Freitag, 9. Dezember 2016

Ein Wendepunkt im Syrienkrieg

Der bevorstehende Verlust Ost-Aleppos raubt den Rebellen jede Siegschance – Doch ein Friede bleibt in weiter Ferne

 
von Birgit Cerha
 
Aleppo bebt. Jets des syrischen Regimes und seines russischen Retters bombardieren konsequent,  gnadenlos und menschenverachtend den Ostteil der Stadt und die Umgebung. Niemand kann mehr in der dreiwöchigen Schlacht um dieses wichtigste Zentrum der Opposition gegen Assad die Toten zählen. Hunderte Zivilisten sind es. 31.500 sind laut UNO in einer Woche geflüchtet. Eingeschlossen ist eine Viertelmillion, darunter Zehntausende Kinder, hilflose Zielscheibe der mächtigen Bomber. Um nicht eingekesselt zu werden, zogen sich die Rebellen Donnerstag aus der Altstadt zurück. Sie verloren damit seit Mitte November rund 80 Prozent der von ihnen seit 2012 gehaltenen Teile Aleppos. Siegessicher weist Assad das Angebot der Rebellen und internationale Appelle für einen Waffenstillstand zurück. Sein totaler Sieg über diese größte und strategisch so wichtige Metropole erscheint unabwendbar. Die Kampfmoral seiner Gegner hat einen Tiefpunkt erreicht.
Es ist die schwerste Niederlage der Rebellen. Schon spricht der Diktator vom Beginn des Kriegsendes. Ist es tatsächlich der Anfang einer neuen – von Assad und seinen russischen und iranischen Verbündeten dominierten und diktierten  – „Ordnung“ in Syrien, deren Basis geschaffen werden sollte, bevor Donald Trump in Washington die Macht übernimmt?
Kein Zweifel, der rasante militärische Vormarsch der Regime-Kräfte leitet einen Wendepunkt im Syrienkrieg ein. Ungeachtet der Kriegsverbrechen, durch die Assad seinen Untergang abzuwenden suchte, muss nun jeder internationaler Versuch zur Beilegung des Konflikts auf der Realität basieren, dass der Diktator die fünf größten Städte des Landes und die strategisch wichtige Mittelmeer-Region  kontrolliert. Nicht nur für Trump besitzt der Sturz Assads gegenüber dem Kampf gegen die Terrormiliz des „Islamischen Staates“ keinerlei Priorität, auch innerhalb der EU hat ein Meinungswandel eingesetzt. Die Entwicklungen in Aleppo zeigen, dass die Rebellen den militärischen Vormarsch des Regimes nicht mehr abwehren, geschweige denn den Diktator ernsthaft gefährden können. Anhänger des Regimes prophezeien einen Dominoeffekt. Mehr und mehr von Assads Gegnern kontrollierte Regionen werden fallen. Die Opposition steckt in der Sackgasse.
Noch sind die Rebellen in Aleppo nicht bereit zum Auszug aus der Stadt nach der von Gesinnungsgenossen kontrollierten nordwestlichen Provinz Idlib, wie es Russland und die Amerikaner erwägen. Viele zeigen sich entschlossen, weiterzukämpfen, andere, vielleicht eine wachsende Zahl, aber  verzagen, angesichts der Niederlagen und dem erwarteten Stopp amerikanischer Hilfe. Denn die verbliebenen Stützpunkte bieten ihnen kaum eine Basis, um das Kriegsglück zu ihren Gunsten zu wenden.
Nicht nur in Aleppo, auch in anderen Landesteilen, insbesondere in der Region um Damaskus, dem Sitz des Diktators, hatten Regierungstruppen mit der teilweise wohl entscheidenden Hilfe der verbündeten libanesischen, irakischen und vom Iran entsandten Milizen jüngst eine Serie von Geländegewinnen erzielt. In rascher Aufeinanderfolge ergaben sich Rebellen in ihren Bollwerken nach monatelanger Belagerung den Truppen des Despoten, der ihnen den sicheren Auszug nach Idlib gestattete. Diese Provinz, die im Frühjahr 2015 unter Rebellenkontrolle fiel, kann sich bis heute auf intensive Hilfe der Türkei stützen und entwickelt sich zunehmend zu einer „Wartezone“ für Assads bewaffnete Gegner, die von hier aus begannen, Attacken gegen Aleppo, Hama, Homs und Latakia zu organisieren. Nach US-Schätzungen sind insgesamt in Idlib, der Provinz Aleppo und an kleineren Stützpunkten im westlichen und südlichen Syrien bis zu 50.000 Rebellen konzentriert, die Washington als „moderat“ einstuft und die ihre Waffen kaum niederlegen werden. Doch allein in Idlib sind auch mindestens 20.000 radikale Jihadis der mit dem Terrornetzwerk Al-Kaida verbündeten "Nusra-Front“ konzentriert, der weitaus bestorganisierten und –ausgerüsteten Gegner Assads, denen sich zunehmend frustrierte Rebellen, die sich vom Westen im Stich gelassen fühlen, anschließen dürften. Denn das viele von ihnen sich angesichts der katastrophalen Zerstörung des Landes und fast einer halben Million Toten zu einer Verständigung mit dem Diktator bereitfinden, erscheint höchst fraglich.
Somit liegt auch nach  der Eroberung Ost-Aleppos der Friede in weiter Ferne. Die Rebellen werden nun ihre Strategie überdenken. In den vergangenen fünf Jahren hatten sich versucht, erobertes Territorium militärisch zu halten. Dies ist nun angesichts der weit überlegenen Feuerkraft Assads und seiner Verbündeten unmöglich geworden.  Ein Wechsel zu Guerillataktiken bietet sich als einzige militärische Alternative an. Das Beispiel Homs könnte zukunftsweisend dafür sein, was Syrien nun bevorsteht. Im Vorjahr ist es Assads Truppen gelungen, diese einstige Hochburg seiner Gegner wieder zu erobern, ebenso die Stadt Hama. Doch selbst dort herrscht keine Ruhe. Zwar begann mit UN-Hilfe  ein Wiederaufbauprogramm. Der größte Teil der Trümmer in dem zu fast 99 Prozent zerstörten Stadtzentrum wurde inzwischen entfernt. Doch Terroranschläge, kleine Bombenexplosionen zählen fast zum Alltag. Der gewaltsame Widerstand gegen das Regime lässt sich ohne eine Verständigung aller Kriegsbeteiligten nicht stoppen. Das zeigt der Nachbar Irak seit 13 Jahren vor.
In Syrien aber tobt nicht nur ein Krieg der Syrer. Das kleine Land besitzt noch größere strategische Bedeutung als sein irakischer Nachbar, für Russland, das sich hier sein Tor zur arabischen Welt absichert, vor allem aber auch in dem zunehmend blutigen Rivalitätskampf zwischen Saudi-Arabien und dem Iran um Vorherrschaft in der Region. Ob sich Riad, das seit 2011 energisch Assads Sturz betrieben hatte, nun mit einem Verbleib des Diktators abfinden würde, ist unwahrscheinlich.Noch hat Saudi-Arabien seine künftige Strategie für die Ära Trump nicht angekündigt, doch das superreiche Katar, ebenfalls langjähriger Förderer islamistischer Feinde des Syrers, hat bereits klargestellt, dass es sich auch den Wünschen des neuen US-Präsidenten widersetzen und die Rebellen weiterhin unterstützen werde. Die Tragödie Syriens tritt nur in eine neue Phase.

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