Hitzige Debatte über die zentrale Rolle der Streitkräfte, Beschützer oder Feind der Demokratie -Türkei könnte als Modell dienen
(Bild: Feldmarschall Mohammed Hussein Tantawi, Vorsitzender des Militärrates)
von Birgit Cerha
Die politische Landschaft am Nil ist höchst konfus und die Emotionen heizen sich immer weiter auf. Seit vor mehr als fünf Monaten eine 25-köpfige Militärjunta Präsident Mubarak zum Rücktritt zwang und in Ägypten die Macht übernahm, folgt der politische Prozeß einem höchst ungewöhnlichen Muster: Besorgt, das Übergangsregime beraube sie um die Früchte ihrer Revolution versammeln sich Demokratie-Aktivisten auf dem inzwischen legendär gewordenen Tahrir-Platz im Zentrum Kairos, um politische Forderungen durchzusetzen; die Regierung, der Höchste Militärrat reagieren mit Zugeständnissen. Sie reichen den Revolutionären nicht. Es folgen erneute Proteste und erneute Zugeständnisse. Jüngster Stand: Ent-Mubarakisierung der Regierung durch die Ernennung von 14 neuen Ministern, deren Angelobung allerdings mehrmals verschoben wurde. Ein weiterer Beweis der Konfusionen.Unter den „Gesäuberten“ aber ist nicht das von den Aktivisten meistgehaßte Regierungsmitglied: Innenminister Mansour El Essawy, dem allzu starkes Zögern bei der Strafverfolgung von Mubarak und dessen Clique, sowie im Kampf gegen die Kultur der Repression und Willkür in der Polizei vorgeworfen wird. „Zu wenig und zu spät“, lautet denn auch der Kommentar der Protestführer zu Premier Essam Scharafs Kabinettsumbildung. Scharaf, so die weitverbreitete Ansicht, sei zu schwach, um sich gegen die Militärs durchzusetzen.
Tatsächlich müssen Ägyptens Revolutionäre mehr und mehr erkennen, dass ein Wechsel der Personen, der Abtritt des autokratischen Herrschers nach drei Jahrzehnten dem Land noch keineswegs den ersehnten Wandel beschert. Denn Ägyptens Problem ist systemimmanent. Es konzentriert sich auf das riesige Militärestablishment, das seit sechs Jahrzehnten die Macht aufeinander folgender Diktatoren untermauerte und sich damit die Dominanz über den Staat, aber auch die Wirtschaft des Landes sicherte.
„Die Armee und das Volk sind eins“, brüllten Zehntausende während der 18-tägigen Revolte gegen Mubarak. Das entsprang Wunschdenken. In Wahrheit ging es den Offizieren primär darum, ihre durch den Volkshaß auf den Präsidenten dramatische bedrohte Macht und ihre Privilegien zu sichern, das Land wieder zur Stabilität zu führen. Sie wandten und wenden bis jetzt dabei altbewährte repressive Methoden an. Mehr als 7.000 weitgehend friedliche Demonstranten wurden seit dem Sturz Mubaraks verhaftet und viele nach glaubwürdigen Berichten gefoltert, unzählige Zivilisten von Militärgerichten abgeurteilt. Das repressive Staatssicherheitssystem wurde nur oberflächlich verändert.
Nur sechs Monate wolle die Junta an der Macht bleiben, hatten die Offiziere im Februar verkündet. Doch erst am 19. Juli ernannten sie eine Kommission, die die ersten Parlamentswahlen der neuen Epoche, nun von September auf November verschoben, vorbereiten soll. Die zwei Monate, die neu formierende, überwiegend säkulare und liberale Parteien damit zur Wahlvorbereitung gewinnen, reichen wohl nicht, um ihre Chancen auf die seit langem hervorragend organisierte Moslembruderschaft zu verbessern. Doch den Ängsten dieser Kreise, die Moslembruderschaft werde das neue Parlament dominieren und einem von diesen gebildeten Komitee zur Erarbeitung einer neuen Verfassung seine – undemokratischen - Wünsche aufzwingen, versucht der Militärrat nun zu zerstreuen. Ein Expertenkomitee erarbeitet nun eine „Erklärung von Grundprinzipien“ für die Erarbeitung einer neuen Verfassung. Danach soll keine politische Gruppierung das Verfassungskomitee dominieren, sollen alle Kräfte der Gesellschaft repräsentativ vertreten sein. Im Zuge dieser Vorbereitungen ist eine heftige Diskussion über die künftige Rolle der Streitkräfte am Nil entbrannt. Hohe Offiziere gaben zu verstehen, dass sie eine Sonderrolle der Streitkräfte in der Verfassung verankert sehen wollen. Das Militär solle der zivilen Kontrolle entzogen bleiben, ein Vetorecht über den demokratischen Prozeß erhalten und – ähnlich wie die türkischen Kollegen – auch das Recht auf Intervention nach eigenem Ermessen, sollten der Säkularismus (durch Islamisten) oder die nationalen Interessen Ägyptens gefährdet sein. Während demokratische Kräfte nun befüchten, nicht eine echte Demokratie, sondern nur eine reformierte Version des vom Militär gestützten autokratischen Regimes werde die Herrschaft Mubaraks ersetzen, , hat das Expertenkomitee keine Sonderrolle der Streitkräfte in seinen Entwurf der „Erklärung von Grundprinzipien“ eingeschlossen. Doch das letzte Wort hat die Junta.
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Donnerstag, 21. Juli 2011
Freitag, 8. Juli 2011
Zermürbendes Patt im Jemen
Ein schwer verletzter Präsident präsentiert sich, hartnäckig an die Macht klammernd, dem Volk, während das Land immer tiefer ins Chaos stürzt
von Birgit Cerha
Seit einem Monat hoffen Jemens Demokratie-Aktivisten, ihre seit Januar anhaltenden friedlichen Proteste gegen das autokratische Regime Ali Abdullah Salehs hätten endlich Erfolg. Die Hoffnung, der durch ein Bombenattentat am 6. Juni offenbar schwer verletzte Präsident werde von seinem Spitalsaufenthalt in Saudi-Arabien nicht mehr heimkehren und den Weg zur Demokratie frei machen, hat sich – zunächst – zerschlagen. Saleh sprach Freitag erstmals seit dem Anschlag , an Brust und Händen bandagiert und mit Brandwunden im Gesicht versehen, über das Staatsfernsehen zu seinen Untertanen. Acht Operationen hätte er sich unterziehen müssen, erklärte er. Doch von Rücktritt will dieser Meister der politischen Überlebenskunst auch weiterhin nichts wissen. Er bietet vage eine Machtteilung an und sein Vizepräsident Abd-Rabbu Mansour Hadi, der derzeit die Amtsgeschäfte führt, präsentiert der Opposition einen neuen Plan zur Lösung der das Land zerreißenden Krise.
