Die Terrormiliz verliert in einer Phase schwerer militärischer Niederlagen mit Abu Mohammed al-Adnani ihr Sprachrohr und wichtigsten Strategen
von Birgit Cerha
Fünf Millionen Dollar hatten die USA auf den Kopf Abu Mohammed
al-Adnanis ausgesetzt. Ob der Propagandachef der Terrormiliz des
„Islamischen Staates“ (IS) in der nordsyrischen Provinz Aleppo
tatsächlich durch eine US-Drohne oder – wie Moskau behauptet - durch
russische Militärschläge ums Leben kam, ist vorerst unklar. Jedenfalls
bestätigte der IS Dienstag abend den Tod seines zweitwichtigsten
Führers, ohne Zweifel der schwerste Rückschlag für die Miliz seit Beginn
ihres Blitzkrieges im Nahen Osten vor mehr als zwei Jahren.
Adnanis Bedeutung für den IS kann kaum überschätzt werden.
US-Geheimdienstkreise machen ihn u.a. direkt für die Koordinierung und
Kontrolle der Terroranschläge von Paris im Vorjahr verantwortlich. Ein
in Deutschland inhaftierter IS-Aktivist erzählte jüngst der „New York
Times“, wie Adnani monatliche Treffen von Aktivisten koordinierte, bei
denen er Jihadis für den Kampf in Syrien und im Irak motivierte und als
Drahtzieher von Terrorangriffen weltweit fungierte. Er sei „der große
Mann hinter allem“. Da IS-Chef Abu Bakr al-Baghdadi meist schweigt und
sich nur ganz selten öffentlich zeigt, wurde der wortgewaltige Adnani
zunehmend zum Gesicht und zur Stimme des IS. Durch sein teuflisches
Charisma und sein Organisationstalent verstand er es, Zehntausende junge
Menschen aus der ganzen Welt in das vom IS kontrollierte
syrisch-irakische Territorium zu locken.
Adnani stammte aus einer bitterarmen Familie in der syrischen
Provinz Idlib und wandte sich schon als Jugendlicher intensivem
Islam-Studium zu, konzentrierte sich später - beeinflusst von radikalen
Salafisten-Geistlichen - auf Publikationen über islamisches Recht,
Jihad und den Kampf gegen „Ungläubige“. Dreimal saß er in Syrien im
Gefängnis. Er zählte, wie Baghdadi, zu den wenigen überlebenden
Gründern der „Al-Kaida im Irak“, dem Vorläufer des IS, und verbrachte,
wie Baghdadi, sechs Jahre in einem von US-Militärs geführten Gefängnis.
Nach seiner Freilassung konzentrierte er sich in enger Kooperation mit
Baghdadi auf den Neuaufbau der Terrororganisation, konzentrierte sich
zunächst auf das syrische Territorium und verkündete 2014 nach der
Eroberung der irakischen Stadt Mosul stolz das Ende der „historischen
Grenzen“ im Nahen Osten.
Als Chef der Propagandaabteilung fungierte er auch er als Kopf
eines internationalen Geflechts verschiedener Geheimdienste. Die über
das Internet verbreitete Propaganda mit stetig erneut schockierenden
Videos über Enthauptungen, Massenmorde, Tötung von Gefangenen durch
Kinder entsprang seinem Konzept. Er erwies sich als Meister der
Motivierung junger, oft orientierungsloser oder zorniger Menschen aus
der ganzen Welt.
Zuletzt zeigte sich der schockierende Effekt seiner Hetzreden auf
gewaltanfällige Menschen weltweit, als er insbesondere „einsame Wölfe“
in Europa zu einer Welle des Terrors im Ramadan aufrief und damit den
islamischen Fastenmonat zum blutigsten der jüngsten Geschichte machte.
Diese Art von Terror besitzt für den IS, nun, da sein syrisch-irakisches
Kerngebiet dramatisch schrumpft, zentrale Bedeutung, um seine
unzerstörbare Existenz zu beweisen. Führer von Terrororganisationen
sind meist ersetzbar. Trifft es effiziente Strategen, dann geht mit
ihnen aber auch ein wertvoller Fundus an Erfahrungen verloren. Mit
Adnani verliert der IS zudem auch einen Propagandisten mit besonders
ausgeprägter Überzeugungskraft - und dies zu einem Zeitpunkt, da die
Zahl der Jihadis dramatisch abnimmt. Die „wahre Niederlage“, sagte
Adnani einmal, sei nicht der Tod eines Führers, sondern „der Wille und
der Wunsch zu kämpfen“.
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