezogen seien, befürchten Kurden. Doch was er jetzt schon tue (Entsendung irakischer Truppen in Teile der „umstrittenen Gebiete“) „erscheint uns als wiederhole sich die Geschichte“, klagt Fuad Hussein, Barzanis Stabschef.
Die Parlamentswahlen im Januar werden die Macht der Kurden in Bagdad unweigerlich schwächen, weil sie die arabischen Sunniten nicht wieder, wie zuletzt 2005, boykottieren werden. In dem bereits begonnenen Wahlkampf bleibt die Kompromissbereitschaft vollends auf der Strecke.
„Ich glaube, wir befinden uns heute in einer Situation, in der zwar keine Seite Krieg will“, analysiert ein westlicher Diplomat, „doch alle sind hoch bewaffnet und in Spannungen steigen stetig derart, dass ein kleiner Zwischenfall“ einen blutigen Konflikt auslösen kann, der den Irak für Jahre in Atem zu halten drohe. In dieser Situation hoffen die Kurden, dass es ihnen gelingt, ihren einzigen langjährigen Freund und Beschützer, die Amerikaner, von dem für 2011 geplanten totalen Abzug aus dem Irak, zumindest aber aus ihrer autonomen Region, abzuhalten.
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Kurdistan, seit dem Sturz von Diktator Saddam Hussein 2003 eine Oase der Ruhe im blutig umkämpften Irak, schüttelt das Wahlfieber. „Goran“ (Veränderung) liegt in der Luft. Eine zunehmend mutige Zivilgesellschaft wagt erstmals die offene Herausforderung der beiden Großparteien, der „Kurdischen Demokratischen Partei“ (KDP) unter Massoud Barzani und der „Patriotischen Union Kurdistans“ (PUK), die seit 1991 die drei autonomen Kurdenprovinzen im Nord-Irak dominieren. „Goran“ nennt der PUK-Mitbegründer und heutige Rebell Nawshirwan Mustafa seine neugegründete Bewegung, die mehr Demokratie, mehr Transparenz, weniger Korruption und Nepotismus verspricht. Sie ist eine von 24 Parteien, die sich um Parlamentssitze bewirbt. Wiewohl zufrieden über die stabile Sicherheitslage Kurdistans im sonst so turbulenten Irak, doch verbittert über Vetternwirtschaft, Korruption und administrative Ineffizienz, strömen immer mehr Menschen zu „Goran“, je mehr der 25. Juli, Tag der Parlaments- und Präsidentschaftswahlen, herannaht. Irritiert haben sich die bitteren Rivalen KDP und PUK nicht nur zu einem Wahl-Bündnis zusammengeschlossen, sondern auch sie versprechen „Veränderung“, verbesserte Dienstleistungen und größere Sorge um sozial Benachteiligte. Kein Zweifel, Kurdistan rückt in diesen Julitagen der heißersehnten demokratischen Vorbildrolle in der von Autokraten dominierten Region ein Stück näher.
„Goran“ besitzt große Chance, die überwältigende Mehrheit der beiden Großparteien, die im scheidenden Regional-Parlament 104 der 111 Sitze innehatten, zu brechen. Und im Gegensatz zu anderen Ländern des Mittleren Ostens, ist die Opposition in Kurdistan gemäßigt, weitgehend säkular, liberal. Der Präsident Kurdistans, Massoud Barzani, muss sich zur selben Zeit auch mit vier Gegenkandidaten zur Wiederwahl stellen – ebenfalls ein Zeichen demokratischer Öffnung, wiewohl sein erneuter Sieg kaum infrage steht.
Ein Thema allerdings beherrscht diesen Wahlkampf nicht: Separation. Dennoch ist es gerade dieses den Kurden als größtes Volk der Welt ohne Staat historisch verwehrte Recht, das heute trotz des gemeinsamen Kampfes gegen die Terrorherrschaft Saddam Husseins und um einen neuen, demokratischen Irak die Beziehungen der arabischen Mehrheit mit den Kurden gefährlich belastet. Noch nie seit dem von den USA geführten Krieg gegen Saddam Hussein 2003, fürchten Experten, sei das Risiko eines blutigen Konflikts zwischen der Zentralregierung unter Premier Maliki und den Kurden so groß gewesen wie heute.
„Alles ist eingefroren, nichts bewegt sich“, klagt der Premierminister der Region Kurdistan, Nechirvan Barzani. „Wenn die Probleme nicht gelöst werden, wir uns nicht zu Gesprächen zusammensetzen, steigt das Risiko einer militärischen Konfrontation.“ Beide Seiten beschuldigen den anderen der Provokation. Tatsächlich haben in den vergangenen Monaten, insbesondere seit dem Abzug der US-Truppen aus den Städten am 30. Juni, Terrorakte und die Spannungen insbesondere zwischen kurdischen Peschmerga-Milizen und Regierungstruppen drastisch verschärft.
Uneinigkeit über die Verteilung der Öl- und Gasschätze, territoriale Dispute und die ausgebliebene nationale Versöhnung nennt Massoud Barzanis Website die wichtigsten ungelösten Konflikte mit Bagdad. US-Geheimdienste halten die „Grenzziehung“ zwischen der Kurdenregion und dem Rest des Iraks für den „wahrscheinlich explosivsten politischen Konflikt“, der die Stabilität des Iraks in den kommenden Jahren bedrohe. Doch die Suche nach einer Lösung stagniert. Tiefes Misstrauen zwischen der Regierung Maliki und ihrem kurdischen Koalitionspartner vergiftet zunehmend die Atmosphäre. Seit einem Jahr haben sich Barzani und Maliki nicht mehr getroffen. Araber in Bagdad werfen den Kurden „Landraub“ vor und empören sich über einen neuen Verfassungsentwurf für die Region Kurdistan, der die „umstrittenen Gebiete“ südlich der drei autonomen Provinzen Dohuk, Erbil und Suleymania als „historischen“ Teil Kurdistans bezeichnet, damit vor allem auch Kirkuk meint, das von den Kurden als „ihre Hauptstadt“ beanspruchte Ölzentrum, das etwa 20 Prozent der irakischen Schätze an „schwarzem Gold“ birgt. Premier Maliki wittert einen entscheidenden Schritt zu kurdischer Separation. US-Vizepräsident Biden, von seinem Chef Obama mit der Irak-Agenda beauftragt, eilte nach Bagdad und zwang die Kurden, ein auch für den 25. Juli geplantes Verfassungsreferendum aufzuschieben. Doch die Kurdenführer wollen dies nur bis September vertagen.
In den sechs Jahren seit dem Sturz Saddams haben es die Iraker nicht geschafft, mit der Bewältigung ihrer blutigen Vergangenheit, mit nationaler Versöhnung auch nur zu beginnen.
Die Folge sind wachsendes Misstrauen, wiederbelebte Existenzängste insbesondere der Kurden, die genozidartige Verbrechen erlitten und immer noch auf die Bestrafung der Täter, vor allem aber auf Kompensation Hunderttausender Opfer warten.
Kernproblem sind die „umstrittenen Gebiete“, die sich über Tausende Quadratkilometer südlich der 1991 von den Amerikanern zum Schutz der von Saddam verfolgten Kurden von der Grenze zu Syrien, bis zum Iran gezogenen „grünen Linie“ erstrecken. Es sind jene ölreichen Regionen, in denen der Diktator seine Arabisierungswelle, die Vertreibung von mehr als 250.000 Kurden, besonders intensiv betrieben hatte, die Araber in Bagdad nicht als Teil einer autonomen Kurdenregion anerkennen wollen. Das Problem scheint schier unlösbar, weil für beide Seiten Existenzfragen auf dem Spiel stehen. Kurdenführer lassen die Möglichkeit der Abspaltung offen, sollte man sich nicht nach einem in der Verfassung vorgesehenen Normalisierungsprozeß und auf Basis eines Referendums über den künftigen Status dieser Gebiete einigen. Bleibt die Einigung aus, befürchten die Kurden eine Wiederholung ihrer blutigen Geschichte.
