Angesichts der Welle von Terror, Entführungen und Morden, kann das Christentum in seiner nahöstlichen Geburtsregion überleben?
„Sie haben mein Auto zerstört, meine Kirche vor meinen Augen in
Brand gesteckt. Sie haben mir ins Bein geschossen. Neun Tage lang haben
sie mich gefangen gehalten , meine Nase, meine Zähne mit einem Hammer
eingeschlagen, einen Wirbel gebrochen. Christ sein im Irak ist eine
unmögliche Mission“, klagt der Priester Douglas Bazi. „Wie können meine
Glaubensbrüder hier och existieren?“
Schergen des „Islamischen Staates“ IS stecken Häuser in Brand, wenn
Christen zögern, die „Jizya“ („Schutzgeld“, das laut Koran Christen und
Juden das Überleben sichert) zu bezahlen. Geistliche werden gekreuzigt,
Männer, Frauen, ja Kinder getötet, weil sie sich weigern, zum Islam
überzutreten – im irakischen Mosul, im syrischen Rakka oder in Aleppo,
wo das Regime eben den von überwiegend islamistischen Rebellen
kontrollierten Ostteil erobert hat. Im Irak, in Syrien, in Ägypten legen
radikale Islamisten Bomben in Kirchen, töten Dutzende betende
Gläubige, schänden Gräber von Christen und anderen Minderheiten, wie
Yeziden, nehmen Männer, Frauen, Mädchen als Geiseln, verüben
Massenmorde. „Wir haben keine Waffen, keine Munition, wir schmelzen
dahin wie Kerzen.“ Können unsere Stimmen überhaupt noch Gehör finden“,
klagt ein christlicher Führer in Syrien.
Die Bilder von 21 ägyptischen Kopten, die 2015 an der libyschen
Mittelmeerküste vom IS enthauptet wurden, bleiben unvergessen. Es sind
nur kleine Ausschnitte der Barbareien, die die Existenz der Christen und
anderen Minderheiten im Orient bedroht. Zahlen sprechen für sich:
Zwischen 1910 und 2010 sank der Prozentsatz der Christen unter der
Bevölkerung der Region von 14 auf vier Prozent. In der Türkei kann man
kaum noch von einer christlichen Minderheit sprechen: 1915 lebten unter
einer Bevölkerung von 15 Millionen auf dem Gebiet der heutigen Türkei
4,5 Millionen Christen, ihre Zahl schrumpfte auf 120.000 (weniger als
ein Prozent der heute 80 Millionen-Bevölkerung). Im April beschlagnahmte
der Staat in Südostanatolien sechs Kirchen. Von dem Aderlass besonders
hart betroffen sind die vom IS heimgesuchten Länder Syrien und der Irak.
Seit dem Sturz des Diktators Saddam Hussein 2003 sank die Zahl der
Christen im Irak von 1,5 Millionen auf kaum mehr als 250.000. 60 Kirchen
wurden zerstört, Bischöfe und Priester ermordet.
In Syrien lebten bis zu Beginn der Rebellion gegen Diktator Assad
mehr als zwei Millionen Christen (rund zehn Prozent der Bevölkerung).
Allein in dem seit 2014 umkämpften Aleppo, harrten bis heute von den
einst 300.000 Christen nur etwa 40.000 aus, die meisten in den vom
Regime kontrollierten Stadtteil. Insgesamt flüchteten Hunderttausende
syrische Christen in den für sie sicheren Libanon und nach Jordanien,
deren Stabilität allerdings durch den wachsenden sozialen Druck und die
Kriegsturbulenzen der Region bedroht ist. Wiewohl der Libanon das
einzige Land der Region ist, in dem die Christen politische Macht
ausüben, schrumpfte ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung von 78 Prozent
der vor hundert Jahren auf dem Gebiet des heutigen Staates Lebenden auf
34.
Auch in Ägypten, das mit mehr als acht Millionen Kopten (rund zehn
Prozent der Bevölkerung) die größte christliche Gemeinde des Orients
beherbergt, hat das 2011 durch den „Arabischen Frühling“ geschaffene
Machtvakuum den Druck auf die Christen radikal verschlimmert. Gestürzte
oder bedrängte Diktatoren, wie der Ägypter Mubarak, der Iraker Saddam
Hussein oder der Syrer Assad hatten den religiösen Minderheiten eine
gesicherte Existenz gewährt. Ihr Sturz ermöglichte den Aufstieg
radikaler Islamisten, die Christen als Handlanger des Westens
verteufeln, sie aber auch zunehmend zwischen die Fronten eines sich
verschärfenden Konflikts der Sunniten gegen die Schiiten (und Alewiten)
drängen.Der Terroranschlag auf das religiöse Zentrum der Kopten in
Kairo, dem Anfang Dezember 25 Menschen zum Opfer fielen, illustriert
dramatisch die sich zuspitzende Lage. Seit Papst Tawadros II. 2013 den
Militärputsch gegen den freigewählten islamistischen Präsidenten Mursi
unterstützte und sich offen hinter den heutigen Diktator Sisi stellte,
trifft die Kopten Hass und Zorn ihrer islamistischen, vom Regime
verfolgten Mitbürger immer härter. Der IS nützt diese Spannungen, um die
Gesellschaft des volksreichsten arabischen Staates für seine
Machtinteressen zu spalten. So bekannte er sich auch zynisch zu dem
jüngsten Anschlag.
Bei vielen der Barbareien gegen Christen geht es weniger um
religiöse Überzeugungen, als um Macht, Aktionen, die besonders
gefährlich werden, wenn sie sich, wie häufig geschehen, mit kriminellen
Motiven vermischen. Eine wachsende Zahl von Christen in der Region sieht
den einzigen Ausweg in Emigration. Damit verliert der Mittlere Osten
zunehmend sein reiches historisches Mosaik, einen beträchtlichen Teil
seiner Intelligenz und die wichtige Brücke zwischen den Kulturen des
Ostens und des Westens.
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