Montag, 21. November 2016

Aleppo: Was bleibt ist einzig die Hoffnung auf den Tod

Während Assad und Putin neue strategische Fakten schaffen, beginnt der Hunger für  Hunderttausende Menschen Im belagerten Stadtteil

von Birgit Cerha

„Über uns fliegen mehr Kampfjets als Vögel. Der Tag des Jüngsten Gerichts ist angebrochen.“ So beschreibt ein Lehrer im belagerten Ost-Aleppo die Todesängste der 250.000 Zivilisten in der einst größten Metropole Syriens. Bewohner zählten mehr als 900 Luftangriffe an einem einzigen Tag. Seit Russland und das von ihm unterstützte Assad-Regime Dienstag eine dreiwöchige Kampfpause beendeten prasseln Bomben und Granaten auf Rebellenpositionen und zivile Ziele in nie dagewesener Intensität nieder. Den Eingeschlossenen bleibt nach den Worten eines der Zivilschutzfreiwilligen der „Weißen Helme“ nur noch die Hoffnung auf den Tod.  In Ost-Aleppo, wo seit Juli keine Hilfslieferungen eintrafen, gehen die Notvorräte  zur Neige. Das Aushungern, Assads bereits in anderen Rebellengebieten erfolgreich angewandte Strategie, hat begonnen.
Assad und Russlands Präsident Putin nutzen die Wahlturbulenzen in den USA, um in Syrien neue strategische Fakten zu schaffen, den Spielraum Trumps einzuengen, wenn er im Januar die Macht übernimmt. Die Eroberung des von etwa 4000 Rebellen der „Jabhat Fatah al Sham“ (ehemals Al-Kaida Ableger Al-Nusra) kontrollierten Stadtteils ist zentrales Ziel, das die Position des Diktators stärken, den Krieg allerdings keineswegs beenden würde. Da sich weder die Rebellen ergeben, noch die Zivilbevölkerung Russlands Angebot eines humanitären Korridors annehmen wollen, setzt Assad auf die volle Zerstörung dieses Stadtteils. Zugleich versucht Putin, sich von solchen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu distanzieren und betont, sein Kriegsgerät würde, wie in den vergangenen drei Wochen, Ost-Aleppo schonen. Denn die Beteiligung an Massenmorden unter der hilflosen Zivilbevölkerung Ost-Aleppos würde jede Aussicht auf eine gemeinsame Suche mit den USA nach einem Ende des Blutvergießens zunichte machen. Umso massiver schlagen russische Bomben und Marschflugkörper, erstmals von dem bei Tartus stationierten Flugzeugträger Admiral Kuznetsov abgefeuert,  in  Idlib und Homs ein, in Regionen, die von der eben erneut von den USA als Terror-Organisation eingestuften Nusra kontrollierten werden.
Trumps Ankündigung, er wolle dem Kampf gegen die Terrormiliz des „Islamischen Staates“ (IS) und andere radikale Islamistengruppen höchste Priorität einräumen und dabei mit Russland koordinieren, hat den Kremlherrn wohl in seiner Entschlossenheit bestärkt, den Widerstand der Rebellen endgültig zu brechen. Noch mag Putin aber auf den Plan des UN-Syrienbeauftragten de Mistura hoffen, der den bewaffneten Rebellen einen unter UN-Aufsicht durchgeführten Auszug aus Ost-Aleppo anbietet, um die Stadt vor einer gigantischen Katastrophe zu retten.
Ein Jahr, nachdem Russland durch seine Militärintervention Assad vor dem Untergang gerettet hat, wächst durch die Wahl Trumps die Hoffnung des Diktators auf sein politisches Überleben wie kaum zuvor. Euphorisch nennt Assad den Neugewählten seinen „natürlichen Verbündeten“, sollte Trump sein Versprechen wahrmachen und sich im Syrienkrieg ausschließlich dem Kampf gegen Terroristen (worunter Assad alle seine Gegner versteht) widmen.
Putins Syrienstrategie lässt so manche Fragen offen. Wochenlang hatte sich der Kreml im Dialog mit Washington um einen gemeinsamen Waffenstillstand und einen anschließenden gemeinsamen Kampf zur Beendigung des Krieges bemüht – ein Ziel, das Hardliner im Pentagon blockierten. Schließlich vollzog Putin Ende September eine Kehrtwende, die sein UN-Vertreter mit den Worten begründete: Angesichts von „Hunderten bewaffneten Gruppen“ in Syrien sei es „fast unmöglich“ nun Frieden zu erreichen. Geopolitische gesehen aber  laufen die Dinge voll in Putins Sinn. Hier ist das Ziel klar: Ende der „Pax Amerikana“, Absicherung des einzigen Militärstützpunktes im Mittleren Osten, wo die USA in fast jedem Land strategische Stützpunkte unterhalten; Aufbau Syriens zu einer säkularen Bastion gegen den auch Russland gefährdenden islamischen Extremismus. Für dieses Ziel starben durch russische Bomben laut der „Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte“ bisher 10.000 Syrer, etwa 4.000 davon Zivilisten.

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