Eine UNO-Kommission hat alte Landkarten, Dokumente und Bevölkerungszahlen studiert und Kompromissvarianten angeboten, die keine der Seiten bisher akzeptierte. Doch eine Entscheidung kann nicht länger aufgeschoben werden. Die Kräfteverhältnisse beginnen sich zu verschieben. Maliki gewinnt zunehmend an Autorität und lässt seine Muskeln gegenüber den Kurden spielen, nicht zuletzt auch, um sich damit gegenüber den arabischen Sunniten, die er als neuen starken Partner zu gewinnen hofft, als nationaler Champion aufzuspielen. Die neu aufgebaute irakische Armee gewinnt an Selbstbewusstsein und der Premier ist entschlossen, die kurdischen Peschmerga-Milizen, die auf Wunsch Bagdads und der Amerikaner in den „umstrittenen Gebieten“ seit fast sechs Jahren für Sicherheit sorgen, wieder zu verjagen. Er halte sich zurück, bis die Amerikaner vollends abgezogen seien, befürchten Kurden. Doch was er jetzt schon tue (Entsendung irakischer Truppen in Teile der „umstrittenen Gebiete“) „erscheint uns als wiederhole sich die Geschichte“, klagt Fuad Hussein, Barzanis Stabschef.
Die Parlamentswahlen im Januar werden die Macht der Kurden in Bagdad unweigerlich schwächen, weil sie die arabischen Sunniten nicht wieder, wie zuletzt 2005, boykottieren werden. In dem bereits begonnenen Wahlkampf bleibt die Kompromissbereitschaft vollends auf der Strecke.
„Ich glaube, wir befinden uns heute in einer Situation, in der zwar keine Seite Krieg will“, analysiert ein westlicher Diplomat, „doch alle sind hoch bewaffnet und in Spannungen steigen stetig derart, dass ein kleiner Zwischenfall“ einen blutigen Konflikt auslösen kann, der den Irak für Jahre in Atem zu halten drohe. In dieser Situation hoffen die Kurden, dass es ihnen gelingt, ihren einzigen langjährigen Freund und Beschützer, die Amerikaner, von dem für 2011 geplanten totalen Abzug aus dem Irak, zumindest aber aus ihrer autonomen Region, abzuhalten.
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Freitag, 17. Juli 2009
Birgit Cerha: Rafsandschani bietet Khamenei die Stirn
Mächtiger Ex.Präsident ermutigt die „grüne Bewegung“ unter Mussawi und entflammt die Debatte über die Legitimität der Präsidentschaftswahlen im Iran neu
Die Kluft in Irans höchster Führung klafft weiter. Die Hoffnung des „Geistlichen Führers Khamenei und der ihm ergebenen Hardliner, der mächtige Rivale, Ex-Präsident Rafsandschani, werde der Oppositionsströmung die Reste von Mut zum Widerstand gegen den höchst zweifelhaften Ausgang der Präsidentschaftswahlen vom 12. Juni nehmen, erfüllte sich nicht. Bei dem mit Hochspannung erwarteten Freitagsgebet stellte sich Rafsandschani nicht, wie von den radikalen „Prinzipientreuen“ im Regime gedrängt, ausdrücklich hinter „eine Administration (gemeint ist jene Präsident Ahmadinedschads), die dem Willen des Volkes entsprang“. Er gratulierte dem umstrittenen Präsidenten nicht zu seiner Wiederwahl, sondern ignorierte den Befehl Khameneis, die Diskussion über den Wahlausgang, dieses „Geschenk Gottes, das über jeden Zweifel erhaben ist“, zu beenden. Vielmehr wies Rafsandschani auf die weit verbreiteten Zweifel am offiziellen Wahlsieg Ahmadinedschads hin und betonte die Notwendigkeit das Vertrauen der Bevölkerung wieder herzustellen. Er gab damit der durch die Repressionen der vergangenen Wochen massiv eingeschüchterten Oppositionsbewegung neuen Auftrieb.
Das allwöchentliche Freitagsgebet besitzt im politischen Leben der „Islamischen Republik“ zentrale Bedeutung. Es bietet meist den Ultras eine Plattform zur Darlegung ihrer Strategien, für Attacken gegen die „Weltarroganz“ (den Westen), Israel oder die USA, aber auch gegen interne Gegner. Khamenei hatte am 19. Juni das Freitagsgebet gewählt, um den Sicherheitskräften „grünes Licht“ zur hemmungslos brutalen Niederschlagung der Wahlproteste zu erteilen. Dass Rafsandschani, der sich im Wahlkampf hinter Mussawi gestellt hatte, nun wieder dort auftreten konnte, zeigt dass der von Khamenei und Ahmadinedschad in die Enge getriebene Ex-Präsident seine starke Position nicht verloren hat.
Die Tatsache, dass Rafsandschanis erste klare Stellungnahme zum dramatischen Konflikt um die Präsidentschaftswahlen nur vom staatlichen Radio, nicht jedoch vom Fernsehen direkt übertragen wurde, illustriert jedoch die enorme Nervosität, die dieser Auftritt unter den Ultras ausgelöst hat. Ahmadinedschad zog es vor, einer Konfrontation aus dem Weg zu gehen und stattete lieber dem weit im Osten gelegenen Pilgerzentrum Maschad einen Besuch ab.
Ein Großaufgebot an Sicherheitskräften und paramilitärischen Bassidsch hatte – offenbar weitgehend vergeblich – versucht, der „grünen Bewegung“ des offiziell unterlegenen Präsidentschaftskandidaten Mussawi die wichtige Plattform des Freitagsgebetes zu verwehren. Mussawi selbst zeigte sich dort zum erstenmal seit Wochen wieder öffentlic und Tausende seiner Anhänger hatten sich eingefunden und mit dem Ruf „Allah-u Akbar“ (Gott ist Groß) ihrem Widerstand gegen Khamenei kundgetan. Die Sicherheitskräfte versuchten vergeblich die Versammelten mit Tränengas und Schlagstöcken einzuschüchtern. Wie in den vergangenen Wochen, kam es auch Freitag wieder zu Festnahmen.
Energisch kritisierte Rafsandschani brutalen Repressionen gegen friedlich Demonstrierende, „In der gegenwärtigen Situation ist es nicht nötig, dass wir Menschen in Gefängnisse stecken….wir sollten ihnen die Rückkehr zu ihren Familien gestatten.“ Zugleich bekräftigte der Geistliche, der seit Jahrzehnten eine der wichtigsten Säulen des islamischen Regimes ist, die dringende Notwendigkeit zur Einheit, um eben dieses Regime zu erhalten. Daran hegt Rafsandschani, der laut Wirtschaftsmagazin „Forbes“ in den drei Jahrzehnten der „Islamischen Republik“ zu einem der reichsten Männer der Welt aufgestiegen ist, auch höchstes persönliches Interesse.
Wiewohl die Herzen der Iraner diesem als korrupten Machtmenschen verschrienen Geistlichen keineswegs zufliegen, gilt er doch als der wohl einzige Politiker, der den Weg des „Gottesstaates“ zur blutrünstigen Diktatur bremsen, der Khamenei zu einem Kompromiss gegenüber den Wünschen solch breiter, sich nach Freiheit sehnenden Bevölkerungsschichten bewegen könnte. Er berief sich auf eine der Grundlehren seines Mentors, Revolutionsführer Khomeini: „Die Legitimität des Staates entspringt der Zustimmung durch die Bevölkerung. Wir müssen das Vertrauen der Menschen wieder gewinnen.“ Zugleich setzte sich Rafsandschani für eine „offene Gesellschaft“ ein, in der „die Menschen sagen können, was sie wollen.“
In ersten Reaktionen zeigten sich Anhänger Mussawis enttäuscht, dass Rafsandschani nicht noch entschiedener Partei für ihre Bewegung ergriffen hatte. Doch dieser Meister des komplizierten Ränkespiel iranischer Politik hat wohl eine noch härtere Konfrontation mit Khamenei vermieden, um sich damit eine Chance für einen „Deal“ hinter den Kulissen zu sichern. Dass Khamenei daran großes Interesse haben muß, zeigte sich erneut am Donnerstag, als der Chef des Atomenergieprogramms, der mit Mussawi befreundete Gholamreza Aghazadeh, überraschend zurücktrat. Zudem hat sich auch eine wachsende Zahl von hohen Geistlichen offen hinter Mussawi gestellt und Ahmadinedschad kämpft mit wachsenden Problemen eine ihm loyale Regierung zusammenzustellen, die sein radikales Programm auch durchsetzen könnte.
