Alarmierender Bericht des UN-Kinderhilfswerks: Jeder zweite Schutzsuchende ist minderjährig, vielen drohen Missbrauch und Ausbeutung, Tausende verschwanden
von Birgit Cerha
Allein, klein und schwach und dennoch wagt eine immer größere Zahl
von Kindern oft unter Todesgefahr die Flucht aus ihrer Heimat. Viele
verlieren unterwegs ihr Leben und für eine wachsende Zahl der anderen,
erweisen sich die Hoffnungen als Trugschluss. Vor diesem Hintergrund
richtet das UN-Kinderhilfswerk Unicef einen Appell an das Weltgewissen,
die heranwachsende Generation zu schützen. Im Vorfeld der Gipfeltreffen
zur Flucht- und Migrationsbewegungen am 19. Und 20. September in New
York veröffentlichte die Organisation den ersten umfassenden Bericht
über das globale Ausmaß dieser Entwicklung. Danach wachsen weltweit fast
50 Millionen Kinder als Folge von Migration oder Flucht in der Fremde
auf, 17 Millionen von ihnen wurden im eigenen Land durch Krieg und
andere Gefahren vertrieben, elf Millionen suchten im Ausland Zuflucht.
Mehr als 20 Millionen verließen ihre Heimat wegen extremer Armut. Als
Folge der globalen Konflikte stieg die Zahl der Flüchtlinge unter 18
Jahren seit 2011 um 75 Prozent. Unicef unterscheidet klar zwischen
Flüchtlingen (die aufgrund einer begründeten Angst vor Verfolgung ihr
Heimatland verlassen) und Migranten (die in ein anderes Land auswandern,
um dort zu leben und zu arbeiten).
Eines von 200 Kindern weltweit ist heute ein Flüchtling. 45 Prozent
kamen 2015 aus Syrien und Afghanistan, die überwiegende Mehrheit der
Kinder und ihrer Familien sucht in ihrer Heimatregion Schutz. Laut
Schätzungen von Unicef dürfte die Türkei die größte
Flüchtlingsbevölkerung der Region beherbergen. In Saudi-Arabien leben
nach den USA weltweit die meisten Migranten-Kinder, meist unter
katastrophalen Verhältnissen.
Besonders beunruhigend ist die wachsende Zahl von unbegleiteten
Flüchtlingskindern. Die Gründe für diese Entwicklung bleiben meist
unklar, Experten vermuten, dass es häufig die totale Hoffnungslosigkeit
der Familien in Afrika oder in mittelöstlichen Flüchtlingslagern ist,
die Eltern dazu bewegen, als einzige Zukunftschance, ihre Kinder in das
gefährliche Abenteuer der Flucht nach Europa zu schicken. Eindringlich
appelliert Unicef an die Regierungen, sich dieser Kinder, die enormen
Gefahren von Gewalt und Ausbeutung ausgesetzt sind, anzunehmen, denn sie
fallen leicht durch die Raster sozialer Netzwerke. Aufnahmestaaten
müssten ihnen dieselben Sicherheiten und Rechte auf Bildung und
Gesundheitsversorgung sichern, wie ihren eigenen. Kinder dürften nicht
länger etwa bei Grenzkontrollen von ihren Eltern getrennt oder, wenn
ohne Papiere, zur Feststellung ihrer Identität in Haft genommen werden.
Regierungen müssten entschlossener gegen Menschenhandel vorgehen, dem
insbesondere alleinstehende Kinder ausgesetzt sind. Im Vorjahr trafen
etwa 270.000 unbegleitete Kinder in Griechenland und Italien ein. Diese
Zahl stieg 2016 stark an. Und viele verschwanden, laut
Bundeskriminalamt allein in Deutschland seit Jahresbeginn rund 9000
dieser Kinder. Ihr Schicksal ist unbekannt, zahlreiche dürften wohl
Kriminellen zum Opfer gefallen sein.
„Die Stimmen der Kinder, ihre Pein und ihre Probleme müssen zum
zentralen Anliegen internationaler Diskussionen über Migration und
Vertreibung erhoben werden“, mahnt Unicef-Direktor Anthony Lake, denn
„indem wir diese Kinder schützen, bewahren wir unsere grundlegendsten
Werte und erfüllen unsere höchste Pflicht: die nächste Generation
heranzubilden und damit die Zukunft der Welt zu gestalten.“
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