Montag, 8. August 2016

In Aleppo entscheidet sich Syriens Schicksal

Von Islamisten geführte Rebellen brechen Blockade – Hunderttausende Zivilisten werden Opfer eines erbarmungslosen Existenzkampfes
 
Von Birgit Cerha
 
Von den Moscheen Ost-Aleppos erschallen Koranverse. Trotz drohender Luftangriffe stürmten die Menschen freudig in die Straßen. Sie feiern die Jihadis als Retter, nachdem diese am Wochenende den einmonatigen Belagerungsring um ihren Stadtteil durchstoßen hatten. Bis zu 300.000 Zivilisten könnten die endlosen Qualen des Aushungerns durch das Regime Assad erspart bleiben. Siegesbewusst kündigen die Rebellen den Beginn zur Befreiung der gesamten Stadt an. Hat sich nach monatelangen Schlägen der von Russland und dem Iran massiv unterstützten Regierungskräfte das Kriegsglück gewendet?
Aus Angst vor einer gigantischen humanitären Katastrophe, ausgelöst durch das Regime, das kein Verbrechen – wie mittelalterliche Blockademethoden - scheut, hatten sich die zersplitterten Rebellen erstmals zu einer Großoffensive zusammengeschlossen. Die Eroberung des Artilleriestützpunktes Ramouseh ist ein Überraschungscoup, der durch eine Mischung aus wilder Entschlossenheit und Selbstmordanschlägen möglich wurde. Ramouseh besaß für Assad seit 2012 entscheidende Bedeutung für die Kontrolle der Millionenmetropole. Zwar haben die Rebellen den Belagerungsring Ost-Aleppos gesprengt, doch noch kontrollieren sie keinen sicheren Korridor nach außen. Ob dies gelingt, ist fraglich. Assad, von Russland unterstützt, reagiert mit Luftangriffen und massiver Truppenverstärkung. Denn in Aleppo, davon sind beide Seiten überzeugt, könnte sich Syriens Schicksal entscheiden. Durch den Triumph von Ramouseh sind die zuletzt stark bedrängten Rebellen wieder voll im blutigen Spiel.
Aleppo, UNESCO-Weltkulturerbe und bis zum Kriegsbeginn wichtigste Wirtschaftsmetropole, besitzt enorme strategische und symbolische Bedeutung. Ein Jahr lang war die Stadt vom Zorn der Opposition gegen Assad unberührt geblieben, der Bürgerkrieg erreichte sie erst im Juli 2012, als die von den USA unterstützte „Freie syrische Armee“ (FSA)  Regierungstruppen von Nord-Syrien vertrieb, aber nur Ost-Aleppo erobern konnte. Seither ist die Metropole geteilt. Im Osten leben derzeit etwa 300.000 Menschen, im Südwesten 1,2 Millionen. In den vergangenen vier Jahren gelang es Assad nicht, das militärische Patt in der Stadt zu durchbrechen. Erst Russlands Intervention im Herbst 2015, gemeinsam mit und Irans tatkräftiger Unterstützung ermöglichten Assad den Vormarsch bis zur Blockade des östlichen Stadtteils, der sich vier Jahre lang, vom Tyrannen befreit, selbst verwaltet. Nicht zuletzt aufgrund des langen militärischen Drucks weigern sich viele Bewohner, Ost-Aleppo durch einen von Russland errichteten Korridor zu verlassen, selbst wenn sie damit ihr Leben riskieren.
Assad aber ist entschlossen, durch eine Blockade den Widerstand der Rebellen endgültig zu brechen, die klare Oberhand im Krieg zu gewinnen, sich damit die Macht zumindest über die wichtigsten syrischen Städte zu sichern. Kompromisse am Friedenstisch blieben damit indiskutabel.
Doch nun hat sich das Blatt gewendet. Die Rebellen sind stark, wie kaum zuvor und die – nur noch informell mit Al-Kaida verbündete – „Jabhat Fateh al Sham“ (ehemals „al-Nusra“) – ist der neue Champion der gepeinigten Zivilbevölkerung. „Die Mudschaheddin werden Euch nicht im Stich lassen“, hatte ihr Chef Abu Mohammed al-Jolani  der bedrängten Bevölkerung in einem Durchhalteappell verheißen und er hat sein Wort gehalten. Jolanis Rebellen kontrollieren die angrenzende Provinz Idlib und einen Teil der Umgebung Aleppos. Sie haben eine Allianz mit der von breiten Bevölkerungskreisen unterstützten radikal islamistischen „Ahrar al-Sham“ und anderen islamistischen Gruppen unter dem Namen „Jaysh al Fateh“ gegründet und koopieren  nun eng mit  Rebellen in Ost-Aleppo, zu denen auch die FSA zählt.
Ihnen gegenüber stehen Milizen der libanesischen Hisbollah, vom Iran angeheuerte Schiiten aus dem Irak und Afghanistan, sowie Angehörige der iranischen Revolutionsgarden, die unerbittlich für Assad kämpfen.  Auf diese Unterstützung ist der Diktator immer stärker angewiesen, denn nach fünf Kriegsjahren ist seine Armee von 400.000 Mann auf weniger als ein Drittel geschrumpft. Schon vor Beginn der gegenwärtigen Kämpfe um Aleppo zeigten sich Anzeichen eines militärischen Kollapses. So versucht das Regime durch Amnestie Gefangene in die Armee zu integrieren, und zwingt Staatsangestellte und Lehrer in den Krieg. Die nach dem Triumph der Rebellen angeordnete massive Truppenverstärkung ist wohl nur durch Abzug von Streitkräften aus anderen wichtigen Punkten möglich. Aleppo aber hat nun allerhöchste Priorität. Die Pein der Zivilbevölkerung ist damit noch lange nicht zu ende.
 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen