Das militärische Übergangsregime stürzt in eine Glaubwürdigkeitskrise – Wo bleibt der Wandel zur Demokratie?
von Birgit Cerha
Es soll „der Marsch einer Million“ werden, mit dem Ägyptens jugendliche Aktivisten, unterstützt von Prominenten wie den Präsidentschaftskandidaten und Ex-Chef der Arabischen Liga Amr Moussa, heute, Freitag die „Fortsetzung der Revolution“ durchsetzen wollen. Intensive Sicherheitsvorkehrungen werden am Kairoer Tahrir-Platz getroffen, dem Epizentrum der „Revolution vom 25. Januar“, die Präsident Mubarak in nur 18 Tagen zu Fall gebracht hatte. Denn die Gefahr eines Blutbades ist akut. Ende Juni war es bei einer Demonstration vor dem Innenministerium in Kairo, dem Symbol jahrzehntelanger staatlicher Repression, zu blutigen Zusammenstößen gekommen. Tausend Menschen wurden verletzt. „Banditen“ hatten plötzlich auf die Menge eingeschlagen, von den Sicherheitsbehörden angeheuert, wie Aktivisten vermuten? Doch auch offen ging die Polizei mit Tränengas gegen die Demonstranten vor. Was hat sich im Ägypten nach Mubarak denn tatsächlich verändert, fragen sich immer mehr freiheitshungrige, friedliche Bürger.
Insbesondere Suez, wo die Revolution im Januar ihren Anfang nahm „kocht“ nach Aussagen der Jugendgruppe „ 6. April“, die eine führende Rolle in der Revolte gegen Mubarak gespielt hatte. Die Stimmung in der Stadt hat sich aufgeheizt, seit vor wenigen Tagen 14 der Tötung von friedlichen Demonstranten verdächtigte Polizeioffiziere gegen Kaution freigelassen und der Prozess gegen sie auf September verschoben wurde. „Die Polizei ist unser Feind“, stellt der prominente Blogger Alaa Abd El Fattah fest und er fasst weitverbreitetes Unbehagen zusammen: ungeachtet der Revolution blieben die Polizeieinheiten weitgehend intakt, „bekannte Folterknechte und Totschläger“ würden sogar noch befördert.
Es ist eine Reihe bitterer Beschwerden, die die Ägypter wieder in die Straßen treibt. Da geht es vor allem den Familien der mehr als 800 getöteten Demonstranten darum, dass die Verantwortlichen endlich vor Gericht gestellt werden und sie Entschädigungen erhalten. Während Prozesse gegen Angehörige des gestürzten Regimes hinausgezögert oder der Korruption und des Machtmissbrauchs angeklagte Minister wie eben, freigesprochen werden, arbeiten die Militärgerichte eifrig, um der Gewaltanwendung beschuldigte Demonstranten abzuurteilen. Fast 9000 sind es laut Amnesty International bereits seit Februar. Menschenrechtsorganisationen fordern seit langem, Zivilisten nicht vor Militärgerichte zu stellen. Viele Ägypter werfen dem Höchsten Militärrat, der das Land unter Führung von Feldmarschschall Mohammed Hussein Tantawi in der Übergangsperiode bis zu Parlaments- und Präsidentschaftswahlen führt, vor, dieselben Methoden der Einschüchterung und Unterdrückung anzuwenden, die so viele Ägypter so lange gequält hatten. Immerhin, so der häufig gehörte Vorwurf, sitzen ja mächtige Reste des alten Regimes immer noch auf ihren Posten.
Der Hass vieler trifft zunehmend Tantawi. Der Ruf nach dessen Sturz wird immer lauter. Der amtierende Staatschefs sieht sich einer Flut von Beschwerden von Menschenrechtsorganisationen gegenüber, die die Glaubwürdigkeit des Übergangsregimes tief erschüttert. Vertärkt wird dieser Vertrauensverlust durch den undurchsichtigen hierarchischen Entscheidungsapparat des Militärrates, der u.a. zum Erlass drakonischer Gesetze gegen Steikende führte. „Nicht einmal Mubarak hätte es gewagt, derartige Verordnungen zu erlassen“, protestieren Menschenrechtsorganisationen und unter den bitter armen Arbeitern herrscht Empörung.
Auf politischer Ebene treibt eine eskalierende Diskussion über „Verfassung zuerst“ oder „Parlamentswahlen zuerst“ einen immer tieferen Keil in die nach-revolutionäre Gesellschaft am Nil. Nach einem vom Militärrat erarbeiteten und in einem Referendum über Verfassungsänderungen im März vom Volk abgesegneten Zeitplan sollen Ende September Parlamentswahlen stattfinden und anschließend soll ein vom neuen Parlament eingesetztes Komitee eine neue Verfassung erarbeiten. Dieser Plan verschafft den neuen politischen Bewegungen, insbesondere die für den Sturz Mubaraks so entscheidenden Jugendorganisationen nicht die nötige Zeit, um sich für die neue politische Aufgabe und damit für einen Wahlerfolg zu organisieren. Das Parlament, das eine Verfassung und damit die Basis für eine demokratische Zukunft erarbeiten soll, wird damit wohl die wichtigsten politische Kräfte nicht repräsentieren. Dies wäre „eine enorme Katastrophe“ für Ägypten, meint der Kairoer Verfassungsrechtler Fouad Abdel-Nabi.
Donnerstag, 7. Juli 2011
Ägyptens „zweite Revolution des Zorns“
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