Höchste Priorität aber besitzt das Ende der blutigen Repression. Nach informierten Kreisen sind immer noch an die 4000 Menschen, darunter die meisten führenden Reformer, Menschenrechtsaktivisten, viele Intellektuelle und Journalisten, in Gefängnissen. Mehr als 80 Personen wurden von den Sicherheitskräften ermordet, Unzählige sind verschollen.
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Die Kluft in Irans höchster Führung klafft weiter. Die Hoffnung des „Geistlichen Führers Khamenei und der ihm ergebenen Hardliner, der mächtige Rivale, Ex-Präsident Rafsandschani, werde der Oppositionsströmung die Reste von Mut zum Widerstand gegen den höchst zweifelhaften Ausgang der Präsidentschaftswahlen vom 12. Juni nehmen, erfüllte sich nicht. Bei dem mit Hochspannung erwarteten Freitagsgebet stellte sich Rafsandschani nicht, wie von den radikalen „Prinzipientreuen“ im Regime gedrängt, ausdrücklich hinter „eine Administration (gemeint ist jene Präsident Ahmadinedschads), die dem Willen des Volkes entsprang“. Er gratulierte dem umstrittenen Präsidenten nicht zu seiner Wiederwahl, sondern ignorierte den Befehl Khameneis, die Diskussion über den Wahlausgang, dieses „Geschenk Gottes, das über jeden Zweifel erhaben ist“, zu beenden. Vielmehr wies Rafsandschani auf die weit verbreiteten Zweifel am offiziellen Wahlsieg Ahmadinedschads hin und betonte die Notwendigkeit das Vertrauen der Bevölkerung wieder herzustellen. Er gab damit der durch die Repressionen der vergangenen Wochen massiv eingeschüchterten Oppositionsbewegung neuen Auftrieb.
Das allwöchentliche Freitagsgebet besitzt im politischen Leben der „Islamischen Republik“ zentrale Bedeutung. Es bietet meist den Ultras eine Plattform zur Darlegung ihrer Strategien, für Attacken gegen die „Weltarroganz“ (den Westen), Israel oder die USA, aber auch gegen interne Gegner. Khamenei hatte am 19. Juni das Freitagsgebet gewählt, um den Sicherheitskräften „grünes Licht“ zur hemmungslos brutalen Niederschlagung der Wahlproteste zu erteilen. Dass Rafsandschani, der sich im Wahlkampf hinter Mussawi gestellt hatte, nun wieder dort auftreten konnte, zeigt dass der von Khamenei und Ahmadinedschad in die Enge getriebene Ex-Präsident seine starke Position nicht verloren hat.
Die Tatsache, dass Rafsandschanis erste klare Stellungnahme zum dramatischen Konflikt um die Präsidentschaftswahlen nur vom staatlichen Radio, nicht jedoch vom Fernsehen direkt übertragen wurde, illustriert jedoch die enorme Nervosität, die dieser Auftritt unter den Ultras ausgelöst hat. Ahmadinedschad zog es vor, einer Konfrontation aus dem Weg zu gehen und stattete lieber dem weit im Osten gelegenen Pilgerzentrum Maschad einen Besuch ab.
Ein Großaufgebot an Sicherheitskräften und paramilitärischen Bassidsch hatte – offenbar weitgehend vergeblich – versucht, der „grünen Bewegung“ des offiziell unterlegenen Präsidentschaftskandidaten Mussawi die wichtige Plattform des Freitagsgebetes zu verwehren. Mussawi selbst zeigte sich dort zum erstenmal seit Wochen wieder öffentlic und Tausende seiner Anhänger hatten sich eingefunden und mit dem Ruf „Allah-u Akbar“ (Gott ist Groß) ihrem Widerstand gegen Khamenei kundgetan. Die Sicherheitskräfte versuchten vergeblich die Versammelten mit Tränengas und Schlagstöcken einzuschüchtern. Wie in den vergangenen Wochen, kam es auch Freitag wieder zu Festnahmen.
Energisch kritisierte Rafsandschani brutalen Repressionen gegen friedlich Demonstrierende, „In der gegenwärtigen Situation ist es nicht nötig, dass wir Menschen in Gefängnisse stecken….wir sollten ihnen die Rückkehr zu ihren Familien gestatten.“ Zugleich bekräftigte der Geistliche, der seit Jahrzehnten eine der wichtigsten Säulen des islamischen Regimes ist, die dringende Notwendigkeit zur Einheit, um eben dieses Regime zu erhalten. Daran hegt Rafsandschani, der laut Wirtschaftsmagazin „Forbes“ in den drei Jahrzehnten der „Islamischen Republik“ zu einem der reichsten Männer der Welt aufgestiegen ist, auch höchstes persönliches Interesse.
Wiewohl die Herzen der Iraner diesem als korrupten Machtmenschen verschrienen Geistlichen keineswegs zufliegen, gilt er doch als der wohl einzige Politiker, der den Weg des „Gottesstaates“ zur blutrünstigen Diktatur bremsen, der Khamenei zu einem Kompromiss gegenüber den Wünschen solch breiter, sich nach Freiheit sehnenden Bevölkerungsschichten bewegen könnte. Er berief sich auf eine der Grundlehren seines Mentors, Revolutionsführer Khomeini: „Die Legitimität des Staates entspringt der Zustimmung durch die Bevölkerung. Wir müssen das Vertrauen der Menschen wieder gewinnen.“ Zugleich setzte sich Rafsandschani für eine „offene Gesellschaft“ ein, in der „die Menschen sagen können, was sie wollen.“
In ersten Reaktionen zeigten sich Anhänger Mussawis enttäuscht, dass Rafsandschani nicht noch entschiedener Partei für ihre Bewegung ergriffen hatte. Doch dieser Meister des komplizierten Ränkespiel iranischer Politik hat wohl eine noch härtere Konfrontation mit Khamenei vermieden, um sich damit eine Chance für einen „Deal“ hinter den Kulissen zu sichern. Dass Khamenei daran großes Interesse haben muß, zeigte sich erneut am Donnerstag, als der Chef des Atomenergieprogramms, der mit Mussawi befreundete Gholamreza Aghazadeh, überraschend zurücktrat. Zudem hat sich auch eine wachsende Zahl von hohen Geistlichen offen hinter Mussawi gestellt und Ahmadinedschad kämpft mit wachsenden Problemen eine ihm loyale Regierung zusammenzustellen, die sein radikales Programm auch durchsetzen könnte.
Höchste Priorität aber besitzt das Ende der blutigen Repression. Nach informierten Kreisen sind immer noch an die 4000 Menschen, darunter die meisten führenden Reformer, Menschenrechtsaktivisten, viele Intellektuelle und Journalisten, in Gefängnissen. Mehr als 80 Personen wurden von den Sicherheitskräften ermordet, Unzählige sind verschollen.
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Montag, 13. Juli 2009
Birgit Cerha: „Ihr Tod soll nicht vergebens sein“
In die weitverbreitete Empörung Ägyptens über den Mord an Marwa Sherbini in Dresden mischen sich zunehmend auch mahnende Stimmen
Sie wurde zur „Märtyrerin des Hedschab“ (des islamischen Schleiers), von den ägyptischen Medien zur Heldin erhoben. Seit fast zwei Wochen beherrschen Wut, Verzweiflung und tiefe Empörung über den Morden der schwangeren ägyptischen Mutter Marwa Sherbini in Dresden die Gemüter der Öffentlichkeit am Nil, die staatlichen und oppositionellen Medien ebenso, wie die rege Blogszene des Landes. Die öffentliche Entschuldigung Angela Merkels für die unfassbare Tat, die sich am 1. Juli vor den Augen des tagenden Gerichts ereignete, Beschwichtigungsversuche deutscher Politiker und Diplomaten vermochten bisher den tiefen, echten Zorn der Ägypter nicht zu stillen. Es sind die nackten Fakten, die schockieren, doch mindestens ebenso die als zögerlich und damit verdächtig rassistisch empfundenen Reaktionen von Politik und Medien. „Wir sind alle Geschöpfe des selben Gottes. Unser Blut ist nicht weniger wert“, lautet eine typische Reaktion vieler empörter Ägypter. Eine gläubige Muslimin wurde innerhalb eines europäischen Gerichtssaals offensichtlich aus keinem anderen Grund getötet, als jenem, dass sie ein islamisches Kopftuch trug, und das von demselben Mann, den sie vor Gericht wegen rassistischer Beleidigung zur Verantwortung zu ziehen suchte.
