Von
Islamisten geführte Rebellen brechen Blockade – Hunderttausende
Zivilisten werden Opfer eines erbarmungslosen Existenzkampfes
Von Birgit Cerha
Von den
Moscheen Ost-Aleppos erschallen Koranverse. Trotz drohender Luftangriffe
stürmten die Menschen freudig in die Straßen. Sie feiern die Jihadis
als Retter, nachdem diese am Wochenende den einmonatigen Belagerungsring
um ihren Stadtteil durchstoßen hatten. Bis zu 300.000 Zivilisten
könnten die endlosen Qualen des Aushungerns durch das Regime Assad
erspart bleiben. Siegesbewusst kündigen die Rebellen den Beginn zur
Befreiung der gesamten Stadt an. Hat sich nach monatelangen Schlägen der
von Russland und dem Iran massiv unterstützten Regierungskräfte das
Kriegsglück gewendet?
Aus Angst
vor einer gigantischen humanitären Katastrophe, ausgelöst durch das
Regime, das kein Verbrechen – wie mittelalterliche Blockademethoden -
scheut, hatten sich die zersplitterten Rebellen erstmals zu einer
Großoffensive zusammengeschlossen. Die Eroberung des
Artilleriestützpunktes Ramouseh ist ein Überraschungscoup, der durch
eine Mischung aus wilder Entschlossenheit und Selbstmordanschlägen
möglich wurde. Ramouseh besaß für Assad seit 2012 entscheidende
Bedeutung für die Kontrolle der Millionenmetropole. Zwar haben die
Rebellen den Belagerungsring Ost-Aleppos gesprengt, doch noch
kontrollieren sie keinen sicheren Korridor nach außen. Ob dies gelingt,
ist fraglich. Assad, von Russland unterstützt, reagiert mit
Luftangriffen und massiver Truppenverstärkung. Denn in Aleppo, davon
sind beide Seiten überzeugt, könnte sich Syriens Schicksal entscheiden.
Durch den Triumph von Ramouseh sind die zuletzt stark bedrängten
Rebellen wieder voll im blutigen Spiel.
Aleppo,
UNESCO-Weltkulturerbe und bis zum Kriegsbeginn wichtigste
Wirtschaftsmetropole, besitzt enorme strategische und symbolische
Bedeutung. Ein Jahr lang war die Stadt vom Zorn der Opposition gegen
Assad unberührt geblieben, der Bürgerkrieg erreichte sie erst im Juli
2012, als die von den USA unterstützte „Freie syrische Armee“ (FSA) Regierungstruppen
von Nord-Syrien vertrieb, aber nur Ost-Aleppo erobern konnte. Seither
ist die Metropole geteilt. Im Osten leben derzeit etwa 300.000 Menschen,
im Südwesten 1,2 Millionen. In den vergangenen vier Jahren gelang es
Assad nicht, das militärische Patt in der Stadt zu durchbrechen. Erst
Russlands Intervention im Herbst 2015, gemeinsam mit und Irans
tatkräftiger Unterstützung ermöglichten Assad den Vormarsch bis zur
Blockade des östlichen Stadtteils, der sich vier Jahre lang, vom
Tyrannen befreit, selbst verwaltet. Nicht zuletzt aufgrund des langen
militärischen Drucks weigern sich viele Bewohner, Ost-Aleppo durch einen
von Russland errichteten Korridor zu verlassen, selbst wenn sie damit
ihr Leben riskieren.
Assad
aber ist entschlossen, durch eine Blockade den Widerstand der Rebellen
endgültig zu brechen, die klare Oberhand im Krieg zu gewinnen, sich
damit die Macht zumindest über die wichtigsten syrischen Städte zu
sichern. Kompromisse am Friedenstisch blieben damit indiskutabel.
Doch nun
hat sich das Blatt gewendet. Die Rebellen sind stark, wie kaum zuvor und
die – nur noch informell mit Al-Kaida verbündete – „Jabhat Fateh al
Sham“ (ehemals „al-Nusra“) – ist der neue Champion der gepeinigten
Zivilbevölkerung. „Die Mudschaheddin werden Euch nicht im Stich lassen“,
hatte ihr Chef Abu Mohammed al-Jolani der
bedrängten Bevölkerung in einem Durchhalteappell verheißen und er hat
sein Wort gehalten. Jolanis Rebellen kontrollieren die angrenzende
Provinz Idlib und einen Teil der Umgebung Aleppos. Sie haben eine
Allianz mit der von breiten Bevölkerungskreisen unterstützten radikal
islamistischen „Ahrar al-Sham“ und anderen islamistischen Gruppen unter
dem Namen „Jaysh al Fateh“ gegründet und koopieren nun eng mit Rebellen in Ost-Aleppo, zu denen auch die FSA zählt.
Ihnen
gegenüber stehen Milizen der libanesischen Hisbollah, vom Iran
angeheuerte Schiiten aus dem Irak und Afghanistan, sowie Angehörige der
iranischen Revolutionsgarden, die unerbittlich für Assad kämpfen. Auf
diese Unterstützung ist der Diktator immer stärker angewiesen, denn
nach fünf Kriegsjahren ist seine Armee von 400.000 Mann auf weniger als
ein Drittel geschrumpft. Schon vor Beginn der gegenwärtigen Kämpfe um
Aleppo zeigten sich Anzeichen eines militärischen Kollapses. So versucht
das Regime durch Amnestie Gefangene in die Armee zu integrieren, und
zwingt Staatsangestellte und Lehrer in den Krieg. Die nach dem Triumph
der Rebellen angeordnete massive Truppenverstärkung ist wohl nur durch
Abzug von Streitkräften aus anderen wichtigen Punkten möglich. Aleppo
aber hat nun allerhöchste Priorität. Die Pein der Zivilbevölkerung ist
damit noch lange nicht zu ende.
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