Montag, 27. März 2017

Auf dem Weg zum neuen islamischen Staat

Während die Terrormiliz des „IS“ in Syrien und im Irak ihre territoriale Basis verliert, baut sich der Rivale „Al-Kaida“ im Chaos des Jemens zu einzigartiger Stärke auf
 
von Birgit Cerha
 
Das „Kalifat“ der Terrormiliz des „Islamischen Staates“ (IS) bricht in Syrien, und im Irak zusammen. Die Jihadis können kaum noch ihre letzten Bastionen halten. Während ihr Territorium dahinschmilzt, erlebt ihr Rivale „Al Kaida auf der Arabische Halbinsel“ (AKAH), die längst zur Hauptgruppe des Terrornetzwerkes aufgestiegene Organisation, im kollabierenden Armenhaus Jemen einen Boom.
 
Im Schatten des Syrienkrieges, von der Weltöffentlichkeit ignoriert, erleiden die 27,5 Millionen Jemeniten eine der weltweit schlimmsten Katastrophen der vergangenen Jahrzehnte – und dies weitgehend von den reichsten Staaten der Welt verbrochen bzw. toleriert. Vergeblich versucht die UNO das Weltgewissen aufzurütteln: 18,8 Millionen, mehr als zweidrittel der Bevölkerung, benötigen dringend humanitäre Hilfe, etwa 3,3 Millionen, darunter 2,1 Millionen Kinder sind durch eine jahrelange von Saudi-Arabien organisierte Blockade aller Transportwege für lebenswichtige Güter akut unterernährt. 63.000 Kinder starben im Vorjahr und 2017 droht die weltweit schlimmste Hungerkatastrophe. Dennoch hat das UN-Flüchtlingshochkomissariat für sein Jemen-Budget 2017 von der Weltgemeinschaft nur sieben Prozent erhalten, nicht genug für die allerdringendste Nothilfe.
Diese gigantische humanitäre Katastrophe hat Saudi-Arabien gezielt herbeigeführt, um mit humanitärem Druck den Jemen endlich voll in seinen Einflussbereich zu zwingen. Seit zwei Jahren bombardieren Flugzeuge aus Saudi-Arabien und der von ihm geführten arabischen Allianz massiv zivile Ziele im ganzen Land. Die Zahl der Opfer wächst dramatisch. Mehr als 10.000 Tote sind es bereits, überwiegend Zivilisten. Saudische Bomber zerstören die ohnedies brüchige Infrastruktur, Tankstellen, Fabriken, Spitäler, Schulen, bombardieren Märkte, Trauerfeiern für Verstorbene. Sie setzen – aus England gelieferte, international geächtete Streubomben ein. Die Liste der Kriegsverbrechen wird immer länger, Verbrechen die ohne militärische Hilfe der USA und Großbritanniens kaum möglich wären. US-Präsident Obama hatte deshalb gegen Ende seiner Präsidentschaft die Lieferung von Rüstungsgütern auf der Basis eines mit Riad geschlossenen 1,15 Mrd.Dollar Abkommens gestoppt. Unter seinem Nachfolger hat das Außenministerium diese Verordnung aufgehoben. Noch muss Präsident Trump den weiteren Waffenlieferungen an das kriegerische Ölreich zustimmen, doch alles deutet auf engere Kooperation hin, offiziell in Washington als Kampf gegen islamistischen Terror deklariert. In Wahrheit richtet sich Riads Krieg aber keineswegs gegen AKAH, sondern gegen die Huthi-Milizen, Angehörige der schiitischen Zaiditen, die fast 50 Prozent der Bevölkerung stellen. Die kampferprobten Huthis repräsentieren einen großen Teil der Zaiditen, die sich seit langem gegen die Diskriminierung ihrer Bevölkerungsgruppe wehren. Sie zählen aus religiösen Gründen zu den Erzfeinden radikaler Islamisten.
Der aktuelle Konflikt geht auf den „Arabischen Frühling“ zurück, als demokratiehungrige Jemeniten 2012 den Rücktritt Diktator Ali Abdulla Salehs erzwangen. Er wurde von seinem Stellvertreter  Mansur Hadi als Übergangspräsident abgelöst. Doch Hadi löste seine Demokratie-Versprechen nicht ein. So drangen die Huthis, mit dem von Teilen des Militärs unterstützten Saleh von ihrem nord-jemenitischen Kerngebiet Richtung Süden vor, eroberen die Hauptstadt Sanaa, zwangen Hadi ins saudische Exil und eroberten weite Landesteile.Im März 2015 eröffnete Saudi-Arabien einen massiven Luftkrieg, der zwar die Huthis aus dem Süden zurückdrängte, doch nicht aus Sanaa. Seit  Monaten herrscht weitgehend ein militärisches Patt. Keiner kann diesen Krieg gewinnen, doch alle  Vermittlungsbemühungen scheiterten am Siegeswillen der beiden Seiten, insbesondere Saudi-Arabiens, das seinen verheerenden Feldzug längst als Teil des geopolitische Rivalitätskampfes mit seinem Erzfeind Iran interpretiert, den angeblichen Schirmherrn der Huthis. In Wahrheit aber war es erst diese intensive Propaganda und die massive milititär-technologische Übermacht der Saudis, die Teheran zunehmend zur Unterstützung der Huthis animierte .
In diesem Schlamassel nützt Al-Kaida geschickt ihre Chance. Im Gegensatz zum IS operiert sie klug und geduldig. Auch Ihr Ziel ist ein islamischer Staat, doch Priorität hat der Aufbau eines stabilen Emirats im Jemen. Die Chancen stehen gut. Um sich die Unterstützung der mächtigen Stämme zu sichern, verzichtet AKAH auf brutale Durchsetzung des islamischen Rechts und präsentiert sich als Schutzmacht für die von allen Seiten attackierte Zivilbevölkerung.
Trump hat rasch Obamas Kampf gegen Al-Kaida verschärft, einen Krieg, der sich als kontraproduktiv erwies. Denn die zahllosen Drohnenattacken töteten zwar eine Reihe führender Jihadi-Kommandanten getötet, aber regelmäßig auch Zivilisten und nährten damit den Hass auf die USA, sowie die Sympathie für Al-Kaida. Diese Strategie stärkt AKAH, die über zahlreiche Kader verfügt,um die Getöteten rasch ersetzen und Zulauf aus der verängstigten Zivilbevölkerung erhält. So ist AKAH laut „International Crisis Group“ heute „stärker denn je zuvor“, stützt sich auf Allianzen mit mächtigen, selbst mit Saudi-Arabien verbündeten Stammesführern und wird von Riads aggressiven Kampfpiloten geschont. Ihre Zukunft erscheint sicher je tiefer der Jemen im Chaos versinkt.

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