Saleh hatte jeden Ausweg aus dem Konflikt mit jugendlichen Aktivisten und Oppositionskräften blockiert, sich zuletzt mehrfach geweigert, einen unter Führung Saudi-Arabiens erarbeiteten Übergangsplan, der seinen Abtritt 30 Tage nach Unterzeichnung eines Übereinkommens mit der Opposition, sowie totale Straffreiheit vorsah, zu unterzeichnen. Hadis neuer Plan sogar noch eine längere Übergangsphase mit Saleh an der Macht vor. Dies, sowie die Straffreiheit dieses zutiefst korrupten Führers ist für die Aktivisten inakzeptabel. Sie wollen, wie ihre Gesinnungsgenossen in Tunesien und Ägypten, endlich die Herrscher, die jahrzehntelang blutig zuschlugen und sich auf Kosten des Volkes massiv bereicherten für ihre Taten zur Verantwortung ziehen.
Dazu gilt es im Jemen noch einen weiten Weg zurück zu legen. Denn, wiewohl der Präsident das Land – vorerst? – verlassen hat, sitzen seine engsten Verwandten unverändert an den Schalthebeln der Macht und kontrollieren den Sicherheitsapparat. Sie haben gigantische Vermögen zu verlieren, während mehr als die Hälfte der Bevölkerung in bitterer Armut verzweifelt.
Dennoch erheben sich allmählich Stimmen, die nach einem Ende der das Land total lähmenden Demonstrationen rufen. Denn der soziale und ökonomische Preis nimmt unerträgliche Ausmaße an. Nach einer Studie des „Economic Media Center“ ist eine wachsende Zahl von Jemeniten von Hunger bedroht. Seit Januar sind die Preise für lebenswichtige Güter um 40 bis 60 Prozent gestiegen, Trinkwasser um 200 und Treibstoff um 900 Prozent. Rund zehntausend Familien können sich nicht mehr ausreichend mit Nahrungsmitteln versorgen. Die sozialen und psychischen Folgen der Krise bedrohen die Zukunft der Bevölkerung.
Zugleich wird das Land zunehmend unregierbar. Insbesondere in dem nach Sezession drängenden Süden nimmt die Gewalt alarmierende Ausmaße an. Diese Anarchie bietet Terrorgruppen der Al-Kaida ein ideales Aktionsfeld.
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Assads Hama-Dilemma
Massen demonstrieren gegen einen Dialog mit dem syrischen Regime – Alte Wunden drohen neue aufzureißen
von Birgit Cerha
In Syrien findet die Gewalt kein Ende. In weiten Teilen des Landes gingen nach dem Freitagsgebet Tausende Menschen mit dem Ruf in die Straßen „Kein Dialog“. Sie beziehen sich damit auf ein für Sonntag geplantes „Konsultativtreffen“ des von Präsident Assad eingesetzten „Komitees für Nationalen Dialog“, das die Basis Konferenz zwischen Vertretern des Regimes und oppositionellen Kräften, sowie unabhängigen Persönlichkeiten zur Lösung der sich stetig zuspitzenden Krise im Lande legen soll. Weite Kreise lehnen solch wenig glaubwürdige Versöhnungsgeste ab, solange gleichzeitig das Morden und die Repression durch das Regime anhalten.
Während Sicherheitskräfte in der Nacht auf Freitag einen Vorort von Damaskus gestürmt hatten, um für Freitag geplante Protestkundgebungen zu verhindern, demonstrierten in der westsyrischen Stadt Hama mehr als hunderttausend Menschen . Menschenrechtsaktivisten berichteten von zivilen Toten, Verwundeten, zahlreichen Festnahmen und Entführungen durc h die Sicherheitskräfte in Damaskus, Schüsse und Einsatz von Tränengas in Homs und der nördlichen Stadt Raqqa. Auch in kurdischen Regionen kam es zu Demonstrationen. Doch die Ereignisse in Hama könnten sich für das Regime als schicksalhaft erweisen.
In Hama, lange Zentrum islamisch-sunnitisch orientierter Opposition, bluten alte Wunden immer noch. Jene grauenvollen Ereignisse von 1982, als Baschars Onkel Rifaat im Auftrag seines Präsidentenbruders Hafez einen Aufstand der Moslembruderschaft mit unfaßbarer Brutalität niederschlug , gelten bis heute in Syrien als Tabu. Doch die mindestens 20.000 Menschen, die die Sicherheitskräfte damals massakrierten, als sie die Stadt aus der Luft und mit Artillerie bombardierten und möglicherweise auch Giftgas einsetzten, bleiben in der Erinnerung der Syrer allgegenwärtig und mit ihnen unter vielen, insbesondere den Angehörigen, Gefühle der Rache am alawitischen Minderheitenregime. Erneute Brutalität gegen Demonstrierende in Hama besitzt damit Explosionskraft. Dennoch töteten Assads Schergen vor wenigen Wochen rund 60 friedliche Demonstranten in der Stadt. Vor einer Woche zogen sich die Sicherheitskräfte allerdings aus Hama zurück, umringten jedoch fast die gesamte Stadt mit Panzern. Die Demonstrationen Freitag erzeugten Hochspannung. Ein militärisches Einschreiten in Hama würde die Revolution zweifellos noch weiter aufheizen und Syriens internationale Isolation wesentlich verschärfen.
