Dienstag, 7. Juli 2009

Birgit Cerha: Wettlauf zur Goldgrube Irak

Die Großen der Öl- und anderer Branchen stehen am Start, doch die bitterarmen Iraker wollen den Reichtum in ihrem Boden endlich für sich
„Unser größter Fluch ist das Öl.“ Diese Weisheit brennt den Irakern stets auf den Lippen. Sie haben für das „schwarze Gold“ im Boden des Zweistromlandes seit Generationen bitter bezahlt. Dementsprechend hoch schwingen nun die Emotionen, da das kriegsgebeutelte Land seit dem Abzug der US-Soldaten aus den Städten der heiß ersehnten Souveränität einen wichtigen Schritt näher gerückt ist. Widersprüchliche Gefühle der Menschen und ihrer politischen Führer haben auch sechs Jahre nach der Befreiung von Saddam Hussein eine klare Strategie zur Hebung und Verwertung der unermesslichen Schätze des Landes verhindert. Nichts zeigt dies deutlicher, als das Fiasko einer Auktion von Serviceverträgen über sechs Öl- und zwei Gasfelder, die am 30. Juni den Neustart für Iraks marode Ölindustrie einläuten und durch eine Steigerung der Ölproduktion von derzeit etwa 2,4 Mio. Barrel im Tag auf sechs Mio. bis 2017 dem zerstörten Land den dringend nötigen Wiederaufbau, den Menschen die Basis für ein würdevolles Leben ermöglichen sollte.

Mehr als 30 Ölfirmen, darunter Giganten wie ExxonMobil, Shell, ConocoPhilipps und Total, die sich seit langem für den Wettlauf zu der ihnen vier Jahrzehnte lang versperrten „Goldgrube Irak“ bereit halten, wandten sich empört ab. Lediglich British Petroleum (BP) und die staatliche chinesische Ölgesellschaft CNPC akzeptierten Bagdads harte Bedingungen, um sich für die Zukunft einen klaren Wettbewerbsvorteil zu sichern. BP und sein Partner CNPC müssen nun die Förderkapazität des Rumaila-Feldes, des mit geschätzten 17,7 Mrd. Barrel zweitgrößten im Irak, von derzeit kaum einer Million Barrel im Tag innerhalb von sechs Jahren auf 2,85 Mio. steigern. Ihr Lohn: zwei Dollar pro Barrel, halb so viel wie BP ursprünglich angestrebt hatte, während andere Konzerne gar bis zu 26 Dollar für ihr Engagement gefordert hatten.

Ölminister Shahristani feiert einen „moralischen Sieg“: Der Irak lässt sich seine unermesslichen Schätze weder durch Gewalt, Erpressung oder durch Tricks rauben. „Ja“, so bekräftigt der Minister, „wir setzen alles daran, Iraks Ölschätze zu schützen“. Hatte nicht der damalige US-Vizepräsident Cheney schon 2001, zwei Jahre vor Kriegsbeginn, detaillierte Karten der irakischen Ölfelder, Pipelines, Raffinerien und Terminals, sowie möglicher künftiger Öl- und Gasprojekte anfertigen lassen? Hatte nicht sogar der ehemalige Chef der US-Notenbank Alan Greenspan erbittert festgestellt, „was niemand zugibt, doch jeder weiß: Im Irak-Krieg ging es hauptsächlich um Öl.“ Doch niemand hat es auch sechs Jahre nach Kriegsende bekommen. Ja selbst aus den insbesondere von den Amerikanern so erhofften hochlukrativen Wiederaufbau-Verträgen wurde bisher nichts. 51 Mrd. Dollar hatten die USA für den Wiederaufbau budgetiert, fast alles floss in den Irak, doch das meiste versickerte in Sicherheitsprojekten, der Rest im Chaos aus Terror, Misswirtschaft und Korruption. Nicht einmal die Stromversorgung ist bis heute vollends gesichert.

Sein „moralischer Sieg“ mag zwar Shahristanis Position gegenüber seinen lautstarken nationalistischen Gegnern stärken, doch er stürzt den Irak in ein schweres Dilemma. Das Land verfügt mit 115 Mrd. nachgewiesenen Barrel über neun Prozent der Weltölreserven, nach Saudi-Arabien und dem Iran die drittgrößten weltweit. Doch die „schwarze Goldgrube“ könnte noch unermesslich größer sein. Geologische Studien haben noch 530 Gebiete des Landes als mögliche Ölquellen geortet und nur in einem Viertel davon wurden bisher Probebohrungen durchgeführt.

Die bestehenden Ölfelder sind nach Jahrzehnten der gewaltsamen Turbulenzen, internationalen Sanktionen und Sabotage in miserablem Zustand. Um die angestrebte Produktionssteigerung auf sechs Mio.Barrel zu erreichen, sind nach Schätzungen der Regierung mindestens 50 Mrd.Dollar nötig. Derzeit fehlt Bagdad dafür sowohl das Geld, als auch das Know how.