Es ist die Tatsache, dass der Mörder 18 Mal zustechen konnte und niemand ihn stoppte, dass anschließend ein Polizist den zu Hilfe eilenden Ehemann des Opfers mit seiner Pistole schwer verletzte, die in den Augen vieler Ägypter die deutsche Öffentlichkeit, ja den Staat, der Sicherheitsmaßnahmen im Gericht fahrlässig unterlassen hätte, mitverantwortlich macht. Düstere Verschwörungstheorien gegen Muslime, ja gegen die gesamte islamische Welt werden gesponnen. Und sie fanden noch mehr Nahrung durch die tagelang ausgebliebenen Reaktionen von Politikern und deutschen Medien.
Die Tragödie von Dresden nährt in Ägypten, aber auch anderen Teilen der islamischen Welt das stetig wachsende Gefühl, Opfer einer fatalen Doppelmoral des Westens zu sein. Ägyptische Medien und Blogger erinnern an die große Aufregung in Europa über den Mord an dem niederländischen Filmregisseur Theo Van Gogh durch einen muslimischen Extremisten, während die Tat von Dresden tagelang in Deutschland kaum Aufmerksamkeit erregte. Und dabei, so bemerkt man am Nil, hatte Van Gogh immerhin einen anti-islamischen Film gedreht, während Marwa niemanden beleidigt, keinerlei Vergehen begangen hätte. Oder: Wäre das Opfer eine Jüdin gewesen, hätte es einen Aufschrei gegeben, meint die ägyptische Tageszeitung „Al Shorouk“.
Seit Tagen berichten und analysieren Medien, Blogs und Fernsehen die vermeintliche und bedrohlich wachsende Islamophobie des Westens. Dabei ist nur wenigen bewusst, dass heute allein in Deutschland knapßpß 3,5 Millionen Muslime leben, ihre Religion frei ausüben dürfen und dass es in allen größeren Städten Moscheen gibt.
Gegenüber dem ägyptischen Fernsehen stammelte die tief erschütterte Mutter, Marwa hätte den Preis dafür gezahlt, dass sie stolze Muslimin sei. Sie, eine absolvierte Pharmazeutin, hätte Probleme gehabt, eine Arbeit zu finden, weil sie das islamische Kopftuch trug. Marwas Bruder kündete in den ägyptischen Medien seine Entschlossenheit an, den Mord an seiner Schwester zu rächen.
„Der Mord unterstreicht die dringende Notwendigkeit den wachsenden Rassismus in Europa zu bekämpfen“, mahnt die angesehene Kairoer „Al Ahram“. Und sie zitiert den politischen Aktivisten Amin Iskandar: „Es kommt nicht unerwartet, dass Europa, das den Faschismus und Zionismus hervorbrachte und zwei Weltkriege auslöste Rassismu gegen andere produziert.“ Der Rassismus, so „Al Ahram“, stünde in direkten Zusammenhang mit der Politik. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion hätten die USA als nunmehr einzige Supermacht einen imaginären Feind gesucht und ihn schließlich in extremistischen islamischen Gruppen gefunden.
Viele Ägypter nehmen den Mord von Dresden aber auch zum Anlaß ihrem ohnedies latenten Ärger mit dem eigenen Regime Luft zu machen, dem sie all zu schwache Reaktiion vorwerfen. Manche Kommentatoren erinnern auch daran, wie die das Regime Mubarak die Menschenrechte im eigenen Land mit Füßen tritt.
Während der Fall Marwa Sherbini erneut deutlich das große Imageproblem des Westen in der islamischen Welt erkennen läßt, wird er aber auch allmählich von verschiedenen islamischen Gruppierung als politische und religiöse Waffe in deren jeweiligem Kampf manipuliert. So haben die Moslembrüder, die größte Oppositionsbewegung, etwa bereits begonnen, den Mord von Dresden als neues starkes Argument für den Hedschab einzusetzen, andere versuchen dies insgesamt als zusätzliches Argument im Konflikt zwischen den Islam und dem Westen zu nützen oder auch – wie etwa das iranische Regime, das eine Protestkundgebung vor der deutschen Botschaft in Teheran organisierte – von eigenen Problemen abzulenken.
Demgegenüber richtete Marwas Vater, Ali Sherbini, einen eindringlichen Appell an die islamische Welt und den Westen, Bemühungen zum Dialog zu verstärken. „Ich rufe Europa und den Westen (insgesamt) auf, für einen Moment inne zu halten und Anstrengungen zu machen, den Islam zu verstehen. „Marwas Tod soll nicht vergebens“ gewesen sein.
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Sie wurde zur „Märtyrerin des Hedschab“ (des islamischen Schleiers), von den ägyptischen Medien zur Heldin erhoben. Seit fast zwei Wochen beherrschen Wut, Verzweiflung und tiefe Empörung über den Morden der schwangeren ägyptischen Mutter Marwa Sherbini in Dresden die Gemüter der Öffentlichkeit am Nil, die staatlichen und oppositionellen Medien ebenso, wie die rege Blogszene des Landes. Die öffentliche Entschuldigung Angela Merkels für die unfassbare Tat, die sich am 1. Juli vor den Augen des tagenden Gerichts ereignete, Beschwichtigungsversuche deutscher Politiker und Diplomaten vermochten bisher den tiefen, echten Zorn der Ägypter nicht zu stillen. Es sind die nackten Fakten, die schockieren, doch mindestens ebenso die als zögerlich und damit verdächtig rassistisch empfundenen Reaktionen von Politik und Medien. „Wir sind alle Geschöpfe des selben Gottes. Unser Blut ist nicht weniger wert“, lautet eine typische Reaktion vieler empörter Ägypter. Eine gläubige Muslimin wurde innerhalb eines europäischen Gerichtssaals offensichtlich aus keinem anderen Grund getötet, als jenem, dass sie ein islamisches Kopftuch trug, und das von demselben Mann, den sie vor Gericht wegen rassistischer Beleidigung zur Verantwortung zu ziehen suchte.
Es ist die Tatsache, dass der Mörder 18 Mal zustechen konnte und niemand ihn stoppte, dass anschließend ein Polizist den zu Hilfe eilenden Ehemann des Opfers mit seiner Pistole schwer verletzte, die in den Augen vieler Ägypter die deutsche Öffentlichkeit, ja den Staat, der Sicherheitsmaßnahmen im Gericht fahrlässig unterlassen hätte, mitverantwortlich macht. Düstere Verschwörungstheorien gegen Muslime, ja gegen die gesamte islamische Welt werden gesponnen. Und sie fanden noch mehr Nahrung durch die tagelang ausgebliebenen Reaktionen von Politikern und deutschen Medien.
Die Tragödie von Dresden nährt in Ägypten, aber auch anderen Teilen der islamischen Welt das stetig wachsende Gefühl, Opfer einer fatalen Doppelmoral des Westens zu sein. Ägyptische Medien und Blogger erinnern an die große Aufregung in Europa über den Mord an dem niederländischen Filmregisseur Theo Van Gogh durch einen muslimischen Extremisten, während die Tat von Dresden tagelang in Deutschland kaum Aufmerksamkeit erregte. Und dabei, so bemerkt man am Nil, hatte Van Gogh immerhin einen anti-islamischen Film gedreht, während Marwa niemanden beleidigt, keinerlei Vergehen begangen hätte. Oder: Wäre das Opfer eine Jüdin gewesen, hätte es einen Aufschrei gegeben, meint die ägyptische Tageszeitung „Al Shorouk“.
Seit Tagen berichten und analysieren Medien, Blogs und Fernsehen die vermeintliche und bedrohlich wachsende Islamophobie des Westens. Dabei ist nur wenigen bewusst, dass heute allein in Deutschland knapßpß 3,5 Millionen Muslime leben, ihre Religion frei ausüben dürfen und dass es in allen größeren Städten Moscheen gibt.