Die USA, die sich bisher den Vorwurf ausbleibender Unterstützung für freiheitsuchende syrische Oppositioneller gefallen lassen mußten, ergriffen die Gelegenheit, um durch den Besuch ihres Botschafters Donnerstag und Freitag in Hama Solidarität mit der Bevölkerung zu bekunden. Das Regime protestierte heftig und präsentiert die Aktion des Diplomaten als bisher deutlichsten Beweis für eine seiner wichtigsten Behauptungen: Es kämpfe gegen eine von außen gesteuerte Revolte von Kriminellen und Islamisten.
Doch die einwöchige Ruhe, die in Hama seit dem Abzug der Sicherheitskräfte herrschte, ist ein weiterer Hinweis dafür, dass Syriens Aktivisten Veränderung auf friedlichem Wege suchen. Dennoch mehren sich Anzeichen, dass nicht alle oppositionellen Kräfte totale Gewaltlosigkeit anstreben.
War das Assad-Regime 1982 durch militante Moslembrüder tatsächlich ernsthaft gefährdet , so ist die Bewegung seither längst zerschlagen. Ihre Führer sitzen im Ausland und sie verfügen in Syrien – im Gegensatz zu den 80er Jahren auch über keine Miliz. Assad droht aus diesen Kreisen keinerlei Gefahr. Doch die Stadt ist heute Symbol geworden für die Ratlosigkeit des Regimes, das auf der einen Seite dem Volk den Dialog anbietet, es zugleich jedoch mit Panzern umringt.
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von Birgit Cerha
In Syrien findet die Gewalt kein Ende. In weiten Teilen des Landes gingen nach dem Freitagsgebet Tausende Menschen mit dem Ruf in die Straßen „Kein Dialog“. Sie beziehen sich damit auf ein für Sonntag geplantes „Konsultativtreffen“ des von Präsident Assad eingesetzten „Komitees für Nationalen Dialog“, das die Basis Konferenz zwischen Vertretern des Regimes und oppositionellen Kräften, sowie unabhängigen Persönlichkeiten zur Lösung der sich stetig zuspitzenden Krise im Lande legen soll. Weite Kreise lehnen solch wenig glaubwürdige Versöhnungsgeste ab, solange gleichzeitig das Morden und die Repression durch das Regime anhalten.
Während Sicherheitskräfte in der Nacht auf Freitag einen Vorort von Damaskus gestürmt hatten, um für Freitag geplante Protestkundgebungen zu verhindern, demonstrierten in der westsyrischen Stadt Hama mehr als hunderttausend Menschen . Menschenrechtsaktivisten berichteten von zivilen Toten, Verwundeten, zahlreichen Festnahmen und Entführungen durc h die Sicherheitskräfte in Damaskus, Schüsse und Einsatz von Tränengas in Homs und der nördlichen Stadt Raqqa. Auch in kurdischen Regionen kam es zu Demonstrationen. Doch die Ereignisse in Hama könnten sich für das Regime als schicksalhaft erweisen.
In Hama, lange Zentrum islamisch-sunnitisch orientierter Opposition, bluten alte Wunden immer noch. Jene grauenvollen Ereignisse von 1982, als Baschars Onkel Rifaat im Auftrag seines Präsidentenbruders Hafez einen Aufstand der Moslembruderschaft mit unfaßbarer Brutalität niederschlug , gelten bis heute in Syrien als Tabu. Doch die mindestens 20.000 Menschen, die die Sicherheitskräfte damals massakrierten, als sie die Stadt aus der Luft und mit Artillerie bombardierten und möglicherweise auch Giftgas einsetzten, bleiben in der Erinnerung der Syrer allgegenwärtig und mit ihnen unter vielen, insbesondere den Angehörigen, Gefühle der Rache am alawitischen Minderheitenregime. Erneute Brutalität gegen Demonstrierende in Hama besitzt damit Explosionskraft. Dennoch töteten Assads Schergen vor wenigen Wochen rund 60 friedliche Demonstranten in der Stadt. Vor einer Woche zogen sich die Sicherheitskräfte allerdings aus Hama zurück, umringten jedoch fast die gesamte Stadt mit Panzern. Die Demonstrationen Freitag erzeugten Hochspannung. Ein militärisches Einschreiten in Hama würde die Revolution zweifellos noch weiter aufheizen und Syriens internationale Isolation wesentlich verschärfen.
Die USA, die sich bisher den Vorwurf ausbleibender Unterstützung für freiheitsuchende syrische Oppositioneller gefallen lassen mußten, ergriffen die Gelegenheit, um durch den Besuch ihres Botschafters Donnerstag und Freitag in Hama Solidarität mit der Bevölkerung zu bekunden. Das Regime protestierte heftig und präsentiert die Aktion des Diplomaten als bisher deutlichsten Beweis für eine seiner wichtigsten Behauptungen: Es kämpfe gegen eine von außen gesteuerte Revolte von Kriminellen und Islamisten.
Doch die einwöchige Ruhe, die in Hama seit dem Abzug der Sicherheitskräfte herrschte, ist ein weiterer Hinweis dafür, dass Syriens Aktivisten Veränderung auf friedlichem Wege suchen. Dennoch mehren sich Anzeichen, dass nicht alle oppositionellen Kräfte totale Gewaltlosigkeit anstreben.
War das Assad-Regime 1982 durch militante Moslembrüder tatsächlich ernsthaft gefährdet , so ist die Bewegung seither längst zerschlagen. Ihre Führer sitzen im Ausland und sie verfügen in Syrien – im Gegensatz zu den 80er Jahren auch über keine Miliz. Assad droht aus diesen Kreisen keinerlei Gefahr. Doch die Stadt ist heute Symbol geworden für die Ratlosigkeit des Regimes, das auf der einen Seite dem Volk den Dialog anbietet, es zugleich jedoch mit Panzern umringt.
