Die islamistische Rebellengruppe bricht scheinbar mit „Al-Kaidas“ äußerer Führung, um ihre Position in Syrien weiter zu verstärken
Von Birgit Cerha
Zum erstenmal zeigte Abu Mohammed al-Jolani, der geheimnisvolle Führer der stärksten islamischen Rebellengruppe in Syrien, „Jabhat al Nusra“, sein Gesicht, als er Donnerstag über Video das Ende seiner Organisation und die Neugründung der „Jabhat Fateh Al-Sham“ (Front für die Eroberung der Levante“) verkündete. Rasch ging die Nachricht um die Welt, Nusra hätte damit den offiziellen Bruch mit dem Terrornetzwerk der „Al-Kaida“ besiegelt. Doch Jolani wählte seine Worte mit großer Vorsicht. Um „den Jihad des syrischen Volkes“ zu schützen, löse er alle organisatorischen Bande mit „ausländischen Gruppen“ auf und es ging ihm dabei darum, den Eindruck eines Bruchs mit der Al-Kaida-Führung in Afghanistan zu vermitteln, ohne dies tatsächlich auszusprechen. Acht Monate langwieriger Verhandlungen zwischen den beiden Islamistenorganisationen waren laut Informationen aus Syrien diesem Schritt vorangegangen. Von „Neuanfang“ für „alle Syrer und Muslime“ (so der führende Nusra-Aktivist Al Urdoni) ist die Rede und viel davon, das syrische Volk zu einen, ihm „Sicherheit, Stabilität und ein Leben in Würde“ zu garantieren.
Der Zeitpunkt dieser Entscheidung ist kein Zufall. Während das Reich der mit Nusra rivalisierenden Terrormiliz des „Islamischen Staates“ (IS) vom Zerfall bedroht ist, wächst auch der militärische Druck auf Nusra in den vom ihr kontrollierten Gebieten in der syrischen Nordwestprovinz Idlib und der Provinz Aleppo. Zugleich bedeutet eine mögliche Einigung Washingtons und Moskaus auf eine gemeinsame Luftoffensive gegen den IS und Nusra neue große Gefahr. Wegen ihrer offiziellen Verbindung mit Al-Kaida galt Nusra stufte Washington Nusra als Terrororganisation ein, die es zu vernichten gelte. Tatsächlich strebt Jolani, wie der IS , einen islamischen Staat in Syrien als ersten Schritt zur Wiederbelebung eines weltweiten Kalifats an.
Diverse islamistische Oppositionsgruppen drängen Nusra seit langem, sich offen von Al-Kaida zu distanzieren, die Zivilbevölkerung in den von ihr kontrollierten Regionen nicht länger US-Luftangriffen auszusetzen. Der „Neubeginn“ verfolgt nun vor allem das Ziel, sich weit stärker als bisher unter den Rebellen einzubetten, um damit gezielte US-Schläge gegen ihre Jihadis schier unmöglich zu machen. Zugleich versucht Nusra, sich verstärkt zu einer Kraft aufzubauen, die die Zivilbevölkerung aus dem katastrophalen Chaos, aus Hunger und Elend hebt und auf die die Menschen zunehmend für die Versorgung mit dem Überlebensnotwendigsten angewiesen sind. In jenen Städten und Dörfern, die Nusra kontrolliert, errichtete sie islamische Gerichtshöfe, Schulen, Bäckereien mit scharf kontrollierten Verkaufspreisen und begann sogar vor sechs Monaten die Wasser- und Stromversorgung bis nach Aleppo und Hama auszuweiten, wo viele Syrer seit fast drei Jahren unter enormem Mangel litten. Damit wuchs auch der Zulauf zu ihren Jihadis und insgesamt die Sympathie unter der Bevölkerung. Im Gegensatz zum IS zwingt Nusra den Menschen die islamischen Lebensregeln – bisher – nicht mit Gewalt auf.
Jolani hofft nun auf einen Bund mit im Westen als „gemäßigt“ geltende Islamistengruppen, allen voran „Ahrar el Sham“ zusammenschließen und seine Organisation damit mehr und mehr an Stärke und Sympathie unter der Bevölkerung gewinnt. So könnte er auch das ihm vielleicht drohende Schicksal der „Al-Kaida im Irak“ vermeiden, die 2007/08 von den US-Truppen mit Hilfe sunnitischer Stämme zur Bedeutungslosigkeit bekämpft worden waren.
Auch wenn Jolani einen anderen Eindruck vermitteln will, ideologisch trennt ihn nichts von Al-Kaida. Im Dezember 2015 stellte er klar: „Ob wir nun bei Al-Kaida bleiben oder nicht, wir werden niemals unsere Prinzipien aufgeben . … Wir werden unseren Jihad fortsetzen und keine Waffenstillstände mit (unseren) aggressiven Feinden schließen.“ Die Al-Kaida-Führung billigte unterdessen auch offiziell den Buch mit der afghanischen Zentrale, ein Schritt, der durchaus im Interesse Al-Kaida Chefs Zawaheri liegt. Jolani sprach nur von ihm Ausland stationierten Gruppen, eine Reihe von Al-Kaida Führern aber hat sich unterdessen in Syrien niedergelassen und Terrorexperten sehen Hinweise darauf, dass dieses Terrornetzwerk ihre Zentrale auch dorthin verlegen könnte. Westliche Terrorexperten halten Nusra längerfristig für weit gefährlicher als den IS.
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