Montag, 13. Juli 2009

Birgit Cerha: „Ihr Tod soll nicht vergebens sein“

In die weitverbreitete Empörung Ägyptens über den Mord an Marwa Sherbini in Dresden mischen sich zunehmend auch mahnende Stimmen

Sie wurde zur „Märtyrerin des Hedschab“ (des islamischen Schleiers), von den ägyptischen Medien zur Heldin erhoben. Seit fast zwei Wochen beherrschen Wut, Verzweiflung und tiefe Empörung über den Morden der schwangeren ägyptischen Mutter Marwa Sherbini in Dresden die Gemüter der Öffentlichkeit am Nil, die staatlichen und oppositionellen Medien ebenso, wie die rege Blogszene des Landes. Die öffentliche Entschuldigung Angela Merkels für die unfassbare Tat, die sich am 1. Juli vor den Augen des tagenden Gerichts ereignete, Beschwichtigungsversuche deutscher Politiker und Diplomaten vermochten bisher den tiefen, echten Zorn der Ägypter nicht zu stillen. Es sind die nackten Fakten, die schockieren, doch mindestens ebenso die als zögerlich und damit verdächtig rassistisch empfundenen Reaktionen von Politik und Medien. „Wir sind alle Geschöpfe des selben Gottes. Unser Blut ist nicht weniger wert“, lautet eine typische Reaktion vieler empörter Ägypter. Eine gläubige Muslimin wurde innerhalb eines europäischen Gerichtssaals offensichtlich aus keinem anderen Grund getötet, als jenem, dass sie ein islamisches Kopftuch trug, und das von demselben Mann, den sie vor Gericht wegen rassistischer Beleidigung zur Verantwortung zu ziehen suchte.
Es ist die Tatsache, dass der Mörder 18 Mal zustechen konnte und niemand ihn stoppte, dass anschließend ein Polizist den zu Hilfe eilenden Ehemann des Opfers mit seiner Pistole schwer verletzte, die in den Augen vieler Ägypter die deutsche Öffentlichkeit, ja den Staat, der Sicherheitsmaßnahmen im Gericht fahrlässig unterlassen hätte, mitverantwortlich macht. Düstere Verschwörungstheorien gegen Muslime, ja gegen die gesamte islamische Welt werden gesponnen. Und sie fanden noch mehr Nahrung durch die tagelang ausgebliebenen Reaktionen von Politikern und deutschen Medien.

Die Tragödie von Dresden nährt in Ägypten, aber auch anderen Teilen der islamischen Welt das stetig wachsende Gefühl, Opfer einer fatalen Doppelmoral des Westens zu sein. Ägyptische Medien und Blogger erinnern an die große Aufregung in Europa über den Mord an dem niederländischen Filmregisseur Theo Van Gogh durch einen muslimischen Extremisten, während die Tat von Dresden tagelang in Deutschland kaum Aufmerksamkeit erregte. Und dabei, so bemerkt man am Nil, hatte Van Gogh immerhin einen anti-islamischen Film gedreht, während Marwa niemanden beleidigt, keinerlei Vergehen begangen hätte. Oder: Wäre das Opfer eine Jüdin gewesen, hätte es einen Aufschrei gegeben, meint die ägyptische Tageszeitung „Al Shorouk“.

Seit Tagen berichten und analysieren Medien, Blogs und Fernsehen die vermeintliche und bedrohlich wachsende Islamophobie des Westens. Dabei ist nur wenigen bewusst, dass heute allein in Deutschland knapßpß 3,5 Millionen Muslime leben, ihre Religion frei ausüben dürfen und dass es in allen größeren Städten Moscheen gibt.

Gegenüber dem ägyptischen Fernsehen stammelte die tief erschütterte Mutter, Marwa hätte den Preis dafür gezahlt, dass sie stolze Muslimin sei. Sie, eine absolvierte Pharmazeutin, hätte Probleme gehabt, eine Arbeit zu finden, weil sie das islamische Kopftuch trug. Marwas Bruder kündete in den ägyptischen Medien seine Entschlossenheit an, den Mord an seiner Schwester zu rächen.

„Der Mord unterstreicht die dringende Notwendigkeit den wachsenden Rassismus in Europa zu bekämpfen“, mahnt die angesehene Kairoer „Al Ahram“. Und sie zitiert den politischen Aktivisten Amin Iskandar: „Es kommt nicht unerwartet, dass Europa, das den Faschismus und Zionismus hervorbrachte und zwei Weltkriege auslöste Rassismu gegen andere produziert.“ Der Rassismus, so „Al Ahram“, stünde in direkten Zusammenhang mit der Politik. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion hätten die USA als nunmehr einzige Supermacht einen imaginären Feind gesucht und ihn schließlich in extremistischen islamischen Gruppen gefunden.

Viele Ägypter nehmen den Mord von Dresden aber auch zum Anlaß ihrem ohnedies latenten Ärger mit dem eigenen Regime Luft zu machen, dem sie all zu schwache Reaktiion vorwerfen. Manche Kommentatoren erinnern auch daran, wie die das Regime Mubarak die Menschenrechte im eigenen Land mit Füßen tritt.

Während der Fall Marwa Sherbini erneut deutlich das große Imageproblem des Westen in der islamischen Welt erkennen läßt, wird er aber auch allmählich von verschiedenen islamischen Gruppierung als politische und religiöse Waffe in deren jeweiligem Kampf manipuliert. So haben die Moslembrüder, die größte Oppositionsbewegung, etwa bereits begonnen, den Mord von Dresden als neues starkes Argument für den Hedschab einzusetzen, andere versuchen dies insgesamt als zusätzliches Argument im Konflikt zwischen den Islam und dem Westen zu nützen oder auch – wie etwa das iranische Regime, das eine Protestkundgebung vor der deutschen Botschaft in Teheran organisierte – von eigenen Problemen abzulenken.

Demgegenüber richtete Marwas Vater, Ali Sherbini, einen eindringlichen Appell an die islamische Welt und den Westen, Bemühungen zum Dialog zu verstärken. „Ich rufe Europa und den Westen (insgesamt) auf, für einen Moment inne zu halten und Anstrengungen zu machen, den Islam zu verstehen. „Marwas Tod soll nicht vergebens“ gewesen sein.