Während die
Terrormiliz des „IS“ in Syrien und im Irak ihre territoriale Basis
verliert, baut sich der Rivale „Al-Kaida“ im Chaos des Jemens zu
einzigartiger Stärke auf
von Birgit Cerha
Das
„Kalifat“ der Terrormiliz des „Islamischen Staates“ (IS) bricht in
Syrien, und im Irak zusammen. Die Jihadis können kaum noch ihre letzten
Bastionen halten. Während ihr Territorium dahinschmilzt, erlebt ihr
Rivale „Al Kaida auf der Arabische Halbinsel“ (AKAH), die längst zur
Hauptgruppe des Terrornetzwerkes aufgestiegene Organisation, im
kollabierenden Armenhaus Jemen einen Boom.
Im Schatten
des Syrienkrieges, von der Weltöffentlichkeit ignoriert, erleiden die
27,5 Millionen Jemeniten eine der weltweit schlimmsten Katastrophen der
vergangenen Jahrzehnte – und dies weitgehend von den reichsten Staaten
der Welt verbrochen bzw. toleriert. Vergeblich versucht die UNO das
Weltgewissen aufzurütteln: 18,8 Millionen, mehr als zweidrittel der
Bevölkerung, benötigen dringend humanitäre Hilfe, etwa 3,3 Millionen,
darunter 2,1 Millionen Kinder sind durch eine jahrelange von
Saudi-Arabien organisierte Blockade aller Transportwege für
lebenswichtige Güter akut unterernährt. 63.000 Kinder starben im Vorjahr
und 2017 droht die weltweit schlimmste Hungerkatastrophe. Dennoch hat
das UN-Flüchtlingshochkomissariat für sein Jemen-Budget 2017 von der
Weltgemeinschaft nur sieben Prozent erhalten, nicht genug für die
allerdringendste Nothilfe.
Diese
gigantische humanitäre Katastrophe hat Saudi-Arabien gezielt
herbeigeführt, um mit humanitärem Druck den Jemen endlich voll in seinen
Einflussbereich zu zwingen. Seit zwei Jahren bombardieren Flugzeuge aus
Saudi-Arabien und der von ihm geführten arabischen Allianz massiv
zivile Ziele im ganzen Land. Die Zahl der Opfer wächst dramatisch. Mehr
als 10.000 Tote sind es bereits, überwiegend Zivilisten. Saudische
Bomber zerstören die ohnedies brüchige Infrastruktur, Tankstellen,
Fabriken, Spitäler, Schulen, bombardieren Märkte, Trauerfeiern für
Verstorbene. Sie setzen – aus England gelieferte, international
geächtete Streubomben ein. Die Liste der Kriegsverbrechen wird immer
länger, Verbrechen die ohne militärische Hilfe der USA und
Großbritanniens kaum möglich wären. US-Präsident Obama hatte deshalb
gegen Ende seiner Präsidentschaft die Lieferung von Rüstungsgütern auf
der Basis eines mit Riad geschlossenen 1,15 Mrd.Dollar Abkommens
gestoppt. Unter seinem Nachfolger hat das Außenministerium diese
Verordnung aufgehoben. Noch muss Präsident Trump den weiteren
Waffenlieferungen an das kriegerische Ölreich zustimmen, doch alles
deutet auf engere Kooperation hin, offiziell in Washington als Kampf
gegen islamistischen Terror deklariert. In Wahrheit richtet sich Riads
Krieg aber keineswegs gegen AKAH, sondern gegen die Huthi-Milizen,
Angehörige der schiitischen Zaiditen, die fast 50 Prozent der
Bevölkerung stellen. Die kampferprobten Huthis repräsentieren einen
großen Teil der Zaiditen, die sich seit langem gegen die Diskriminierung
ihrer Bevölkerungsgruppe wehren. Sie zählen aus religiösen Gründen zu
den Erzfeinden radikaler Islamisten.
Der aktuelle
Konflikt geht auf den „Arabischen Frühling“ zurück, als
demokratiehungrige Jemeniten 2012 den Rücktritt Diktator Ali Abdulla
Salehs erzwangen. Er wurde von seinem Stellvertreter Mansur
Hadi als Übergangspräsident abgelöst. Doch Hadi löste seine
Demokratie-Versprechen nicht ein. So drangen die Huthis, mit dem von
Teilen des Militärs unterstützten Saleh von ihrem nord-jemenitischen
Kerngebiet Richtung Süden vor, eroberen die Hauptstadt Sanaa, zwangen
Hadi ins saudische Exil und eroberten weite Landesteile.Im März 2015
eröffnete Saudi-Arabien einen massiven Luftkrieg, der zwar die Huthis
aus dem Süden zurückdrängte, doch nicht aus Sanaa. Seit Monaten herrscht weitgehend ein militärisches Patt. Keiner kann diesen Krieg gewinnen, doch alle Vermittlungsbemühungen
scheiterten am Siegeswillen der beiden Seiten, insbesondere
Saudi-Arabiens, das seinen verheerenden Feldzug längst als Teil des
geopolitische Rivalitätskampfes mit seinem Erzfeind Iran interpretiert,
den angeblichen Schirmherrn der Huthis. In Wahrheit aber war es erst
diese intensive Propaganda und die massive milititär-technologische
Übermacht der Saudis, die Teheran zunehmend zur Unterstützung der Huthis
animierte .
In diesem
Schlamassel nützt Al-Kaida geschickt ihre Chance. Im Gegensatz zum IS
operiert sie klug und geduldig. Auch Ihr Ziel ist ein islamischer Staat,
doch Priorität hat der Aufbau eines stabilen Emirats im Jemen. Die
Chancen stehen gut. Um sich die Unterstützung der mächtigen Stämme zu
sichern, verzichtet AKAH auf brutale Durchsetzung des islamischen Rechts
und präsentiert sich als Schutzmacht für die von allen Seiten
attackierte Zivilbevölkerung.
Trump hat
rasch Obamas Kampf gegen Al-Kaida verschärft, einen Krieg, der sich als
kontraproduktiv erwies. Denn die zahllosen Drohnenattacken töteten zwar
eine Reihe führender Jihadi-Kommandanten getötet, aber regelmäßig auch
Zivilisten und nährten damit den Hass auf die USA, sowie die Sympathie
für Al-Kaida. Diese Strategie stärkt AKAH, die über zahlreiche Kader
verfügt,um die Getöteten rasch ersetzen und Zulauf aus der verängstigten
Zivilbevölkerung erhält. So ist AKAH laut „International Crisis Group“
heute „stärker denn je zuvor“, stützt sich auf Allianzen mit mächtigen,
selbst mit Saudi-Arabien verbündeten Stammesführern und wird von Riads
aggressiven Kampfpiloten geschont. Ihre Zukunft erscheint sicher je
tiefer der Jemen im Chaos versinkt.
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