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Die Geburt des arabischen Bürgers
Der „arabische Frühling“ hat den Mittleren Osten nachhaltig verändert - Gefährliche Hürden auf dem Weg zur Demokratie – doch eine friedfertige, offene Jugend weckt neue Hoffnung
von Birgit Cerha
Als eine tunesische Polizistin dem jungen Obstverkäufer in Sidi Bonazizi eine Ohrfeige verpaßte, da ahnte sie nicht, dass sie mit ihrem Akt der Aggression und Demütigung die Geschichte des Mittleren Ostens nachhaltig verändern würde. Zutiefst frustriert, wie so viele seiner Altersgenossen in der arabischen Welt, über die Aussichtslosigkeit einen Weg aus Armut und Unterdrückung zu finden, übergoss sich der junge Tunesier Mohammed Bonazizi auf dem Marktplatz mit Benzin. Sein „Märtyrertod“ am 17. Dezember 2010 entfachte eine Revolution, wie sie der Mittlere Osten noch nie erlebte. Kaum ein Monat später verließ Diktator Zine el-Abidine Ben Ali nach 24 Jahren der Diktatur das Land. Nach 18 Tagen friedlicher Massenproteste, die das Regime gewaltsam zu zu stoppen versucht hatte, folgte ihm in Ägypten Hosni Mubarak nach 30-jähriger autokratischer Herrschaft.
Ein radikaler geopolitischer Wandel hat die Region erfaßt. Mit seiner Verzweiflungstat hat Bonazizi die Mauer der Furcht, die seit Jahrzehnten die Menschen in arabischen Ländern in verängstigter Unmündigkeit hielt, durchstoßen. Von Marokko bis zum Jemen erhoben sie sich seither gegen die korrupten, repressiven Regime, die ihre legitimen politischen, ökonomischen und sozialen Bedürfnisse so lange so sträflich ignoriert hatten und einer zunehmend gebildeten Jugend eine würdevolle Zukunft verweigern. Die konkreten Ursachen der Rebellionen freilich variieren von Land zu Land. Amnesty International wertet aber den „arabischen Frühling“ als Signal gegen alle repressiven Regime weltweit.
Das Ergebnis dieser Welle der Erneuerung nach jahrzehntelanger quälender politischer Stagnation freilich läßt sich noch nicht absehen. Die Erfolge von Tunesien und Ägypten werden bitter getrübt durch ungeheuerliche Brutalität, mit der sich der Libyer Gadafi, der Tunesier Saleh und der Syrer Assad an die so plötzlich und so massiv bedrohte Macht klammern und all drei dabei ein erstaunliches Phänomen erleben: Gewehrläufe, Folter und Blut treiben nur noch mehr freiheitshungrige Menschen auf die Straßen. Doch trotz Hunderter, ja Tausender Opfer zeichnet sich in diesen drei Ländern vorerst keine Lösung ab. Noch mehr Blut wird fließen, bis die Diktatoren unweigerlich das Feld räumen müssen. Mittelfristig ist ihr Schicksal längst besiegelt, selbst in jenen Ländern, wo die staatliche Repressionsmaschinerie, begleitet von Reformversprechungen – wie etwa in Marokko, in Jordanien oder in Bahrain vorerst reformhungrige Bürger wieder beschwichtigte, oder in Saudi-Arabien Revolten durch massive Geldflüsse im Keim erstickte.
Zu erwähnen sei, was angesichts der aufsehenerregenden Turbulenzen meist übersehen wird: In den beiden arabischen Ländern, die sich bereits in Demokratie üben – Irak und Libanon – haben die vergangenen Monate das Gewaltpotential erneut gefährlich gesteigert.
So ist die Euphorie über den – relativ – friedlichen Sturz der Diktatoren in Tunesien (Bilanz etwa 300 Tote) und Ägypten (mehr als 800) düsteren Gefühlen von Ungewissheit und Angst gewichen. Noch geben diese beiden Länder aber Hoffnung. In Tunesien bildet eine breite, gebildete Mittelschichte, wie nirgends sonstwo in der arabischen Welt die beste Basis für den Aufbau eines demokratischen Systems. Doch kontrarevolutionäre Kräfte des alten Regimes legen beträchtliche Hürden auf diesen Weg. Ähnlich in Ägypten, dessen Schicksal wie das keines anderen arabischen Landes ein Signal setzt für die gesamte Region. Hier zeigt sich noch deutlicher als Tunesien, dass der Abgang des Diktators das Tor zu Freiheit und Mitbestimmung der Bürger noch lange nicht öffnet. Das Militär, seit Jahrzehnten die Stützte des Regimes präsentiert sich zwar als Beschützer und Förderer der von jugendlichen Kräften getragenen Revolution, ist in Wahrheit jedoch ängstlich darauf bedacht, seine eigenen Machtpositionen und Interessen zu wahren, nach Möglichkeit allerdings ohne Blutvergießens. So gelingt es einer disziplinierten, hartnäckig ihre Ziele von Freiheit, Menschenwürde, Mitbestimmung, sozialer Gerechtigkeit und Kampf gegen Korruption verfolgenden Jugendbewegung immer und immer wieder wichtige Forderungen durchzusetzen. Doch die Liste des Unerfüllten ist noch lang.
Sechs Monate seit Beginn des „Arabischen Frühlings“ läßt sich dessen Ausgang nicht absehen, doch so manche Lehre bereits daraus ziehen: Jedes Land muss seine eigenen Lösungen finden. Obwohl der Ursprung der Revolution nationalistischen Charakter trug, werden islamische Bewegungen künftig eine wichtige Rolle spielen. Dabei zeichnet sich aber – in Ägypten bereits stark zu erkennen – eine Spaltung zwischen den dogmatisch orientierten alten Garde und einer weit offeneren, sich zu demokratischen Werten bekennenden jungen Generation ab. Jenseits aller ideologischen Grenzen läßt sich eine Gemeinsamkeit erkennen, die der Region und darüber hinaus der gesamten internationalen Gemeinschaft Hoffnung gibt: eine plötzlich so aktiv gewordene Jugend, die nicht nur enormen Mut, Beharrlichkeit und Disziplin zeigt, sondern – von Ausnahmen abgesehen – entschlossene Gewaltlosigkeit und Friedfertigkeit und die Sehnsucht nach Modernität, die ein Zusammenleben mit der westlichen Welt bedingt. Der angesehene libanesische Analyst Rami Khouri nennt diese Entwicklung „die Geburt des arabischen Bürgers“.
