Mittwoch, 8. Februar 2017

Sisis „Republik der Panik“

Sechs Jahre nach dem Sturz Diktator Mubaraks herrschen in Ägypten Unterdrückung und Angst wie nie zuvor – Nur wenige haben die Hoffnung nicht verloren
 
von Birgit Cerha
 
„Wir sind auf dem rechten Kurs.“ Ägyptens Militärdiktator Abd al Fatah al Sisi gibt sich den Anschein von Zuversicht, während sein Volk der 18 euphorischen Tage gedenkt, der Revolution der Massen, die am 11. Februar 2011 Hosni Mubarak, im Volksmund vielsagend der „Pharao“ genannt, nach drei Jahrzehnten der Diktatur vom Thron stürzten. Doch der Sieg der freiheitshungrigen, überwiegend jungen Menschen am Nil bietet sechs Jahre später keinen Anlass zur Feier. Ihre Rebellion brachte nicht die erhofften Veränderungen, ihre Forderungen, im revolutionären Slogan „Brot, Freiheit, soziale Gerechtigkeit und Würde“ zusammengefasst, blieben unerfüllt. „Republik der Panik“, nennt der führende unabhängige Oppositionspolitiker Abul Fotuh, Chef der Partei „Starkes Ägypten“, die Schöpfung Sisis, der 2013 in einem Militärputsch den ersten freigewählten Präsidenten, den Moslembruder Mursi, stürzte, um den Weg Ägyptens in eine islamistische Diktatur zu blockieren. Nun sind die Revolutionäre, all jene Millionen, die sich nach Veränderung sehnen, wieder am Nullpunkt angelangt. Nein, vielen erscheint es gar noch schlimmer, und viele Enttäuschte, Verzweifelte, Verbitterte fragen sich: war all die Mühe, all das Engagement, waren die zahlreichen Blutopfer der Revolution, war all dies wert gewesen?  Eine definitve Antwort finden sie nicht.
Sisi, von breiten Bevölkerungskreisen – ausgenommen vor allem Millionen Anhänger der Moslembruderschaft – mehr oder weniger zaghaft als „Retter des Vaterlandes“ in seinem Coup unterstützt, präsentierte sich als der „ultimative Garant“ für die Wiederherstellung der Stabilität und verbesserter Lebensbedingungen. Für dieses Ziel gewann er auch die mächtigen Demokratie-Gegner für sich. Doch dreieinhalb Jahre nach Sisis Aufstieg zur Macht herrscht am Nil nicht nur nach alter Tradition wieder ein Militärdiktator, das Bild des Landes verschlimmert sich dramatisch. Der Druck der freiheitshungrigen Massen brachte zwar Mubarak zu Fall, doch die staatlichen Institutionen und mit ihnen das tief eingefressene Krebsübel der Korruption, Hauptursache für die himmelschreienden sozialen Missstände,  blieben unverändert erhalten. Sisi strebte von Anfang an nicht nach Reformen in diesem Bereich, will er sich doch den Rückhalt in der mächtigen Staatselite erhalten. Sein Plan zur „Rettung Ägyptens“ konzentrierte sich fast ausschließlich auf die Herstellung der Sicherheit im Lande und vor allem für sein Regime. Politische Gegner, all, die auch nur die leiseste Kritik an seiner Führung wagen, wurden zum Ziel einer Repression, die das an Diktatoren gewohnte Ägypten kaum zuvor gesehen hat.  Sisi zog als Lehre der Revolution, dass die Herrschaft der Angst Stabilität garantiert. Mubarak war brutal, doch nicht brutal genug.
So raubte Sisi der Zivilgesellschaft jeglichen Freiraum. „Amnesty International“ spricht von einer „beispiellosen Krise der Menschenrechte“. Ägyptens „neuer Autoritarismus“, stellt die „Carnegie“-Denkfabrik fest, „setzt verschiedene Taktiken und Mittel ein, die von totaler Repression, über Verabschiedung undemokratischer Gesetzte bis zur Manipulation der Justiz gehen“. Der Staatsapparat habe „die Kontrollmechanismen zwischen dem dominierenden militärischen Sicherheitskomplex und den geschwächten zivilen Teil“ verloren.
Zwischen 2017 und Anfang 2017 wurden laut diversen Menschenrechtsorganisationen etwa 60.000 Menschen ihaftiert, überwiegend Anhänger Mursis, zunehmend aber auch linke und säkulare Aktivisten. Der Staat baut nun zehn neue Haftanstalten. Täglich verschwinden im Schnitt drei bis vier Personen. Im Vorjahr registrierten lokale Menschenrechtsorganisationen 754 Fälle von außergerichtlichen Tötungen.  Folter ist seit langem System.  „Die Repression ermöglichte es der Junta, ein Klima der Angst und der Bevölkerung zu verbreiten, Aktivitäten der und Widerstand in der Zivilgesellschaft, sowie jegliche Politik rivalisierender Kräfte zu ersticken.
Es herrscht Friedhofsruhe. Die Terrorgefahr insbesondere durch radikale Islamisten ist mit solchen Methoden aber längst, insbesondere im Sinai, wo der radikale Islamismus längst Fuß faste, aber auch in anderen Teilen Ägyptens.
Nährboden für Unruhen und Terror schafft die anhaltende sozio-ökonomische Stagnation. Die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse verbessern sich nicht. Ganz im Gegenteil. Die Arbeitslosigkeit stieg seit 2011 um 3,5 Prozent, sie liegt heute bei mehr als 12 Prozent, die Armutsrate bei 27,8 Prozent. Die wirtschaftliche Malaise verschlimmert sich durch das Ausbleiben der jahrelangen großzügigen Finanzhilfe insbesondere aus Saudi-Arabien und anderen Golfstaaten. So sah sich Sisi gezwungen, die für einen Zwölf-Milliarden-Kredit der Weltbank nötigen Bedingungen zu erfüllen. Kürzungen von Subventionen und Abwertung der Landeswährung treffen die Armen, aber auch die Mittelschicht massiv. Im Dezember und Januar schnellte die Inflation auf 25 Prozent in die Höhe, die Löhne sanken real um 50 Prozent.
Sisi steckt selbst in einem existentiellen Dilemma. Er fühlt sich gezwungen, die konterrevolutionäre Repression mit allen Mitteln fortzusetzen und gleichzeitig die riesige Kleptokratie der Elite aufrechtzuerhalten, um seine politische Basis zu schützen, zugleich aber seiner Wirtschaftspolitik Glaubwürdigkeit zu verschaffen und die krassen sozialen Gegensätze abzubauen, um eine soziale Revolution zu verhindern.
Freilich, nach den jahrelangen, teils blutigen Unruhen ist die Bevölkerung erschöpft und zeigt keine Lust zu erneuter Rebellion. Viele haben die Hoffnung verloren, wie jener Aktivist meint, der, wie die meisten heute, seinen Namen lieber verschweigt: „Unter Mubarak hatten wir die Illusion einer Revolution, die uns zum Sieg führt. Heute aber können wir nicht einmal mehr davon träumen.“
Dennoch, Sisis neuer, so brutaler Auitoritarismus mit seinen massiven Verletzungen der Menschen rechte erweist sich als größte Gefahr für Ägyptens Stabilität und Sicherheit.
 

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