Gegenüber dem ägyptischen Fernsehen stammelte die tief erschütterte Mutter, Marwa hätte den Preis dafür gezahlt, dass sie stolze Muslimin sei. Sie, eine absolvierte Pharmazeutin, hätte Probleme gehabt, eine Arbeit zu finden, weil sie das islamische Kopftuch trug. Marwas Bruder kündete in den ägyptischen Medien seine Entschlossenheit an, den Mord an seiner Schwester zu rächen.
„Der Mord unterstreicht die dringende Notwendigkeit den wachsenden Rassismus in Europa zu bekämpfen“, mahnt die angesehene Kairoer „Al Ahram“. Und sie zitiert den politischen Aktivisten Amin Iskandar: „Es kommt nicht unerwartet, dass Europa, das den Faschismus und Zionismus hervorbrachte und zwei Weltkriege auslöste Rassismu gegen andere produziert.“ Der Rassismus, so „Al Ahram“, stünde in direkten Zusammenhang mit der Politik. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion hätten die USA als nunmehr einzige Supermacht einen imaginären Feind gesucht und ihn schließlich in extremistischen islamischen Gruppen gefunden.
Viele Ägypter nehmen den Mord von Dresden aber auch zum Anlaß ihrem ohnedies latenten Ärger mit dem eigenen Regime Luft zu machen, dem sie all zu schwache Reaktiion vorwerfen. Manche Kommentatoren erinnern auch daran, wie die das Regime Mubarak die Menschenrechte im eigenen Land mit Füßen tritt.
Während der Fall Marwa Sherbini erneut deutlich das große Imageproblem des Westen in der islamischen Welt erkennen läßt, wird er aber auch allmählich von verschiedenen islamischen Gruppierung als politische und religiöse Waffe in deren jeweiligem Kampf manipuliert. So haben die Moslembrüder, die größte Oppositionsbewegung, etwa bereits begonnen, den Mord von Dresden als neues starkes Argument für den Hedschab einzusetzen, andere versuchen dies insgesamt als zusätzliches Argument im Konflikt zwischen den Islam und dem Westen zu nützen oder auch – wie etwa das iranische Regime, das eine Protestkundgebung vor der deutschen Botschaft in Teheran organisierte – von eigenen Problemen abzulenken.
Demgegenüber richtete Marwas Vater, Ali Sherbini, einen eindringlichen Appell an die islamische Welt und den Westen, Bemühungen zum Dialog zu verstärken. „Ich rufe Europa und den Westen (insgesamt) auf, für einen Moment inne zu halten und Anstrengungen zu machen, den Islam zu verstehen. „Marwas Tod soll nicht vergebens“ gewesen sein.
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Donnerstag, 9. Juli 2009
Birgit Cerha: Dem Irak droht ein neuer blutiger Konflikt
Terror sucht den Norden heim – Während Extremisten neue Positionen aufbauen, verschärfen sich die Rivalitäten zwischen Bagdad und den Kurden
Es war das schlimmste Blutbad seit dem Rückzug der US-Truppen aus irakischen Städten am 30. Juni, das Donnerstag in der nordirakischen Stadt Tal Afar mindestens 41 Menschen in den Tod riß. Zugleich starben in Bagdads schiitischer Sadr City mindestens sieben Menschen durch einen Terroranschlag. Die Welle der Gewalt, die viele durch den Rückzug amerikanischer Soldaten befürchtet hatten, droht nun vor allem den Nord-Irak heimzusuchen, wo sich eine Vielzahl ungelöster politischer Konflikte, aufgestauter Emotionen unter der einst vom gestürzten Diktator Saddam Hussein so gequälten kurdischen Bevölkerung, tiefe Frustrationen angesichts der ausgebliebenen Entschädigung und Versöhnung all zu leicht blutig entladen können.
Der Terror der vergangenen Tage rückt zwei unterschiedliche Probleme ins Rampenlicht. Tal Afar, nahe der Grenze zu Syrien gelegen und einst überwiegend von sunnitischen Turkmenen bewohnt, war Hochburg des arabisch-sunnitischen Widerstandes, sowie der Al-Kaida Terroristen in deren blutigen Kampf gegen die US-Besatzer und deren Schützlinge gewesen. Hier hatten sich seit 2003 die grausigsten Gewaltakte ereignet. In einer ungeheuer brutalen Aktion vertrieben Kampfpiloten der US- und NATO-Streitkräfte die gewalttätigen Extremisten aus der Stadt, in die überwiegend nicht-rebellische Schiiten-Turkmenen einzogen. Nun, nach dem Rückzug der US-Truppen aus den Städten sehen die Verjagten, darunter vermutlich auch Al-Kaida Extremisten, die Chance, Tal Afar – neben dem nahegelegenen Mosul – zu ihrem Aktionszentrum für den Kampf gegen die Regierung Maliki in Bagdad aufzubauen. Hier zeigt sich dramatisch das Versagen Premier Malikis, die zerstrittenen Bevölkerungsgruppen miteinander zu versöhnen. „Die ethnischen Säuberungen, die unter den Nasen der US-Militärs im Irak vollzogen wurden, verheißen dem Irak nichts Gutes“, befürchtet der amerikanische Irak-Experte Juan Cole.
Zugleich aber braut sich ein neuer potentiell zerstörerischer Konflikt im Norden zusammen, diesmal zwischen Regierungspartnern in Bagdad: der vom Schiiten Maliki geführten Zentralregierung mit ihrem wichtigsten Koalitionspartner, den Kurden unter Führung der Regionalregierung Kurdistan in Erbil. Der Streit schwelt seit langem und manifestierte sich bisher in gegenseitigen Verbalattacken, Verhandlungen hinter den Kulissen und militärischen Manövern in den „umstrittenen“ Gebieten, jenen historisch von Kurden bewohnten Territorien südlich der drei autonomen Kurdenprovinzen, die Saddam Hussein den Kurden durch massive ethnische Säuberungen brutal entrissen hatte und die u.a. vor allem die von Kurden, aber auch Turkmenen, Arabern und Christen bewohnten ölreichen Region Kirkuk mit einschließt. Hier droht sich die Gewalt dramatisch zu verschärfen.
Seitdem das Zweistromland als Irak 1932 seine Unabhängigkeit erlangte, ist Kirkuk blutiger Zankapfel zwischen den Kurden und der Zentralregierung. Ihren Anspruch auf dieses „Herz Kurdistans“ (wie sie es sehen), dokumentierten die Kurden nun erneut in einer von ihrem Regionalparlament in Erbil gebilligten neuen Verfassung, die kurdische Souveränität über einen großen Teil der „umstrittenen Gebiete“, insbesondere Kirkuk, bekräftigt. Der Schritt löste unter den Arabern in Bagdad helle Empörung aus. 50 arabische Parlamentsmitglieder wiesen die neue kurdische Verfassung energisch zurück, da sie nicht nur den ungeklärten Status von Kirkuk einseitig zugunsten der Kurden lösen wolle, sondern auch eine drastische Einschränkung der Macht der Zentralregierung vorsehe. So zwingt die kurdische Verfassung u.a. die Zentralregierung vor Abschluß internationaler Verträge die auch die Kurdenregion betreffen, die Genehmigung durch die Regionalregierung in Erbil einzuholen. Auf Druck Bagdads wurde nun ein Referendum über die Verfassung, das gemeinsam mit den für 25. Juli geplanten Parlaments- und Präsidentschaftschaftswahlen in der Region Kurdistan abgehalten werden sollte, verschoben.
Doch auch in der bisher weitgehend stabilen Kurdenregion wächst die Unruhe. Während die Wiederwahl Massoud Barzanis als Präsident des autonomen Gebietes gesichert erscheint, könnten die beiden Kurdistan seit langem dominierenden Parteien, die „Kurdische Demokratische Partei“ Barzanis und die „Patriotische Union Kurdistans“, deren Führung Iraks Präsident Talabani nach seinem Ausscheiden aus dem höchsten Staatsamt zu Jahresende wieder übernehmen dürfte, angesichts der starken Unzufriedenheit über Korruption, Misswirtschaft und mangelnder Sozialhilfe für die Masse der Bedürftigen, schwere Schlappen erleiden und damit die Handlungs- und wohl auch die Kompromissfähigkeit der Kurden in dieser kritischen Phase auf dem Weg des Iraks zu Stabilität und Demokratie gefährlich beeinträchtigen.
