Donnerstag, 1. September 2016

Ein Schlag für den „Islamischen Staat“

Die Terrormiliz verliert in einer Phase schwerer militärischer Niederlagen mit Abu Mohammed al-Adnani ihr Sprachrohr und wichtigsten Strategen

 
 von Birgit Cerha

Fünf Millionen Dollar hatten die USA auf den Kopf Abu Mohammed al-Adnanis ausgesetzt. Ob der Propagandachef der Terrormiliz des „Islamischen Staates“ (IS) in der nordsyrischen Provinz Aleppo tatsächlich durch eine US-Drohne oder – wie Moskau behauptet - durch russische Militärschläge ums Leben kam, ist vorerst unklar. Jedenfalls bestätigte der IS Dienstag abend den Tod seines zweitwichtigsten Führers, ohne Zweifel der schwerste Rückschlag für die Miliz seit Beginn ihres Blitzkrieges im Nahen Osten vor mehr als zwei Jahren.
Adnanis Bedeutung für den IS kann kaum überschätzt werden.  US-Geheimdienstkreise machen ihn u.a. direkt für die Koordinierung und Kontrolle der Terroranschläge von Paris im Vorjahr verantwortlich. Ein in Deutschland inhaftierter IS-Aktivist erzählte jüngst der „New York Times“, wie Adnani monatliche Treffen von Aktivisten koordinierte, bei denen er Jihadis für den Kampf in Syrien und im Irak motivierte und als Drahtzieher von Terrorangriffen weltweit fungierte. Er sei „der große Mann hinter allem“. Da IS-Chef Abu Bakr al-Baghdadi meist schweigt und sich nur ganz selten öffentlich zeigt, wurde der wortgewaltige Adnani zunehmend zum Gesicht und zur Stimme des IS. Durch sein teuflisches Charisma und sein Organisationstalent verstand er es, Zehntausende junge Menschen aus der ganzen Welt in das vom IS kontrollierte syrisch-irakische Territorium zu locken.
Adnani stammte aus einer bitterarmen Familie in der syrischen Provinz Idlib und wandte sich schon als Jugendlicher intensivem Islam-Studium zu, konzentrierte sich später - beeinflusst von radikalen Salafisten-Geistlichen  - auf Publikationen über islamisches Recht, Jihad und den Kampf gegen „Ungläubige“. Dreimal saß er in Syrien im Gefängnis.  Er zählte, wie Baghdadi, zu den wenigen überlebenden Gründern der „Al-Kaida im Irak“, dem Vorläufer des IS, und verbrachte, wie Baghdadi, sechs Jahre in einem von US-Militärs geführten Gefängnis. Nach seiner Freilassung konzentrierte er sich in enger Kooperation mit Baghdadi auf den Neuaufbau der Terrororganisation, konzentrierte sich zunächst auf das syrische Territorium und verkündete 2014 nach der Eroberung der irakischen Stadt Mosul stolz das Ende der „historischen Grenzen“ im Nahen Osten.
Als Chef der Propagandaabteilung fungierte er auch er als Kopf eines internationalen Geflechts verschiedener Geheimdienste. Die über das Internet verbreitete Propaganda mit stetig erneut schockierenden Videos über Enthauptungen, Massenmorde, Tötung von Gefangenen durch Kinder entsprang seinem Konzept. Er erwies sich als Meister der Motivierung junger, oft orientierungsloser oder zorniger Menschen aus der ganzen Welt.
Zuletzt zeigte sich der schockierende  Effekt seiner Hetzreden auf gewaltanfällige Menschen weltweit, als er insbesondere „einsame Wölfe“ in Europa zu einer Welle des Terrors im Ramadan aufrief und damit den islamischen Fastenmonat zum blutigsten der jüngsten Geschichte machte. Diese Art von Terror besitzt für den IS, nun, da sein syrisch-irakisches Kerngebiet dramatisch schrumpft, zentrale Bedeutung, um seine unzerstörbare Existenz zu beweisen.  Führer von Terrororganisationen sind meist ersetzbar. Trifft es effiziente Strategen, dann geht mit ihnen aber auch ein wertvoller Fundus an Erfahrungen verloren. Mit Adnani verliert der IS zudem auch einen Propagandisten mit besonders ausgeprägter Überzeugungskraft - und dies zu einem Zeitpunkt, da die Zahl der Jihadis dramatisch abnimmt. Die „wahre Niederlage“, sagte Adnani einmal, sei nicht der Tod eines Führers, sondern „der Wille und der Wunsch zu kämpfen“.
 

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