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von Birgit Cerha
Als eine tunesische Polizistin dem jungen Obstverkäufer in Sidi Bonazizi eine Ohrfeige verpaßte, da ahnte sie nicht, dass sie mit ihrem Akt der Aggression und Demütigung die Geschichte des Mittleren Ostens nachhaltig verändern würde. Zutiefst frustriert, wie so viele seiner Altersgenossen in der arabischen Welt, über die Aussichtslosigkeit einen Weg aus Armut und Unterdrückung zu finden, übergoss sich der junge Tunesier Mohammed Bonazizi auf dem Marktplatz mit Benzin. Sein „Märtyrertod“ am 17. Dezember 2010 entfachte eine Revolution, wie sie der Mittlere Osten noch nie erlebte. Kaum ein Monat später verließ Diktator Zine el-Abidine Ben Ali nach 24 Jahren der Diktatur das Land. Nach 18 Tagen friedlicher Massenproteste, die das Regime gewaltsam zu zu stoppen versucht hatte, folgte ihm in Ägypten Hosni Mubarak nach 30-jähriger autokratischer Herrschaft.
Ein radikaler geopolitischer Wandel hat die Region erfaßt. Mit seiner Verzweiflungstat hat Bonazizi die Mauer der Furcht, die seit Jahrzehnten die Menschen in arabischen Ländern in verängstigter Unmündigkeit hielt, durchstoßen. Von Marokko bis zum Jemen erhoben sie sich seither gegen die korrupten, repressiven Regime, die ihre legitimen politischen, ökonomischen und sozialen Bedürfnisse so lange so sträflich ignoriert hatten und einer zunehmend gebildeten Jugend eine würdevolle Zukunft verweigern. Die konkreten Ursachen der Rebellionen freilich variieren von Land zu Land. Amnesty International wertet aber den „arabischen Frühling“ als Signal gegen alle repressiven Regime weltweit.
Das Ergebnis dieser Welle der Erneuerung nach jahrzehntelanger quälender politischer Stagnation freilich läßt sich noch nicht absehen. Die Erfolge von Tunesien und Ägypten werden bitter getrübt durch ungeheuerliche Brutalität, mit der sich der Libyer Gadafi, der Tunesier Saleh und der Syrer Assad an die so plötzlich und so massiv bedrohte Macht klammern und all drei dabei ein erstaunliches Phänomen erleben: Gewehrläufe, Folter und Blut treiben nur noch mehr freiheitshungrige Menschen auf die Straßen. Doch trotz Hunderter, ja Tausender Opfer zeichnet sich in diesen drei Ländern vorerst keine Lösung ab. Noch mehr Blut wird fließen, bis die Diktatoren unweigerlich das Feld räumen müssen. Mittelfristig ist ihr Schicksal längst besiegelt, selbst in jenen Ländern, wo die staatliche Repressionsmaschinerie, begleitet von Reformversprechungen – wie etwa in Marokko, in Jordanien oder in Bahrain vorerst reformhungrige Bürger wieder beschwichtigte, oder in Saudi-Arabien Revolten durch massive Geldflüsse im Keim erstickte.
Zu erwähnen sei, was angesichts der aufsehenerregenden Turbulenzen meist übersehen wird: In den beiden arabischen Ländern, die sich bereits in Demokratie üben – Irak und Libanon – haben die vergangenen Monate das Gewaltpotential erneut gefährlich gesteigert.
So ist die Euphorie über den – relativ – friedlichen Sturz der Diktatoren in Tunesien (Bilanz etwa 300 Tote) und Ägypten (mehr als 800) düsteren Gefühlen von Ungewissheit und Angst gewichen. Noch geben diese beiden Länder aber Hoffnung. In Tunesien bildet eine breite, gebildete Mittelschichte, wie nirgends sonstwo in der arabischen Welt die beste Basis für den Aufbau eines demokratischen Systems. Doch kontrarevolutionäre Kräfte des alten Regimes legen beträchtliche Hürden auf diesen Weg. Ähnlich in Ägypten, dessen Schicksal wie das keines anderen arabischen Landes ein Signal setzt für die gesamte Region. Hier zeigt sich noch deutlicher als Tunesien, dass der Abgang des Diktators das Tor zu Freiheit und Mitbestimmung der Bürger noch lange nicht öffnet. Das Militär, seit Jahrzehnten die Stützte des Regimes präsentiert sich zwar als Beschützer und Förderer der von jugendlichen Kräften getragenen Revolution, ist in Wahrheit jedoch ängstlich darauf bedacht, seine eigenen Machtpositionen und Interessen zu wahren, nach Möglichkeit allerdings ohne Blutvergießens. So gelingt es einer disziplinierten, hartnäckig ihre Ziele von Freiheit, Menschenwürde, Mitbestimmung, sozialer Gerechtigkeit und Kampf gegen Korruption verfolgenden Jugendbewegung immer und immer wieder wichtige Forderungen durchzusetzen. Doch die Liste des Unerfüllten ist noch lang.
Sechs Monate seit Beginn des „Arabischen Frühlings“ läßt sich dessen Ausgang nicht absehen, doch so manche Lehre bereits daraus ziehen: Jedes Land muss seine eigenen Lösungen finden. Obwohl der Ursprung der Revolution nationalistischen Charakter trug, werden islamische Bewegungen künftig eine wichtige Rolle spielen. Dabei zeichnet sich aber – in Ägypten bereits stark zu erkennen – eine Spaltung zwischen den dogmatisch orientierten alten Garde und einer weit offeneren, sich zu demokratischen Werten bekennenden jungen Generation ab. Jenseits aller ideologischen Grenzen läßt sich eine Gemeinsamkeit erkennen, die der Region und darüber hinaus der gesamten internationalen Gemeinschaft Hoffnung gibt: eine plötzlich so aktiv gewordene Jugend, die nicht nur enormen Mut, Beharrlichkeit und Disziplin zeigt, sondern – von Ausnahmen abgesehen – entschlossene Gewaltlosigkeit und Friedfertigkeit und die Sehnsucht nach Modernität, die ein Zusammenleben mit der westlichen Welt bedingt. Der angesehene libanesische Analyst Rami Khouri nennt diese Entwicklung „die Geburt des arabischen Bürgers“.
