Militärische Erfolge gegen den „Islamischen Staat“ lassen sich
nicht in politische Versöhnung umsetzen – Hass und Misstrauen schaffen
den Nährboden für immer neue Gewalt
von Birgit Cerha
„Der Sieg gegen die Takfiri Terroristen“ des „Islamischen Staates“
sei nahe. Mit solcher Prophezeiung versucht Iraks geplagter Premier
Abadi die schockierten Bürger zu beschwichtigen. Die Zahl der
Todesopfer des Terroranschlags im überwiegend schiitischen Bagdader
Bezirk Karrada stieg Montag auf 165. Der Anschlag vom Sonntag zählt zu
den blutigsten in der höchst turbulenten Geschichte des Landes. Er
überschattet die Siegeseuphorie über die unerwartet rasche Rückeroberung
der seit 2014 vom „Islamischen Staat“ (IS) besetzten Stadt Falludscha
und die Vorbereitungen zur Offensive gegen Mosul, die einzige nun
verbleibende Hochburg der Terrormiliz im Irak. Zugleich untergräbt er
die Reste des Vertrauens in den politisch ohnedies schwer angeschlagenen
Premier, der nicht verhindern kann, dass der IS Bagdads
Zivilbevölkerung nach Belieben zu Tode bombt. Laut UNO wurden im Juni
662 Menschen durch IS-Terror getötet, allein 230 davon in Bagdad.
Abadis Versprechen, ein neues Sicherheitskonzept für die Metropole
zu entwickeln, vermag die aufgewühlten Gemüter kaum zu beruhigen. So
sollen zwar neue Geräte zum Aufspüren von Sprengsätzen in Fahrzeugen
alte, völlig nutzlose Attrappen ersetzen, Kontrollstellen in der
Hauptstadt dürfen künftig keine Mobiltelefone mehr benutzen, die
Aufklärung aus der Luft soll verstärkt, die Koordination zwischen
Sicherheitskräften in der Hauptstadt ausgeweitet und Kontrollposten
sollen neu organisiert werden. Doch wie lässt sich die weit verbreitete
Korruption der Sicherheitsbeamten an den Checkpoints stoppen? Dieses
Krebsübel von Korruption und Nepotismus hat sich tief ins System
eingenistet und verhindert seit 2003 den Aufbau eines demokratischen
Staates. Darüber schweigt der Premier.
Dem Schiiten Abadi mag es vielleicht nicht an gutem Willen fehlen,
um das Land aus dem Inferno zu reißen, aus dem es seit der von den USA
geführten Invasion gegen Saddam 2003 nicht herausfindet. Militärisch ist
es jüngst, nicht zuletzt dank US-Unterstützung zwar gelungen, den IS
aus wichtigen Positionen zu vertreiben, doch der zivile Bereich hält mit
diesen Fortschritten nicht Schritt. Bis heute konnte das Regime keine
klaren Pläne erarbeiten, um taktische militärische Siege nachhaltig
politisch umzusetzen. Versuche, die seit 2003 von der Macht gejagte und
schwer diskriminierte arabisch-sunnitische Minderheit in einem Prozess
der nationalen Versöhnung in die Führung des Staates voll zu
integrieren, sind bis heute kläglich gescheitert. Zuletzt schlug Abadis
Versuch fehl, auf Druck des einflussreichen nationalistischen
Schiitengeistlichen Moktada Sadr das mit US-Hilfe aufgebaute
konfessionell-ethnische Proporzsystem aufzulockern und Technokraten in
die Regierung zu holen. Allzu heftig verteidigen die Minister und die
hinter ihnen stehenden Machtgruppen ihre im Chaos des Umsturzes
aufgebauten Pfründe. Solches politisches Versagen steigert die ohnedies
tiefen Frustrationen und Zukunftsängste, die immer noch viele Sunniten
in die Arme des IS treiben.
Erste Berichte über Plünderungen und Schikanen an der sunnitischen
Zivilbevölkerung in Falludscha durch schiitische Milizionäre, die –
gegen den ausdrücklichen Willen des Premiers - nach der Wiedereroberung
in die Stadt eingezogen waren, verheißen eine weitere Verschärfung des
Klimas zwischen Sunniten und Schiiten und vergrößern die Gefahr, dass
etwa 500 aus der Stadt geflüchtete IS-Jihadis wieder zurückkehren.
Kommt es, wie in anderen vom IS befreiten sunnitischen Städten zu
Greueltaten schiitischer Milizionäre, mit werden nicht nur die rund
300.000 seit 2014 aus Falludscha geflüchteten sunnitischen Bewohner
nicht heimkehren, eine für den Erfolg der geplanten Offensive gegen
Mosul entscheidende Kooperation der dort eingeschlossenen sunnitischen
Bevölkerung käme kaum zustande. Zugleich verstärken sich die Gefahren
für durch Terror höchst verwundbare Bagdad. Die Stadt läßt sich nicht
abschirmen. Sie hat keine klaren Grenzen. Ein landwirtschaftliches
Gebiet zieht sich wie ein „Gürtel“ um die Millionenmetropole. Viele
Sunniten leben in dieser Region und je mehr der Protest gegen das Regime
wuchs, desto mehr konnte sich dort der IS mit „Schläferzellen“
einnisten. Je mehr die Sicherheit zusammenbricht, desto mehr steigt das
Misstrauen zwischen den überwiegend schiitischen Sicherheitskräften und
den sunnitischen Bewohnern. Bagdad ist das wichtigste Terrorziel des IS,
der zwar die Metropole nicht erobern kann, aber durch Anschläge wie
jene vom Sonntag Schiiten zu blutiger Rache an Sunniten aufhetzt und
sich so auch weiterhin als Schutzmacht der Glaubensbrüder präsentiert
und deren Sympathie erhält. Zudem bindet eine Serie von Gewaltakten
viele staatlichen Sicherheitskräfte und Milizen in der Hauptstadt und
verzögert damit die geplante Großoffensive gegen Mosul.
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