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erschienen in "Frankfurter Rundschau", 10.7.2009
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Es war das schlimmste Blutbad seit dem Rückzug der US-Truppen aus irakischen Städten am 30. Juni, das Donnerstag in der nordirakischen Stadt Tal Afar mindestens 41 Menschen in den Tod riß. Zugleich starben in Bagdads schiitischer Sadr City mindestens sieben Menschen durch einen Terroranschlag. Die Welle der Gewalt, die viele durch den Rückzug amerikanischer Soldaten befürchtet hatten, droht nun vor allem den Nord-Irak heimzusuchen, wo sich eine Vielzahl ungelöster politischer Konflikte, aufgestauter Emotionen unter der einst vom gestürzten Diktator Saddam Hussein so gequälten kurdischen Bevölkerung, tiefe Frustrationen angesichts der ausgebliebenen Entschädigung und Versöhnung all zu leicht blutig entladen können.
Der Terror der vergangenen Tage rückt zwei unterschiedliche Probleme ins Rampenlicht. Tal Afar, nahe der Grenze zu Syrien gelegen und einst überwiegend von sunnitischen Turkmenen bewohnt, war Hochburg des arabisch-sunnitischen Widerstandes, sowie der Al-Kaida Terroristen in deren blutigen Kampf gegen die US-Besatzer und deren Schützlinge gewesen. Hier hatten sich seit 2003 die grausigsten Gewaltakte ereignet. In einer ungeheuer brutalen Aktion vertrieben Kampfpiloten der US- und NATO-Streitkräfte die gewalttätigen Extremisten aus der Stadt, in die überwiegend nicht-rebellische Schiiten-Turkmenen einzogen. Nun, nach dem Rückzug der US-Truppen aus den Städten sehen die Verjagten, darunter vermutlich auch Al-Kaida Extremisten, die Chance, Tal Afar – neben dem nahegelegenen Mosul – zu ihrem Aktionszentrum für den Kampf gegen die Regierung Maliki in Bagdad aufzubauen. Hier zeigt sich dramatisch das Versagen Premier Malikis, die zerstrittenen Bevölkerungsgruppen miteinander zu versöhnen. „Die ethnischen Säuberungen, die unter den Nasen der US-Militärs im Irak vollzogen wurden, verheißen dem Irak nichts Gutes“, befürchtet der amerikanische Irak-Experte Juan Cole.
Zugleich aber braut sich ein neuer potentiell zerstörerischer Konflikt im Norden zusammen, diesmal zwischen Regierungspartnern in Bagdad: der vom Schiiten Maliki geführten Zentralregierung mit ihrem wichtigsten Koalitionspartner, den Kurden unter Führung der Regionalregierung Kurdistan in Erbil. Der Streit schwelt seit langem und manifestierte sich bisher in gegenseitigen Verbalattacken, Verhandlungen hinter den Kulissen und militärischen Manövern in den „umstrittenen“ Gebieten, jenen historisch von Kurden bewohnten Territorien südlich der drei autonomen Kurdenprovinzen, die Saddam Hussein den Kurden durch massive ethnische Säuberungen brutal entrissen hatte und die u.a. vor allem die von Kurden, aber auch Turkmenen, Arabern und Christen bewohnten ölreichen Region Kirkuk mit einschließt. Hier droht sich die Gewalt dramatisch zu verschärfen.
Seitdem das Zweistromland als Irak 1932 seine Unabhängigkeit erlangte, ist Kirkuk blutiger Zankapfel zwischen den Kurden und der Zentralregierung. Ihren Anspruch auf dieses „Herz Kurdistans“ (wie sie es sehen), dokumentierten die Kurden nun erneut in einer von ihrem Regionalparlament in Erbil gebilligten neuen Verfassung, die kurdische Souveränität über einen großen Teil der „umstrittenen Gebiete“, insbesondere Kirkuk, bekräftigt. Der Schritt löste unter den Arabern in Bagdad helle Empörung aus. 50 arabische Parlamentsmitglieder wiesen die neue kurdische Verfassung energisch zurück, da sie nicht nur den ungeklärten Status von Kirkuk einseitig zugunsten der Kurden lösen wolle, sondern auch eine drastische Einschränkung der Macht der Zentralregierung vorsehe. So zwingt die kurdische Verfassung u.a. die Zentralregierung vor Abschluß internationaler Verträge die auch die Kurdenregion betreffen, die Genehmigung durch die Regionalregierung in Erbil einzuholen. Auf Druck Bagdads wurde nun ein Referendum über die Verfassung, das gemeinsam mit den für 25. Juli geplanten Parlaments- und Präsidentschaftschaftswahlen in der Region Kurdistan abgehalten werden sollte, verschoben.
Doch auch in der bisher weitgehend stabilen Kurdenregion wächst die Unruhe. Während die Wiederwahl Massoud Barzanis als Präsident des autonomen Gebietes gesichert erscheint, könnten die beiden Kurdistan seit langem dominierenden Parteien, die „Kurdische Demokratische Partei“ Barzanis und die „Patriotische Union Kurdistans“, deren Führung Iraks Präsident Talabani nach seinem Ausscheiden aus dem höchsten Staatsamt zu Jahresende wieder übernehmen dürfte, angesichts der starken Unzufriedenheit über Korruption, Misswirtschaft und mangelnder Sozialhilfe für die Masse der Bedürftigen, schwere Schlappen erleiden und damit die Handlungs- und wohl auch die Kompromissfähigkeit der Kurden in dieser kritischen Phase auf dem Weg des Iraks zu Stabilität und Demokratie gefährlich beeinträchtigen.
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erschienen in "Frankfurter Rundschau", 10.7.2009
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Dienstag, 7. Juli 2009
Birgit Cerha: Wettlauf zur Goldgrube Irak
Die Großen der Öl- und anderer Branchen stehen am Start, doch die bitterarmen Iraker wollen den Reichtum in ihrem Boden endlich für sich
„Unser größter Fluch ist das Öl.“ Diese Weisheit brennt den Irakern stets auf den Lippen. Sie haben für das „schwarze Gold“ im Boden des Zweistromlandes seit Generationen bitter bezahlt. Dementsprechend hoch schwingen nun die Emotionen, da das kriegsgebeutelte Land seit dem Abzug der US-Soldaten aus den Städten der heiß ersehnten Souveränität einen wichtigen Schritt näher gerückt ist. Widersprüchliche Gefühle der Menschen und ihrer politischen Führer haben auch sechs Jahre nach der Befreiung von Saddam Hussein eine klare Strategie zur Hebung und Verwertung der unermesslichen Schätze des Landes verhindert. Nichts zeigt dies deutlicher, als das Fiasko einer Auktion von Serviceverträgen über sechs Öl- und zwei Gasfelder, die am 30. Juni den Neustart für Iraks marode Ölindustrie einläuten und durch eine Steigerung der Ölproduktion von derzeit etwa 2,4 Mio. Barrel im Tag auf sechs Mio. bis 2017 dem zerstörten Land den dringend nötigen Wiederaufbau, den Menschen die Basis für ein würdevolles Leben ermöglichen sollte.
Mehr als 30 Ölfirmen, darunter Giganten wie ExxonMobil, Shell, ConocoPhilipps und Total, die sich seit langem für den Wettlauf zu der ihnen vier Jahrzehnte lang versperrten „Goldgrube Irak“ bereit halten, wandten sich empört ab. Lediglich British Petroleum (BP) und die staatliche chinesische Ölgesellschaft CNPC akzeptierten Bagdads harte Bedingungen, um sich für die Zukunft einen klaren Wettbewerbsvorteil zu sichern. BP und sein Partner CNPC müssen nun die Förderkapazität des Rumaila-Feldes, des mit geschätzten 17,7 Mrd. Barrel zweitgrößten im Irak, von derzeit kaum einer Million Barrel im Tag innerhalb von sechs Jahren auf 2,85 Mio. steigern. Ihr Lohn: zwei Dollar pro Barrel, halb so viel wie BP ursprünglich angestrebt hatte, während andere Konzerne gar bis zu 26 Dollar für ihr Engagement gefordert hatten.