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Donnerstag, 7. Juli 2011
Ägyptens „zweite Revolution des Zorns“
Das militärische Übergangsregime stürzt in eine Glaubwürdigkeitskrise – Wo bleibt der Wandel zur Demokratie?
von Birgit Cerha
Es soll „der Marsch einer Million“ werden, mit dem Ägyptens jugendliche Aktivisten, unterstützt von Prominenten wie den Präsidentschaftskandidaten und Ex-Chef der Arabischen Liga Amr Moussa, heute, Freitag die „Fortsetzung der Revolution“ durchsetzen wollen. Intensive Sicherheitsvorkehrungen werden am Kairoer Tahrir-Platz getroffen, dem Epizentrum der „Revolution vom 25. Januar“, die Präsident Mubarak in nur 18 Tagen zu Fall gebracht hatte. Denn die Gefahr eines Blutbades ist akut. Ende Juni war es bei einer Demonstration vor dem Innenministerium in Kairo, dem Symbol jahrzehntelanger staatlicher Repression, zu blutigen Zusammenstößen gekommen. Tausend Menschen wurden verletzt. „Banditen“ hatten plötzlich auf die Menge eingeschlagen, von den Sicherheitsbehörden angeheuert, wie Aktivisten vermuten? Doch auch offen ging die Polizei mit Tränengas gegen die Demonstranten vor. Was hat sich im Ägypten nach Mubarak denn tatsächlich verändert, fragen sich immer mehr freiheitshungrige, friedliche Bürger.
Insbesondere Suez, wo die Revolution im Januar ihren Anfang nahm „kocht“ nach Aussagen der Jugendgruppe „ 6. April“, die eine führende Rolle in der Revolte gegen Mubarak gespielt hatte. Die Stimmung in der Stadt hat sich aufgeheizt, seit vor wenigen Tagen 14 der Tötung von friedlichen Demonstranten verdächtigte Polizeioffiziere gegen Kaution freigelassen und der Prozess gegen sie auf September verschoben wurde. „Die Polizei ist unser Feind“, stellt der prominente Blogger Alaa Abd El Fattah fest und er fasst weitverbreitetes Unbehagen zusammen: ungeachtet der Revolution blieben die Polizeieinheiten weitgehend intakt, „bekannte Folterknechte und Totschläger“ würden sogar noch befördert.
Es ist eine Reihe bitterer Beschwerden, die die Ägypter wieder in die Straßen treibt. Da geht es vor allem den Familien der mehr als 800 getöteten Demonstranten darum, dass die Verantwortlichen endlich vor Gericht gestellt werden und sie Entschädigungen erhalten. Während Prozesse gegen Angehörige des gestürzten Regimes hinausgezögert oder der Korruption und des Machtmissbrauchs angeklagte Minister wie eben, freigesprochen werden, arbeiten die Militärgerichte eifrig, um der Gewaltanwendung beschuldigte Demonstranten abzuurteilen. Fast 9000 sind es laut Amnesty International bereits seit Februar. Menschenrechtsorganisationen fordern seit langem, Zivilisten nicht vor Militärgerichte zu stellen. Viele Ägypter werfen dem Höchsten Militärrat, der das Land unter Führung von Feldmarschschall Mohammed Hussein Tantawi in der Übergangsperiode bis zu Parlaments- und Präsidentschaftswahlen führt, vor, dieselben Methoden der Einschüchterung und Unterdrückung anzuwenden, die so viele Ägypter so lange gequält hatten. Immerhin, so der häufig gehörte Vorwurf, sitzen ja mächtige Reste des alten Regimes immer noch auf ihren Posten.
Der Hass vieler trifft zunehmend Tantawi. Der Ruf nach dessen Sturz wird immer lauter. Der amtierende Staatschefs sieht sich einer Flut von Beschwerden von Menschenrechtsorganisationen gegenüber, die die Glaubwürdigkeit des Übergangsregimes tief erschüttert. Vertärkt wird dieser Vertrauensverlust durch den undurchsichtigen hierarchischen Entscheidungsapparat des Militärrates, der u.a. zum Erlass drakonischer Gesetze gegen Steikende führte. „Nicht einmal Mubarak hätte es gewagt, derartige Verordnungen zu erlassen“, protestieren Menschenrechtsorganisationen und unter den bitter armen Arbeitern herrscht Empörung.
Auf politischer Ebene treibt eine eskalierende Diskussion über „Verfassung zuerst“ oder „Parlamentswahlen zuerst“ einen immer tieferen Keil in die nach-revolutionäre Gesellschaft am Nil. Nach einem vom Militärrat erarbeiteten und in einem Referendum über Verfassungsänderungen im März vom Volk abgesegneten Zeitplan sollen Ende September Parlamentswahlen stattfinden und anschließend soll ein vom neuen Parlament eingesetztes Komitee eine neue Verfassung erarbeiten. Dieser Plan verschafft den neuen politischen Bewegungen, insbesondere die für den Sturz Mubaraks so entscheidenden Jugendorganisationen nicht die nötige Zeit, um sich für die neue politische Aufgabe und damit für einen Wahlerfolg zu organisieren. Das Parlament, das eine Verfassung und damit die Basis für eine demokratische Zukunft erarbeiten soll, wird damit wohl die wichtigsten politische Kräfte nicht repräsentieren. Dies wäre „eine enorme Katastrophe“ für Ägypten, meint der Kairoer Verfassungsrechtler Fouad Abdel-Nabi.
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von Birgit Cerha
Es soll „der Marsch einer Million“ werden, mit dem Ägyptens jugendliche Aktivisten, unterstützt von Prominenten wie den Präsidentschaftskandidaten und Ex-Chef der Arabischen Liga Amr Moussa, heute, Freitag die „Fortsetzung der Revolution“ durchsetzen wollen. Intensive Sicherheitsvorkehrungen werden am Kairoer Tahrir-Platz getroffen, dem Epizentrum der „Revolution vom 25. Januar“, die Präsident Mubarak in nur 18 Tagen zu Fall gebracht hatte. Denn die Gefahr eines Blutbades ist akut. Ende Juni war es bei einer Demonstration vor dem Innenministerium in Kairo, dem Symbol jahrzehntelanger staatlicher Repression, zu blutigen Zusammenstößen gekommen. Tausend Menschen wurden verletzt. „Banditen“ hatten plötzlich auf die Menge eingeschlagen, von den Sicherheitsbehörden angeheuert, wie Aktivisten vermuten? Doch auch offen ging die Polizei mit Tränengas gegen die Demonstranten vor. Was hat sich im Ägypten nach Mubarak denn tatsächlich verändert, fragen sich immer mehr freiheitshungrige, friedliche Bürger.
