Dienstag, 30. August 2016

Wachsende Angst vor Eskalation in Nord-Syrien

Was sind Ankaras nächste Ziele? - Die Kurden der Region fühlen sich wieder verraten von den Mächtigen der Welt
 
von Birgit Cerha
 
Während türkische Einheiten und die mit ihnen unterstützten syrischen Rebellen der „Freien Syrischen Armee“ (FSA) immer tiefer in nordwest-syrisches Territorium vordringen, drohte der türkische Präsident Erdogan Montag, den Kampf fortzusetzen, bis die syrisch-kurdische Miliz „YPG“ vernichtet ist. „Terroristen“ nennt er diese Kurden, die nie Gewalt gegen die Türkei verübt hatten. Türkische Kampfflugzeuge flogen über dem syrische Grenzgebiet und türkische Artillerie attackierte YPG-Positionen. Laut Oppositionskreisen nahm die FSA mit Hilfe türkischer Jets aus der Luft etwa ein Dutzend Dörfer in der von der „Syrischen Demokratischen Front“ (SDF) kontrollierten Region südlich von Jarablus ein.  Aus  21 Dörfern südlich und westlich dieser bis zu Beginn der türkischen Militäroperation Mittwoch von der Terrormiliz des „Islamischen Staates“ (IS) kontrollierten Grenzstadt, hat unterdessen die FSA die Kurdenmiliz  vertrieben. Einige Dörfer wurden total zerstört. Nach syrischen Oppositionskreisen starben bei heftigen Kämpfen bisher mehr als 35 Zivilisten. Insgesamt sollen in den vergangenen vier Tagen 150 Kurden und etwa 60 pro-türkische Kämpfer ums Leben gekommen sein.
Die türkische Armee, die Mittwoch mit zehn Panzern über die Grenze gezogen war, um – wie Ankara beteuerte - den IS aus seinem letzten wichtigen Grenzstützpunkt Jarablus zu vertreiben, hat nun laut türkischer Tageszeitung „Hürriyet“ insgesamt 50 Panzer und 380 Angehörige einer Sondereinheit in Nord-Syrien stationiert. Sie unterstützen Hunderte Kämpfer de FSA beim weiteren Vormarsch. Unterdessen macht auch Ankara kein Hehl mehr daraus, dass sich diese Militärintervention primär gegen die Kurden und deren Bemühungen richtet, die drei geographisch voneinander getrennten Kantone der im März ausgerufenen autonomen „Demokratischen Föderation“  Rojava zu einen  und damit ein sich selbst regierendes Kurdengebiet entlang der Grenze zur Türkei zu schaffen.
Bei ihrem Vormarsch Richtung Süden stießen die Türken und ihre Verbündeten auf keinerlei Widerstand des IS. Die Tatsache, dass die Terrormiliz Jarablus nicht, wie anderswo, durch Sprengsätze abgesichert die Stadt vor Ankunft der SFA verlassen hatte, lässt auf eine vorangegangene Verständigung mit Ankara schließen. Nächstes Ziel der Türken ist die auch von Kurden bewohnte Stadt Manbidsch, aus der die von den Kurden dominierte SDF den IS jüngst nach heftigen Kämpfen vertrieben hatte. PYD betont, dass sie auf US-Druck die Stadt bereits verlassen hätte, doch Ankara bestreitet dies und die FSA rüstet sich für die nächste Schlacht. Hauptziel der Türken aber dürfte die weiter südlich gelegene Stadt Al-Bab, in der Provinz Aleppo, um von dort aus in der Schicksalsschlacht Syriens, dem Kampf um die Wirtschaftsmetropole entscheidend mitzumischen.
 Während die USA den Beginn der Intervention aus der Luft begleitet hatten, hält sie sich nun aus Angst vor einer gefährlichen Eskalation der Gewalt zwischen ihren Verbündeten zurück und drängt alle Seiten, die Kämpfe zu stoppen. Zugleich versucht Brett McGurk, US-Sonderbeauftragter für die Internationale Allianz gegen den IS, die erbitterten Kurden zu beschwichtigen: „Die USA hatten keinen Anteil an diesen (türkischen) Aktivitäten….W haben sie nicht unterstützt.“  Washington fürchtet, seinen schlagkräftigsten Verbündeten im Kampf gegen den IS zu verlieren. Denn unter den Kurden Syriens macht die bittere Enttäuschung breit. Die jüngste Warnung der USA, die YPG würde ihre Unterstützung verlieren, sollte sie sich nicht aus der Region um Jarablus und Mandschib zurückziehen, löste einen schweren Schock aus. „Ein Dolchstoß in den Rücken“, empört sich ein mit der YPG kämpfender Amerikaner und „abscheulich“, meint ein britischer Kollege. Die Kurden, die verlässlichsten und mutigsten Kämpfer und Verbündeten der USA, meint der Analyst Mutlu Civiroglu, „haben den höchsten Preis aller im Kireg gegen den IS bezahlt“ (allein in der Schlacht um Mandschib starben mehr als 200 Kämpfer). Die  Angehörigen der Gefallenen, viele in den Dörfern und Städten Syriens fühlen sich wieder, wie so oft in der Geschichte, verraten.  Wie konnten die USA, aber auch Russland zulassen, dass die Türkei, die ihr Volk als „Terroristen“ brandmarkt und bekämpft, mit Panzern und schweren Waffen in ihr Heimatgebiet eindringt und alle Sehnsüchte nach ihren Grundrechten im Blut ertränkt?  Sie werden dies nicht wehrlos geschehen lassen

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