Dienstag, 5. Juli 2016

Saudi-Arabien – das zentrale Ziel des IS

Gestützt auf die wahhabitische Doktrin will die Terrormiliz die Kontrolle über die Heiligsten Stätten des Islams an sich reißen und den Mittleren Osten neu ordnen
 
Die Serie von blutigen Anschlägen zum Ende des Fastenmonats Ramadan in Saudi-Arabien wirft ein Schlaglicht auf das verwirrend ambivalente Verhältnis zwischen dem Wüstenreich und der Terrormiliz des „Islamischen Staates“ (IS), die sich zu den Gewalttaten bekannte. Verbindet den  IS nicht das Bekenntnis zur selben radikalen wahhabitischen Doktrin, die Saudi-Arabien zu seiner Staatsreligion erhoben hatte? Verdankt die Terrormiliz nicht ihre Siegeszüge im Irak und in Syrien und darüber hinaus der eifrigen materiellen Unterstützung aus dem Ölreich, ja gehen nicht schon ihre Ursprünge auf großzügige Hilfe der Saudis zurück, sind sie nicht in Wahrheit die „Paten“ des IS?  Warum dann setzten die radikalen Islamisten mit ihren Terroranschlägen insbesondere in Medina, der zweitheiligsten Stätte des Islam, ein Signal, das das Königshaus tief ins Mark treffen muss?
Genau dies sind die wahren Absichten des IS:  das Haus Saud, „Hüter der Heiligsten Stätten des Islam“ als die „neuen Emire Arabiens“ abzulösen und sich damit die Legitimität für die Herrschaft über ein neues islamisches Weltreich zu verschaffen. In dieser Kampagne setzen die Jihadis den Wahhabismus in seiner ursprünglichen Form als wirksamste Waffe ein und machen sich die tiefe Spaltung der herrschenden Elite in der Frage der Staatsreligion und der Beziehungen zum gewalttätigen Islamismus zunutze.
Ein wesentlicher Teil der saudischen Identität geht direkt auf Mohammed ibn Abd al-Wahhab (den  Begründer der radikalen, puritanischen Strömung des Islams zurück. Ein Pakt zwischen Abd al-Wahhab und dem Clan der Al-Sauds im 18. Jahrhundert zur Teilung der religiösen und der militärischen Führung des ersten Reiches der Saud-Dynastie bildet bis heute die Grundlage der Herrschaft über Saudi-Arabien. Als Abd-al Aziz ibn Saud in den 1920er Jahren mit britischer und amerikanischer Hilfe begann, einen Staat aufzubauen, sah er sich gezwungen, dem Radikalismus der Wahhabiten Grenzen zu setzen. Er schlug zwar gewaltsam eine Rebellion der über die Aufgabe des Jihad zugunsten „weltlicher Realpolitik“ empörten Wahhabi-Miliz „Saudi Ikhwan“ nieder. Doch um sich die Überlebenskraft des neuen Königreiches zu erhalten, musste er an dem alten Pakt mit den mächtigen Geistlichen festhalten.  Dieser bildet bis heute die Grundfesten Saudi-Arabiens, gemeinsam mit den Sicherheitsgarantien der Briten und schließlich der US-Supermacht.   Gefangen in diesem Widerspruch versuchen die Sauds seither die Wahhabiten bei der Stange zu halten und zugleich zu mäßigen, während sie westliche Interessen in der Region unterstützen.
Doch das wahhabitische Gen lebte fort und drohte stets, sich erneut blutig und grausam zu entfalten. Dies geschah 1979, als der wahhabitische Aktivist Juhayman al-Otaybi die „Saudi Ikhwan“ neu belebte und an der Spitze von fast 500 Bewaffneten die Große Moschee in Mekka besetzte. Er protestierte damit gegen die  „protzende und korrupte“ Saud-Dynastie, die durch ihre aggressive Politik der Verwestlichung die saudische Kultur zerstört und ihre Legitimität verloren habe. Juhaymans Geist wirkt fort, bei Osama bin Ladens al-Kaida, jetzt im IS aber auch in Teilen der saudischen Elite. Wie das Königshaus und die wahhabitische Geistlichkeit mit den Besatzern der Großen Moschee milde umging, so haben sie zuvor und danach auch nie dem grausam radikalistischen Geist dieser Strömung Einhalt geboten. Nach dem Terror des 11. September in den USA hat das Königshaus den Geldfluss zu Jihadis im Ausland zwar gebremst, aber nicht vollständig gestoppt, doch die radikale Propaganda hält im In- und bei den zahllosen islamischen Gruppen im Ausland unvermindert an. Zwischen 1982 und 2007 finanzierten die Al-Sauds weltweit wahhabitische Propaganda mit insgesamt 87 Mrd. Dollar und diese Tendenz setzt sich fort. Erst als Al-Kaida in den 1990er Jahren seinen ihren blutigen Terror ins Königreich trug, reagierte das Regime mit Verhaftungen und „Umschulungen“. Die Reformversprechen der neuen Führung geben wenig Hoffnung auf einen ernsthaften Kampf gegen den wahhabitischen Radikalismus, einen Trend, der dem Königshaus selbst zum Verhängnis werden könnte. Denn so findet der IS, der die ursprünglichen Lehren Wahhabismus mit hemmungsloser Brutalität praktiziert, im Königreich reichen Nährboden und seine „wahre explosive Kraft“, wie der Experte für Islamismus, Alastair Crooke betont.
„Das wahre Zerstörungspotential“ der Terrormiliz liegt nach Einschätzung des saudischen Islamexperten Fouad Ibrahim in der Implosion Saudi-Arabiens, die den gesamten Mittleren Osten radikal verändern würde.

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