Insbesondere Suez, wo die Revolution im Januar ihren Anfang nahm „kocht“ nach Aussagen der Jugendgruppe „ 6. April“, die eine führende Rolle in der Revolte gegen Mubarak gespielt hatte. Die Stimmung in der Stadt hat sich aufgeheizt, seit vor wenigen Tagen 14 der Tötung von friedlichen Demonstranten verdächtigte Polizeioffiziere gegen Kaution freigelassen und der Prozess gegen sie auf September verschoben wurde. „Die Polizei ist unser Feind“, stellt der prominente Blogger Alaa Abd El Fattah fest und er fasst weitverbreitetes Unbehagen zusammen: ungeachtet der Revolution blieben die Polizeieinheiten weitgehend intakt, „bekannte Folterknechte und Totschläger“ würden sogar noch befördert.
Es ist eine Reihe bitterer Beschwerden, die die Ägypter wieder in die Straßen treibt. Da geht es vor allem den Familien der mehr als 800 getöteten Demonstranten darum, dass die Verantwortlichen endlich vor Gericht gestellt werden und sie Entschädigungen erhalten. Während Prozesse gegen Angehörige des gestürzten Regimes hinausgezögert oder der Korruption und des Machtmissbrauchs angeklagte Minister wie eben, freigesprochen werden, arbeiten die Militärgerichte eifrig, um der Gewaltanwendung beschuldigte Demonstranten abzuurteilen. Fast 9000 sind es laut Amnesty International bereits seit Februar. Menschenrechtsorganisationen fordern seit langem, Zivilisten nicht vor Militärgerichte zu stellen. Viele Ägypter werfen dem Höchsten Militärrat, der das Land unter Führung von Feldmarschschall Mohammed Hussein Tantawi in der Übergangsperiode bis zu Parlaments- und Präsidentschaftswahlen führt, vor, dieselben Methoden der Einschüchterung und Unterdrückung anzuwenden, die so viele Ägypter so lange gequält hatten. Immerhin, so der häufig gehörte Vorwurf, sitzen ja mächtige Reste des alten Regimes immer noch auf ihren Posten.
Der Hass vieler trifft zunehmend Tantawi. Der Ruf nach dessen Sturz wird immer lauter. Der amtierende Staatschefs sieht sich einer Flut von Beschwerden von Menschenrechtsorganisationen gegenüber, die die Glaubwürdigkeit des Übergangsregimes tief erschüttert. Vertärkt wird dieser Vertrauensverlust durch den undurchsichtigen hierarchischen Entscheidungsapparat des Militärrates, der u.a. zum Erlass drakonischer Gesetze gegen Steikende führte. „Nicht einmal Mubarak hätte es gewagt, derartige Verordnungen zu erlassen“, protestieren Menschenrechtsorganisationen und unter den bitter armen Arbeitern herrscht Empörung.
Auf politischer Ebene treibt eine eskalierende Diskussion über „Verfassung zuerst“ oder „Parlamentswahlen zuerst“ einen immer tieferen Keil in die nach-revolutionäre Gesellschaft am Nil. Nach einem vom Militärrat erarbeiteten und in einem Referendum über Verfassungsänderungen im März vom Volk abgesegneten Zeitplan sollen Ende September Parlamentswahlen stattfinden und anschließend soll ein vom neuen Parlament eingesetztes Komitee eine neue Verfassung erarbeiten. Dieser Plan verschafft den neuen politischen Bewegungen, insbesondere die für den Sturz Mubaraks so entscheidenden Jugendorganisationen nicht die nötige Zeit, um sich für die neue politische Aufgabe und damit für einen Wahlerfolg zu organisieren. Das Parlament, das eine Verfassung und damit die Basis für eine demokratische Zukunft erarbeiten soll, wird damit wohl die wichtigsten politische Kräfte nicht repräsentieren. Dies wäre „eine enorme Katastrophe“ für Ägypten, meint der Kairoer Verfassungsrechtler Fouad Abdel-Nabi.
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Montag, 4. Juli 2011
Riads „kalter Krieg“ gegen den Wandel
Mit allen Mitteln versucht das Königshaus, die Stabilität arabischer Autokraten, und damit seine eigene, zu erhalten und zu schützen
von Birgit Cerha
Seit zu Jahresbeginn der „Frühling der Freiheit“ endlich auch die arabische Welt erreichte, haben sich die steten Ängste des Hauses Saud um seine autokratische Herrschaft über einen der reichsten Ölstaaten der Welt dramatisch gesteigert. Demokratiehungrige, friedliche Bürger lösten den traditionellen geostrategischen Rivalen Iran als gefährlichsten Feind der saudischen Monarchie ab. Diesem „Bazillus“ der Freiheit Einhalt zu gebieten, ist seither Hauptanliegen der Führer des Königreiches. Im eigenen Land hat der durchaus etwas reformwillige König Abdullah aber nach ersten Anzeichen einer „Ansteckung“ im März die Mutawas (die traditionell will zuschlagende Religionspolizei) mit großzügigen finanziellen Gaben geschenkt und gestärkt und damit dem Volk die Botschaft vermittelt: Der alte Bund mit dem ultrakonservativen Establishment der Wahabiten, einer extrem puritanischen Glaubensrichtung des Islams, bleibt bestehen. Und rasch haben die Geistlichen jegliche Proteste gegen Herrscher (vor allem die saudischen) als „un-islamisch“ verdammt.
Frauen, die sich einem Verbot widersetzten und ihre Autos selbst steuerten, wurden festgenommen, ein Akademiker, der auf seiner Facebook-Seite über ein Saudi-Arabien ohne der Königsfamilie sinnierte, erhielt eine dreimonatige Gefängnisstrafe. Am härtesten trifft es, wie stets, die schiitische Minderheit in den ölreichen Ostprovinzen. Hunderte wurden bei Demonstrationen für die Freilassung eines führenden Geistlichen festgenommen. Die Botschaft des engsten US-Verbündeten im arabischen Raum ist klar: Nicht der geringste Dissens wird geduldet. Forderungen nach einer konstitutionellen Monarchie finden kein Gehör.