Ölminister Shahristani feiert einen „moralischen Sieg“: Der Irak lässt sich seine unermesslichen Schätze weder durch Gewalt, Erpressung oder durch Tricks rauben. „Ja“, so bekräftigt der Minister, „wir setzen alles daran, Iraks Ölschätze zu schützen“. Hatte nicht der damalige US-Vizepräsident Cheney schon 2001, zwei Jahre vor Kriegsbeginn, detaillierte Karten der irakischen Ölfelder, Pipelines, Raffinerien und Terminals, sowie möglicher künftiger Öl- und Gasprojekte anfertigen lassen? Hatte nicht sogar der ehemalige Chef der US-Notenbank Alan Greenspan erbittert festgestellt, „was niemand zugibt, doch jeder weiß: Im Irak-Krieg ging es hauptsächlich um Öl.“ Doch niemand hat es auch sechs Jahre nach Kriegsende bekommen. Ja selbst aus den insbesondere von den Amerikanern so erhofften hochlukrativen Wiederaufbau-Verträgen wurde bisher nichts. 51 Mrd. Dollar hatten die USA für den Wiederaufbau budgetiert, fast alles floss in den Irak, doch das meiste versickerte in Sicherheitsprojekten, der Rest im Chaos aus Terror, Misswirtschaft und Korruption. Nicht einmal die Stromversorgung ist bis heute vollends gesichert.
Sein „moralischer Sieg“ mag zwar Shahristanis Position gegenüber seinen lautstarken nationalistischen Gegnern stärken, doch er stürzt den Irak in ein schweres Dilemma. Das Land verfügt mit 115 Mrd. nachgewiesenen Barrel über neun Prozent der Weltölreserven, nach Saudi-Arabien und dem Iran die drittgrößten weltweit. Doch die „schwarze Goldgrube“ könnte noch unermesslich größer sein. Geologische Studien haben noch 530 Gebiete des Landes als mögliche Ölquellen geortet und nur in einem Viertel davon wurden bisher Probebohrungen durchgeführt.
Die bestehenden Ölfelder sind nach Jahrzehnten der gewaltsamen Turbulenzen, internationalen Sanktionen und Sabotage in miserablem Zustand. Um die angestrebte Produktionssteigerung auf sechs Mio.Barrel zu erreichen, sind nach Schätzungen der Regierung mindestens 50 Mrd.Dollar nötig. Derzeit fehlt Bagdad dafür sowohl das Geld, als auch das Know how.
„Die Zeit ist unser Feind“, fasst eine irakische Parlamentarierin die Dramatik eines der potentiell reichsten, doch schwer traumatisierten Landes der Welt zusammen, in dem mindestens sieben Millionen Menschen mit weniger als umgerechnet zwei Dollar im Tag auskommen müssen und etwa 50 Prozent der werktätigen Bevölkerung keine Arbeit finden. „Wenn nicht endlich Investitionen kommen, und das rasch, dann verlieren wir noch eine weitere Generation.“
Mehr als 90 Prozent des Staatshaushaltes wird durch Ölerträge gespeist und 80 Prozent davon verschlingen derzeit neben den allgemeinen Verwaltungskosten Löhne für Staatsangestellte und Subventionen für lebenswichtige Güter. Da bleibt kurz- und mittelfristig kaum etwas für die ökonomische Sanierung. Bagdad hat deshalb eine „National Investment Commission“ (NIC) gegründet, die sich das ehrgeizige Ziel setzt, bis 2015 nicht weniger als 500 Mrd. Dollar für Wiederaufbau und Entwicklung ins Land zu locken. Abgesehen von Ölmultis, zeigen andere große internationale Unternehmen, wie Barclays, JPMorgan, Societe Generale, Vodafone, Caterpillar etc. ernsthaftes Interesse an einem der attraktivsten Schwellenmärkte der Welt. Der unmittelbare Investitionsbedarf für Infrastruktur und andere Projekte wird auf 80 Mrd. Euro geschätzt. Dabei geht es u.a. um Großaufträge an Siemens und General Electric zur Sanierung der Stromversorgung. Frankreichs Präsident Sarkozy stellte bei einem Besuch in Bagdad klar: „Unsere Zusammenarbeit hat keine Grenzen.“ Außenminister Steinmeier gründete im März ein Servicebüro der deutschen Wirtschaft in Bagdad, eine Zweigstelle soll demnächst im kurdischen Erbil eröffnet werden. Daimler und MAN richteten in Bagdad wieder Niederlassungen ein. Deutsche Qualität, schon unter Saddam Hussein sehr geschätzt, steht auch heute im Zweistromland hoch im Kurs.
NIC bietet ausländischen Unternehmen diverse Anreize, so etwa eine zehnjährige Steuerfreiheit,zollfreie Einfuhren und freier Gewinntransfer ins Ausland. Auch der Erwerb von Grundbesitz soll für ausländische Firmen gestattet werden. Die Regierung hat Projektpläne mit dem unglaublichen Auftragswert von bis zu 65 Mrd. Dollar zusammengestellt, die dem Parlament zur Billigung vorliegen. Der Privatsektor soll „in dieser neuen Ära der Prosperität“ volle Freiheit erhalten, erläuterte Regierungssprecher Ali Al Dabbagh. Besondere Schwerpunkte sind neben der vollen Wiederherstellung des Stromnetzes Straßen, Brücken, Flughäfen, Wasser- und Abwasseranlagen, Abfallbeseitigung, Energie- und Industrieanlagen, Telekom und Krankenhäuser, sowie die dazugehörige Ausstattung und Tourismusprojekte
Doch für Investoren bleiben die Risiken hoch. Neben der immer noch nicht gebannten Gefahr einer erneuten Welle der Gewalt schafft die Tatsache, dass die wichtigsten Grundsatzfragen bis heute nicht geklärt sind, enorme Unsicherheit. Ungelöste politische Konflikte blockieren immer noch die Verabschiedung eines nationalen Ölgesetzes, aber auch anderer gesetzlicher Rahmenbedingungen für Wirtschaft und Investitionen. Iraks Führung hat sich den Ruf als eine der korruptesten der Welt erworben, ein Faktum, das internationale Unternehmer zusätzlich schreckt.
Während Ölkonzerne in den kommenden Monaten auf attraktivere Angebote Bagdads bauen, trübt politische Ungewissheit viele Hoffnungen, denn das Parlament besitzt das Recht, von der Regierung abgeschlossene Verträge durch Veto zu Fall zu bringen. Ein US-Diplomat fasst die Situation zusammen: „Die Bedürfnisse sind groß, die Möglichkeiten sind groß, doch die Herausforderungen sind auch groß.“ Doch der Investitionsminister der Regionalregierung Kurdistan, Herish Muharam, versucht werbend die Dinge zurecht zu rücken: Trotz all der Risiken seien Investitionen im Irak, insbesondere in den kurdischen Provinzen „sicherer als die Wallstreet“.
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Erschienen im Rheinischen Merkur, 9.7.2009
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„Unser größter Fluch ist das Öl.“ Diese Weisheit brennt den Irakern stets auf den Lippen. Sie haben für das „schwarze Gold“ im Boden des Zweistromlandes seit Generationen bitter bezahlt. Dementsprechend hoch schwingen nun die Emotionen, da das kriegsgebeutelte Land seit dem Abzug der US-Soldaten aus den Städten der heiß ersehnten Souveränität einen wichtigen Schritt näher gerückt ist. Widersprüchliche Gefühle der Menschen und ihrer politischen Führer haben auch sechs Jahre nach der Befreiung von Saddam Hussein eine klare Strategie zur Hebung und Verwertung der unermesslichen Schätze des Landes verhindert. Nichts zeigt dies deutlicher, als das Fiasko einer Auktion von Serviceverträgen über sechs Öl- und zwei Gasfelder, die am 30. Juni den Neustart für Iraks marode Ölindustrie einläuten und durch eine Steigerung der Ölproduktion von derzeit etwa 2,4 Mio. Barrel im Tag auf sechs Mio. bis 2017 dem zerstörten Land den dringend nötigen Wiederaufbau, den Menschen die Basis für ein würdevolles Leben ermöglichen sollte.