„Die Zeit ist unser Feind“, fasst eine irakische Parlamentarierin die Dramatik eines der potentiell reichsten, doch schwer traumatisierten Landes der Welt zusammen, in dem mindestens sieben Millionen Menschen mit weniger als umgerechnet zwei Dollar im Tag auskommen müssen und etwa 50 Prozent der werktätigen Bevölkerung keine Arbeit finden. „Wenn nicht endlich Investitionen kommen, und das rasch, dann verlieren wir noch eine weitere Generation.“

Mehr als 90 Prozent des Staatshaushaltes wird durch Ölerträge gespeist und 80 Prozent davon verschlingen derzeit neben den allgemeinen Verwaltungskosten Löhne für Staatsangestellte und Subventionen für lebenswichtige Güter. Da bleibt kurz- und mittelfristig kaum etwas für die ökonomische Sanierung. Bagdad hat deshalb eine „National Investment Commission“ (NIC) gegründet, die sich das ehrgeizige Ziel setzt, bis 2015 nicht weniger als 500 Mrd. Dollar für Wiederaufbau und Entwicklung ins Land zu locken. Abgesehen von Ölmultis, zeigen andere große internationale Unternehmen, wie Barclays, JPMorgan, Societe Generale, Vodafone, Caterpillar etc. ernsthaftes Interesse an einem der attraktivsten Schwellenmärkte der Welt. Der unmittelbare Investitionsbedarf für Infrastruktur und andere Projekte wird auf 80 Mrd. Euro geschätzt. Dabei geht es u.a. um Großaufträge an Siemens und General Electric zur Sanierung der Stromversorgung. Frankreichs Präsident Sarkozy stellte bei einem Besuch in Bagdad klar: „Unsere Zusammenarbeit hat keine Grenzen.“ Außenminister Steinmeier gründete im März ein Servicebüro der deutschen Wirtschaft in Bagdad, eine Zweigstelle soll demnächst im kurdischen Erbil eröffnet werden. Daimler und MAN richteten in Bagdad wieder Niederlassungen ein. Deutsche Qualität, schon unter Saddam Hussein sehr geschätzt, steht auch heute im Zweistromland hoch im Kurs.

NIC bietet ausländischen Unternehmen diverse Anreize, so etwa eine zehnjährige Steuerfreiheit,zollfreie Einfuhren und freier Gewinntransfer ins Ausland. Auch der Erwerb von Grundbesitz soll für ausländische Firmen gestattet werden. Die Regierung hat Projektpläne mit dem unglaublichen Auftragswert von bis zu 65 Mrd. Dollar zusammengestellt, die dem Parlament zur Billigung vorliegen. Der Privatsektor soll „in dieser neuen Ära der Prosperität“ volle Freiheit erhalten, erläuterte Regierungssprecher Ali Al Dabbagh. Besondere Schwerpunkte sind neben der vollen Wiederherstellung des Stromnetzes Straßen, Brücken, Flughäfen, Wasser- und Abwasseranlagen, Abfallbeseitigung, Energie- und Industrieanlagen, Telekom und Krankenhäuser, sowie die dazugehörige Ausstattung und Tourismusprojekte

Doch für Investoren bleiben die Risiken hoch. Neben der immer noch nicht gebannten Gefahr einer erneuten Welle der Gewalt schafft die Tatsache, dass die wichtigsten Grundsatzfragen bis heute nicht geklärt sind, enorme Unsicherheit. Ungelöste politische Konflikte blockieren immer noch die Verabschiedung eines nationalen Ölgesetzes, aber auch anderer gesetzlicher Rahmenbedingungen für Wirtschaft und Investitionen. Iraks Führung hat sich den Ruf als eine der korruptesten der Welt erworben, ein Faktum, das internationale Unternehmer zusätzlich schreckt.

Während Ölkonzerne in den kommenden Monaten auf attraktivere Angebote Bagdads bauen, trübt politische Ungewissheit viele Hoffnungen, denn das Parlament besitzt das Recht, von der Regierung abgeschlossene Verträge durch Veto zu Fall zu bringen. Ein US-Diplomat fasst die Situation zusammen: „Die Bedürfnisse sind groß, die Möglichkeiten sind groß, doch die Herausforderungen sind auch groß.“ Doch der Investitionsminister der Regionalregierung Kurdistan, Herish Muharam, versucht werbend die Dinge zurecht zu rücken: Trotz all der Risiken seien Investitionen im Irak, insbesondere in den kurdischen Provinzen „sicherer als die Wallstreet“.
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Erschienen im Rheinischen Merkur, 9.7.2009

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