Offen hatte Riad seit Beginn des „arabischen Frühlings“ seine Sympathie für die bedrängten Despoten gezeigt. Persönlich setzte sich Abdullah bei US-Präsident Obama im Februar zugunsten des bedrängten ägyptischen Amtskollegen Mubarak ein. Vergeblich. Zugleich hält Saudi-Arabien nach alter Tradition seine Tore für gestürzte Diktatoren offen. Einst war es der ugandische Schlächter Idi Amin gewesen, der im Königreich ein Leben nach seiner blutigen Herrschaft genießen durfte. Nun genießt der im Januar gestürzte Tunesier Ben Ali sein Dasein in einer Villa am Roten Meer. Jemens Despot Saleh, der sich seit Monate mit Hilfe brutaler Repressionen weigert, den Schrei der Massen nach Demokratie Gehör zu schenken, kuriert in einem Luxus-Hospital in Saudi-Arabien seine durch einen Bombenanschlag zugefügten Wunden aus. Zugleich versucht Riad nach informierten Kreisen alles, um Syriens Diktator Assad die Macht zu erhalten. Die Erhaltung der Stabilität wie sie bisher bestand, des geostrategischen Gleichgewichts besitzt höchste Priorität.
Dabei scheut Riad auch nicht vor Militäreinsatz zurück, weder im eigenen Land noch außerhalb der Grenzen, nicht im Jemen, wo die Saudis vor zwei Jahren Salehs Militär durch eigene Einsätze im Kampf gegen die schiitischen Houthi-Rebellen im Norden intensiv unterstützte. Und schon gar nicht in dem durch einen Damm mit dem Königreich eng verbundenen Bahrain. 1.200 saudische Soldaten haben dort dem durch eine schwer diskriminierte schiitische Minderheit bedrängten sunnitischen Königshaus bei brutaler Niederschlagung des Aufstandes unter gravierender Verletzung der Menschenrechte beigestanden. Eine latente Angst vor Rebellion gegen Repression, insbesondere der eigenen schiitischen Minderheit, bestimmt die Politik des Hauses Saud.
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von Birgit Cerha
Seit zu Jahresbeginn der „Frühling der Freiheit“ endlich auch die arabische Welt erreichte, haben sich die steten Ängste des Hauses Saud um seine autokratische Herrschaft über einen der reichsten Ölstaaten der Welt dramatisch gesteigert. Demokratiehungrige, friedliche Bürger lösten den traditionellen geostrategischen Rivalen Iran als gefährlichsten Feind der saudischen Monarchie ab. Diesem „Bazillus“ der Freiheit Einhalt zu gebieten, ist seither Hauptanliegen der Führer des Königreiches. Im eigenen Land hat der durchaus etwas reformwillige König Abdullah aber nach ersten Anzeichen einer „Ansteckung“ im März die Mutawas (die traditionell will zuschlagende Religionspolizei) mit großzügigen finanziellen Gaben geschenkt und gestärkt und damit dem Volk die Botschaft vermittelt: Der alte Bund mit dem ultrakonservativen Establishment der Wahabiten, einer extrem puritanischen Glaubensrichtung des Islams, bleibt bestehen. Und rasch haben die Geistlichen jegliche Proteste gegen Herrscher (vor allem die saudischen) als „un-islamisch“ verdammt.
Frauen, die sich einem Verbot widersetzten und ihre Autos selbst steuerten, wurden festgenommen, ein Akademiker, der auf seiner Facebook-Seite über ein Saudi-Arabien ohne der Königsfamilie sinnierte, erhielt eine dreimonatige Gefängnisstrafe. Am härtesten trifft es, wie stets, die schiitische Minderheit in den ölreichen Ostprovinzen. Hunderte wurden bei Demonstrationen für die Freilassung eines führenden Geistlichen festgenommen. Die Botschaft des engsten US-Verbündeten im arabischen Raum ist klar: Nicht der geringste Dissens wird geduldet. Forderungen nach einer konstitutionellen Monarchie finden kein Gehör.
Offen hatte Riad seit Beginn des „arabischen Frühlings“ seine Sympathie für die bedrängten Despoten gezeigt. Persönlich setzte sich Abdullah bei US-Präsident Obama im Februar zugunsten des bedrängten ägyptischen Amtskollegen Mubarak ein. Vergeblich. Zugleich hält Saudi-Arabien nach alter Tradition seine Tore für gestürzte Diktatoren offen. Einst war es der ugandische Schlächter Idi Amin gewesen, der im Königreich ein Leben nach seiner blutigen Herrschaft genießen durfte. Nun genießt der im Januar gestürzte Tunesier Ben Ali sein Dasein in einer Villa am Roten Meer. Jemens Despot Saleh, der sich seit Monate mit Hilfe brutaler Repressionen weigert, den Schrei der Massen nach Demokratie Gehör zu schenken, kuriert in einem Luxus-Hospital in Saudi-Arabien seine durch einen Bombenanschlag zugefügten Wunden aus. Zugleich versucht Riad nach informierten Kreisen alles, um Syriens Diktator Assad die Macht zu erhalten. Die Erhaltung der Stabilität wie sie bisher bestand, des geostrategischen Gleichgewichts besitzt höchste Priorität.
Dabei scheut Riad auch nicht vor Militäreinsatz zurück, weder im eigenen Land noch außerhalb der Grenzen, nicht im Jemen, wo die Saudis vor zwei Jahren Salehs Militär durch eigene Einsätze im Kampf gegen die schiitischen Houthi-Rebellen im Norden intensiv unterstützte. Und schon gar nicht in dem durch einen Damm mit dem Königreich eng verbundenen Bahrain. 1.200 saudische Soldaten haben dort dem durch eine schwer diskriminierte schiitische Minderheit bedrängten sunnitischen Königshaus bei brutaler Niederschlagung des Aufstandes unter gravierender Verletzung der Menschenrechte beigestanden. Eine latente Angst vor Rebellion gegen Repression, insbesondere der eigenen schiitischen Minderheit, bestimmt die Politik des Hauses Saud.
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