Mehr als 30 Ölfirmen, darunter Giganten wie ExxonMobil, Shell, ConocoPhilipps und Total, die sich seit langem für den Wettlauf zu der ihnen vier Jahrzehnte lang versperrten „Goldgrube Irak“ bereit halten, wandten sich empört ab. Lediglich British Petroleum (BP) und die staatliche chinesische Ölgesellschaft CNPC akzeptierten Bagdads harte Bedingungen, um sich für die Zukunft einen klaren Wettbewerbsvorteil zu sichern. BP und sein Partner CNPC müssen nun die Förderkapazität des Rumaila-Feldes, des mit geschätzten 17,7 Mrd. Barrel zweitgrößten im Irak, von derzeit kaum einer Million Barrel im Tag innerhalb von sechs Jahren auf 2,85 Mio. steigern. Ihr Lohn: zwei Dollar pro Barrel, halb so viel wie BP ursprünglich angestrebt hatte, während andere Konzerne gar bis zu 26 Dollar für ihr Engagement gefordert hatten.
Ölminister Shahristani feiert einen „moralischen Sieg“: Der Irak lässt sich seine unermesslichen Schätze weder durch Gewalt, Erpressung oder durch Tricks rauben. „Ja“, so bekräftigt der Minister, „wir setzen alles daran, Iraks Ölschätze zu schützen“. Hatte nicht der damalige US-Vizepräsident Cheney schon 2001, zwei Jahre vor Kriegsbeginn, detaillierte Karten der irakischen Ölfelder, Pipelines, Raffinerien und Terminals, sowie möglicher künftiger Öl- und Gasprojekte anfertigen lassen? Hatte nicht sogar der ehemalige Chef der US-Notenbank Alan Greenspan erbittert festgestellt, „was niemand zugibt, doch jeder weiß: Im Irak-Krieg ging es hauptsächlich um Öl.“ Doch niemand hat es auch sechs Jahre nach Kriegsende bekommen. Ja selbst aus den insbesondere von den Amerikanern so erhofften hochlukrativen Wiederaufbau-Verträgen wurde bisher nichts. 51 Mrd. Dollar hatten die USA für den Wiederaufbau budgetiert, fast alles floss in den Irak, doch das meiste versickerte in Sicherheitsprojekten, der Rest im Chaos aus Terror, Misswirtschaft und Korruption. Nicht einmal die Stromversorgung ist bis heute vollends gesichert.
Sein „moralischer Sieg“ mag zwar Shahristanis Position gegenüber seinen lautstarken nationalistischen Gegnern stärken, doch er stürzt den Irak in ein schweres Dilemma. Das Land verfügt mit 115 Mrd. nachgewiesenen Barrel über neun Prozent der Weltölreserven, nach Saudi-Arabien und dem Iran die drittgrößten weltweit. Doch die „schwarze Goldgrube“ könnte noch unermesslich größer sein. Geologische Studien haben noch 530 Gebiete des Landes als mögliche Ölquellen geortet und nur in einem Viertel davon wurden bisher Probebohrungen durchgeführt.
Die bestehenden Ölfelder sind nach Jahrzehnten der gewaltsamen Turbulenzen, internationalen Sanktionen und Sabotage in miserablem Zustand. Um die angestrebte Produktionssteigerung auf sechs Mio.Barrel zu erreichen, sind nach Schätzungen der Regierung mindestens 50 Mrd.Dollar nötig. Derzeit fehlt Bagdad dafür sowohl das Geld, als auch das Know how.
„Die Zeit ist unser Feind“, fasst eine irakische Parlamentarierin die Dramatik eines der potentiell reichsten, doch schwer traumatisierten Landes der Welt zusammen, in dem mindestens sieben Millionen Menschen mit weniger als umgerechnet zwei Dollar im Tag auskommen müssen und etwa 50 Prozent der werktätigen Bevölkerung keine Arbeit finden. „Wenn nicht endlich Investitionen kommen, und das rasch, dann verlieren wir noch eine weitere Generation.“
Mehr als 90 Prozent des Staatshaushaltes wird durch Ölerträge gespeist und 80 Prozent davon verschlingen derzeit neben den allgemeinen Verwaltungskosten Löhne für Staatsangestellte und Subventionen für lebenswichtige Güter. Da bleibt kurz- und mittelfristig kaum etwas für die ökonomische Sanierung. Bagdad hat deshalb eine „National Investment Commission“ (NIC) gegründet, die sich das ehrgeizige Ziel setzt, bis 2015 nicht weniger als 500 Mrd. Dollar für Wiederaufbau und Entwicklung ins Land zu locken. Abgesehen von Ölmultis, zeigen andere große internationale Unternehmen, wie Barclays, JPMorgan, Societe Generale, Vodafone, Caterpillar etc. ernsthaftes Interesse an einem der attraktivsten Schwellenmärkte der Welt. Der unmittelbare Investitionsbedarf für Infrastruktur und andere Projekte wird auf 80 Mrd. Euro geschätzt. Dabei geht es u.a. um Großaufträge an Siemens und General Electric zur Sanierung der Stromversorgung. Frankreichs Präsident Sarkozy stellte bei einem Besuch in Bagdad klar: „Unsere Zusammenarbeit hat keine Grenzen.“ Außenminister Steinmeier gründete im März ein Servicebüro der deutschen Wirtschaft in Bagdad, eine Zweigstelle soll demnächst im kurdischen Erbil eröffnet werden. Daimler und MAN richteten in Bagdad wieder Niederlassungen ein. Deutsche Qualität, schon unter Saddam Hussein sehr geschätzt, steht auch heute im Zweistromland hoch im Kurs.
NIC bietet ausländischen Unternehmen diverse Anreize, so etwa eine zehnjährige Steuerfreiheit,zollfreie Einfuhren und freier Gewinntransfer ins Ausland. Auch der Erwerb von Grundbesitz soll für ausländische Firmen gestattet werden. Die Regierung hat Projektpläne mit dem unglaublichen Auftragswert von bis zu 65 Mrd. Dollar zusammengestellt, die dem Parlament zur Billigung vorliegen. Der Privatsektor soll „in dieser neuen Ära der Prosperität“ volle Freiheit erhalten, erläuterte Regierungssprecher Ali Al Dabbagh. Besondere Schwerpunkte sind neben der vollen Wiederherstellung des Stromnetzes Straßen, Brücken, Flughäfen, Wasser- und Abwasseranlagen, Abfallbeseitigung, Energie- und Industrieanlagen, Telekom und Krankenhäuser, sowie die dazugehörige Ausstattung und Tourismusprojekte
Doch für Investoren bleiben die Risiken hoch. Neben der immer noch nicht gebannten Gefahr einer erneuten Welle der Gewalt schafft die Tatsache, dass die wichtigsten Grundsatzfragen bis heute nicht geklärt sind, enorme Unsicherheit. Ungelöste politische Konflikte blockieren immer noch die Verabschiedung eines nationalen Ölgesetzes, aber auch anderer gesetzlicher Rahmenbedingungen für Wirtschaft und Investitionen. Iraks Führung hat sich den Ruf als eine der korruptesten der Welt erworben, ein Faktum, das internationale Unternehmer zusätzlich schreckt.
Während Ölkonzerne in den kommenden Monaten auf attraktivere Angebote Bagdads bauen, trübt politische Ungewissheit viele Hoffnungen, denn das Parlament besitzt das Recht, von der Regierung abgeschlossene Verträge durch Veto zu Fall zu bringen. Ein US-Diplomat fasst die Situation zusammen: „Die Bedürfnisse sind groß, die Möglichkeiten sind groß, doch die Herausforderungen sind auch groß.“ Doch der Investitionsminister der Regionalregierung Kurdistan, Herish Muharam, versucht werbend die Dinge zurecht zu rücken: Trotz all der Risiken seien Investitionen im Irak, insbesondere in den kurdischen Provinzen „sicherer als die Wallstreet“.
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Erschienen im Rheinischen Merkur, 9.7.2009
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