Humanitäre Situation in Syrien dramatisch verschärft, während sich die Spannungen zwischen den USA und Russland verschärfen
von Birgit Cerha
„Schock und Abscheu“ empfinden Vertreter internationaler
humanitärer Organisationen über die Luftangriffe auf einen Hilfskonvoi
nahe der belagerten syrischen Stadt Aleppo. 18 der 31 Lkws des
syrisch-arabischen Roten Halbmonds und der UNO, die etwa 78.000 der
insgesamt rund 250.000 in Ost-Aleppo eingeschlossene Menschen mit dem
Lebensnotwendigsten versorgen sollten, wurden zerstört und mindestens 20
Mitarbeiter der Organisationen beim Abladen der Hilfsgüter getötet. Die
Attacke vernichtete jede Hoffnung, dass ein von Russland und den USA
ausgehandelter Waffenstillstand der hungernden und verzweifelten
Zivilbevölkerung Syriens Linderung bringen und vielleicht allmählich
sogar die Tür zu einer Friedenslösung öffnen könnte. Laut der
„syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte“ dürften die Angriffe
entweder von syrischen oder russischen Flugzeugen durchgeführt worden
sein. Moskau weist diese Behauptung zurück, während die USA Russland
als wichtigstem Verbündeten des Assad-Regimes die Hauptverantwortung für
die Tragödie zuschieben, selbst wenn keine russischen Flugzeuge
beteiligt gewesen wären.
UN-Sprecher betonten, das syrische Regime hätte nach langwierigen
Verhandlungen die Genehmigung zu den Hilfslieferungen erteilt und von
der Position der Lkws gewusst. Aus Sicherheitsgründen wurden nun alle
geplanten Hilfslieferungen an die notleidende Zivilbevölkerung
verschoben. Damit ist das wichtigste unmittelbare Ziel des am 12.
September nach zehnmonatigen Verhandlungen zwischen Moskau und
Washington in Kraft getretenen Waffenstillstandes - humanitäre Hilfe –
verfehlt. Die UNO fordert eine internationale Untersuchung, ob hier
bewusst ein Kriegsverbrechen begangen wurde. Die syrische Luftwaffe
hatte Montag in Aleppo ein Lagerhaus für humanitäre Güter in Aleppo
zerstört. Wenig später verkündete das Assad-Regime das Ende des
Waffenstillstandes, den Rebellen mindestens 300 Mal verletzt hätten.
Unmittelbar darauf begannen heftige Attacken auf das von Assads Gegnern
kontrollierte Ost-Aleppo, die sich Dienstag auf andere Landesteile
ausweiteten. Beobachter befürchten eine dramatische Eskalation der
Gewalt.
Der Waffenstillstand hatte zaghafte Hoffnungen geweckt, weil sich
zum ersten Mal Russland und die USA zu einer Kooperation in Syrien
entschlossen hatten. Doch sein Scheitern zeigt, wie gering ihr Einfluss
auf das militärische Geschehen ist. Keine der Kriegsparteien – weder
Assad, noch die zahllosen Rebellengruppen – hatten ein Interesse, die
Waffen niederzulegen und einen Kompromiss am Verhandlungstisch zu
suchen. Der gegenseitige Hass ist so ausgeprägt, dass eine Feuerpause
ohne einen Überwachungsmechanismus nicht eingehalten würde. Doch dieser
Mechanismus fehlte. Viele Rebellenführer hegten den Verdacht, die USA
verfolgten mit dem Waffenstillstand das Ziel, unter allen Umständen den
Krieg zu beenden, selbst wenn Assad an der Macht bliebe, eine Aussicht,
die sie fanatisch ablehnen. Washingtons Forderung an die „gemäßigten
Rebellen“, sich geografisch von der radikal-islamistischen „Jabhat Fatah
al Sham“, JFS, (ehemals „Al-Nusra“) zu trennen, bevor die USA gemeinsam
mit Russland JFS und die Terrormiliz des „Islamischen Staates“
bombardieren, stießen ins Leere. Ohne JFS, die militärisch weitaus
stärkste Opposition gegen Assad, sind die anderen Rebellengruppen den
Regime Kräften hoffnungslos unterlegen.
So hat der gescheiterte Waffenstillstand das ohnedies latente
Misstrauen der „gemäßigten Rebellen“ gegenüber den USA wesentlich
verstärkt und damit Washington Einfluss in Syrien weiter entscheidend
geschwächt. Das Ende des Krieges rückt damit in noch weitere Ferne,
zumal nicht zuletzt auch der irrtümliche Angriff der von den USA
geführten Koalition auf Einheiten der syrischen Armee mit mehr als 60
Toten das Klima der Kooperation mit Russland vergiftete. Über das Ausmaß
der nun zu erwartenden Eskalation der Gewalt wird aber auch, wie stets
in diesem Krieg, die Bereitschaft der Regionalmächte – Saudi-Arabien,
Katar, Türkei und Iran - entscheiden, ihre Verbündeten in Syrien für
noch mehr Terror und Gewalt zu unterstützen.
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