Dienstag, 5. Juli 2016

Irak findet keinen Ausweg aus dem Inferno

Militärische Erfolge gegen den „Islamischen Staat“ lassen sich nicht in politische Versöhnung umsetzen – Hass und Misstrauen schaffen den Nährboden für immer neue Gewalt
 
 
von Birgit Cerha
 
„Der Sieg gegen die Takfiri Terroristen“ des „Islamischen Staates“ sei nahe. Mit solcher Prophezeiung versucht Iraks geplagter Premier Abadi die schockierten Bürger zu beschwichtigen.  Die Zahl der Todesopfer des Terroranschlags im überwiegend schiitischen Bagdader Bezirk Karrada stieg Montag auf 165. Der Anschlag vom Sonntag zählt zu den blutigsten in der höchst turbulenten Geschichte des Landes. Er überschattet die Siegeseuphorie über die unerwartet rasche Rückeroberung der seit 2014 vom „Islamischen Staat“ (IS) besetzten Stadt Falludscha und die Vorbereitungen zur Offensive gegen Mosul, die einzige nun verbleibende Hochburg der Terrormiliz im Irak. Zugleich untergräbt er die Reste des Vertrauens in den politisch ohnedies schwer angeschlagenen Premier, der nicht verhindern kann, dass der IS Bagdads Zivilbevölkerung nach Belieben zu Tode bombt. Laut UNO wurden im Juni 662 Menschen durch IS-Terror getötet, allein 230 davon in Bagdad.
Abadis Versprechen, ein neues Sicherheitskonzept für die Metropole zu entwickeln, vermag die aufgewühlten Gemüter kaum zu beruhigen. So sollen zwar neue Geräte zum Aufspüren von Sprengsätzen in Fahrzeugen alte, völlig nutzlose Attrappen ersetzen, Kontrollstellen in der Hauptstadt dürfen künftig keine Mobiltelefone mehr benutzen, die Aufklärung aus der Luft soll verstärkt, die Koordination zwischen Sicherheitskräften in der Hauptstadt ausgeweitet und Kontrollposten sollen neu organisiert werden. Doch wie lässt sich die weit verbreitete Korruption der Sicherheitsbeamten an den Checkpoints stoppen? Dieses Krebsübel von Korruption und Nepotismus hat sich tief ins System eingenistet und verhindert seit 2003 den Aufbau eines demokratischen Staates. Darüber schweigt der Premier.
Dem Schiiten Abadi mag es vielleicht nicht an gutem Willen fehlen, um das Land aus dem Inferno zu reißen, aus dem es seit der von den USA geführten Invasion gegen Saddam 2003 nicht herausfindet. Militärisch ist es jüngst, nicht zuletzt dank US-Unterstützung zwar gelungen, den IS aus wichtigen Positionen zu vertreiben, doch der zivile Bereich hält mit diesen Fortschritten nicht Schritt. Bis heute konnte das Regime keine klaren Pläne erarbeiten, um taktische militärische Siege nachhaltig politisch umzusetzen. Versuche, die seit 2003 von der Macht gejagte und schwer diskriminierte arabisch-sunnitische Minderheit in einem Prozess der nationalen Versöhnung in die Führung des Staates voll zu integrieren, sind bis heute kläglich gescheitert. Zuletzt schlug Abadis Versuch fehl, auf Druck des einflussreichen nationalistischen Schiitengeistlichen Moktada Sadr das mit US-Hilfe aufgebaute konfessionell-ethnische Proporzsystem aufzulockern und Technokraten in die Regierung zu holen. Allzu heftig verteidigen die Minister und die hinter ihnen stehenden Machtgruppen ihre im Chaos des Umsturzes aufgebauten Pfründe. Solches politisches Versagen steigert die ohnedies tiefen Frustrationen und Zukunftsängste, die immer noch viele Sunniten in die Arme des IS treiben.
Erste Berichte über Plünderungen  und Schikanen an der sunnitischen Zivilbevölkerung in Falludscha durch schiitische Milizionäre, die – gegen den ausdrücklichen Willen des Premiers -  nach der Wiedereroberung in die Stadt eingezogen waren,  verheißen eine weitere Verschärfung des Klimas zwischen Sunniten und Schiiten und vergrößern die Gefahr, dass etwa 500 aus der Stadt geflüchtete IS-Jihadis wieder zurückkehren.  Kommt es, wie in anderen vom IS befreiten sunnitischen  Städten zu Greueltaten schiitischer Milizionäre, mit  werden nicht nur die rund 300.000 seit 2014 aus Falludscha geflüchteten sunnitischen Bewohner nicht heimkehren,  eine für den Erfolg der geplanten Offensive gegen Mosul entscheidende Kooperation der dort eingeschlossenen sunnitischen Bevölkerung  käme kaum zustande. Zugleich verstärken sich die Gefahren für durch Terror höchst verwundbare Bagdad. Die Stadt läßt sich nicht abschirmen. Sie hat keine klaren Grenzen. Ein landwirtschaftliches Gebiet zieht sich wie ein „Gürtel“ um die Millionenmetropole. Viele Sunniten leben in dieser Region und je mehr der Protest gegen das Regime wuchs, desto mehr konnte sich dort der IS mit „Schläferzellen“ einnisten. Je mehr die Sicherheit zusammenbricht, desto mehr steigt das Misstrauen zwischen den überwiegend schiitischen Sicherheitskräften und den sunnitischen Bewohnern. Bagdad ist das wichtigste Terrorziel des IS, der zwar die Metropole nicht erobern kann, aber durch Anschläge wie jene vom Sonntag Schiiten zu blutiger Rache an Sunniten aufhetzt und sich so auch weiterhin als Schutzmacht der Glaubensbrüder präsentiert und deren Sympathie erhält. Zudem bindet eine Serie von Gewaltakten viele staatlichen Sicherheitskräfte und Milizen in der Hauptstadt und verzögert damit die geplante Großoffensive gegen Mosul.
 

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