Was sind Ankaras nächste Ziele? - Die Kurden der Region fühlen sich wieder verraten von den Mächtigen der Welt
von Birgit Cerha
Während türkische Einheiten und die mit ihnen unterstützten
syrischen Rebellen der „Freien Syrischen Armee“ (FSA) immer tiefer in
nordwest-syrisches Territorium vordringen, drohte der türkische
Präsident Erdogan Montag, den Kampf fortzusetzen, bis die
syrisch-kurdische Miliz „YPG“ vernichtet ist. „Terroristen“ nennt er
diese Kurden, die nie Gewalt gegen die Türkei verübt hatten. Türkische
Kampfflugzeuge flogen über dem syrische Grenzgebiet und türkische
Artillerie attackierte YPG-Positionen. Laut Oppositionskreisen nahm die
FSA mit Hilfe türkischer Jets aus der Luft etwa ein Dutzend Dörfer in
der von der „Syrischen Demokratischen Front“ (SDF) kontrollierten Region
südlich von Jarablus ein. Aus 21 Dörfern südlich und westlich dieser
bis zu Beginn der türkischen Militäroperation Mittwoch von der
Terrormiliz des „Islamischen Staates“ (IS) kontrollierten Grenzstadt,
hat unterdessen die FSA die Kurdenmiliz vertrieben. Einige Dörfer
wurden total zerstört. Nach syrischen Oppositionskreisen starben bei
heftigen Kämpfen bisher mehr als 35 Zivilisten. Insgesamt sollen in den
vergangenen vier Tagen 150 Kurden und etwa 60 pro-türkische Kämpfer ums
Leben gekommen sein.
Die türkische Armee, die Mittwoch mit zehn Panzern über die Grenze
gezogen war, um – wie Ankara beteuerte - den IS aus seinem letzten
wichtigen Grenzstützpunkt Jarablus zu vertreiben, hat nun laut
türkischer Tageszeitung „Hürriyet“ insgesamt 50 Panzer und 380
Angehörige einer Sondereinheit in Nord-Syrien stationiert. Sie
unterstützen Hunderte Kämpfer de FSA beim weiteren Vormarsch.
Unterdessen macht auch Ankara kein Hehl mehr daraus, dass sich diese
Militärintervention primär gegen die Kurden und deren Bemühungen
richtet, die drei geographisch voneinander getrennten Kantone der im
März ausgerufenen autonomen „Demokratischen Föderation“ Rojava zu
einen und damit ein sich selbst regierendes Kurdengebiet entlang der
Grenze zur Türkei zu schaffen.
Bei ihrem Vormarsch Richtung Süden stießen die Türken und ihre
Verbündeten auf keinerlei Widerstand des IS. Die Tatsache, dass die
Terrormiliz Jarablus nicht, wie anderswo, durch Sprengsätze abgesichert
die Stadt vor Ankunft der SFA verlassen hatte, lässt auf eine
vorangegangene Verständigung mit Ankara schließen. Nächstes Ziel der
Türken ist die auch von Kurden bewohnte Stadt Manbidsch, aus der die von
den Kurden dominierte SDF den IS jüngst nach heftigen Kämpfen
vertrieben hatte. PYD betont, dass sie auf US-Druck die Stadt bereits
verlassen hätte, doch Ankara bestreitet dies und die FSA rüstet sich für
die nächste Schlacht. Hauptziel der Türken aber dürfte die weiter
südlich gelegene Stadt Al-Bab, in der Provinz Aleppo, um von dort aus in
der Schicksalsschlacht Syriens, dem Kampf um die Wirtschaftsmetropole
entscheidend mitzumischen.
Während die USA den Beginn der Intervention aus der Luft begleitet
hatten, hält sie sich nun aus Angst vor einer gefährlichen Eskalation
der Gewalt zwischen ihren Verbündeten zurück und drängt alle Seiten, die
Kämpfe zu stoppen. Zugleich versucht Brett McGurk,
US-Sonderbeauftragter für die Internationale Allianz gegen den IS, die
erbitterten Kurden zu beschwichtigen: „Die USA hatten keinen Anteil an
diesen (türkischen) Aktivitäten….W haben sie nicht unterstützt.“
Washington fürchtet, seinen schlagkräftigsten Verbündeten im Kampf gegen
den IS zu verlieren. Denn unter den Kurden Syriens macht die bittere
Enttäuschung breit. Die jüngste Warnung der USA, die YPG würde ihre
Unterstützung verlieren, sollte sie sich nicht aus der Region um
Jarablus und Mandschib zurückziehen, löste einen schweren Schock aus.
„Ein Dolchstoß in den Rücken“, empört sich ein mit der YPG kämpfender
Amerikaner und „abscheulich“, meint ein britischer Kollege. Die Kurden,
die verlässlichsten und mutigsten Kämpfer und Verbündeten der USA, meint
der Analyst Mutlu Civiroglu, „haben den höchsten Preis aller im Kireg
gegen den IS bezahlt“ (allein in der Schlacht um Mandschib starben mehr
als 200 Kämpfer). Die Angehörigen der Gefallenen, viele in den Dörfern
und Städten Syriens fühlen sich wieder, wie so oft in der Geschichte,
verraten. Wie konnten die USA, aber auch Russland zulassen, dass die
Türkei, die ihr Volk als „Terroristen“ brandmarkt und bekämpft, mit
Panzern und schweren Waffen in ihr Heimatgebiet eindringt und alle
Sehnsüchte nach ihren Grundrechten im Blut ertränkt? Sie werden dies
nicht wehrlos geschehen lassen
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