Schlacht um Mosul könnte eine Million Zivilisten in die
Flucht zwingen – Größte humanitäre Katastrophe befürchtet
von Birgit Cerha
Über der nord-irakischen Millionenstadt Stadt Mosul steigen riesige
schwarze Rauchwolken auf. Die seit vielen Monaten geplante und immer wieder
aufgeschobene Entscheidungsschlacht gegen die Terrormiliz des „Islamischen
Staates“ (IS) im Irak hat begonnen. Um
Luftangriffe der von den USA geführten internationalen Allianz auf ihre wichtigste
Hochburg im Zweistromland zu verhindern, verbrennen die IS-Jihadis Öl und
Autoreifen. Seit langem haben sie
intensiv die Verteidigung der zweitgrößten irakischen Stadt vorbereitet, auf
die seit Montag Kolonnen von Militärfahrzeugen zusteuern. Die vergangenen zwei
Wochen hatte die US-Koalition die Region um Mosul heftig bombardiert, nun
rücken etwa 30.000 Angehörige der irakischen Armee und Polizei vom Süden her
auf die Stadt vor, während die kurdische Peschmerga-Einheiten begannen, bis an die
östlichen und nördlichen Stadtränder vorzustoßen. Sieben Dörfer haben sie dabei
binnen weniger Stunden vom IS befreit,
während Angehörigen der US-Sondereinheiten nahe der Front irakische Soldaten
beraten.
Sobald die Stadt umringt ist, wird die internationale
Koalition den Luftkrieg beginnen. Auf Hunderttausende von Flugblättern riefen
die USA die in Mosul eingeschlossene Bevölkerung von mehr als einer Million auf,
in ihren Häusern zu bleiben und diese mit weißen Flaggen zu markieren. Nach
Berichten aus der Region hat die Bewohner Panik erfasst, sie errichten
notdürftige Luftschutzbunker und legen Nahrungsmittelvorräte an. Flucht ist für sie schon lange keine Option
mehr, denn der IS hält die Menschen, darunter mehr als 500.000 Kinder, als
Geiseln, verhindert das Verlassen der Stadt durch Straßenblockaden, Verminung
der Mosul umgebenden Felder, sprengt
Häuser von Familien, denen die Flucht gelang, als Abschreckung für andere in
die Luft, verbot Mobiltelefone und steigerte insgesamt seine Brutalitäten auch
gegen Rebellen in den eigenen Reihen. Einige von ihnen, die jüngst mit der
irakischen Armee kooperieren wollten, wurden ertränkt und in Massengräber
geworfen. In der ganzen Stadt legten die Jihadis Sprengfallen und errichteten ein
Netz von Tunneln, um sich gegen den erwarteten Luftkrieg zu schützen. Zugleich
heuerten sie Kinder als Spione an. Nach Schätzungen dürften sich bis zu 8.000
IS-Kämpfer derzeit in Mosul verschanzt
haben.
Der Verlust Mosuls besitzt für den IS enorme strategische, aber
auch symbolische Bedeutung. Als der IS nach der fast kampflosen Flucht der
irakischen Streitkräfte 2014 Mosul erobert hatte, begann sein rasanter
Siegeszug, in dem er etwa ein Drittel des irakischen Territoriums unter seine
Kontrolle zwang. In Mosul verkündete IS-Chef al-Baghdadi sein „Kalifat“, ein sich über Teile des Iraks
und Syriens erstreckenden islamischen „Staat“, der sich immer weiter in der
Region ausdehnen sollte. Mosul ist nicht
nur fünfmal größer als jede andere vom IS kontrollierte Stadt. Sie ist die
letzte große Bastion der Terrormiliz im Irak. Der IS müsste sich dann mit dem
ebenfalls stetig schrumpfenden Territorium in Syrien begnügen.
Die Befreiung der von einer arabisch-sunnitischen Mehrheit
bewohnten Stadt, in der auch starke Minderheiten von Christen, schiitischen Turkmenen
und Kurden leben, würde die Regierungstruppen von dem demütigenden Image der
Feigheit befreien, das ihnen seit 2014
jede Glaubwürdigkeit genommen hatte. Doch die Zusammensetzung dieser höchst heterogenen
Koalition diverser, oft gegeneinander rivalisierender Einheiten – von den USA
mit 1,6 Mrd. Dollar seit 2014 aufgerüstete Regierungstruppen, kampferprobten,
teils radikalen schiitischen Milizen, arabisch-sunnitischen Stammesangehörigen,
von der Türkei ausgebildeten sunnitischen Milizen und Kurden lässt viele Fragen
über den Erfolg der Operation offen, konnten sich die diversen Kräfte doch auf
kein gemeinsames Kommando einigen. Unterdessen bereitet sich die UNO im
nord-irakischen Kurdistan auf die vielleicht größte humanitäre Katastrophe der
jüngsten Zeit vor: die mögliche Flucht von bis zu einer Million Menschen.
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