Streit um
Rolle der Kurden im Kampf gegen den „IS“ droht zu eine offenen Konflik
zwischen Ankara und Washington auszuarten, in dem Russland kräftig
mitmischt
In Syrien
zeigen sich beängstigende Vorboten neuer Konflikte, die den Krieg
gefährlich auszuweiten drohen. So setzt nun, von der Weltöffentlichkeit
wenig beachtet, die Türkei unter krassen Bruch internationalen Rechts
die Wasserwaffe ein. Ankara stoppte den Zufluss des Euphrat, der in
Südostanatolien entspringt und über Syrien in den Irak fließt. Er ist
Syriens weitaus wichtigster Lebensquell. Im Norden des Landes
aufgestaut, versorgt er eine Region, in der vor Kriegsbeginn rund sechs
Millionen Menschen lebten, mit Wasser und Strom und bewässert ein
landwirtschaftliches Gebiet von 640.000 km2. Schon ist der Wasserstand
des Tischrin-Stausees so stark gesunken, dass die Turbinen im Kraftwerk
abgestellt werden mussten. Tausende Menschen sind betroffen und viele
mehr werden es bald in Syrien und im Irak sein, wenn die Türkei an der
Blockade festhält.
Schon
in der Vergangenheit hatte Ankara mit der Wasserwaffe politische Ziele
verfolgt. Nun geht es offenbar darum, die Kurden massiv unter Druck zu
setzen, um Ankaras strategische Interessen in Nord-Syrien durchzusetzen.
Unter Führung der „Partei der demokratischen Union“ (PYD) hatten Syriens Kurden vor einem Jahr ihre drei autonomen Kantone Jezira, Kobani und Afrin im Grenzgebiet zur Türkei zu
einer föderalen Region erklärt, in der sie sich autonom verwalten
wollen. Ein Alptraum für die Türkei, die befürchtet, solche Entwicklung
würde ihre massiv unterdrückte kurdische Minderheit zu ähnlichen Zielen
aufstacheln. De facto praktiziert PYD Selbstverwaltung in den drei
Kantonen mit eindrucksvollem Erfolg bereits seit Jahren. Es ist eine der
stabilsten Regionen Syriens und genau dies dürfte die Türkei u.a.mit Hilfe der Wasserwaffe zu untergaben wollen.
Hauptbetroffen
vom Wasser- und Stromengpass ist die Zivilbevölkerung in Mambidsch, der
strategisch wichtigen Stadt, die PYDs militärischer Arm, die
„Volksverteidigungseinheiten“ (YPG), im August 2016 von der Terrormiliz
des „Islamischen Staates“ (IS) befreit hatte. Seit Monaten versuchen die
Türken vergeblich, die Kurden aus der Stadt und deren Umgebung zu
verjagen. Nun, da syrische Rebellen mit türkischer Militärhilfe die
Stadt Bab, nahe der Grenze zur Türkei, eroberten, drohte Präsident
Erdogan eine Militäroffensive gegen die Kurden in Mambidsch an. Um
einen offenen Krieg zwischen der Türkei und den Kurden zu verhindern,
vermittelte Russland ein Abkommen zwischen Syriens Präsidenten Assad und
der PYD, nach dem die Kurden die Kontrolle über Mambidsch und
umliegende Gebiete an Regierungstruppen übergaben, um so den kurdischen
Kämpfern den Rücken für eine Offensive gegen die „Hauptstadt“ des IS,
Rakka, freizuhalten. Doch vorerst toben in desem Gebiet Kämpfe zwischen
Türken und Kurden.
Kontrolle
über Mambidsch ist entscheidend für den Erfolg der türkischen Operation
„Schutzschild Euphrat“, offiziell im Oktober 2016 gestartet, um das
nordsyrische Grenzgebiet von IS-Aktivisten zu befreien, in Wahrheit
aber, um zu verhindern, dass die Kurden eine Verbindung zwischen den
beiden Kantonen Jezira und Kobane mit der entfernter gelegenen Enklave
Afrin herstellen und sich im gesamten Grenzgebiet zur Türkei autonom
verwalten. Mindestens 8.000 türkische Soldaten kontrollieren derzeit mit
Panzern und schwerer Artillerie, von der türkischen Luftwaffe
unterstützt, laut offiziellem Ankara ein 1.900 km2 großes Gebiet. Und
Erdogan zeigt sich zum weiteren Vormarsch mit dem Ziel entschlossen,
eine 5000 km2 große „Schutzzone“ zu erobern, die auch das tief in Syrien
gelegene Rakka miteinschließen soll. Dort will er die mehr als zwei
Millionen syrischen Flüchtlinge aus der Türkei unterbringen und zugleich
den Traum der Kurden von Selbstverwaltung endgültig zerstören. Erdogan
legt damit hochexplosiven Sprengstoff für
neue blutige Konflikte. Assad und seine Verbündeten Russland, wie der
Iran wollen einen weiteren Vormarsch der türkischen Armee nicht
hinnehmen. Syriens Minister für Nationale Versöhnung, Ali Haidar,
kritisiert die türkische Invasion scharf und kündigte eine Entscheidung
der höchsten militärischen und politischen Führung in Damaskus an, die
„aggressive Präsenz“ der türkischen Armee in Nord-Syrien zu bekämpfen.
Eine direkte Konfrontation zwischen der syrischen Armee und vor allem
den schlagkräftigen, mit Assad verbündeten schiitischen Milizen aus dem
Iran, Irak und Libanon mit der türkischen Armee würde dem sechsjährigen
Krieg eine neue gefährliche Dimension verleihen.
Vorerst
sehen Ankaras NATO-Verbündete USA dem bedrohlichen Treiben tatenlos zu.
US-Militärs lehnten bisher die Forderung Erdogans ab, PYD, die weitaus
schlagkräftigsten Bodentruppe in Syrien, aus der Offensive gegen Rakka
auszuschließen. Wird US-Präsident Trump durch Beharren auf dieser
Position eine Verschärfung der bereits angespannten Beziehungen
hinnehmen? Oder wird er die Türken in die Offensive mit einschließen und
damit nicht nur die langjährigen kurdischen Verbündeten verraten,
sondern auch neue Konflikte mit den Russen riskieren? Schon stellte
Präsident Putin klar, dass er die Schaffung einer türkischen Pufferzone
verhindern wolle. Erdogans Truppen sind in Nord-Syrien isoliert. Der
ehrgeizige Türke sucht nun Hilfe bei den Golfstaaten, um seine
regionalpolitischen Pläne zu verwirklichen: arabische Truppen sollen,
wie es offiziell heißt, den IS besiegen, in Wahrheit aber, die Kurden an
den Rand zu drängen. Schon lässt Erdogan in der von ihm kontrollierten
nordsyrischen Provinz Idlib Jihadis durch Katar neu aufrüsten. Die
Zeichen stehen auf Sturm.
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