Massen demonstrieren gegen einen Dialog mit dem syrischen Regime – Alte Wunden drohen neue aufzureißen
von Birgit Cerha
In Syrien findet die Gewalt kein Ende. In weiten Teilen des Landes gingen nach dem Freitagsgebet Tausende Menschen mit dem Ruf in die Straßen „Kein Dialog“. Sie beziehen sich damit auf ein für Sonntag geplantes „Konsultativtreffen“ des von Präsident Assad eingesetzten „Komitees für Nationalen Dialog“, das die Basis Konferenz zwischen Vertretern des Regimes und oppositionellen Kräften, sowie unabhängigen Persönlichkeiten zur Lösung der sich stetig zuspitzenden Krise im Lande legen soll. Weite Kreise lehnen solch wenig glaubwürdige Versöhnungsgeste ab, solange gleichzeitig das Morden und die Repression durch das Regime anhalten.
Während Sicherheitskräfte in der Nacht auf Freitag einen Vorort von Damaskus gestürmt hatten, um für Freitag geplante Protestkundgebungen zu verhindern, demonstrierten in der westsyrischen Stadt Hama mehr als hunderttausend Menschen . Menschenrechtsaktivisten berichteten von zivilen Toten, Verwundeten, zahlreichen Festnahmen und Entführungen durc h die Sicherheitskräfte in Damaskus, Schüsse und Einsatz von Tränengas in Homs und der nördlichen Stadt Raqqa. Auch in kurdischen Regionen kam es zu Demonstrationen. Doch die Ereignisse in Hama könnten sich für das Regime als schicksalhaft erweisen.
In Hama, lange Zentrum islamisch-sunnitisch orientierter Opposition, bluten alte Wunden immer noch. Jene grauenvollen Ereignisse von 1982, als Baschars Onkel Rifaat im Auftrag seines Präsidentenbruders Hafez einen Aufstand der Moslembruderschaft mit unfaßbarer Brutalität niederschlug , gelten bis heute in Syrien als Tabu. Doch die mindestens 20.000 Menschen, die die Sicherheitskräfte damals massakrierten, als sie die Stadt aus der Luft und mit Artillerie bombardierten und möglicherweise auch Giftgas einsetzten, bleiben in der Erinnerung der Syrer allgegenwärtig und mit ihnen unter vielen, insbesondere den Angehörigen, Gefühle der Rache am alawitischen Minderheitenregime. Erneute Brutalität gegen Demonstrierende in Hama besitzt damit Explosionskraft. Dennoch töteten Assads Schergen vor wenigen Wochen rund 60 friedliche Demonstranten in der Stadt. Vor einer Woche zogen sich die Sicherheitskräfte allerdings aus Hama zurück, umringten jedoch fast die gesamte Stadt mit Panzern. Die Demonstrationen Freitag erzeugten Hochspannung. Ein militärisches Einschreiten in Hama würde die Revolution zweifellos noch weiter aufheizen und Syriens internationale Isolation wesentlich verschärfen.
Die USA, die sich bisher den Vorwurf ausbleibender Unterstützung für freiheitsuchende syrische Oppositioneller gefallen lassen mußten, ergriffen die Gelegenheit, um durch den Besuch ihres Botschafters Donnerstag und Freitag in Hama Solidarität mit der Bevölkerung zu bekunden. Das Regime protestierte heftig und präsentiert die Aktion des Diplomaten als bisher deutlichsten Beweis für eine seiner wichtigsten Behauptungen: Es kämpfe gegen eine von außen gesteuerte Revolte von Kriminellen und Islamisten.
Doch die einwöchige Ruhe, die in Hama seit dem Abzug der Sicherheitskräfte herrschte, ist ein weiterer Hinweis dafür, dass Syriens Aktivisten Veränderung auf friedlichem Wege suchen. Dennoch mehren sich Anzeichen, dass nicht alle oppositionellen Kräfte totale Gewaltlosigkeit anstreben.
War das Assad-Regime 1982 durch militante Moslembrüder tatsächlich ernsthaft gefährdet , so ist die Bewegung seither längst zerschlagen. Ihre Führer sitzen im Ausland und sie verfügen in Syrien – im Gegensatz zu den 80er Jahren auch über keine Miliz. Assad droht aus diesen Kreisen keinerlei Gefahr. Doch die Stadt ist heute Symbol geworden für die Ratlosigkeit des Regimes, das auf der einen Seite dem Volk den Dialog anbietet, es zugleich jedoch mit Panzern umringt.
Freitag, 8. Juli 2011
Assads Hama-Dilemma
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen