Sechs Jahre nach dem Sturz Diktator Mubaraks herrschen in Ägypten
Unterdrückung und Angst wie nie zuvor – Nur wenige haben die Hoffnung
nicht verloren
von Birgit Cerha
„Wir sind auf dem rechten Kurs.“ Ägyptens Militärdiktator Abd al
Fatah al Sisi gibt sich den Anschein von Zuversicht, während sein Volk
der 18 euphorischen Tage gedenkt, der Revolution der Massen, die am 11.
Februar 2011 Hosni Mubarak, im Volksmund vielsagend der „Pharao“
genannt, nach drei Jahrzehnten der Diktatur vom Thron stürzten. Doch der
Sieg der freiheitshungrigen, überwiegend jungen Menschen am Nil bietet
sechs Jahre später keinen Anlass zur Feier. Ihre Rebellion brachte nicht
die erhofften Veränderungen, ihre Forderungen, im revolutionären Slogan
„Brot, Freiheit, soziale Gerechtigkeit und Würde“ zusammengefasst,
blieben unerfüllt. „Republik der Panik“, nennt der führende unabhängige
Oppositionspolitiker Abul Fotuh, Chef der Partei „Starkes Ägypten“, die
Schöpfung Sisis, der 2013 in einem Militärputsch den ersten
freigewählten Präsidenten, den Moslembruder Mursi, stürzte, um den Weg
Ägyptens in eine islamistische Diktatur zu blockieren. Nun sind die
Revolutionäre, all jene Millionen, die sich nach Veränderung sehnen,
wieder am Nullpunkt angelangt. Nein, vielen erscheint es gar noch
schlimmer, und viele Enttäuschte, Verzweifelte, Verbitterte fragen sich:
war all die Mühe, all das Engagement, waren die zahlreichen Blutopfer
der Revolution, war all dies wert gewesen? Eine definitve Antwort
finden sie nicht.
Sisi, von breiten Bevölkerungskreisen – ausgenommen vor allem
Millionen Anhänger der Moslembruderschaft – mehr oder weniger zaghaft
als „Retter des Vaterlandes“ in seinem Coup unterstützt, präsentierte
sich als der „ultimative Garant“ für die Wiederherstellung der
Stabilität und verbesserter Lebensbedingungen. Für dieses Ziel gewann er
auch die mächtigen Demokratie-Gegner für sich. Doch dreieinhalb Jahre
nach Sisis Aufstieg zur Macht herrscht am Nil nicht nur nach alter
Tradition wieder ein Militärdiktator, das Bild des Landes verschlimmert
sich dramatisch. Der Druck der freiheitshungrigen Massen brachte zwar
Mubarak zu Fall, doch die staatlichen Institutionen und mit ihnen das
tief eingefressene Krebsübel der Korruption, Hauptursache für die
himmelschreienden sozialen Missstände, blieben unverändert erhalten.
Sisi strebte von Anfang an nicht nach Reformen in diesem Bereich, will
er sich doch den Rückhalt in der mächtigen Staatselite erhalten. Sein
Plan zur „Rettung Ägyptens“ konzentrierte sich fast ausschließlich auf
die Herstellung der Sicherheit im Lande und vor allem für sein Regime.
Politische Gegner, all, die auch nur die leiseste Kritik an seiner
Führung wagen, wurden zum Ziel einer Repression, die das an Diktatoren
gewohnte Ägypten kaum zuvor gesehen hat. Sisi zog als Lehre der
Revolution, dass die Herrschaft der Angst Stabilität garantiert. Mubarak
war brutal, doch nicht brutal genug.
So raubte Sisi der Zivilgesellschaft jeglichen Freiraum. „Amnesty
International“ spricht von einer „beispiellosen Krise der
Menschenrechte“. Ägyptens „neuer Autoritarismus“, stellt die
„Carnegie“-Denkfabrik fest, „setzt verschiedene Taktiken und Mittel ein,
die von totaler Repression, über Verabschiedung undemokratischer
Gesetzte bis zur Manipulation der Justiz gehen“. Der Staatsapparat habe
„die Kontrollmechanismen zwischen dem dominierenden militärischen
Sicherheitskomplex und den geschwächten zivilen Teil“ verloren.
Zwischen 2017 und Anfang 2017 wurden laut diversen
Menschenrechtsorganisationen etwa 60.000 Menschen ihaftiert, überwiegend
Anhänger Mursis, zunehmend aber auch linke und säkulare Aktivisten. Der
Staat baut nun zehn neue Haftanstalten. Täglich verschwinden im Schnitt
drei bis vier Personen. Im Vorjahr registrierten lokale
Menschenrechtsorganisationen 754 Fälle von außergerichtlichen Tötungen.
Folter ist seit langem System. „Die Repression ermöglichte es der
Junta, ein Klima der Angst und der Bevölkerung zu verbreiten,
Aktivitäten der und Widerstand in der Zivilgesellschaft, sowie jegliche
Politik rivalisierender Kräfte zu ersticken.
Es herrscht Friedhofsruhe. Die Terrorgefahr insbesondere durch
radikale Islamisten ist mit solchen Methoden aber längst, insbesondere
im Sinai, wo der radikale Islamismus längst Fuß faste, aber auch in
anderen Teilen Ägyptens.
Nährboden für Unruhen und Terror schafft die anhaltende
sozio-ökonomische Stagnation. Die wirtschaftlichen und sozialen
Verhältnisse verbessern sich nicht. Ganz im Gegenteil. Die
Arbeitslosigkeit stieg seit 2011 um 3,5 Prozent, sie liegt heute bei
mehr als 12 Prozent, die Armutsrate bei 27,8 Prozent. Die
wirtschaftliche Malaise verschlimmert sich durch das Ausbleiben der
jahrelangen großzügigen Finanzhilfe insbesondere aus Saudi-Arabien und
anderen Golfstaaten. So sah sich Sisi gezwungen, die für einen
Zwölf-Milliarden-Kredit der Weltbank nötigen Bedingungen zu erfüllen.
Kürzungen von Subventionen und Abwertung der Landeswährung treffen die
Armen, aber auch die Mittelschicht massiv. Im Dezember und Januar
schnellte die Inflation auf 25 Prozent in die Höhe, die Löhne sanken
real um 50 Prozent.
Sisi steckt selbst in einem existentiellen Dilemma. Er fühlt sich
gezwungen, die konterrevolutionäre Repression mit allen Mitteln
fortzusetzen und gleichzeitig die riesige Kleptokratie der Elite
aufrechtzuerhalten, um seine politische Basis zu schützen, zugleich aber
seiner Wirtschaftspolitik Glaubwürdigkeit zu verschaffen und die
krassen sozialen Gegensätze abzubauen, um eine soziale Revolution zu
verhindern.
Freilich, nach den jahrelangen, teils blutigen Unruhen ist die
Bevölkerung erschöpft und zeigt keine Lust zu erneuter Rebellion. Viele
haben die Hoffnung verloren, wie jener Aktivist meint, der, wie die
meisten heute, seinen Namen lieber verschweigt: „Unter Mubarak hatten
wir die Illusion einer Revolution, die uns zum Sieg führt. Heute aber
können wir nicht einmal mehr davon träumen.“
Dennoch, Sisis neuer, so brutaler Auitoritarismus mit seinen
massiven Verletzungen der Menschen rechte erweist sich als größte Gefahr
für Ägyptens Stabilität und Sicherheit.
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